UNO-Truppen nach Syrien? Gegen den „humanitären“ Kolonialismus

23.07.2019, Lesezeit 15 Min.
1

Die Bundesregierung hat eine Bitte von US-Präsident Donald Trump nach deutschen Bodentruppen in Syrien abgewiesen. Aber ausgerechnet in der deutschen Linken führte diese Bitte zu Uneinigkeit. Wie kommt es?

Bild: UN-„Schutztruppen“ beim Massaker in Srebrenica 1995

Teile des Linkspartei-Spektrums forderten, Trumps Aufforderung auszuschlagen. So meint Kathrin Vogler, MdB (Die Linke) in einem Kommentar für Die Freiheitsliebe:

Er soll die US-Truppen heimbringen. Die Interessen des westlichen Kapitals sollen nun andere militärisch absichern, die Schäden, die das US-Militär angerichtet hat, reparieren und eine ganz und gar in Unordnung gebrachte Region neu sortieren. Ich frage mich: Darf man das eigentlich? Die US-Truppen in Syrien oder Afghanistan entlasten und damit möglicherweise Kapazitäten frei machen, die dem Pentagon noch für den Angriffskrieg gegen den Iran fehlen? Ganz klar: das darf man nicht! Keine Bundeswehr nach Syrien!

Die Emanzipatorische Linke (Ema.Li.) lehnt Trumps Bitte ebenfalls ab, fordert jedoch zum „Schutz“ des kurdischen Rojava (Westkurdistan, das von einer kurdisch geführten Koalition selbstverwaltete Gebiet im offiziellen Nordsyrien) eine „von der UNO getragene Sicherheitszone an der Grenze sowie eine Flugverbotszone für Nord- und Ostsyrien“. Die Ema.Li, die es für „unbestreitbar“ hält, dass „die Präsenz von US-Soldaten in Nord-Syrien das einzige ist, was bisher den mehrfach angedrohten türkischen Angriffskrieg gegen die demokratische Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens (Rojava) verhindert hat“, sieht allerdings ein, dass es den USA dabei nicht um „Schutz“ für Rojava gehe, „sondern darum, einen größeren Einfluss Russlands und des Irans in der Region zu verhindern“.

Die Ema.Li-Redaktion folgert daher, eine UNO-Truppe müsse her, wie von der Selbstverwaltung Rojavas im Februar gefordert. Auch Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler, die gegen einen Einsatz ist, argumentiert unter anderem mit fehlendem UNO-Mandat. Diese Debatte über eine UNO-Intervention gibt Anlass zu einer linken Diskussion über den Charakter „humanitärer“ Einsätze, eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus und der Vereinten Nationen als kolonialistischer Institution sowie schließlich zu einer Einordnung der Debatte in die aktuellen Weltlage, besonders anhand der nunmehr auch offiziell deutsch geführten EU.

Deutschland, eine Kolonialmacht

Beginnen wir mit Deutschland. Deutschland kriminalisiert die Kurdistan-Solidarität mit einer Serie von skandalösen Urteilen, die das Verwenden erlaubter kurdischer Symbole unter Strafe stellen. Wie die Ema.Li richtig feststellt, hält die Bundesregierung an einer engen Beziehung zur Türkei fest, was sich 2016 etwa in dem schmutzigen Deal des „Flüchtlingsabkommens“ ausdrückte. Aktuell führt es dazu, dass die Türkei größter Abnehmer deutscher Waffenexporte ist.

Nehmen wir einmal an, die Bundesregierung fände die Idee einer UNO-Truppe gut und möchte sich daran beteiligen. Was würde es bedeuten, die Menschen in Rojava mit deutschen Blauhelmen zu „schützen“? Die imperialistischen und kolonialistischen Staaten führten schließlich oft den „Schutz“ an, um ihre eigenen kapitalistischen Interessen zu verdecken und ihre Besatzungstruppen mit einer Aura der „heiligen Mission“ (heute würde man sagen: „humanitären Mission“) zu umgeben.

Wenn erst einmal deutsche Soldat*innen vor Ort sind, werden sie die dort lebenden Menschen ganz schnell „vor sich selbst schützen“ müssen. Wie sonst ist zu erklären, dass es seit dem „Schutz“-Einsatz im Kosovo bis heute eine militärische Besatzung der Nation im Rahmen von UNO-Missionen unter deutscher Führung gibt? Auch in Afghanistan, an dessen Invasion und Besatzung sich die rot-grün geführte Parlamentsarmee beteiligte, wollten die deutschen „Befreier*innen“ nicht mehr gehen. Das haben Kolonialarmeen so an sich.

Die deutsche Lebenslüge, man habe mit dem „historischen“ Kolonialismus nicht so viel zu schaffen gehabt, ist öffentlich immer weniger haltbar. Die Völkermorde an den Herero und Nama, die von Deutschland nach wie vor nicht juristisch mit einem Entschädigungsanspruch anerkannt werden, sind inzwischen auch in Deutschland einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Sogar die Bundesregierung kann die Genozide nicht mehr leugnen. Auch zum 100. Jahrestag des Völkermords an den Armenier*innen durch das Osmanische Reich gab es Diskussionen über die „passive“ Beteiligung des Deutschen Kaiserreichs an diesem Verbrechen.

Von den kolonialen Völkermorden wiederum besteht eine Kontinuität zum Nationalsozialismus, der aus dem Kolonialismus Teile seiner Rassen-Ideologie und seines Personals bezog. Im Ost-Feldzug verfolgte das nationalsozialistische Deutschland eine eigene kolonialistische Politik des Vernichtungskriegs mit dem Ziel der Neubesiedelung. Auf dem afrikanischen Kontinent setzte es eine Kolonialarmee ein, deren Anführer – der „Wüstenfuchs“ Erwin Rommel – bis heute von der Bundeswehr mit der „Generalfeldmarschall-Rommel-Kaserne“ im nordrhein-westfälischen Augustdorf glorifiziert wird. So reicht die Kontinuität des Kolonialismus – aus der sich auch eine rechtsradikale bonapartistische Basis in der Bundeswehr nährt – bis zur Wiederaufnahme kolonialer Bestrebungen in die heutige Bundeswehr, die ihren bisher höchsten Ausdruck im Besatzungskrieg von Kundus fanden. Diese Organisation, die den Namen „Bundeswehr“ trägt, soll also (mit blauem Helm oder ohne) auf Kurdistan und Syrien losgelassen werden? Der deutsche Staat, der Saddam Hussein 1989 mit Chemiewaffen bei der Ermordung von über 5.000 kurdischen Zivilist*innen in Halabja half, soll nun plötzlich als „Schutzherr“ der Kurd*innen auftreten?

Es ist eigentlich bekannt: Wohin Deutschland seine Soldat*innen schickt, da gibt es Unterdrückung und Mord, damit deutsches Kapital verdient – seien es Soldat*innen des Kaisers, des „Führers“ oder des Parlaments. Horst Köhler war es, der vor neun Jahren das Amt des Bundespräsidenten dafür niederlegen musste, diese einfache Wahrheit ausgesprochen zu haben, dass es bei den deutschen Auslandseinsätzen natürlich um deutsche Kapitalinteressen geht:

Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen.

(Horst Köhler im Interview mit dem Deutschlandradio 2010)

Was Köhler – für die Verlogenheit des „pazifistischen“ Selbstbilds der BRD zu früh – sagte, ist geradezu eine Definition des kolonialistischen Imperialismus: Die Kapitalblöcke setzen mit kriegerischen Mitteln die Verwirklichung ihrer kapitalistischen Interessen fort. Der bürgerliche Staat macht‘s möglich: ein Gebilde, das weder neutral ist, noch mir nichts, dir nichts zur Durchsetzung der Interessen von Unterdrückten eingesetzt werden kann, sondern das ein Ausschuss und ein Instrument der Kapitalist*innen ist, mit Armee und Polizei als bewaffneten Armen. Wer den kapitalistischen Inhalt des bürgerlichen Staats nicht sieht oder relativiert, kommt leicht auf die Idee, diesen Staat oder seine Waffen für Fortschritt oder „Emanzipation“ einsetzen zu können.

So tut es die Sozialdemokratie – und die Linkspartei steht in der politischen Tradition der deutschen Sozialdemokratie. In dieser Tradition gab es eine heftige Debatte über den Kolonialismus, in der der chauvinistische Flügel einen historischen Fortschritt darin sah, während die Revolutionär*innen sich auf die Seite der unterdrückten Völker stellten und einen Defätismus gegenüber dem „eigenen“ Imperialismus vertraten, also für dessen Niederlage eintraten. Das Ergebnis der chauvinistischen Politik der Mehrheit der SPD war der Erste Weltkrieg, den die Sozialdemokratie mit ihrer Zustimmung zu den Kriegskrediten unterstützte. Die damalige Linie der SPD ging einher mit der „heiligen“ oder „humanitären“ Rechtfertigung, die Arbeiter*innenklasse in Russland vor der Tyrannei des Zarismus „schützen“ zu müssen. Der Krieg mündete in einem Blutbad an der internationalen Arbeiter*innenklasse; im Zuge des Kriegs wurde auch das Sykes-Pikot-Teilungsabkommen geschlossen, das eine koloniale Grundlage für heutige Konflikte in Syrien bildet. Den Zarismus hingegen schüttelte das Proletariat in Russland mit der Revolution ab, und den Kapitalismus gleich mit, der in den Jahren darauf in Deutschland von der SPD beschützt wurde.

Die UNO, eine Institution des Kolonialismus

Diese Lehren sind bekannt. Und doch gibt es den bis in die Linke hineingehenden Versuch, Deutschland mit den Vehikeln UNO oder EU als einen im imperialistischen Weltsystem unbeteiligten „ehrlichen Makler“ darzustellen, der die „Humanität“ erzwingen sollte. Aus den Grünen, und leider auch aus der Linkspartei, hört man immer wieder Stimmen, die die Zustimmung zu „humanitären Auslandseinsätzen“ – also in der Praxis: Kolonialkriegen – an ein UNO-Mandat binden. Die UNO ist keine neutrale Organisation. Ihr „humanitärer“ und „internationaler“ Mantel können die blutige Kolonialgeschichte – und die kolonialistische Gegenwart – nicht verdecken, die mit ihr verbunden sind.

Zur Gründung der UNO sollte sie unter anderem die Rolle einer Nachlassverwalterin der Kolonialmächte spielen. Dazu diente ihr das „Treuhandsystem“ (und wo immer eine „Treuhand“ auftritt, bringt sie nichts Gutes). Ziel war die Neuaufteilung der Welt unter einer US-Hegemonie, welche in zwei Weltkriegen die britische Hegemonie abgelöst hatte. Diese Rolle der UNO als Statthalterin kolonialistischer Interessen wurde erlaubt durch die stalinistische Strategie der „friedlichen Koexistenz“ mit dem Kapitalismus. Der UNO vorangegangen war die Auflösung der Dritten (Kommunistischen) Internationale im Jahr 1943 als Zugeständnis an die kapitalistischen Alliierten. Nach der Stalinisierung war sie hauptsächlich noch eine Marionette des „Sozialismus in einem Land“ gewesen und wurde sozusagen als Geschenk an die USA dann ganz aufgegeben. Diese Beschwichtigungspolitik zum Aufbau des „Sozialismus in einem Land“ setzte sich also mit der UNO fort: Der UN-„Sicherheitsrat“ war geboren, ein gemeinsamer Ausschuss der größten kapitalistischen Banden und des Stalinismus.

Im Korea-Krieg führte eine von den USA geführte Koalition unter dem UNO-Deckmantel einen Krieg gegen Korea und China. Über vier Millionen Menschen fanden den Tod. Wer vorher dachte, innerhalb des Kapitalismus könne es eine „supranationale“ Institution geben, die über den Interessen der Kapitalblöcke steht und nur für Frieden und Humanität eintritt, sollte es nach 1953 eigentlich schon besser wissen. In Südkorea wurde ein militaristisches Regime unter US-Gnaden aufgezogen, bis heute ist das Land ein riesiger Stützpunkt der USA. Im Norden regiert eine Karikatur des Stalinismus nach Maßgabe des „Sozialismus in einem Land“ in Abhängigkeit vom rekapitalisierten China.

Zehn Jahre nach dem Beginn des Korea-Kriegs, 1960, kämpfte der Kongo um seine Unabhängigkeit vom belgischen Kolonialismus und vom Imperialismus insgesamt. Anführer der antikolonialen Befreiung war Patrice Lumumba, der in einem Putsch im Auftrag der USA und Belgiens von Truppen der Konterrevolution ermordet wurde. Eine UN-Mission sicherte diese Konterrevolution ab, behinderte Lumumbas Anhänger*innen und sah bei dessen Ermordung praktisch zu. Heute stehen wieder Blauhelme zur „Stabilisierung“ im Kongo, das Land wird nach wie vor ökonomisch von imperialistischen Kapitalist*innen beherrscht.

Ein anderes Kapitel der UNO-Verbrechen spielt im ehemaligen Jugoslawien, in Bosnien und Herzegowina. Von den brutalen Verwerfungen der weltweiten kapitalistischen Restauration wurden große Teile Jugoslawiens in eine nationalistische Schlachterei verwandelt. In Srebrenica wurden 8.000 Bosniak*innen massakriert – während die UNO-Truppe, wie bei der Ermordung Lumumbas, tatenlos zusah. Aus der „Aufarbeitung“ des Massakers ging in Deutschland jedoch das Fazit hervor, dass „robustere“ militärische Interventionen nötig seien – statt den blutigen Charakter der UNO einzugestehen. Die Notwendigkeit eines „aggressiven Humanitarismus“ ist eine Erzählung, die besonders die Grünen für ihren aggressiven außenpolitischen Kurs verwendeten.

So stellte der damalige grüne Parteichef Joschka Fischer die Geschichte des deutschen Militarismus auf den Kopf, als er sagte, man solle aus Auschwitz die Bereitschaft zu mehr deutschen („humanitären“) Kriegen lernen. Seiner Partei gab dies die Legitimation zur deutschen Beteiligung am NATO-Bombardement des Kosovo im Jahr 1999. Auch damals kritisierten einige, ein UNO-Mandat müsse her. Das mag vielleicht „taktisch“ gemeint gewesen sein, aber was bedeutet es tatsächlich? Wären der Einsatz von Uranmunition, die Bombenmorde an Zivilist*innen vertretbar, ja „humanitär“ geworden durch ein UNO-Siegel? Es sei daran erinnert, dass der Kosovo auch im Anschluss an diesen Krieg von einer deutsch geführten UNO-Truppe kolonial besetzt wurde.

Ganz und gar trat der „deutsche Humanitarismus“, an dem die Welt genesen sollte, seinen Siegeszug mit dem Neokolonialkrieg gegen Afghanistan an. Nachdem die USA ihre Koalition zusammengetrommelt hatten, setzte die UNO ihr „Gütesiegel des Humanitarismus“ auf die Besatzung. Im Zuge der Besatzung von Kundus verdiente sich die Bundeswehr, nachdem es fast 60 Jahre her war, dass deutsche Generäle einen richtigen Besatzungskrieg führen durften, ihre Sporen. In der Nacht zum 4. September 2009 verübten ihre Offiziere ein Kriegsverbrechen an afghanischen Zivilist*innen, als sie das US-Bombardement eines Tanklasters anordneten. Der Befehlshaber Georg Klein, damals Oberst, inzwischen befördert zum Brigadegeneral, hatte zuvor in Bosnien-Herzegowina gedient und Soldat*innen für den Kosovo-Einsatz vorbereitet. Der „friedenserzwingende Einsatz“ der ISAF, unter deren Kommando Klein sein bis heute ungesühntes Kriegsverbrechen verübte, wurde vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen genehmigt.

Die Liste der Verbrechen, die im Namen der UNO – oft in Verschmelzung mit anderen Bündnissen wie der NATO in Afghanistan oder der EU in Mali – von den kapitalistischen Mächten begangen wurden, ist lang, zu lang für diesen Artikel. Hier sollte nur ein Prinzip dargestellt werden: „Supranationale“ Unternehmungen im Kapitalismus sind stets Vehikel für kapitalistische nationalstaatliche Politik. Während die Ema.Li erkennt, dass Trump nur ein Machtspiel verfolgt, in dem es nicht um die Interessen des kurdischen Volkes geht, scheitert ihre Vorstellungskraft an dem Fakt, dass auch die UNO nur eine Repräsentation von Interessen ist. Ebenso wenig wie der einzelne Staat kann sie neutral nach Belieben eingesetzt werden – denn sie vertritt ja gerade kapitalistische Staatenblöcke, rekrutiert sich aus ihnen und ist ihren Weisungen untergeordnet.

Die EU, ein Vehikel der Rekolonisierung

In einem Artikel über „Wirtschaftspläne und Kanonenboote“ hatte ich im März dargestellt, wie Deutschland angesichts einer immer instabileren Weltlage um einen aggressiveren Kurs – und um die EU als ihr Vehikel – ringt. Damals brachte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer gerade einen europäischen Flugzeugträger ins Gespräch. Seitdem hat sich wieder einiges getan. Die Spannungen haben insgesamt eher zugenommen, unter anderem mit der Kriegsgefahr im Iran. In Europa und Deutschland gab es eine Umordnung, die die Zeichen ebenfalls auf Militarismus stellt, und die Namen von der Leyen sowie Kramp-Karrenbauer umfasst.

Die Debatte um einen UNO-Einsatz kommt schließlich zu einer Zeit, in der Kramp-Karrenbauer als Verteidigungsministerin eingesetzt wurde und die ehemalige deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als EU-Kommisionspräsidentin. In einer Zeit, in der Cem Özdemir von den Grünen mit seinem Bundeswehr-Selfie für einen aggressiveren deutschen Militarismus wirbt. Und in der es eine Debatte über „mehr Verantwortung Deutschlands in der Welt“ gibt, auch wenn der Inhalt dieser „deutschen Verantwortung“ in „Friedenserzwingungen“ der UNO aus dem Besatzungskrieg gegen Afghanistan wohlbekannt ist.

Kramp-Karrenbauer will in dieser Zeit „die Stimme der Soldatinnen und Soldaten sein“, die ihren Dienst leisteten, „um Frieden und Freiheit für uns alle zu gewährleisten“. Der Bundeswehr möchte sie „einen hohen Rückhalt in der Politik und in der Gesellschaft“ sichern; mehrmals sprach die ehemalige saarländische Innenministerin vom militaristischen Zauberwort der „Loyalität“: eine Charme-Offensive für die rechtsradikal unterwanderte Truppe. Gleich darauf forderte sie die selbst innerhalb der Bundesregierung umstrittene Erfüllung des „Zwei-Prozent-Ziels“. Doch AKK weiß auch, dass das „deutsche Wesen“ militärisch noch nicht stark genug ist, um wieder allein größere Landstriche zu unterwerfen – also wird sie sich der EU als Vehikel bedienen müssen. Deshalb macht es nur Sinn, dass Merkel-Freundin Ursula von der Leyen, Befürworterin europäischer Armeen, wie sie unter anderem in Mali bereits erprobt werden (was die Bundeswehr wie ein „Videospiel“ verkauft), ihr Schützenhilfe aus Brüssel geben soll.

Ich möchte die Leser*innen, die es bis hierhin geschafft haben, nun keineswegs mit dem falschen Eindruck entlassen, eine passive Hinnahme der türkischen Angriffe auf Kurdistan wäre in meinem Sinn. Die Aggression Erdogans droht, einen genozidalen Charakter anzunehmen. Dagegen ist Selbstverteidigung notwendig. Und die Selbstverteidigung Kurdistan braucht selbstverständlich Verbündete. Nur sind diese Verbündeten nicht die imperialistischen Länder und ihre Kolonial-Vehikel, sei es UNO oder EU. Die Verbündeten des kurdischen Volks und der weiteren Unterdrückten in Westasien sind in der internationalen Arbeiter*innenklasse zu finden. Baran Serhad und Marius Rabe argumentierten in Klasse Gegen Klasse im Januar in einer ähnlichen Diskussion, die um Assad als Verbündeten Rojavas geführt wurde, bereits gegen eine „humanitäre Intervention“, wie sie von der Führung der Selbstverteidigung Rojavas gefordert wurde:

Indem die kurdische Führung heute eine ‚humanitäre Intervention‘ vorschlägt, manövriert sie sich in eine strategische Sackgasse. Rojava droht so auch als Hoffnungsschimmer für alle Unterdrückten in der Region zu verblassen, die auf ein Ende von Assad mit einer demokratischeren und sozialeren Neuordnung hofften.

Und sie werfen stattdessen eine unabhängige Perspektive auf, womit ich diesen Artikel beenden möchte, denn sie ist heute genauso wahr wie im Januar:

Um die Offensive Erdoğans ein für alle Mal zu stoppen, ist es unabdingbar, eine Perspektive der Unabhängigkeit von allen Varianten der Bourgeoisie aufzuwerfen und stattdessen das Bündnis mit den Klassengeschwistern in der gesamten Region zu suchen. Dazu gehört vor allem, dass in der türkischen Gewerkschaftsbewegung Fraktionen aufgebaut werden müssen, die für einen Generalstreik gegen die Invasion Rojavas kämpfen.

Um den kurdischen Widerstand unterstützen zu können, müssen wir in Deutschland die Bundesregierung zurückdrängen. Sie kriminalisiert die kurdischen Aktivist*innen und ihre Organisationen, verbietet die Fahnen des kurdischen Widerstands und rollt dem türkischen Präsidenten Erdoğan mit Waffen und Panzern den roten Teppich aus. Diese Waffen werden unter anderem von kurdischen und türkischen Arbeiter*innen hergestellt, die keinen Einfluss darauf haben, was mit den Waffen passiert. In Deutschland hat der kurdische Widerstand große Sympathie unter Jugendlichen erobert. Wir unterstützen die Mobilisierungen für die Verteidigung Rojavas und das Recht der Kurd*innen auf eigene politische Repräsentation.

Mehr aus der Artikelserie „Deutscher Militarismus“:

Grüne Erneuerung findet mit dem Panzer statt (Juni 2019)

Der neue Protektionismus: Von Wirtschaftsplänen und Kanonenbooten (März 2019)

Eine Söldnertruppe für den Einsatz? Über die „Osterweiterung“ der Bundeswehr (Januar 2019)

Merkel und die ganz normalen Landser: Über die soziale Basis des Bonapartismus (Oktober 2018)

Mehr zu den Hintergründen von Trumps Rückzug aus Syrien:

Teil I: Die türkische Eroberungsstrategie und der Trumpsche Rückzug (Baran Serhad und Suphi Toprak im Dezember 2018)

Teil II: Die Erfahrungen in Rojava und die revolutionäre Strategie (ebenfalls)

Mehr zum Thema