Die Grünen: Der größte Etiketten­schwindel aller Zeiten

19.12.2020, Lesezeit 20 Min.
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Annalena Baerbock und Robert Habeck, Foto: Dominik Butzmann

Die Grünen stellen sich auf eine Koalition mit der Union ein. Hinter der grünen Fassade zeigt sich der schwarzkonservative Kern.

Ein Parteitag im schwarz-grünen Gewand

“Jede Zeit hat ihre Farbe!” – Dieser Slogan des Bundesparteitags der Grünen Ende November zeigte, was sich schon seit Monaten herauskristallisierte: Die Grünen greifen nach der Macht. Ein Blick auf die Umfragen der letzten Monate bestätigt ihre Position. Die Grünen sind mit circa 20 Prozent in vielen Umfragen zweitstärkste Kraft. Damit ist es rechnerisch so gut wie ausgeschlossen, dass die nächste Bundesregierung ohne eine Beteiligung der Grünen stattfinden kann.

Nichts an dem Parteitag lässt Zweifel an der Perspektive schwarz-grün aufkommen. So deutet nicht nur die farbliche Ästhetik des Parteitages in den Farben schwarz und grün auf die politische Ausrichtung der Grünen. Basisorientiert, radikal oder demokratisch sind Werte, die in den 40 Jahren Parteigeschichte zwar ohnehin selten mehr als leere Worte waren, doch jetzt mussten sie endgültig dem Kurs des offensiven Imperialismus für die deutsche Bourgeoisie weichen, um Platz zu machen für eine Koalition mit der CDU. Das neue Grundsatzprogramm, dessen Beschluss die zentrale Aufgabe des Parteitags war, liest sich wie eine Bibel für prokapitalistische Liberale mit einem abstrakten Bewusstsein für “Ökologie”. In allen politischen Bereichen, die das Programm abdeckt, halten sich die Grünen Annäherungen nach rechts offen und bringen sich so für die nächste Bundestagswahl in Stellung. Sogar das in der Klimabewegung um Fridays for Future so wichtige Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wurde erst nach langer Debatte und auf Antrag in das Grundsatzprogramm mit aufgenommen (Punkt 58). Und das, obwohl die Popularität von Fridays For Future (FFF) und das Bewusstsein um die Klimakatastrophe maßgeblich zu den guten Umfrageergebnissen der Grünen beitragen.

Eine Analyse der Rolle der Grünen in der politischen Konstellation des deutschen Regimes und der Antworten, die sie auf die drängendsten Fragen sozialer Bewegungen wie FFF oder Black Lives Matter (BLM) geben, enthüllt den wahren Charakter der Partei, den sie hinter ihrer pseudo-progressiven Rhetorik zu verbergen versucht: Die Grünen bereiten sich darauf vor, im Interesse der imperialistischen Bourgeoisie zu regieren.

Das falsche Versprechen von der grünen Transformation

Der hauptsächliche Grund für das dauerhafte Umfragehoch der Grünen ist recht offensichtlich: das veränderte gesellschaftliche Bewusstsein über Fortschritt und Auswirkungen des Klimawandels und die notwendigen Veränderungen in der globalen Produktion, die damit einhergehen müssen. Ein Ausdruck davon sind auch neue Akteur:innen, wie Fridays for Future (FFF) oder Ende Gelände, zu denen die Grünen eine rhetorische und personelle Nähe suchen. Ihr ökologisches Image, das die Grünen vor allem über ihre Entstehungsgeschichte und die Kooptierung prominenter Figuren aus der Klimabewegung aufrechterhalten können, verschafft ihnen einen nie dagewesenen Höhenflug. Während im linken gesellschaftlichen Diskurs und in der Basis der Bewegungen zwar zaghaft, aber zunehmend die kapitalistische Produktionsweise als Ursache der drohenden Katastrophe erkannt und auch benannt wird, entwickelte sich in den letzten Jahren im grün- beziehungsweise linksreformistischen Lager die Vorstellung einer möglichen “nachhaltigen” Erneuerung des Kapitalismus.

In diesem Sinne zeigen die Grünen nicht erst mit dem Parteitag ihren Willen, sich als “progressiver” Flügel der deutschen Bourgeoisie zu positionieren. So bereiten sie sich auf eine Regierungskoalition mit den Unionsparteien vor und bieten in einer schwarz-grünen Bundesregierung Schritte zu einer Erneuerung des deutschen imperialistischen Modells der Kapitalakkumulation an. Das Kapital steckt schon länger in einer Krise. Die große Herausforderung, um aus ihr zu entkommen, ist, die anhaltende Strukturkrise der zentralen Sektoren der deutschen Wertschöpfung zu überwinden. Das betrifft vor allem die Metall- und Elektroindustrie, die mit einbrechenden Umsatz- und Exportzahlen und schwindenden Marktanteilen kämpft. Dieser “Strukturwandel” beinhaltet nicht nur enorme technologische Herausforderungen, sondern wird – zumindest wenn es nach dem Willen der deutschen Bourgeoisie geht – auf dem Rücken der Arbeiter:innenklasse ausgetragen werden, beispielsweise durch enorme Arbeitsplatzverluste.

Die Grünen sind für dieses Programm die perfekten Partner:innen: Zum Einen stehen sie einer – auch militärischen – Ausweitung des Einflusses des deutschen Imperialismus positiv gegenüber. Dies ist nötig, denn das deutsche Kapital muss den “Strukturwandel” durch Exportüberschüsse bezahlen. Dafür muss es die Rolle der EU stärken – unter deutscher Führung [„Aufstieg oder Fall: Europas Ambitionen nach den US-Wahlen KgK Magazin 12/20 #0]. Zum Anderen versprechen die Grünen, den technologischen Umbau, und damit die Rettung deutscher Arbeitsplätze und des Industriestandortes Deutschlands, durch den Ausbau “grüner” Technologien zu ermöglichen (Punkt 93 des Grundsatzprogramms). Mit Elementen eines “Green New Deals”, also mit massiven staatlichen Investitionen in “nachhaltige” Technologien, soll die für die deutsche Wirtschaft zentrale Autoindustrie auf Elektroautos umgerüstet werden. Damit werden die umweltschädigenden Auswirkungen dieser Industrie ins Ausland verlagert, also zum Beispiel in die Länder, in denen die Rohstoffe für die Batterien abgebaut werden. So kann das deutsche Kapital zur Befriedung der Bevölkerung die hiesigen CO2-Emissionen senken und gleichzeitig im Ausland den Klimawandel vorantreiben.

Und auch für Deutschland selbst ist der “Green New Deal” trotz seines “progressiven” Anscheins alles andere als sozial. Großkonzerne sollen in der kommenden Periode für den notwendigen Wandel mit Milliarden subventioniert werden, obwohl sie jahrzehntelang ohne Rücksicht auf Verluste den Planeten für ihre Profite zerstörten. Aber für die Industriesektoren, die von massenhaftem Stellenabbau betroffen sind, wie dem Kohlebergbau, gibt es keine Antwort auf die ökologische Transformation. Die Grünen akzeptieren also einfach die mutmaßliche “Notwendigkeit” des Kapitals, den Strukturwandel mit massiven Entlassungen durchzuführen. Sie wollen, dass der Strukturwandel auf Kosten der Arbeiter:innen und nicht der Kapitalist:innen vonstatten geht.

Mit einigen sozialen Formulierungen in ihrem Grundsatzprogramm wollen die Grünen das verschleiern: “Jeder hat das Recht auf materielle Sicherheit und gesellschaftliche, politische und kulturelle Teilhabe sowie ein Leben ohne Existenzangst” (Seite 5). Doch ihre politische Praxis zeigt eindeutig, dass Formulierungen wie diese nur eine Farce sind. Es waren die Grünen, die gemeinsam mit der Schröder-SPD Hartz IV eingeführt haben. Ihr letztes “Sozialprogramm” war für die schärfsten Einschnitte in der Lebensqualität der Arbeiter:innenklasse der Bundesrepublik seit der Wiedervereinigung verantwortlich. Umso zynischer wirkt es, wenn sie nun in ihrem Grundsatzprogramm “Überwinden wir Hartz IV” (Punkt 320 des Grundsatzprogramms) schreiben. Überwunden werden soll Hartz IV durch eine sogenannte Garantiesicherung, die vor “Armut [schützen] und ohne Sanktionen das soziokulturelle Existenzminimum” (Punkt 320 des Grundsatzprogramms) garantieren solle. In einer schwarz-grünen Koalition, auf die die Grünen sich vorbereiten, völlig undurchführbar. Die Konsequenz: Es sind leere Worthülsen, mehr nicht.

Mit Formulierungen wie diesen vermitteln die Grünen in Richtung kleinbürgerlich-liberaler Schichten. Zugleich zeigt ihre Industriepolitik des “Green New Deal”, welches Angebot sie Sektoren der Großbourgeoisie machen. Damit wollen sie den deutschen Imperialismus für eine bessere Antwort auf die sich verändernden weltweiten Kräfteverhältnisse zwischen den Staaten positionieren. Denn mit der Weltwirtschaftskrise 2008/09 kam es zu verschiedenen Begleiterscheinungen, wie dem anhaltenden Abstieg der USA als alleinige Weltmacht, dem Brexit oder dem Aufstieg der chinesischen Wirtschaft. In diesem sich verändernden Gefüge muss Deutschland seine Position international ausbauen, um zumindest nicht an Einfluss zu verlieren, und im besten Fall weiteren Einfluss zu gewinnen. Es braucht also für die Umsetzung eines “grünen Wandels” militärische Stärke und Kontrolle über die Ressourcen.

In der Reihe der anderen bürgerlichen Parteien heben sich die Grünen deutlich ab. Denn sie bieten einerseits einen kapitalfreundlichen Kompass für die kommenden Herausforderungen, wirken aber durch ihre Rhetorik nicht im klassischen Sinne als eine Partei, die im Interesse der Bourgeoisie handelt. Doch die Praxis spricht eine eindeutige Sprache: So versuchen die Grünen beispielsweise mit dem Schlagwort der “feministischen Außenpolitik” Kriegseinsätze im Namen von Frauenrechten zu rechtfertigen (Punkt 386 des Grundsatzprogramms), oder die Kosten der ökologischen Transformation mittels einer CO2-Steuer auf die Arbeiter:innen abzuwälzen. Indem sie vorgeblich progressive Diskurse mit pro-kapitalistischen und pro-imperialistischen Maßnahmen und Methoden verbinden, verschleiern sie ihre Arbeit im Interesse der Bourgeoisie. Deshalb sind die Grünen für das Kapital, und damit natürlich  auch für die CDU, ein perfekter Koalitionspartner.

Militarismus mit grünem Anstrich

Nach dem Aufstieg von Fridays For Future 2018 und 2019 waren die Grünen maßgeblich am Abflauen der Bewegung beteiligt. Sie instrumentalisierten die Demonstrationen für ihren Wahlkampf und die mit ihnen verbundenen Nichtregierungsorganisationen boten den Aktivist:innen einen regimefreundlichen Weg [„Wie können wir das Klima retten? Eine Debatte mit der interventionistischen Linken“ KgK Magazin 12/20 #0].

Und diese Entwicklung ist nichts Neues. Wieder und wieder absorbieren die Grünen enttäuschte Aktivist:innen – etwa in den Bewegungen gegen Krieg, Atomkraft und Umweltzerstörung, im Feminismus und Antirassismus. Besonders der Jugend bietet sie Posten im Staatsdienst, schwächen so die radikalen Ansätze der Bewegungen ab und machen sie für den Staat ungefährlich. Immer wieder sehen Bewegungen in den Grünen ihre parlamentarische Stimme, um dann eine nach der anderen von ihnen verraten zu werden. Sie sind die Partei der Kooptierung, die versucht, mit progressivem Auftreten und radikaler Rhetorik den Kapitalismus im 21. Jahrhundert zu verkörpern. Dieser Ansatz zeigt sich auch, wenn migrantische Personen in den Staatsapparat eingebunden werden. Indem einige Sektoren der Bevölkerung, die bis jetzt vom Staatsdienst ausgeschlossen sind, zumindest teilweise in das herrschende politische System integriert werden, soll vermieden werden, dass der Staat und mit ihm die herrschende Klasse in Frage gestellt werden.

Berühmte Beispiele wie Cem Özdemir verkörpern diese Repräsentationslogik: Sie sollen beweisen, dass auch Migrant:innen in Deutschland erfolgreich sein können. Und auch im Dienste des deutschen Imperialismus Kriegseinsätze befürworten. Die grüne Perspektive sieht lediglich vor, dass diese von einer Armee ausgeführt werden sollten, die zwar die offen faschistischen Teile ausschließt und diverser aufgestellt ist. An dem imperialistischen Charakter der Einsätze ändert dies nichts. Perfider wird der Ansatz, wenn man sich anschaut, wie die Grünen ihren Imperialismus rechtfertigen: Sie exportieren deutsche Interessen mit Waffengewalt, jedoch unter den Labeln von Feminismus und Demokratisierung, etwa als Frauen- und Menschenrechte zur Legitimation der Besatzung Afghanistans herangezogen wurden. In ihrem neuen Grundsatzprogramm schreiben Die Grünen in Punkt 54:

“Internationale Solidarität sowie Verantwortung für unser historisches und heutiges Handeln bestimmen unsere Politik. Unser Ziel ist eine weltweite Ordnung mit internationalen Institutionen. Sie soll Frieden, Gerechtigkeit und Freiheit sichern, (…), so wie es in den Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen vereinbart ist.”

Sie streben also eine Unterwerfung der Welt unter die Hegemonie einer “weltweiten Ordnung” an. Was sie damit meinen, zeigten sie in der Vergangenheit immer wieder, wie bei der Bombardierung des Kosovo 1999, angeordnet vom Grünen Joschka Fischer unter Verweis auf die Lehren von Auschwitz. Aus ihrer Regierungspraxis mit Schröder sollte bereits klar geworden sein, dass die Grünen nicht vor Angriffskriegen zurückschrecken. Mit dem neuen Programm haben sie jetzt auch den letzten Anschein des Pazifismus in Worten aufgegeben.

Die Grünen und die Polizei

Die Aufgabe des Pazifismus in ihrer Außenpolitik wird bei den Grünen in Innen- und Sicherheitspolitik begleitet durch eine positive Bezugnahme auf die Polizei, die von den Grünen als notwendig für die “Garantie” von Rechtsstaat und Demokratie bezeichnet wird. Wörtlich sagen sie in ihrem Grundsatzprogramm: “Die Polizei schützt die Sicherheit und die Grundrechte der Menschen” (Punkt 288).

Die Haltung der Grünen zur Polizei ließ sich besonders deutlich im Sommer dieses Jahres anlässlich der Black-Lives-Matter-Bewegung beobachten. Während in ganz Deutschland Hunderttausende auf die Straße gingen, um gegen Rassismus und gegen die systematische und strukturelle Gewalt der Polizei gegen Schwarze und nicht-weiße Menschen / People of Color zu protestieren, präsentierten sich die Grünen als Vorkämpfer:innen.

Eine solche Position nahm Aminata Touré ein, erste Schwarze Landtagsabgeordnete in Schleswig-Holstein und seit 2019 Landtagsvizepräsidentin. Auf der Demonstration in Flensburg am 6. Juni – eine von über 20 Demonstrationen mit insgesamt über 200.000 Teilnehmer:innen bundesweit – hielt sie eine Rede, die ein perfektes Beispiel für einen postmodernen Diskurs darstellt: Sie sprach vom “Reflektieren des eigenen Handelns”; vom “ernsthaften Zuhören”; von individuellen Praxen, die auf zwischenmenschlicher Ebene bleiben. Sie benannte auch einige sehr wichtige Beispiele für strukturellen Rassismus: “Du kriegst eine Wohnung nicht, weil du Schwarz bist. Du wirst öfter kontrolliert, weil du Schwarz bist. Wirst beleidigt, weil du Schwarz bist. Wirst körperlich angegangen, weil du Schwarz bist.” Doch ein Thema blieb seltsam abwesend: die Frage der Polizeigewalt. Obwohl sie sich auf den Mord an George Floyd bezog, kam die Polizei in ihrer Rede schlicht nicht vor.

Bei genauerem Hinsehen ist das auch nicht verwunderlich: Die Grünen – und mit ihr Animata Touré – vertreten eine durch und durch staatstragende Ideologie. Darin ist die Polizei nicht der bewaffnete Arm des Kapitals – und damit notwendigerweise auch eine strukturell und personell rassistische Institution –, sondern die “Hüterin von Rechtsstaat und Demokratie”. Touré ist selbst stolze Patin der Polizeischule Eutin in Schleswig-Holstein, wo sie Reden über Selbstreflexion und interkulturelle Kompetenz hält. So sagte sie im Januar vor einer Polizeiklasse: “Sie sind als Auszubildende, als fertig ausgebildete Polizist*innen, als Exekutivorgan eine wesentliche Säule unseres demokratischen Rechtsstaates.”

Das Programm, das Touré und die Grünen gegen Rassismus und Polizeigewalt vorschlagen, könnte liberaler nicht sein. In einem Beitrag für die taz schrieb sie gemeinsam mit dem Parteivorsitzenden Robert Habeck: “Gerade staatliche Institutionen müssen für Rassismus sensibilisiert werden; das beginnt schon in der Aus- und Fortbildung. Bei der Polizei sollte es Schulungen geben, Beschwerdestellen sollten eingerichtet, die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten sollte geschaffen werden. Es kommt darauf an, alle Fälle von Polizeigewalt aufzuklären.” Ein Programm, welches die strukturelle Grundlage für rassistische Polizeigewalt angreift, ist einfach nicht vorhanden. Im Gegenteil: Die Grünen wollen die Polizei weiter stärken – das einzige, was stört, sind rassistische “Exzesse”.

Dass die Polizei aber nicht nur für einzelne “Exzesse” verantwortlich ist, sondern ihre Hauptaufgabe in der Umsetzung von Kapitalinteressen besteht, die sie mit regelmäßigen Exzessen der Gewalt durchsetzt, verschweigen die Grünen. Eines der brisantesten Beispiele dafür ließ sich im Dannenröder Forst beobachten, wo die Polizei gegen Klimaaktivist:innen, die eigentlich zum Kern der Wähler:innenschaft der Partei gehören, mit äußerster Brutalität vorging.

Die Grünen und der Dannenröder Forst

Die tiefe Verbeugung, die die Grünen dem deutschen Kapital und ihrem Handlanger, den Unionsparteien, für eine Koalition auf Bundeseben machen, ist mit dem Parteitag offensichtlicher denn je. Doch dort, wo die Grünen bereits mit der CDU regieren, ist dieser Kniefall bereits längst geschehen, wie die Ereignisse eindrucksvoll zeigen, die sich in den letzten Wochen im Dannenröder Forst abspielten.

Wie CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag festlegten, soll der in Hessen gelegene, 300 Jahre alte Wald zu einem Teil gerodet werden, um die Autobahn A49 zu verlängern. Schnell avancierte der “Danni” nach dem Hambacher Forst zum nächsten Symbol der deutschen Klimabewegung. Bereits Wochen vor dem eigentlichen Beginn der Rodung wurden Bäume besetzt und Protestcamps errichtet, um die Abholzung des Waldes zu verhindern. Obwohl die Grünen sich scharfer Kritik ihrer eigenen Basis ausgesetzt sahen, argumentierten sie stets auf legalistische Weise, dass der Bau der Autobahn bereits zuvor auf Bundesebene beschlossen wurde und sie sich daher in der nicht abzuwendenden Rolle der Auftragsausführung wiedergefunden hätten. Dies mache es unvermeidbar,die Rodungsarbeiten mit allen dafür notwendigen polizeilichen Maßnahmen durchzusetzen.

Und so rückten seit Anfang November die schwarz-grünen Polizeitruppen täglich mit einem massiven Aufgebot zur Belagerung des Dannenröder Forsts heran, um die Aktivist:innen aus dem Wald zu vertreiben. Vor den Augen der Öffentlichkeit und unter der Schirmherrschaft der Grünen verwendeten die Polizeikräfte Elektroschockgeräte, kappten die Seile von sich in meterhohen Bäumen befindenden Aktivist:innen und setzten Wasserwerfer bei Minusgraden ein. Dutzende Verletzte und mehrere Schwerverletzte Aktivist:innen und Medienvertreter:innen waren die Folge. Der Umgang mit dem Einsatz der letzten Wochen beweist, ungeachtet der mehr oder weniger radikalen Wurzeln der Grünen, wie sie die Polizei sehen: als Repressiv- und Exekutivkraft des Klassenstaats, deren rechtmäßige Aufgabe ist, zu tun, was nötig ist, um Kapitalinteressen durchzusetzen. Wie Satire wirkt der Kommentar von Kathy Walther, der Sprecherin für Straßenbau und Lärmschutz der hessischen Grünen, zum Vorgehen der Polizei: „Die Polizei hat durch vielfältige Kommunikationsmaßnahmen und eine Strategie der Ruhe versucht, zur Deeskalation beizutragen.“ Die Grünen, die sonst in Worten die scheinbare Notwendigkeit für eine Abkehr von klassischen Mobilitätskonzepten und einer Stärkung des Schienennetzes betonen, lassen dort, wo sie an der Macht sind also nicht nur zu, dass Aktivist:innen von Polizeikräften schwer verletzt werden, sondern schauen bewusst über die Polizeigewalt hinweg.

Diese Tatsache fügt sich nahtlos ein in die Aufrüstung der grünen Rhetorik in Bezug auf Auslandseinsätze der Bundeswehr und die Abkehr von ihrem pseudo-pazifistischen Image. Eine Durchsetzung der Kapitalinteressen der deutschen Bourgeoise wird nämlich nicht nur eine Militarisierung nach Außen, sondern auch nach Innen notwendig machen. Die Grünen zeigen in ihrer regierungspolitischen Praxis, dass sie dazu bereit sind die Exekutivkräfte des Staatsapparates in Bewegung zu setzen, um den Frieden mit der CDU nicht zu gefährden – und das sogar gegen ihre eigene Wähler:innenbasis. Die Vorgänge im Dannenröder Forst zeigen die Scheinheiligkeit der Grünen eindrucksvoll auf und entblößen sie vor den Bewegungen, die sie versuchen, für sich zu vereinnahmen: In Worten mit BLM und FFF, gegen Polizeigewalt und für eine ökologische Transformation – in der Praxis mit der Polizei gegen Klimaaktivist:innen für den Ausbau einer Autobahn.

Die Farbe der Zukunft muss Rot sein!

Die Grünen bereiten sich auf ein strategisches Bündnis mit der CDU/CSU vor, also mit der wichtigsten Partei der deutschen Bourgeoisie. Sie wollen so inmitten der größten Krise des Kapitalismus seit Jahrzehnten die strategische Richtung des deutschen Imperialismus mitbestimmen – und zwar als Partei der Erneuerung der deutschen Bourgeoisie. Mit einigen Elementen eines “Green New Deals” wollen sie versuchen, der Klimakatastrophe und dem notwendigen Strukturwandel zu begegnen, die Last der Krise aber auf die Arbeiter:innen abzuladen, um die Profite des Kapitals nicht zu gefährden.

Doch in der immer schärfer werdenden Klimakatastrophe ist klar, dass eine Perspektive des Grünen Kapitalismus, also der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Profitmaschinerie mit einem grüneren Anstrich, den Klimawandel nicht mehr abwenden kann.

Die Vorstellung, dass wir den Kapitalismus zwar eigentlich überwinden müssten, aber erstmal keine Zeit dafür hätten, ist heute populär. Doch das Gegenteil ist wahr: Der Kapitalismus zerstört immer schneller unsere Lebensgrundlagen, und wir haben nicht nur keine Zeit, auf graduelle Reformen zu warten, sondern diese Reformen sind überhaupt nicht in der Lage, die kombinierte Klima-, Wirtschafts-, Gesundheits- und soziale Krise aufzuhalten, in der wir uns befinden.

Unsere Antwort darauf ist eine radikal andere: Nur ein Programm und eine Strategie, die die notwendige soziale Kraft – die Arbeiter:innenklasse – sammeln und mit einem revolutionären Übergangsprogramm anführen kann, gibt uns die Möglichkeit einer Zukunft auf diesem Planeten. Die Arbeiter:innen müssen die Verursacher:innen der kombinierten Klima-, Wirtschafts-, Gesundheits- und sozialen Krise entmachten und die Gesellschaft auf Grundlage einer demokratisch organisierten sozialistischen Planwirtschaft völlig neu organisieren. Dafür können wir uns nicht auf die Logik des kleineren Übels oder auf minimale Reformen zurückziehen. Ein tatsächlich radikaler Umbruch ist notwendig. Dafür müssen wir uns organisieren.

Wie wir, als Teil der Trotzkistischen Fraktion (FT-CI), anlässlich des globalen Klimastreiks 2019 schrieben:

“Angesichts der ökologischen Katastrophe, die uns bedroht, gewinnt die von Rosa Luxemburg aufgeworfene Wahl zwischen „Sozialismus oder Barbarei“ wieder an Bedeutung. Am Vorabend des imperialistischen Gemetzels, das 1914 begann, warnte die große polnische Revolutionärin: „Wenn das Proletariat nicht seine Klassenpflichten erfüllt und den Sozialismus verwirklicht, [steht] uns allen zusammen der Untergang bevor.“ Für Luxemburg war der Sozialismus kein von der Geschichte vorgegebenes Schicksal; das einzige „Unvermeidliche“ war der Zusammenbruch und die Katastrophen, zu denen der Kapitalismus führen würde, sollte die Arbeiter*innenklasse dies nicht zu verhindern wissen.

In unserem Jahrhundert erlangen die Bedingungen der Ära der Krisen, Kriege und Revolutionen neue Aktualität und konfrontieren die Arbeiter*innenklasse und die Völker der Welt nicht nur mit der Barbarei von Krieg und Elend, sondern auch mit Umweltkatastrophen und der möglichen Zerstörung des Planeten. Ein wirklich ökologisches Projekt, das sich der ökologischen Krise stellt, zu der uns der Kapitalismus führt, kann nur erfolgreich sein, wenn es kommunistisch ist und die Arbeiter*innenklasse, mit allen Sektoren der breiten Massen verbündet, sich subjektiv bereit macht, die Avantgarde zu sein, es auf dem Wege des revolutionären Kampfes gegen den Widerstand der Kapitalist*innen durchzusetzen.”

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