Deutscher Kolonialismus: Tausende Schädel lagern bei Berlin

24.11.2016, Lesezeit 5 Min.
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Immer noch lagern Tausende geraubte Schädel in deutschen Archiven: Sie stammen aus der Kolonialzeit, wurden zur "Rasseforschung" eingesetzt und nie zurückgegeben. Neueste Funde kommen aus dem heutigen Ruanda und Tansania. Dahinter steht eine Geschichte des ungesühnten Massenmords.

Es sind fast einhundert Jahre seit dem Untergang der deutschen Kolonialfantasien vom „Platz an der Sonne“, die unzählige Menschen das Leben kosteten. Im Juli erkannte die Bundesregierung den Völkermord an den Herero und Nama 1904 bis 1908 in „Deutsch-Südwestafrika“ an. Sie entschuldigte sie sich bei Namibia. Entschädigungen oder etwa Rückgabe von Land, das bis heute weißen Farmer*innen gehört, gibt es bisher aber nicht. Teil der historischen Forderungen war die Rückgabe von Totenschädeln der Herero, die über die letzten Jahre Stück für Stück geschah.

Das MDR-Magazin FAKT deckte nun auf, dass wohl Tausende Totenschädel, die ebenfalls den Kolonialgräueln des Kaiserreichs entstammen – diesmal in Ruanda und Tansania –, trotz langjähriger Forderung nicht an die Nachkommen zurückgegeben werden. Dazu gehört auch Mnyaka Sururu Mboro, der seit 40 Jahren versucht, den Kopf eines Häuptlings seines Stamms in Tansania zurückzuholen.

Beim neuesten bestätigten Fund handelt es sich um 1.003 Schädel aus Ruanda und 60 aus Tansania. Die Gebiete dieser beiden Staaten gehörten zur Kolonie „Deutsch-Ostafrika“, die von 1885 bis zum Ende des Weltkriegs 1918 bestand – der Weltkrieg allein kostete bis zu zwei Millionen Kolonisierten das Leben.

Zehn der gefundenen Schädel stammen von Kindern. Andere von Aufständischen, die deutsche Kolonialtruppen ermordeten und verstümmelten, um ihre Körperteile unter anderem zur Schädelforschung ins Reich zu schicken. Teils aus Friedhöfen geraubt, wozu Kinder von den Kolonialtruppen gezwungen wurden, teils eigens aus Ermordungen. Alle „gesammelten“ Gebeine sind akribisch protokolliert und den Behörden bekannt, Rückgabeangebote gab es nie.

Imperialistische Kontinuität

Verwaltet werden die Schädel im Zentraldepot Berlin-Friedrichshagen von der „Stiftung preußischer Kulturbesitz“, die neben staatlichen Museen auch archiviertes Raubgut aus dem Kaiserreich verfügt. Sie untersteht der Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Angesichts der Lagerung von über Tausend Schädeln möchte sich die Stiftung nur vom „Wissenschaftsverständnis“ der Schädelforschung distanzieren. Auf die Frage nach einer Rechtfertigung für die Lagerung der Totenköpfe antwortet Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung:

Die Anwesenheit muss man nicht rechtfertigen. Das ist Teil der deutschen Geschichte. Wir haben jetzt gerade einen Antrag auf ein Forschungsprojekt gestellt, um die ganzen Schädel aus Deutsch-Ostafrika zu erforschen. Auf ihre Provenienz. Und wir haben da gar kein Problem, diese Dinge zurückzugeben. Diese Dinge wollen wir in unseren Sammlungen nicht haben. Weil sie mit einem Wissenschaftsverständnis behaftet sind, das nicht unseres ist.

Wer das hört, möchte fast meinen, bei „diesen Dingen“ gehe es um eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung. Dabei geht es um über Eintausend Menschen, um staatlich angewiesenen Mord und Raub. Um Schädel von Menschen, die für den Tod Millionen weiterer stehen. Ermordet für Extraprofite des deutschen Kapitals, das die gleichen Länder, in denen es seine Kolonialverbrechen verübte, noch weiter wirtschaftlich auspresst.

Die Aufarbeitung der Verbrechen des Kapitalismus spielt aber für die kapitalistischen Staaten nur dann eine Rolle, wenn sie sie ideologisch verwerten können. Deutsche Lehrbücher erzählen fast nichts über deutsche Kolonialverbrechen. Das „Wissenschaftsverständnis“ der Schädelforscher*innen des Kolonialismus schließlich war einer der rassistischen Nährböden, auf denen später der deutsche Faschismus gedeihen konnte. Der „Rassenhygieniker“ Joseph Mengele selbst war als Student kolonialer Schädelvermesser.

Aber nicht ein falsches Wissenschaftsverständnis unterwarf und ermordete afrikanische Völker, sondern der Kolonialismus, der zum Imperialismus wurde. Was man für Wissenschaft hielt, war eine bloße ideologische Rechtfertigung für die wirtschaftlichen Interessen des deutschen Kapitals. Mit diesen dunklen Geschichten möchte man heute nichts mehr zu tun haben. Heidemarie Wieczorek-Zeul, ehemalige Entwicklungshilfeministerin, gibt sich auf Anfrage von FAKT „entsetzt“ über die Funde:

Es braucht einen Auftrag an die Institutionen, in einer würdevollen Form diese Gebeine in die jeweiligen Länder zurückzuführen und damit ein Signal zu setzen.

Das staatliche Entsetzen ist aber nichts als imperialistische Heuchelei und ein „Signal“ wird angesichts der Schwere der Taten nicht ausreichen. Denn das „Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ ist wie die „Stiftung preußischer Kulturbesitz“ faktisch ein Nachlassverwalter der ungesühnten und unentschädigten Kolonialisierung. Seine Vertreter*innen fallen immer wieder durch rassistische Aussagen auf, wie erst kürzlich der aktuelle Entwicklungminister Gerd Müller. Sein Ministerium steht Im Auftrag derselben für die Grauen verantwortlichen sozialen Klasse, des Kapitals, in Kontinuität zum Kolonialamt. Es dreht weiter seine Rädchen für die Aufteilung der Welt unter den Imperialismen.

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