30 Jahre lang betrogen: Rechtsruck, Massentrauma und eine neue Hoffnung

08.11.2019, Lesezeit 15 Min.
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Es sieht düster aus zu den offiziellen Feierlichkeiten, die 30 Jahre Betrug an der ostdeutschen Bevölkerung zelebrieren. Im Kontrast dazu stehen die weltweiten Aufstände gegen die Folgen des Neoliberalismus. In seinem Diskussionsbeitrag vollzieht Oskar Fischer die Wunden nach, die das 20. Jahrhundert im Bewusstsein hinterlassen hat – und gibt Gründe für einen Optimismus der neuen Generation.

Foto: Protest gegen Erich Honecker (Generalsekretär des Zentralkomitee der SED bis kurz vor dem Mauerfall 1989) und Alfred Gomolka (erster Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern nach der „Wiedervereinigung“).

Vor 30 Jahren erlebten die Menschen im Osten eine große Enttäuschung, nachdem sie große Hoffnungen hatten. Der Niedergang der DDR war eingebettet in eine Phase weltweite Niederlagen der Massen, die wir als Neoliberalismus kennen. Heute, zu den 30-jährigen Feierlichkeiten des Falls der Berliner Mauer, ist die internationale Situation für die Arbeiter*innenklasse eine ganz andere: Frankreich, Chile, Guatemala, Ecuador, Haiti, Irak, Libanon, Katalonien… an vielen Orte der Welt stehen die Menschen auf gegen die Zumutungen des Neoliberalismus, der sich 1989/90 konsolidiert hatte. Es gibt weltweit eine neue Hoffnung – auf unterschiedlichen Niveaus der Kämpfe, aber mit einer gemeinsamen Grundlage –, die bei uns noch nicht angekommen ist. Was sind die Bedingungen der „Schockstarre“, die die Arbeiter*innen und Linken in Deutschland lähmt und wie werden sie aufgehoben?

Lasst uns dafür zuerst eine Bilanz der Feierlichkeiten machen, die zurzeit allerorten von staatlicher Seite her veranlasst werden: In die Malediven fliegen darf man heute auch im Osten… wenn man es sich leisten kann. Das gilt auch für die freie Studien- und Ausbildungsplatzwahl. Kann man nach Hartz IV wirklich noch behaupten, dass es in der BRD keine Arbeitspflicht gibt? Wer keine Arbeit hat, wird bestraft, gedemütigt und ausgegrenzt. Wohnen und im Alter würdig leben können sind keine selbstverständlichen Dinge im Kapitalismus. Die Bevölkerung der DDR erlebte über die allgemeinen Zumutungen an die Arbeiter*innenklasse hinaus besondere Angriffe, deren Symbol die Treuhand ist. Die vom Westen eingeleitete Deindustrialisierung hinterließ nicht nur wirtschaftlich Brachland.

Über die sozialen Angriffe hinaus fand seit der sogenannten Wende, also der kapitalistischen Wiederherstellung oder Restauration, ein seit dem Faschismus nicht mehr gekanntes Bilderstürmen statt: Von der Geschichte bis hin zu Musik und Sport wurde die DDR im kollektiven Gedächtnis des „wiedervereinigten“ Deutschlands geschliffen. Das Wort „Wiedervereinigung“ selbst ist ein Hohn, denn die Bevölkerung der DDR wurde nicht vereinigt, sondern geschluckt. Die Ostdeutschen werden seitdem 30 Jahre lang lächerlich gemacht, für die Wende-Verheerungen des Westens angeklagt.

Innere Widersprüche der DDR und ein großes Schweigen

Und dann ist da noch der Wiederaufstieg des besiegt geglaubten Faschismus, der sich durch den antisemitischen und faschistischen Anschlag von Halle sowie den Erfolg der Höcke-AfD in Thüringen als zweitstärkste Kraft erneut bemerkbar macht. Wie konnte er wieder so stark werden?

Das Kapital war in der DDR enteignet, also gab es offiziell keinen Faschismus mehr – obwohl dieser besonders im Kleinbürgertum natürlich weiter existierte, wenn auch weit schwächer als im Westen. Indes bezeichnete die DDR-Bürokratie die Mauer zur Einsperrung der Arbeiter*innen als antifaschistisch, den Arbeiter*innenaufstand von 1953 als faschistisch.

Explosiv wuchs der tatsächliche Faschismus allerdings erst nach dem Ausverkauf der DDR an, angepflanzt durch westdeutsche Nazi-Kader und Geheimdienste, gedeihend auf dem Boden sozialer Verwüstung nach massenhaften Schließungen und Perspektivlosigkeit der Jugendlichen in bewusst zur Zerschlagung der Konkurrenz deindustrualisierten Gebieten. Die Arbeiter*innenklasse kämpfte gegen die massiven Angriffe der Treuhand und der Kapitalist*innen, von den Kali-Werken bis hin zu den Werften, doch sie wurde von der westdeutschen Gewerkschaftsbürokratie im Stich gelassen – und das bis heute, wie man es an den ungleichen Tarifverträgen für Ost und West ablesen kann oder daran, dass den Metaller*innen im Osten die 35-Stunden-Woche bis heute verwehrt bleibt. Dass ihre Hoffnungen mit kapitalistischen Schlägen beantwortet und ihre Kämpfe dagegen von offizieller Seite totgeschwiegen werden – dieses erneute Schweigen nach einem Massentrauma –, ist prägend für das „vereinte“ Deutschland.

Die DDR selbst war geprägt von inneren Widersprüchen, die sie zu Fall brachten: Das Kapital wurde enteignet, doch die Arbeiter*innenklasse übte nicht die politische Macht aus, sondern eine bürokratische Clique, die die Arbeiter*innen unterdrückte. Eine Planwirtschaft wurde eingeführt, doch die Produktivkräfte blieben durch die Ideologie des „Sozialismus in einem Land“ national beschränkt, sodass Mängel zu verwalten waren.

Diese Widersprüche waren ein besonderer Ausdruck des Stalinismus, der die Sowjetunion und alle Länder des „Ostblocks“ gefangen hielt: Die kapitalistischen Länder wurden durch die Existenz der defekten Arbeiter*innenstaaten gehemmt, doch ihr vorläufiger Siegeszug des Neoliberalismus nur aufgeschoben; mit der Strategie der „friedlichen Koexistenz“ Moskaus wurde der internationale Klassenkampf verhindert. Die Arbeiter*innenklasse in Deutschland wurde die Nazis los, doch die Volksfront-Politik der Zusammenarbeit mit dem Bürgertum führte die internationale Arbeiter*innenklasse weltweit in blutige Niederlagen. Die Doppelgesichtigkeit des deformierten, das heißt von Anfang an defekten, Arbeiter*innenstaats DDR wurde ganz zugunsten des Kapitalismus aufgelöst, als die Bürokratie ihn zur kapitalistischen Restauration freigab.

Dass es in Deutschland keine revolutionäre Strömung gab, die effektiv für ein vereinigtes sozialistisches Land eintrat, das sich der Staatsbürokrat*innen im Osten und der Kapitalist*innen im Westen entledigt, bezahlen die Arbeiter*innen mit nunmehr 30 Jahren Niederlagen. Die Aufständischen in der ehemaligen DDR, die ihre Bürokratie abschütteln, aber nicht ausverkauft werden wollten, erkannten schon sehr bald, dass Kohls „blühende Landschaften“ erlogen waren. Das damit verbundene Trauma, vor aller Augen um die Früchte des Aufstands betrogen worden zu sein, dass die eigenen Kämpfe wieder in ein großes Schweigen mündeten, das gehört zu den großen Widersprüchen im kollektiven Bewusstsein.

Massentraumata, die man im Kapitalismus nicht verarbeiten kann

Der das Massenbewusstsein prägende Pessimismus ist keine individuelle oder ausschließlich psychologische Eigenschaft, sondern hat seine politische Quelle in den nicht verarbeiteten Traumata des 20. Jahrhunderts. Sie haben sich angehäuft, sind bis zu hundert Jahre alt und stammen aus dem verlorenen Ersten Weltkrieg nach dem Versprechen des Platzes an der Sonne, der geköpften Revolution von 1918/19, gefolgt von der kampflosen Niederlage gegen den Faschismus und der bitteren Nachkriegsjahre, Jahre des Schweigens über den Holocaust. Die Quelle des Pessimismus wurde seither immer neu gespeist.

Der siegreiche Faschismus begründete die Angst der Linken vor den Massen, die für einige gar als per se faschistoid gelten, ein Ressentiment der Niederlage. Doch die Traumatisierung der Massen selbst, die aus einer Mischung aus Demütigung, Schuld und Schweigen besteht, setzte sich fort: Durch die Teilung Deutschlands und die Beerdigung des Klassenkampfes unter die Mantras der Sozialpartnerschaft (West) und der friedlichen Koexistenz (Ost); durch die kapitalistische Restauration 1990 und den Treuhand-Ausverkauf; durch die andauernde Demütigung des Ostens; und schließlich durch die von der Gewerkschaftsbürokratie erzwungene Wehrlosigkeit der Arbeiter*innenklasse gegen den Schröderianismus. Wie sollte man angesichts dieser Serie der Tragödien, in denen die reformistischen und bürokratischen Führungen jede effektive Verteidigung verhinderten, noch zuversichtlich sein können?

Die Traumata der Arbeiter*innenklasse und der Unterdrückten sind vielfältig. Sie speisen sich auch aus dem nicht eingelösten Versprechen der sozialen Gleichheit der arbeitenden Frauen; aus der politischen, kulturellen und sozialen Unterdrückung der Gastarbeiter*innen (West) und der Vertragsarbeiter*innen (Ost), die zur Grundlage für die rassistische Spaltung, Ausgrenzung und fehlende Repräsentation der Migration in Deutschland wurde; aus den geheimdienstlich unterstützen Morden des NSU; und aus dem Lagersystem, in das Geflüchtete gezwungen werden. Es gibt nicht nur die allgemeinen Traumata, sondern sehr viele, die einander überlagern.

Der Reformismus in Deutschland ist in einem desolaten Zustand, was sich am sichtbarsten in der SPD ausdrückt, aber auch in den Sackgassen der Linkspartei. Gegenüber dem Aufstieg der Rechten nehmen die sozialdemokratischen und grünen Parteien, die von den Nazis ebenfalls angegriffen werden, eine zugleich ängstliche und opportunistische Haltung ein. Ihre Zahnlosigkeit, ihre Passivität ist Ausdruck der Unfähigkeit, auf das Wiedererstarken des Faschismus eine Antwort zu finden. Es ist der gleiche Faschismus, dessen Zellen in Bundeswehr, Polizei, Ämtern und Parteien, Wehrsportgruppen, Burschen- und Kameradschaften nie besiegt wurden. Dieses Szenario ist möglich, weil die Hauptverbrecher*innen des Holocausts in Industrie und Militär nach dem Krieg davon kamen, während die Kollektivschuldthese die gesamte Schuld auf die allgemeine Bevölkerung ablud – ein Manöver, um den kapitalistischen Inhalt des Nazi-Regimes zu vertuschen.

Wenn es keine Hoffnung gibt, gegen rechts zu gewinnen, wenn die nächste Tragödie unausweichlich scheint, drückt sich die Angst in einer Schockstarre aus – ein Pessimismus der Lichterketten, der demokratische Worthülsen vom Rechtsstaat anruft, aber den Rechten Meter um Meter hergibt. Heute ist es deshalb normal, dass der westfälische NPD-Autor Landolf Ladig (a.k.a. Björn Höcke, MdL Thüringen) oder der Münchner HJ-Mann Andreas Kalbitz (ehem. Mitglied der Heimattreuen Jugend, MdL Brandenburg) in die Elefantenrunden des Öffentlich-Rechtlichen eingeladen werden und dort beanspruchen dürfen, wahlweise den „Osten“ oder die „Demokratie“ zu vertreten. Ja, der westdeutsche Faschist Höcke ist sich nicht zu schade, den Mauerfall für sich zu beanspruchen! Die offene und dreiste Zurschaustellung der Lüge, die für alle ersichtliche Verdrehung der Realität, ist eine Provokation, ein Mittel der Einschüchterung – dass diese Einschüchterung weitgehend folgenlos bleibt, macht Angst.

Die Massentraumata in Deutschland sind zu tief, um von einer Psychotherapeutin oder in einer Untersuchungskommission behandelt zu werden. Allein die Rechnung der Treuhand-Verbrechen kann kein Mensch und keine Institution des deutschen Regimes mehr begleichen, geschweige denn die des Faschismus. Es sind offene Rechnungen zwischen den Klassen, die man nicht vergeben kann, die die Menschen immer wieder neu traumatisieren und lähmen. Sie können im Kapitalismus nicht beglichen werden, weil diese Gesellschaft auf der Unterwerfung von Menschen unter andere Menschen beruht, die die Wunden Mal um Mal wieder aufbricht und neue hinzufügt.

Über rechten Pessimismus und linken Pessimismus

Die linke (reformistische) Berichterstattung, die Universitäten, die NGOs und die vielen Reform-Bürokratien führen das angeblich fehlende Bewusstsein der Massen immer als Entschuldigung an: dass nicht mehr gestreikt wird; dass antirassistische Kampagnen für die breite Bevölkerung schwierig sind; dass man eben nur im Kleinen etwas machen und die Politik eigentlich nicht verändern könne, und so weiter und so fort. Doch auch die Arbeiter*innen in anderen Ländern, die zurzeit in Massen aufstehen, haben Traumata der Diktaturen, Kriege und tieferen sozialen Katastrophen erlebt. Der verbreitete Defätismus hat einen Überhang im Überbau, in den im Imperialismus besonders starken Bürokratien also, und er wird immer wieder durchbrochen in den Betrieben, Schulen und Unis selbst, die durch immer erneutes Aufbegehren der Prekarisierten, der von Entlassung bedrohten, der Jugendlichen fürs Klima und für den Feminismus, der rassistisch unterdrückten Geflüchteten, stets neue Hoffnung schöpfen. Das Problem ist eben nicht, dass die Menschen nicht kämpfen wollen, sondern dass ihre Kämpfe in Niederlagen geführt werden.

In Chile sagen die Menschen nach der Erhöhung der Fahrpreise in Santiago um 30 Pesos, zurzeit vier Euro-Cent, was zum Aufstand führte: „Es sind nicht die 30 Pesos, es sind die 30 Jahre“. Gemeint sind die 30 Jahre seit der Diktatur, die den blutig installierten Neoliberalismus fortsetzten. In Frankreich brachte eine Kraftstoffsteuer das Fass zum Überlaufen, nachdem die Arbeitsmarktreform bereits gewütet und massiven Widerstand der Jugendlichen hervorgerufen hatte. Deutschland ist nicht Frankreich und Deutschland ist nicht Chile, aber die Bevölkerung in Deutschland erlebt ebenfalls seit 30 Jahren nicht eingelöste Versprechen, garniert mit 30 Jahren sozialen Zumutungen und Demokratieabbau. Ich möchte nicht mutmaßen, an welcher konkreten Frechheit sich die nächste Aktivität der Arbeiter*innenklasse in Deutschland entzündet, sondern ich möchte einen Punkt über Pessimismus, Optimismus und die Vorbereitung machen.

Der linke und der rechte Pessimismus sind generell unterschiedlich. Der rechte Kulturpessimismus, der sich auf die Romantik und die „bürgerliche Revolution“ bezieht, röhrt nach einem erlösenden Führer wie Höcke. Dass dieser Mann, der seine Männlichkeit wieder entdecken möchte, nun nicht gerade mit einer großen Persönlichkeit glänzt, tut seiner Wirkung auf die Basis keinen Abbruch. Es sind ja nicht des Königs Kleider oder Insignien, die ihm Macht verleihen, sondern es ist seine Beziehung zu den Untergebenen, die sich ihm unterwerfen. Und so ist es nicht das Genie Höckes, das ihn vor seiner Basis erhebt, sondern es ist das Bedürfnis nach Unterordnung des beleidigten Kleinbürgertums, der verzweifelten Deklassierten sowie der verängstigten und chauvinistischsten Schichten des Proletariats. Ihre eigene Machtlosigkeit angesichts der großen Verwerfungen eines niedergehenden Neoliberalismus drückt sich in dem Bedürfnis aus, sich über jegliche Demütigungen der eigenen Massentraumata zu erheben und selbst zu Unterdrückenden zu werden. Die pedantische und verklemmte AfD bekommt mit Höcke den leicht erregbaren Führer, den sie verdient und der ihr genügt.

Die Rechten brauchen also keine besondere Strategie, denn sie ernähren sich vom Verfall des Kapitalismus selbst. Sie werden immer mehr ideologisches Futter haben, je schlechter es läuft. Die Linken dagegen brauchen schon eine besondere Strategie, denn die Spontaneität von Massenaktionen ist unzureichend, um die Herrschaft einer Klasse über eine andere aufzuheben oder auch nur den Weg dahin einzuschlagen, ohne von rechten Gegenangriffen überrumpelt zu werden – das zeigte zuletzt auf grausame Weise die reaktionäre Wende des Arabischen Herbstes. Der linke Pessimismus basiert auf strategischer Ratlosigkeit. In einer Zeit der Rückkehr des internationalen Klassenkampfes in Großbuchstaben ist dieser Pessimismus nicht nur unangemessen, sondern schädlich.

Der Optimismus braucht ein Programm

Ich habe vorhin davon gesprochen, dass die deutschen Traumata, und damit meine ich nicht nur die Traumata der Deutschen, sondern die Traumata in Deutschland, nicht verarbeitet wurden. Was fehlt, ist eine ehrliche Bilanz. Der Optimismus, für den ich werben möchte, soll nämlich kein leerer Appell sein, keine Durchhalteparole, wie man sie sich bei der Sozialdemokratie abholen kann. Der revolutionäre Optimismus beruht nicht auf einer positiven Lesart der Weltlage, sondern auf dem heutigen und dem kommenden Klassenkampf.

International kehrt der Klassenkampf auf die Weltbühne zurück, warum sollte er dauerhaft vor Deutschland Halt machen? Gibt es einen magischen Bann, der auf diesem Land liegt, während die EU auseinanderfällt und die ganze Welt instabiler wird? Nein, Kämpfe wird es wieder geben und es gibt sie vor allem in den an den Rand und nach unten gedrückten Sektoren der Gesellschaft schon jetzt. Die Strategie für diese Kämpfe besteht darin, mit denen, die vorangehen, die Arbeiter*innenklasse anzusprechen und perspektivisch anzuführen. Es ist dafür gar nicht die Hauptaufgabe, für mehr Kampf zu agitieren, sondern einen gesellschaftlichen Dialog über Programm, Theorie, Strategie und Methode der Arbeiter*innenklasse sowie den Inhalt der Organisierung zu suchen. Eine der Vorbereitungsaufgaben heute ist die Verbreitung der Idee, dass die Arbeiter*innenklasse Gewinne einfahren kann, anhand von Beispielen wie den Kämpfen an den Krankenhäusern, die noch klein sind, aber die ihre Kraft nicht ausschließlich durch ihre Errungenschaften selbst entfalten, sondern eben durch ihre Beispielhaftigkeit für viele mehr.

Die „linken“ Regierungen haben sich als nutzlos erwiesen, sie verwalten das Elend der kapitalistischen Restauration nur weiter. Die nötigen Kämpfe müssen niedrigere Arbeitszeit und die Anhebung des Lohnniveaus umfassen, sodass es keine Diskriminierung des Ostens mehr gibt. Wir brauchen das Verbot von Massenentlassungen und Schließungen sowie die Verstaatlichung schließender Betriebe, wie es zum Beispiel Neue Halberg Guss bei Leipzig immer wieder drohte oder wovon die Kolleg*innen beim Maschinenbauer Union Chemnitz jetzt bedroht sind, unter Arbeiter*innenkontrolle. Wir brauchen von Seiten der Gewerkschaften einen Kampf gegen Rechts und für die Gleichstellung migrantischer Arbeiter*innen, mit Mobilisierungen und Streiks statt Sonntagsreden und Coca-Cola-Antirassismus. Wir brauchen einen feministischen und antirassistischen Kampf der Arbeiter*innen, die sich nicht spalten lassen, die im Kampf den neoliberalen Chauvinismus der AfD und die Kapitalist*innen konfrontieren. Und für all das brauchen wir einen bundesweiten antibürokratischen Kampf um die Führung der Gewerkschaften selbst, die in Ost wie West von der Sozialpartnerschaft gefangen gehalten werden.

Diese Kämpfe mögen in Deutschland noch vereinzelt sein, aber mit Fridays for Future ist eine Jugendbewegung da, die an Jugendbewegungen der letzten Jahre anschließt, und die ein großes Potenzial hat. Mit ihr betritt eine jugendliche Generation die anfängliche Bühne der Politisierung, eine Generation, die die großen Niederlagen in Deutschland noch nicht erlebt hat und die zum ersten Mal seit dem Krieg nicht mehr glauben kann, dass es ihr besser gehen wird als ihren Eltern. Diese Generation fragt sich nach den Lebensgrundlagen ihrer Zukunft, angesichts der bereits stattfindenden ökologischen Katastrophe. Es ist also eine Generation, die nach einem Programm und nach einer Strategie fragt, und die nicht isoliert ist wie die Arbeiter*innen im Aufstand von 1989, sondern die sich mit den aufständischen Jugendlichen überall auf der Welt zusammen tun kann. Heute, 30 Jahre nach der Tragödie für die Arbeiter*innen, bereiten wir uns darauf vor, eine Tragödie für die Kapitalist*innen zu organisieren.

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