Es muss nicht das kleinere Übel sein

19.06.2021, Lesezeit 15 Min.
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Anasse Kazib auf einer Demonstration | Bildquelle: anti-k.org

Es gibt eine Politik jenseits der regierenden Parteien. Internationale Beispiele zeigen uns, wie diese Politik aussehen kann.

Im September dieses Jahres stehen Bundestagswahlen an, und viele machen sich Gedanken, wem sie ihre Stimme geben sollen. Welche Alternative gibt es zu einer weiteren Bundesregierung mit der CDU/CSU? Und was sind unsere Aufgaben als Revolutionär:innen in Bezug auf die bürgerlichen Parteien?

Lohnt sich ein Kampf für Grün-Rot-Rot?

Leider zeigt die Vergangenheit, dass mutmaßlich linke Regierungen entgegen aller Hoffnung keine Verbesserungen bringen. Syriza in Griechenland, Podemos im spanischen Staat, Labour-Regierungen in UK, aber auch in Deutschland die Regierung Schröder, die die Agenda 2010 auf den Weg brachte, sind nur einige wenig ruhmreiche Beispiele. Dasselbe gilt für die verschiedenen Landesregierungen, an denen die Linkspartei (und ihre Vorgängerpartei PDS) in den vergangenen Jahrzehnten beteiligt war und ist.

Auch der jetzt anlaufende Wahlkampf zeigt deutlich, was wir von einer grün-rot-roten Regierung zu erwarten haben: Die Grünen treten ihr Erbe der Antikriegsbewegungen endgültig ins Grab und kündigen an, den deutschen Imperialismus für einen verschärften geowirtschaftlichen Kampf zu rüsten. Die Linkspartei führt einen auf Worte beschränkten Kampf gegen den queerfeindlichen und rassistischen Wagenknechtflügel, oder unterstützt ihn offen und debattiert über eine Aussöhnung mit NATO und Bundeswehr, anstatt ein realistisches Programm für tatsächliche Änderungen aufzustellen. Die SPD versteckt sich vor allem dahinter, dass sie zumindest nicht die CDU/CSU ist – nachdem die SPD seit 2005 mit der Unterbrechung einer Legislaturperiode mit der großen Koalition an der Regierung war, liegt die Verantwortung für die arbeiter:innenfeindlichen Entscheidungen der GroKo auch bei ihr. Um hier angesichts des aktuellen Pride-Monats als Beispiel auf queere und feministische Programmpunkte einzugehen, zur Wahrung des Koalitionsfriedens hat die SPD allein in dieser Legislaturperiode unter anderem die Abschaffung des §219a Strafgesetzbuch verhindert (der Informationen über den Schwangerschaftsabbruch kriminalisiert), genau wie aktuell die Abschaffung des Transsexuellengesetzes. Das wird sich nach der Bundestagswahl nicht magisch ändern, im Gegenteil: Die ohnehin schon stumpfen Wahlprogramme werden nach der Wahl noch weiter abgeschwächt werden, sei es in der Regierung oder in der Opposition.

Politik links der Linkspartei

Die Hoffnung in linke bürgerliche Parteien wird also immer wieder enttäuscht. Immer mehr Menschen, insbesondere Jugendliche, sehen, dass weder die Linkspartei, noch SPD oder Grüne das leisten, was sie versprechen, und entfernen sich in ihrem Aktivismus von den Parteien. Dennoch gibt es die Hoffnung, durch eine Wahl dieser Parteien zumindest die Union aus dem Kanzleramt zu schmeißen oder ihr eine zahlenmäßig starke Opposition entgegenzusetzen. Doch das letzte Jahr hat aufs Neue gezeigt, dass dadurch nichts gewonnen wird. Die Parteien des kleineren Übels bestimmten die Pandemiepolitik der „nationalen Einheit“ mit einer Aussetzung von Tarifverhandlungen und der Ächtung, sowie Sabotage von Kämpfen. Damit stellten auch sie die deutsche Wirtschaft über Menschenleben und die materiellen Existenzen von Arbeiter:innen, Kulturschaffenden und Selbstständigen und schützten lieber die Interessen der Herrschenden als ihre eigene Basis.

Eine Zuspitzung dieser „wenigstens nicht …“-Logik sehen wir in den Landtagswahlen Sachsen-Anhalts. Bei den Wahlen erreichte die AfD über 20 Prozent der Stimmen. Doch die Angst vor einer noch stärkeren AfD führte viele Wähler:innen der grün-rot-roten Parteien dazu, der CDU ihre Stimme zu geben. Hier sorgte die Logik des kleineren Übels („wenigstens CDU statt AfD“) dafür, der antisozialen und arbeiter:innenfeindlichen Regierungspoltik der CDU – der Nährboden für die Stärke der AfD – zu einer weiteren Legislaturperiode zu verhelfen.

Klar ist: Der Vormarsch der AfD ist gefährlich, ebenso wie die Ausdehnung rechtsextremer Netzwerke in Polizei und Bundeswehr. Gewalt gegen Migrant:innen, Nicht-Weiße, Jüd:innen und queere Personen gehört zum Alltag in Deutschland. Das macht es dringend notwendig, eine funktionierende Antwort zu haben,diese kann jedoch nicht darin bestehen, dem Trugschluss des kleineren Übels zu verfallen. Denn es sind dieselben „demokratischen Parteien“, die mit ihrer antisozialen, rassistischen, sexistischen und queerfeindlichen Politik den Nährboden für die gesellschaftliche Polarisierung bereiten, auf dem sich AfD und Co. ausbreiten können.

Es gibt allerdings internationale Beispiele, die uns zeigen, dass Linke sich weder an das vermeintlich kleinere Übel anpassen müssen, noch sollten.

Die FIT: Eine Arbeiter:innenwahlfront gegen das politische Establishment

Eines dieser Beispiele ist die Frente de Izquierda y de los Trabajadores – Unidad (FIT, Front der Linken und Arbeiter:innen – Einheit), die in Argentinien eine unabhängige Perspektive der Arbeiter:innenklasse vertritt. Sie besteht aus vier trotzkistischen Organisationen, darunter unserer Schwesterpartei, der Partido de los Trabajadores Socialistas (PTS, Partei Sozialistischer Arbeiter:innen), und wurde als politische Wahlfront gegründet.

Anstelle der Logik des kleineren Übels oder der Vorstellung, dass Revolutionär:innen in der Linkspartei oder vergleichbaren Parteien arbeiten müssen, um die Massen zu erreichen, zeigt diese Wahlfront ganz klar: Ein Wahlbündnis mit einem klaren Programm der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse erreicht sehr wohl die Massen, kann Millionen Stimmen bekommen und Parlamentssitze erhalten.

Die Parteien der FIT verbindet untereinander eine Perspektive der Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse. Das zeigt sich in ihrem Programm: Während die „progressive-linke“ Regierung von Alberto Fernández Sozialprogramme kürzt, um Auslandsschulden an den Internationalen Währungsfonds (IWF) zu bezahlen, schlagen FIT-Abgeordnete ein soziales Notfallprogramm gegen die Pandemie und für die Enteignung des Großkapitals vor, ohne Kompromisse mit dem Reformismus oder dem ausländischen Kapital wie die „linken” bürgerlichen Parteien.

Es zeigt sich in den Interventionen, wie der Verteidigung des besetzten Landes von Guernica, in dem Kampf um die erfolgreiche Legalisierung der Abtreibung, der von der FIT maßgeblich vorangetrieben wurde, oder dem Kampf der Gesundheitsarbeiter:innen von Neuquén.

Es zeigt sich sogar in der Arbeitsweise der Abgeordneten der FIT im Parlament: Parlamentsabgeordnete der FIT bekommen nur einen durchschnittlichen Arbeiter:innenlohn, der Rest ihrer Diät geht an Streikkassen und soziale Kämpfe. Die Parlamentssitze werden rotiert – auch zwischen den Gruppierungen innerhalb der FIT. Das bedeutet, dass Arbeiter:innen die Politiker:innen sind, wie Raúl Godoy aus der von Arbeiter:innen verwalteten Fabrik Zanon, nach ihrer Zeit als Abgeordnete wieder in die Fabrik zurückkehren.

Trotz alledem existieren innerhalb der FIT viele Differenzen, die die Vereinigung innerhalb einer einzigen revolutionäre Partei erschweren. Auch nach vielen scharfen und politischen Diskussionen gibt es keine einheitliche Strategie innerhalb der Wahlfront und auch kein vollständiges revolutionäres Programm. Auf die genauen Differenzen können wir im Rahmen dieses Artikels nicht eingehen, hierfür empfiehlt sich die Bilanz der lateinamerikanischen Konferenz vom letzten Jahr. Doch die tiefen nicht aufgelöste Differenzen erschweren die gemeinsamen Interventionen im Klassenkampf und verhindern, dass die FIT über ihren Status als erfolgreiche Wahlfront hinaus kommt.

Das ist tatsächlich nicht so verwunderlich, denn revolutionäre Parteien entstehen nicht aufgrund gemeinsamer Erfahrungen in Parlamenten, sondern im Klassenkampf. Wir haben ja schließlich nicht das Ziel, den Staat besser zu verwalten. Wir wollen ihn zerschlagen und überwinden!

Die heutige FIT ist also nicht die Organisation, bei der wir stehen bleiben wollen. Stattdessen wollen wir die strategischen Differenzen im Klassenkampf herausfordern und gemeinsam mit progressiven kämpfenden Sektoren die Grundlagen für eine revolutionäre Partei legen. Dafür müssen wir jetzt Erfahrungen in Kämpfen machen und so die Avantgarde, also die fortschrittlichsten Teile der Arbeiter:innenklasse und der Unterdrückten, für uns und unser Programm gewinnen.

Aus den Erfahrungen der FIT können wir einiges lernen: Als Front der politischen Unabhängigkeit der Arbeiter:innenklasse von der Bourgeoisie, ihrem Staat und den reformistischen Vermittlungen ist sie ein unbestreitbarer Fortschritt für den Klassenkampf. Innerhalb einer solchen Wahlfront sind Auseinandersetzungen um die Strategie unserer Klasse im Kampf gegen den Kapitalismus, sowie gemeinsame Erfahrungen im Kampf möglich – im Gegensatz zu einer Position innerhalb reformistischer Parteien mit Regierungsbeteiligungen wie der Linkspartei.

Die NPA: Bilanz eines Projekts der Einheit der radikalen Linken

Die französische Nouveau Parti anticapitaliste (NPA, Neue antikapitalistische Partei) ist ein weiteres Beispiel für einen Versuch der Umgruppierung der Linken, aus dessen Bilanz wir viel lernen können.

Die 2000er waren ein turbulentes Jahrzehnt in Frankreich. Etliche Unruhen erschütterten das Land, meistens mit einem Fokus auf die Großstädte, ausgelöst von Reformversuchen und rassistischer Gewalt. Bei den Präsidentschaftswahlen 2007 erhielt der kommunistische Briefträger Olivier Besancenot für die LCR (Ligue communiste révolutionnaire, Revolutionär-Kommunistische Liga) vier Prozent der Stimmen. Von diesem Erfolg beflügelt schlug die LCR ein neues Projekt vor: eine breite antikapitalistische Partei für alle Akteur:innen der französischen Linken, die sich links der sozialdemokratischen PS (Parti socialiste; Sozialistische Partei, vergleichbar mit der deutschen SPD) organisieren wollten. Mit der NPA wurde diese Partei 2009 gegründet und zählte damals fast 10.000 Mitglieder. In den kommenden Jahren, besonders nach der Weltwirtschaftskrise von 2008/09, war die NPA ein wichtiger Anziehungspunkt für radikale Linke und organisierte Arbeiter:innen.

In der NPA und den Kämpfen, in denen sie intervenierte, entwickelten sich etliche Arbeiter:innen zu Anführer:innen und politischen Figuren. Ein Beispiel ist der aus den Banlieus stammende Mechaniker Philippe Poutou. Er war vor Gründung der NPA Mitglied der LCR und wurde 2012 für die Präsidentschaftswahlen als Kandidat für die NPA aufgestellt. Ein gemeinsamer Kandidat großer Sektoren der radikalen Linken Frankreichs war zu dem Zeitpunkt ein Novum.

Doch durch die breite Auslegung der NPA gab es von Anfang an tiefe Differenzen und Unklarheiten. Die LCR hatte das Projekt explizit in Abgrenzung zum Aufbau einer revolutionären Partei, und damit ohne klare Strategie zum Umsturz des Staats gegründet. Bereits in den 1980ern hatte die LCR, demoralisiert von den Niederlagen der Arbeiter:innenklasse im Zuge der neoliberalen Offensive, die Herrschaft dieser Klasse als Notwendigkeit für den Aufbau des Sozialismus aufgegeben. Deswegen versammelten sich in ihr die verschiedensten Strömungen, die bis auf einen allgemeinen Antikapitalismus wenig miteinander verband. Dies führte dazu, dass die Interventionen der NPA in Klassen- und sozialen Kämpfe hinter ihren eigentlichen Möglichkeiten als recht große Partei zurückblieb. Die NPA konnte schon 2010 trotz ihrer Größe und Bedeutung nicht stabil in den Kampf gegen die Rentenreform von Nicolas Sarkozy intervenieren. Über die Jahre verlor die NPA immer mehr aktive Mitglieder. Auf die Gelbwestenbewegung, die seit 2018 Frankreich erschüttert, reagierte die NPA als Ganzes schon nicht mehr.

Auch die NPA hatte mit der Logik des kleineren Übels zu kämpfen, ihre Anfangszeit fiel in ein Klima der Polarisierung: Die Front National (FN, Nationale Front) um Marine Le Pen wurde zu einer realen Bedrohung. Auf der „linken“ Seite stand dem die Front de Gauche (linke Front), ein links-nationalistisches Projekt um Jean-Luc Mélenchon mit großer politischer Ähnlichkeit zum deutschen Wagenknecht-Flügel der Linkspartei entgegen. Letztendlich gelang es der NPA nicht, von dieser Polarisierung zu profitieren und sich als klare Alternative zu Le Pen und Mélenchon zu positionieren. Die Hoffnung, durch ein breiteres Projekt mehr Stimmen zu erhalten, wurde enttäuscht: In den Präsidentschaftswahlen von 2012 erhielt Poutou etwas über ein Prozent der Stimmen, ebenso 2017.

An diesen Beispielen, die einen Auszug der vielen Diskussionen innerhalb der NPA darstellen, sehen wir gut, dass der NPA von Anfang an ein Widerspruch innewohnte. Durch die undefinierte Strategie würde sie früher oder später einen von zwei Wegen einschlagen müssen: eine revolutionäre Partei mit einer klaren revolutionären Strategie zu werden, die sich auf die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse stützt und diese vorantreibt, oder sich an den Reformismus anzupassen.

Der linke Flügel der NPA, darunter die Courant Communiste Révolutionnaire (CCR, Revolutionär Kommunistische Strömung), Herausgeberin von Révolution Permanente (RP, Permanente Revolution), der französischsprachigen Schwester von KlasseGegenKlasse, trat von Anfang an für eine klare revolutionäre Strategie und damit verbunden für offensive Interventionen in Klassenkämpfe und soziale Bewegungen ein. So konnte die CCR als Teil der NPA eine Rolle in den wichtigsten Klassenkämpfen der vergangenen Jahre spielen, und unser revolutionäres Programm in diesem Rahmen in der Praxis zeigen.

Die Interventionen der CCR sind zahlreich: die Unterstützung der Gelbwestenbewegung – auf deren Höhepunkt Révolution Permanente drei Millionen Aufrufe pro Monat bekam, mehrere Eisenbahner:innenstreiks – eingeschlossen einer Koordinierung der Arbeiter:innen der Eisenbahngesellschaft SNCF und der Nahverkehrsgesellschaft RATP, der Kampf gegen die Rentenreform von Emmanuel Macron und die Streikbewegung 2019, sowie kürzlich der Kampf der Raffinerie-Arbeiter:innen von Total Grandpuits.

Währenddessen setzte die Mehrheit der ehemaligen LCR die Annäherung an den Reformismus fort. Für die Regionalwahlen setzte der von ihnen angeführte Flügel der NPA in mehreren Regionen gemeinsame Wahlantritte mit La France Insoumise (LFI, Unbeugsames Frankreich), dem aktuellen Projekt des weiterhin links-nationalistischen Jean-Luc Mélenchon durch – ein Vorgeschmack auf die kommende Präsidentschaftswahl. Inzwischen steht der ehemals gemeinsame Kandidat Poutou für diese Perspektive.

Der strategische Konflikt spitzte sich soweit zu, dass der Vorschlag der CCR, Anasse Kazib zum Präsidentschaftskandidaten der NPA zu machen, als Anlass genommen wurde, die CCR aus der NPA zu drängen. Mit der CCR verlassen hunderte Aktivist:innen aus der Arbeiter:innenklasse und der Jugend, die die CCR in den vergangenen Jahren für ein revolutionäres Programm gewinnen konnte, die NPA.

Der de-facto Ausschluss der CCR aus der NPA und das Bekenntnis der ehemaligen NPA-Mehrheit zu einem Bündnis mit dem Reformismus ist das Ende einer Ära in der Geschichte unserer französischen Schwesterorganisation. Doch mit diesen Erfahrungen und den Erfahrungen der vergangenen Kämpfe kann die CCR nun voranschreiten, die radikale Linke Frankreichs, die nicht bereit ist, sich weiter einem breiten Projekt unterzuordnen, ansprechen und auf einer programmatisch schärferen Basis die Keimzelle einer revolutionären Partei gründen.

Wie genau sich dieses Projekt entwickeln wird, werden wir in den nächsten Monaten sehen. Doch die Zeit der strategischen Unklarheit der proletarischen Avantgarde Frankreichs ist vorbei, und der Raum für ein neues Projekt der revolutionären Linken wurde geöffnet.

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Für eine klassenkämpferische und revolutionäre Alternative auch in Deutschland

Natürlich ist die Situation in Deutschland eine andere. Wir haben kein Phänomen ähnlich der französischen Gelbwesten gesehen, auch heftige und umfassende Ausdrücke des Klassenkampfes wie in Argentinien gab es nicht. Doch das bedeutet weder, dass in Deutschland „nichts geht“, noch dass die strategischen Lehren der Kampfprozesse in anderen Ländern hier unnütz wären. Im Gegenteil, die weltweite Lage ist Folge einer ständigen Wechselwirkung zwischen Akteur:innen, imperialistischen Zentren, Kolonien, Halbkolonien und Lokalmächten, multinationalen Konzernen und Sektoren der werktätigen und unterdrückten Klassen. Deutschland (eines der zentralen imperialistischen Zentren, der Sitz vieler Konzerne, Knotenpunkt der Rüstungsindustrie und der fertigenden Industrie mit ihrem Hunger nach Rohstoffen aus den Halbkolonien) spielt – unabhängig von der vermeintlichen Ruhe im Land – eine besondere Rolle in diesem Gefüge.

Die Handlungen der Arbeiter:innenklasse, der Unterdrückten und der Linken Deutschlands nehmen starken Einfluss auf die internationale Situation. Genau deswegen wird die nationale Einheit während der Pandemie von den reformistischen Bürokratien, von Linkspartei, SPD und Gewerkschaften so deutlich aufrechterhalten, egal wie groß die Unzufriedenheit ist und welche Kämpfe ausbrechen.

Die grün-rot-roten Parteien wollen alle aufkeimenden sozialen Konflikte einhegen und in das Fahrwasser des Parlamentarismus und des Glaubens in die Institutionen lenken. Das ist das Fatalste an der Anpassung an das geringere Übel dieser Parteien: Statt in den Prozessen des Klassenkampfes das Vertrauen in die bürgerlichen Institutionen zu untergraben und die Keimzellen für eine revolutionäre Alternative zu legen, stärkt die Hoffnung auf Grün-Rot-Rot dieses Vertrauen nur noch.

Doch die Arbeiter:innenklasse Deutschlands und die Unterdrückten dürfen sich unter keinen Umständen den Interessen des Kapitals unterordnen. Dies gilt ebenso für die Organisationen und Institutionen, die diese Interessen mittragen. Das bedeutet auch, mit einem kompromisslos antibürokratischen Programm in den Gewerkschaften aufzutreten, gegen die chauvinistischen Tendenzen der reformistischen Gewerkschaftsapparate, die ihre Millionen Mitglieder nicht für Kämpfe der Unterdrückten mobilisieren. Ebenso, wie sich eine unabhängige Position außerhalb der Linkspartei zu erkämpfen.

Eine Position im Umfeld oder sogar direkt in der Linkspartei und den Apparaten der Gewerkschaften kann kurzfristig vorteilhaft wirken, wird aber um den Preis der politischen Unterordnung erkauft. Historische und aktuelle Beispiele, national wie international, zeigen wieder und wieder, dass diese Unterordnung in der Hitze des Klassenkampfes zur Niederlage führt und der erfolgreiche Aufbau revolutionärer Gruppierungen nur möglich ist, wenn proaktiv und politisch um Programm und Strategie gekämpft wird, auf Basis eines unabhängigen Projekts.

Wie wir in unserer Erklärung zum 1. Mai geschrieben haben, wird eine revolutionäre Kraft in Deutschland nicht einfach durch das langsame Wachstum unserer oder einer anderen Organisation aufgebaut werden, ebenso nicht durch lockere Bündnisse. Stattdessen wird eine Fusion der revolutionären Linken mit den fortgeschrittensten Sektoren der Arbeiter:innenklasse und der Jugend auf der Grundlage der wichtigsten Lektionen des Klassenkampfes notwendig sein – auf einer scharfen und programmatischen Basis, die uns erlaubt, zusammen zu kämpfen und über unsere Differenzen zu diskutieren.

Und hier liegt unser Weg, mit dem größeren Übel fertig zu werden, ohne dem kleineren Übel nachzugeben. Lasst uns gemeinsame Fronten bilden und um eine Perspektive der Unabhängigkeit der Klasse kämpfen, kühn in Klassen- und soziale Kämpfe eingreifen und versuchen, dynamische Sektoren anzuführen. Lasst uns in diesem Prozess um unsere politischen Vorstellungen kämpfen und ein revolutionäres Programm entwickeln, gegen die Krise und letztendlich zur Überwindung des Kapitalismus.

Wie genau das für Deutschland aussehen kann? Lasst uns darüber diskutieren!

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