Die Globalisierung des Klassenkampfes und die Utopie der Revolutionären Partei in einem Land

05.01.2020, Lesezeit 25 Min.
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In vorherigen Artikeln haben wir im Rahmen der aktuellen Prozesse die Beziehung zwischen Revolte und Revolution aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet. Im vorliegenden Artikel werden wir uns dem Verhältnis zwischen den verschiedenen nationalen Prozessen aus internationaler Sicht nähern, um uns auf die Bedeutung zu konzentrieren, die dem internationalistischen Kampf heute zukommt.

Die neue Welle des Klassenkampfes, die heute die Welt erfasst, ist besonders durch ihre große geografische Ausdehnung zu unterscheiden. Sie umfasst Länder in Nordafrika, im Nahen Osten und Hongkong sowie in Europa und Lateinamerika. Die heutigen Medien, soziale Netzwerke und die Unmittelbarkeit von Information tragen in gewisser Weise zur Verbreitung von Prozessen bei, aber die Erklärung für dieses Phänomen liegt viel tiefer.

Was gemeinhin als „Globalisierung“ bezeichnet wird, waren Jahrzehnte imperialistischer Offensive – seit dem Ende des letzten Jahrhunderts bis heute –, die durch Plünderungen und größere Ausbeutungsraten einen Sprung in der Internationalisierung des Kapitals mittels eines Prozesses ungleichmäßiger und kombinierter Entwicklung ermöglichten, der eine Minderheit von „Gewinner*innen“ und eine große Mehrheit von „Verlierer*innen“ hinterließ.

Die historische Krise des Kapitalismus, die 2008 ausbrach, hat dieses Szenario noch verstärkt. Sie verdeutlichte den Niedergang eines Kapitalismus, der nicht dazu in der Lage ist, der Weltwirtschaft neue Motoren zu geben. Weder ein dekadenter US-amerikanischer Imperialismus, noch die einzige neue Wirtschaftsmacht und Pumpe der letzten Periode, China, das sein heutiges Bestehen der effektiven Vereinigung des Landes mittels der Revolution von 1949 verdankt, die die Bourgeoisie enteignete und in der (bürokratischen) Planung der Wirtschaft voranschritt. Die Bürokratie der KP China unterstützte zunächst das Programm des „Sozialismus in einem Land“, um daraufhin den Kapitalismus wiederzuerrichten und dabei die erreichten Errungenschaften zu nutzen, um gemeinsam mit dem internationalen Kapital eine „Modernisierung“ anzustreben. So hat die imperialistische Bourgeoisie erst durch die kapitalistische Restauration in China die Hauptquelle ihrer gegenwärtigen Entwicklung gefunden. Das heißt, dank dessen, was im Kampf gegen sie errichtet wurde. Sie tat dies basierend auf einem gewaltigen Maß an Ausbeutung und Prekarisierung, die den Bedingungen von vor zwei Jahrhunderten kaum nachsteht. Aber China hat nicht die historische Konsistenz, um als neuer weltweiter Hegemon zu fungieren, ohne zuvor neue Kriege in großem Maßstab anzuzetteln.

Die vergangenen Wahlen in Großbritannien haben eindrucksvoll bewiesen, wie orientierungslos der Kapitalismus vorgeht. Die britischen Großkapitalist*innen, die sich einst dem Brexit widersetzten, versammeln sich nun hinter dem britischen Trump Boris Johnson. Die Bourgeoisie segelt ziellos, mit dem Wind der Brutalität gegen Migrant*innen, des Nationalismus und der Fakenews im Rücken.

In Lateinamerika, wie auch in den anderen abhängigen und halbkolonialen Ländern, hat die Bourgeoisie längst jeden Anspruch auf nationale Emanzipation aufgegeben. Vor den Füßen des Imperialismus kniend suchen sie höchstens eine Rolle als Akteure der Verteilung zu spielen. Weder der extreme Neoliberalismus wie der von Bolsonaro/Guedes in Brasilien noch der „Postneoliberalismus“ wie der von Alberto und Cristina Fernández in Argentinien bieten einen unabhängigen Entwicklungsplan an. Für die Ersteren geht es einfach darum, dem Imperialismus alles Mögliche mittels Plünderungen zu überlassen, und gegen die Lebensbedingungen der Werktätigen vorzugehen. Für die Letzteren geht es höchstens darum, bestimmte Auswirkungen einer dem Imperialismus völlig untergeordneten sozioökonomischen Struktur abzumildern, die nicht in Frage gestellt wird und die die Mehrheiten dazu verurteilt, regelmäßig soziale Katastrophen zu erleiden. Selbst in den radikalsten Versionen des „Postneoliberalismus“, wie dem Chavismus, war er nicht in der Lage, die abhängige Struktur zu ändern, die mit den Schwankungen der Ölpreise verbunden ist.

Lediglich die Einheit der Arbeiter*innenklasse mit den ausgebeuteten und unterdrückten Völkern der lateinamerikanischen Länder, in Verbindung mit dem Kampf der Arbeiter*innenklasse der zentralen Länder, kann eine echte Alternative aufbauen. Sie muss ihre eigene Macht erobern, um die demokratischen Ziele und die nationale Emanzipation gegen den Imperialismus und seine lokalen Partner*innen vollständig und effektiv zu erkämpfen und eine neue Gesellschaftsordnung zu errichten. Die strategische Frage ist, wie die Ausbrüche des Klassenkampfes, die heute die Region und die Welt erschüttern, sich nicht in der Ausübung von Druck erschöpfen (sogar wenn er extrem ist), sondern die zuvor aufgezeichnete Perspektive eröffnen, die notwendigerweise international sein muss.

Gegen die weit verbreitete Utopie, dass es möglich ist, eine (wirklich) revolutionäre Partei „in einem Land“ aufzubauen, wirft dieser Kampf ein Schlüsselproblem auf: die Notwendigkeit einer internationalen revolutionären Partei. Nun, was impliziert und woraus besteht der Kampf um eine solche Partei heute?

Ein der Form nach nationaler und dem Inhalt nach internationaler Kampf

Was die aktuellen Prozesse des Klassenkampfes mit ihren Besonderheiten und Eigendynamiken zeigen, ist, dass es keinen automatischen Übergang von der Revolte zur Revolution gibt. In diesem Sinne ist der Kampf um die Hegemonie der Arbeiter*innen ein wichtiger Punkt, ebenso wie der politische Kampf gegen den Führungen des bürgerlichen Nationalismus, des Reformismus und der Bürokratie.

Wie Marx und Engels im Kommunistischen Manifest sagten, sind diese Kämpfe der Form nach zwar national, aber ihrem Inhalt nach international. Trotzki weist in Bezug auf das Denken Lenins darauf hin, dass Internationalismus „keine Formel einer Ineinklangbringung des Nationalen und Internationalen in Worten, sondern die Formel eines internationalen revolutionären Handelns“ ist. Dem fügt er hinzu, dass in dieser Konzeption die Welt „als ein einziges zusammenhängendes Kampffeld betrachtet [wird], auf dem die einzelnen Völker und deren Klassen einen gigantischen Kampf miteinander führen.“

Aus diesem Blickwinkel ist der internationalistische Kampf – und der Kampf um den Aufbau von Parteien in jedem Land – untrennbar mit dem Versuch verbunden, die Aktion einer internationalen revolutionären Partei im Maßstab unserer Kräfte vorzubereiten und zu proben. Denn eine solche Organisation wird erst aus der Hitze des Gefechts hervorgehen, die dieser neue Zyklus des Klassenkampfes auf die Tagesordnung zu setzen beginnt. Hierfür kämpfen wir von der FT-CI – der internationalen Organisation, der die PTS (und RIO in Deutschland) angehört – in den 14 Ländern, in denen wir politisch aktiv sind1, sowie mit dem Internationalen Zeitungsnetzwerk La Izquierda Diario.

Jene Auffassung von Internationalismus als „ein einziges Schlachtfeld“ führt dazu, bestimmte Schwerpunkte der Aktion einer internationalen Strömung festzulegen, in der die Arbeiter*innen ihren härtesten und fortschrittlichsten Kampf führen. Aber gleichzeitig impliziert es die gleichzeitige Intervention in sehr unterschiedlichen nationalen Szenarien, mit unterschiedlichen Kräfteverhältnissen, politischen Prozessen usw., die Teil derselben Bühne des internationalen Kampfes sind.

Frankreich und Chile als Schwerpunkte im heutigen Klassenkampf

Die Hauptachse der Intervention der FT befindet sich derzeit in Frankreich, wo die bedeutendste Konfrontation des internationalen Klassenkampfes stattfindet, der, wenn er sich entfaltet und die Rücknahme der Rentenreform erkämpft, eine neue Situation mit Auswirkungen weit über die Landesgrenzen hinaus eröffnen könnte, sowie in Chile, dem wichtigsten Prozess auf lateinamerikanischer Ebene.

Die große Kraftdemonstration, die die französische Arbeiter*innenklasse seit Wochen im Herzen Europas2 mit ihren Methoden des Streiks, der Streikposten und wichtigen Demonstrationen leistet, zeigt ihre Macht, wenn sie – anstatt verwässert als „Bürger*innen“ einzugreifen – die Kontrolle über ihre „strategischen Positionen“ ins Spiel bringt und so Busse, U-Bahn, Züge, Häfen, Raffinerien, Flugzeuge, Schulen usw. zum Stillstand bringt. Die Ankündigungen zur Rentenreform der Macron-Regierung hatten keinen anderen Effekt als die Vertiefung und Ausbreitung des Streiks, der bei den Arbeiter*innen an der Basis einen großen Auftrieb hat, insbesondere in Sektoren wie der RATP (Öffentliche Verkehrsbetriebe von Paris). Dies weist, wie unser Genosse Juan Chingo in seinem Buch Gilets jaunes. Le soulèvement (quand le trône a vacillé)3 analysiert, auf einen Prozess der „Vergelbwestlichung“ von Sektoren der Arbeiter*innenbewegung hin.

Natürlich schloss die Gewerkschaftsbürokratie in ihren verschiedenen Varianten – die für die Trennung der Gewerkschaften von den Gelbwesten sorgte – nicht aus, sich erneut an den Verhandlungstisch zu setzen, anstatt den unbefristeten Streik bis zur Niederlage der Reform vorzuschlagen. Der Erfolg des Streiks und des Massenkampfes hängt davon ab, ob er sich als Ganzes als „echte Volksbewegung“ (Rosa Luxemburg) entfaltet und durch Versammlungen, Streikkommissionen und Koordinationen in den Händen der Streikenden selbst bleibt, die wiederum den Streik garantieren und die Selbstverteidigung organisieren können.

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Foto: Treffen in Saint-Lazare

In diesem Sinne kämpfen unsere Genoss*innen der Revolutionären Kommunistischen Strömung (CCR) – eine revolutionäre Strömung innerhalb der Neuen Antikapitalistischen Partei NPA – dafür, Instanzen echter Selbstorganisation und Koordination aufzubauen. Wie das Treffen in Saint-Lazare (Paris), das von den Arbeiter*innen von RAPT und der SNCF (Bahngesellschaft) einberufen wurde, mit Arbeiter*innen von Buslinien, U-Bahn, Eisenbahner*innen, Lehrer*innen, Studierenden, Gelbwesten, etc. Dies sind Instanzen, die für die Organisation von z.B. Streikposten zur Gewährleistung des Streiks bisher entscheidend waren. Es ist Teil einer Politik der Förderung der Perspektive eines unbefristeten Streik bis zur Niederlage der Reform durch die Zusammenführung mehrerer Sektoren der Gewerkschaften CGT und SUD, der Studierendenorganisationen, der Linken usw., wie in der Erklärung, die in der Zeitung Libération veröffentlicht wurde, zum Ausdruck kommt. In diesen Kämpfen war Anasse Kazib, Anführer der Bahnarbeiter*innen und Mitglied der CCR, einer der Hauptsprecher des Streiks, der kürzlich in einer populären Fernsehsendung im Rededuell mit dem Verkehrsminister die Heuchelei der Regierung enthüllte. Gleichzeitig spielt die Zeitung Révolution Permanente, die bereits 2018 – mit mehr als 2 Millionen Besucher*innen im Monat – zu einem Bezugspunkt rund um die Gelbwestenbewegung wurde, wieder eine wichtige Rolle in der aktuellen Bewegung.

Video: Anasse Kazib polemisiert gegen den französischen Verkehrsminister

Der wichtigste Kampf bleibt jedoch die Notwendigkeit, eine revolutionäre Partei in Frankreich aufzubauen. Der vorherige Prozess der Gelben Westen zeigte bereits das Scheitern sowohl einer syndikalistischen Ausrichtung außerhalb der Bewegung (Lutte Ouvrière – LO) als auch des Aufbaus „breiter Parteien“ ohne ein revolutionäres Programm oder eine revolutionäre Strategie, um oberflächlich in „den Bewegungen“ teilzunehmen, so wie sie sind. Die CCR kämpft innerhalb der NPA offen gegen diese „Politik der breiten Partei“ (deshalb hat sie nie für die „Gründungsprinzipien“ der NPA gestimmt) und für eine einheitliche revolutionäre Partei der radikalen Linken (LO und NPA), die sich den Kampf um die Zusammenführung der gesamten neuen Generation der Arbeiter*innenklasse, die die derzeitigen Kämpfe anführt, auf die Fahnen schreibt.

In einem ganz anderen Szenario, wie im Falle Chiles, mit knapp zwei Monaten intensiven Kampfes unter verschiedenen Umständen, intervenieren unsere Genoss*innen der Revolutionären Arbeiter*innenpartei (PTR) aktiv in Santiago, Antofagasta, Valparaíso, Arica, Temuco, Puerto Montt, Rancagua und anderen Städten des Landes. Dabei kämpfen sie für den Aufbau von Organen der Selbstorganisation, die für die Artikulation der verschiedenen Sektoren der Bewegung (prekär Beschäftigte und Festangestellte, Studierende, die Frauenbewegung usw.) von grundlegender Bedeutung sind. Dabei fördern sie Initiativen, die eine besondere Bedeutung erlangt haben, wie das Komitee für Notfälle und Schutz in Antofagasta oder um das Krankenhaus Barros Luco in Santiago, usw. Dabei üben sie eine systematische politische Agitation angesichts der Repression für ein Übergangsprogramm in jeder Fabrik, jedem Unternehmen, Krankenhaus, jeder Schule, jeder Universität, in der sie intervenieren, und mittels der Website von Izquierda Diario Chile, die in weniger als zwei Monaten 4 Millionen Besuche überschritten hat. Sie kämpfen für eine wirklich freie und souveräne Verfassungsgebende Versammlung, die auf den Ruinen des Regimes aufgebaut werden soll, und sie fordern den Rücktritt von Piñera. Aus diesen Gründen wird Dauno Tótoro, Anführer der PTR und Kandidat in Santiago bei den Kommunalwahlen 2017, von der Regierung nach dem Staatssicherheitsgesetz beschuldigt, „subversive Bestrebungen anzuregen“. Piñera versucht, in Daunos politischer Verfolgung die Verfolgung Tausender Jugendlicher und Arbeiter*innen zu symbolisieren, die für die gleiche Perspektive kämpfen.

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Foto: Kundgebung, zu der das Komitee für Notfälle und Schutz in Antofagasta aufgerufen hatte

Als am vergangenem 12. November in Chile die Arbeiter*innenbewegung den seit dem Fall der Diktatur wichtigsten nationalen Streik anführte, der einen revolutionären Sprung in der Situation aufwarf, nutzte das Regime entgegen jeder verkürzten Analyse die Hilfe von Reformismus und Bürokratie, um diese Perspektive zu bekämpfen. Es begann mit dem betrügerischen „Abkommen über den sozialen Frieden und die neue Verfassung“, zu dem sich einen Teil der Frente Amplio (FA)4 als Protagonisten gesellte, mit dem Ziel einen Teil der Bewegung von den Straßen zu bringen. Es ging bis zum Anti-Protest-Gesetz, das von der Mehrheit der FA bei weitgehender Enthaltung der KP verabschiedet wurde, über den skandalösen Waffenstillstand, den die CUT (Dachverband der Gewerkschaften Chiles) und Mesa de Unidad Social (Sozialer Bündnis) derzeit mit der Regierung halten. All dies zeigt die Dringlichkeit des Kampfes um die Gründung einer revolutionären Partei in Chile, die von der PTR vorangetrieben wird.

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Lateinamerika und das breite Theater des internationalen Kampfes

Lateinamerika, wo die FT-CI ihre größte Mitgliederzahl aufweist, ist eine der Regionen, in denen der Zyklus der Aufstände am weitesten verbreitet ist, aber wo auch unterschiedliche Tendenzen zum Ausdruck kommen. Auf der einen Seite steht das Aufflammen des Klassenkampfes, den wir in Chile gesehen haben, der wiederum in Kolumbien, Haiti, Honduras, Ecuador, Puerto Rico und dem Widerstand in Bolivien zum Ausdruck kommt und/oder kam. Auf der anderen Seite stehen aber auch die reaktionären und bonapartistischen Tendenzen, die ihre jüngsten Vertreter*innen im Staatsstreich in Bolivien haben, und ihre wichtigste Bastion in der Regierung Bolsonaros in Brasilien, die eine Großoffensive gegen die Arbeiter*innen und das Volk (Renten- und Arbeitsreform, Privatisierungen usw.) vorantreibt. Die Tendenz zeigt sich auch in der wachsenden Intervention von Armeen in verschiedenen Ländern, um der Massenbewegung Einhalt zu gebieten.

In diesem Szenario besteht die Agitation reformistischer und „linksnationalistischer“ Strömungen sowie der Gewerkschaftsbürokratien darin, sich dem „kleineren Übel“ anzupassen, indem sie behaupten, dass es notwendig ist, Konfrontation und Klassenkampf zu vermeiden, weil sonst die Rechte voranschreitet, obwohl die jüngste Geschichte der Region das genaue Gegenteil zeigt. Brasilien ist ein klares Beispiel dafür. Die brasilianische PT regierte jahrelang zum Wohle des Kapitals, indem sie seine Methoden übernahm. Angesichts der Krise und des Ausbruchs der Massenproteste im Juni 2013 – dem unmittelbaren Vorläufer des aktuellen Zyklus – reagierte sie mit neuen Angriffen auf die Werktätigen, trug so zur Demoralisierung der eigenen sozialen Basis bei und ebnete den Weg für die Rechte, ohne einen Kampf gegen den institutionellen Putsch und nicht einmal gegen die Inhaftierung Lulas zu führen, die letztendlich den Weg für den Aufstieg Bolsonaros ebneten.

So kämpfen die Genoss*innen der Movimento Revolucionário de Trabalhadores (MRT – Revolutionäre Arbeiter*innenbewegung) in Brasilien seit Jahren für eine unabhängige Linke, die eine echte Alternative darstellt, da sich während dieses gesamten Prozesses ein Teil davon (PSTU) im Lager des Putschismus befand, während die Hauptpartei der Linken (PSOL) weiterhin ein Anhängsel der PT blieb. Mit diesem Ziel forderte die MRT damals öffentlich den Eintritt in die PSOL und erklärte offen, dass sie in ihren Reihen für ein revolutionäres Programm und eine revolutionäre Strategie kämpfen wolle, weswegen sie von der Mehrheitsführung nicht zugelassen wurde. Aus dieser Perspektive interveniert die MRT, indem sie den Kampf gegen die Angriffe von Bolsonaro vorantreibt und die völlige Passivität der Gewerkschaftsbürokratie (CUT, CTB) sowie der Studierendenbürokratie (UNE) an jedem Ort bekämpft, an dem sie sich befindet: in São Paulo, Rio de Janeiro, Minas Gerais, Rio Grande do Sul, Brasilia, Rio Grande do Norte, Paraíba, in jeder Gewerkschaft, in jedem Studierendenzentrum usw.5. Auch mit der digitalen Zeitung Esquerda Diário, die heute die Hauptpublikation der brasilianischen Linken ist und während der Krise, die den Aufstieg von Bolsonaro begleitete, 6,5 Millionen Besucher*innen in einem Monat erreichte.

Bolivien stellt ein weiteres deutliches Beispiel dafür, wie die Logik des „Kleineren Übels“ die Massenbewegung passiviert und demoralisiert und den Aufstieg der Rechten ermöglicht. Unser Genosse Javo Ferreira zeigt in seinem Buch Comunidad, indigenismo y marxismo („Gemeinde, Indigenismus und Marxismus“) die Vitalität und Mobilisierungskraft, die die nationalen Forderungen der indigenen Bevölkerung besitzen, als Antwort auf den Hass der weißen Elite auf die indigenen Völker. Der Verrat der ehemaligen Regierungspartei MAS, der die De-facto-Regierung von Áñez legitimierte, war der Schlüssel zur Niederlage des Kampfes gegen den Putsch, zu dem auch der Übergang der Führung der Gewerkschaftszentrale COB auf die Seite des Putsches hinzukam.

Der heroische Kampf von El Alto, die Blockade der Erdölraffinerie von Senkata, zeigte den Kampfeswillen. Die Genoss*innen der LOR-CI, der boliivianischen Sektion der FT, nahmen im Rahmen ihrer Kräfte daran teil und führten einen harten Kampf auch in den Sektoren der Arbeiter*innenbewegung, die den Putsch mit guten Augen sahen, und versuchten, zur Organisation der Jugend von El Alto beizutragen, die sich weigerte, „mit unseren Toten zu verhandeln“. Dabei intervenieren sie mit La Izquierda Diario Bolivien, vielleicht das einzige Medium, das über den Kampf von El Alto dauerhaft berichtete und reflektierte. Gleichzeitig fand der vollständige politische Bankrott der POR statt, der historischen Partei der bolivianischen Linken, die sich den Putschist*innen anbiederte. Der derzeitige Widerstand gegen die Putschregierung, Repression und Verfolgung geht Hand in Hand mit der immer dringenderen Notwendigkeit, eine neue revolutionäre Organisation in Bolivien aufzubauen.

Video: Intervention im Cabildo von Senkata am 19.11.2019

In Argentinien kann man seit den Aufständen der Dezembertage 2017 eine Strategie der Passivierung beobachten. Das Handeln der Gewerkschaftsbürokratie und des Kirchnerismus war der Schlüssel zur Auflösung der Perspektive des Klassenkampfes, der es Macri ermöglichte, die Angriffe (Schulden, Abwertung, Entlassungen, Armut, Preiserhöhungen usw.) zu vertiefen.

Dieses Erbe nimmt der neue Präsident Alberto Fernández als Ausgangspunkt für seine Regierung. Er versucht ein Gleichgewicht zwischen den tiefen Tendenzen in der Region herzustellen, ohne dass die wahren Gewinner*innen der Krise (die Banken, das Großkapital und der Großgrundbesitz) zum Zahlen ihrer Schuld gerufen werden, um die Ausplünderung des Landes wirklich zu verhindern.

Während sich auf internationaler Ebene viele linke Organisationen an „antirechte“ oder „antineoliberale Fronten“ anbiedern, oder hinter irgendeinem kapitalistisches Lager herlaufen, bringt die Front der Linken – Einheit (Frente de Izquierda-Unidad) ein bescheidenes, aber wichtiges Beispiel, das bereits seit acht Jahren besteht, für das Gegenteil zum Ausdruck. Es handelt sich um ein prinzipientreues Wahlbündnis mit einem klaren Programm der Unabhängigkeit der Arbeiter*iinnenklasse, des Antiimperialismus (wie z.B. die Positionierung der FIT gegen den Putsch in Venezuela) und des Kampfes für eine Arbeiter*innenregierung. Als Bündnis aus verschiedenen Parteien wird die FIT natürlich auch von Diskussionen durchkreuzt – in jenen Fällen, in denen wichtige Unterschiede entstanden sind, wie z.B. in Bezug auf den politischen Prozess in Venezuela oder Brasilien, unter anderem, sowie durch öffentliche Differenzen über die Praxis jeder Partei.

Angesichts der vor uns liegenden Aufgaben wird es umso dringender, im Rahmen des neuen Zyklus des internationalen Klassenkampfes den Vorschlag, den wir aus der PTS heraus gemacht haben, mehr denn je zu verfolgen – nämlich den Aufbau einer einheitlichen Partei der Linken, der Arbeiter*innen und Sozialist*innen, die sich klar vom Reformismus und vom „Antikapitalismus“ im Allgemeinen abgrenzt; eine Partei für den Klassenkampf mit einem revolutionären Programm und einer revolutionären Strategie. Sie kann als Ausgangspunkt ausschließlich den Kampf für den Aufbau einer Internationale der sozialistischen Revolution haben.

Netzwerk von Zeitungen und Internationalismus

Lenin schloss sein Pamphlet „Was Tun?“ mit dem Ziel einer Zeitung, die „regelmäßig in Zehntausenden Exemplaren über ganz Rußland verbreitet wird“, um ein Mittel zu haben, um durch eine breite und systematische Agitation zu „Volkstribunen“ zu werden. Als Lenin das sagte, hätte er sich nicht vorstellen können, welche Möglichkeiten wir heute haben, Zeitungen nicht nur für ein ganzes Land, sondern für mehrere Länder und in verschiedenen Sprachen gleichzeitig herauszugeben.

Die neuen Technologien haben diesen Leninismus und damit auch die Möglichkeiten des Internationalismus gestärkt. Die Entwicklung des Internets, der sozialen Netzwerke und der digitalen Plattformen – selbst mit den Hindernissen, die durch ihre kapitalistische Kontrolle und die Tyrannei der „Algorithmen“ auferlegt werden – stellen neue Möglichkeiten für revolutionäre politische Agitation dar, für ihre Massivität, ihre Entwicklung „in Echtzeit“ und ihren nationalen und internationalen Einsatz. Das ermöglicht es, Ideen vor den „Parteiapparat“ zu stellen, um militante Strömungen zu entwickeln, die einen ständigen politischen Dialog mit Sektoren der Massen suchen.

Mit dem Zeitungsnetz La Izquierda Diario – von denen mehrere Seiten Millionen oder Hunderttausende monatliche Besuche haben – versuchen wir im Rahmen unserer Kräfte, diese „leninistische“ Methode unter diesen neuen Bedingungen wieder aufzunehmen. Das Netzwerk verfügt derzeit über 12 nationale Ausgaben und 8 Sprachen (Spanisch, Katalanisch, Portugiesisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und eine Rubrik auf Türkisch). Dies ermöglicht es einerseits, der Praxis entgegenzuwirken, politische Agitation auf ein zeitweiliges und ausschließlich „von oben“ stattfindendes Phänomen bei Wahlen alle zwei Jahre zu reduzieren.

Andererseits ermöglicht der internationale und tägliche Charakter des Zeitungsnetzerks eine gemeinsame internationale Praxis, die weit über die – in linken Sektoren sehr verbreitete – Methode der internationalen diplomatischen Vereinbarungen zwischen den Strömungen hinausgeht, die keine wirkliche politische Übereinstimmung bei der Intervention im Klassenkampf widerspiegeln.

Gegenwärtig gibt es in verschiedenen Ländern mehrere Strömungen, die in ihrem Selbstverständnis revolutionäre Sozialist*innen sind, die über Militanz, Kader, Intellektuelle und Ressourcen (auch aus parlamentarischer Tätigkeit) verfügen, die sich durchaus vornehmen könnten, tägliche Publikationen – nationale und internationale – zu entwickeln, um Millionen mit revolutionärer Agitation zu erreichen. Die Routine aus Wahlkampf und Gewerkschaftspolitik verträgt sich jedoch nicht damit, ebenso nicht mit dem daraus resultierenden Internationalismus, der sich nicht auf das rein Diskursive beschränkt.

Dies ist besonders akut in Ländern wie Argentinien, wo die Linke mehr Gewicht und Verantwortung hat. Nicht zu versuchen, eigene Mittel zu entwickeln, um aus den engen Kreisen der Linken herauszukommen, vom „guten Willen“ der Massenmedienunternehmen abhängig zu sein oder die Massenagitation auf eine Praxis einmal alle zwei Jahre zu beschränken, bedeutet letztendlich, in den krassesten Elektoralismus und Bewegungstümlertum zu verfallen. Deshalb, wollen wir von der PTS, ausgehend von der Basis dessen, was wir mit dem Zeitungsnetzwerk erobert haben (die Radiosendung El Círculo Rojo, die Wochenendausgabe Ideas de Izquierda, die wöchentlichen Sendungen von „Reperfilando“, der virtuelle Campus, die Entwicklungen in den verschiedenen sozialen Netzwerken, etc.), diese Initiative in der nächsten Zeit verdoppeln und als Teil einer breiten Aktivität von Agitation, Propaganda und Organisation, ein starkea Multimedia-Netzwerk, sowohl national als auch international, mit unseren Genoss*innen der FT-CI, aufzubauen, um mit unseren Ideen Millionen zu erreichen.

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Der Kampf für den Wiederaufbau der Vierten Internationale

In der Tradition der revolutionären Arbeiter*innenbewegung ist der Aufbau revolutionärer Parteien auf nationaler Ebene untrennbar mit dem Internationalismus verbunden. Um die wichtigsten Schlachten des internationalen Klassenkampfes herum enstanden die Internationale Arbeiterassoziation (IAA, „Erste Internationale“); die Zweite Internationale bis zu ihrem nationalistischen Bankrott vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs (1914); die Dritte Internationale, die in der Hitze des Aufstiegs entstand, der 1917 zur Russischen Revolution führte und dann vom Stalinismus bürokratisiert und endgültig liquidiert wurde, als sie den Kampf gegen den Aufstieg Hitlers aufgab. Im Kampf gegen die stalinistische Bürokratie, gegen ihre Fronten der Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie, für die Regeneration der Macht der Sowjets und für die Internationalisierung der Revolution gegen die nationalistische „Theorie“, dass der Sozialismus „in einem Land“ aufgebaut werden könnte, wurde 1938 die von Trotzki geführte IV. Internationale gegründet.

Der Kampf für eine Internationale der sozialistischen Revolution heute bedeutet für uns, diese Fahnen aufzunehmen und die Vierte Internationale in einer Weltsituation wieder aufzubauen, die sich seitdem grundlegend verändert hat. Keine der heute existierenden Organisationen, die sich revolutionär nennen, kann diese Aufgabe von historischer Tragweite alleine bewältigen. Sie wird notwendigerweise das Ergebnis der Fusion sein, nicht nur der linken Flügel der revolutionären marxistischen Organisationen, sondern vor allem der Sektoren der Arbeiter*innen- und Jugendavantgarde, die sich in der sich verschärfenden Krise und dem Klassenkampf an der sozialen Revolution orientieren.

Die FT-CI hat schon immer auf diese Art von Zusammenkunft gesetzt. Zu diesem Zweck greifen wir die von Trotzki auf dem Weg zur Gründung der Vierten Internationale angewandte Methode wieder auf und suchen nach Vereinbarungen über die großen strategischen und programmatischen Fragen, die die kapitalistische Krise und die neuen Prozesse des Klassenkampfes in die Debatte der globalen Linken auf die Tagesordnung setzt, sowie über die Prüfung der politischen Praxis und des Klassenkampfes.

Wir betrachten, wie Trotzki geraten hat, nicht einfach „die großen Kämpfe des Proletariats nur als objektive Vorgänge, als ein Ausdruck der ‚allgemeinen Krise des Kapitalismus’“, sondern „als strategische Versuche des Proletariats zur Machtergreifung.“6 Es geht gerade darum, Vereinbarungen zu erreichen, die nicht diplomatisch, nicht formal sind, sondern auf diesen Lehren beruhen und dem gemeinsamen Handeln dienen7.

Die Tatsache, dass diese zum Handeln dienen müssen, ist nicht willkürlich, sondern es gerade um die Notwendigkeit, in verschiedene Kämpfe und Situationen einzugreifen, wie wir sie beschrieben haben, ohne die es keinen praktischen Internationalismus gibt. Gleichzeitig gibt es keine revolutionäre Praxis, ohne ständig die revolutionäre Theorie zu erneuern, weshalb die theoretische Ausarbeitung eine grundlegende Rolle in der Tätigkeit der FT-CI spielt und in jeder Organisation erfolgen sollte, die den Anspruch hat, revolutionär-sozialistisch zu sein. Dies ist eine Frage, die wir in einem zukünftigen Artikel entwickeln werden.

Dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer nimmt ein neues internationales Szenario Gestalt an. Die historische Krise des Kapitalismus, die Rückkehr des Nationalismus der Großmächte und der Zyklus des Klassenkampfes, der die Welt durchzieht, bieten die Aussicht auf viel tiefere Konfrontationen und damit die Notwendigkeit einer revolutionären Internationalen, die den Umständen entsprechend für eine neue sozialistische Ordnung kämpfen muss. Der aktuelle Zyklus bietet aber auch neue und bessere Bedingungen für den Kampf für den Wiederaufbau der Vierten Internationale. Es geht darum, sie von nun an voll auszuschöpfen, bevor es zu spät ist.

Dieser Artikel erschien in einer leicht veränderten Fassung zuerst am 15. Dezember 2019 bei Ideas de Izquierda.

Fußnoten

1. Die FT-CI besteht aus: Partido de los Trabajadores Socialistas (PTS), Argentinien / Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO), Deutschland / Movimento Revolucionário de Trabalhadores (MRT), Brasilien / Partido de Trabajadores Revolucionario (PTR), Chile / Movimiento de los Trabajadores Socialistas (MTS), Mexiko / Liga Obrera Revolucionaria (LOR-CI), Bolivien / Corriente Revolucionaria de las y los Trabajadores (CRT), Spanischer Staat / Courant Communiste Révolutionnaire (CCR), Teil der NPA (Nouveau Parti Anticapitaliste), Frankreich / Genoss*innen von Left Voce, USA / Liga de Trabajadores por el Socialismo (LTS), Venezuela / Corriente de Trabajadores Socialistas (CTS), Uruguay. Und als sympathisierende Organisationen: Frazione Internazionalista Rivoluzionaria (FIR), Italien / Corriente Socialistas de las y los Trabajadores (CST), Peru / Organización Socialista, Costa Rica.

2. Europa wird neben Frankreich von der Reaktivierung des massiven Unabhängigkeitskampfes in Katalonien gegen das reaktionäre spanische monarchische Regime durchzogen, in das unsere Genoss*innen der Strömung Revolutionärer Arbeiter*innen (CRT) sowohl in Katalonien selbst als auch in Madrid, Saragossa, Vigo, Burgos und anderen Städten intervenieren, wie es in Izquierdadiario.es sowie in der katalanischen Ausgabe Esquerra Diari zu lesen ist. Und andererseits gibt es rechtsgerichtete Phänomene, wie wir mit dem durchschlagenden Wahlsieg von Boris Johnson erlebt haben. Oder in Deutschland, wo die Revolutionäre Internationalistische Organisation (RIO) der FT-CI in einer Situation interveniert, die durch die Stärkung der extremen Rechten von AfD (Alternative für Deutschland) gekennzeichnet ist.

3. „Gelbe Westen. Der Aufstand (als der Thron taumelte).“

4. Der Frente Amplio (FA) ist eine Anfang 2017 gegründete chilenische politische Koalition, die sich aus linken und Mitte-Links- und Linksaußen-Parteien und -Bewegungen zusammensetzt. Ihr erster Wahlkampf war die chilenische Parlamentswahl 2017, bei der ihre Präsidentschaftskandidatin Beatriz Sánchez im ersten Wahlgang mit 20% der Stimmen den dritten Platz belegte (sie verpasste die Stichwahl im zweiten Wahlgang nur um 3%). Auch die FA erweiterte ihre Wahlvertretung auf 20 Abgeordnete (von 155), 1 Senatorin (von 43) und 21 von 278 Regionalräten und festigte damit die Bewegung als „dritte Kraft“ in der chilenischen Politik.

5. Vor kurzem wurde eine wichtige Vertretung im Delegiertengremium der Gewerkschaft der Arbeiter*innen der Universität von São Paulo ratifiziert und die akademischen Zentren für Literatur und Bildung dieser Universität für diesen Kampf gewonnen.

6. Leo Trotzki: Die Internationale Revolution und die Kommunistische Internationale. Zweiter Teil: Die Strategie und Taktik in der imperialistischen Epoche. 1928.

7. Mit dieser Logik sind wir in den letzten Jahren mit der italienischen Gruppe FIR, deren Kämpfer*innen aus der Jugend der PCL kommen, sowie mit der CST von Peru und der Sozialistischen Organisation von Costa Rica zusammengekommen.

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