Die offene Gesellschaft der Bosse: Wie Merkel und Coca-Cola den Antirassismus vereinnahmen wollen

14.09.2018, Lesezeit 10 Min.
1

Von großen Unternehmen und Gewerkschaften bis Steinmeier und Merkel haben in den vergangenen Wochen viele unterschiedliche Teile der Gesellschaft die Mobilisierungen gegen rechts unterstützt. Jedoch ist dies nicht die Einheit, die wir brauchen.

Es sollte ein Zeichen gegen rechte Gewalt sein, als sich bekannte Musiker*innen sammelten, um sich in Chemnitz der rechten Hetze entgegenzustellen. Mit ihrem Gratiskonzert konnten sie unglaubliche 65.000 Menschen auf die Straße mobilisieren. Dazu aufgerufen hatte unter anderem Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD).

Besonders von rechts wurde Steinmeier dafür angegriffen. Hauptargument dafür war der Auftritt von Feine Sahne Fischfilet, über die mehrmals im Verfassungsschutzbericht von Mecklenburg-Vorpommern berichtet wurde. Steinmeier würde sich also mit Verfassungsfeinden gemein machen, so der Vorwurf. Doch es gab auch linke Kritik am Aufruf des Bundespräsidenten: So distanzierte sich Maxim von K.I.Z auf der Bühne öffentlich von der SPD und machte sie für imperialistische Kriege, die Toten im Mittelmeer und Abschiebungen mitverantwortlich.

Die bisherigen Mobilisierungen sind ein guter erster Schritt. Denn nicht nur in Chemnitz gingen Menschen gegen rechte Gewalt auf die Straße, auch in Berlin, Hamburg und vielen anderen Städten haben sich tausende Menschen dazu entschieden, gegen rechts auf die Straße zu geben.

Die Proteste haben von vielen Seiten Rückendeckung erhalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte den Gegenprotest in Chemnitz, Coca Cola spendierte Freigetränke und FlixBus verloste gratis Fahrkarten zum Gratiskonzert in der drittgrößten Stadt in Sachsen. Lokale Unternehmen ließen am Karl-Marx-Kopf, im Zentrum der Stadt, ein Banner aufhängen, mit der Aufschrift „Chemnitz ist weder grau noch braun“.

Aber die Frage, die wir uns stellen müssen, ist, wie wir die faschistische Entwicklung im Lande und die AfD tatsächlich stoppen können. Sind Merkel, Coca-Cola, FlixBus und Co. wirklich unsere Verbündeten? Wollen wir uns mit dem moderateren Flügel der Kapitalist*innen vereinen und die Hände der Arbeiter*innenklasse dadurch binden? Oder wollen wir eine Front der Arbeiter*innenorganisationen bilden, die sowohl gegen die faschistischen Banden auf der Straße, als auch gegen die Interessen der Bosse und den Staat kämpfen? Denn sie sind es, die in erster Linie für die drastische Prekarisierung unserer Lebensverhältnisse verantwortlich sind und die faschistische Strukturen aktiv unterstützen.

Eine falsche Einheit

Die Unterstützung durch Konzerne wie Coca Cola ist höchst fadenscheinig, denn während zum Coca Cola auf der anderen Seite der Erdkugel mithilfe faschistischer Banden Jagd auf gewerkschaftlich organisierte Arbeiter*innen macht, versucht sich der Konzern hier „multikulturell und kosmopolitisch“ zu inszenieren. Auch FlixBus ist mit seiner Praxis des Lohndumpings und des Unterlaufens von Arbeitszeitregelungen ein Vorbild neoliberaler Praxis.

Merkel könnte ihre „Unterstützung“ des aktuellen Protests dazu nutzen, um sich wieder einmal ihrer rechten Widersacher*innen innerhalb von Union und Politik zu entledigen. So werden Rücktrittsforderungen gegenüber dem Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen immer lauter. Auch gegenüber dem Innenminister Horst Seehofer, gleichzeitig Hauptwidersacher gegen Merkel innerhalb der Union, werden Rücktrittsforderungen erhoben. In dem sie sich gegen sie stellt, könnte Merkels Position wieder gestärkt werden, die gleichermaßen für harte Sparpolitik, Abschiebungen und Abschottungspolitik verantwortlich ist.

Die deutschen Kapitalist*innen und ihre Vertreter*innen in der Regierung wie Angela Merkel sind überall auf der Welt für Krieg, Misere und Armut verantwortlich: durch Waffenexporte und Militäreinsätze, durch die Ausplünderung der Länder mit ihren Kapitalinvestitionen, durch ihre Abschiebungen und Repressionen und durch ihre Unterstützung für reaktionären Regime. Sie sind keine Kräfte, mit denen wir für eine „offene“ und „bunte“ Gesellschaft kämpfen können. Dieser Kampf geht nur gegen sie, gegen ihre Verbündeten und Interessen.

Wenn die Kapitalist*innen von einer „bunten“ Gesellschaft reden, reden sie so von einer „Vielfältigkeit“ der Ausbeutung – Migrant*innen und Geflüchtete sollen als billige Lohnkräfte verwendet werden können. Wenn sie von einer „offenen“ Gesellschaft reden, dann reden sie von der Offenheit, in andere Länder militärisch, wirtschaftlich oder politisch intervenieren zu können. Die Grenzen sollen offen für Kapitaleinflüsse sein, jedoch sollen weiterhin Menschen an den Grenzen Europas im Mittelmeer sterben. Eine antirassistische Bewegung muss sich deshalb stark vom deutschen Imperialismus abgrenzen und seine Interessen aktiv bekämpfen, seien es die geplanten Militäreinsätze in Syrien oder die Ausplünderungspläne (Marshall-Plan) für Afrika.

Wie wir 1933 gesehen haben, werden genau diese Scharlatane der bürgerlichen Parteien sich nicht scheuen, die Macht an die Faschist*innen zu überlassen, wenn sich die Arbeiter*innen und Unterdrückten gegen die kapitalistische Herrschaft auflehnen. Die Faschist*innen, die die gesamte Arbeiter*innenorganisationen zerschlagen und die größten Verbrechen der Menschheit begangen haben, um einen möglichen Sieg der Arbeiter*innenbewegung zu verhindern. Die Gewinne, die das Kapital auf dem Rücken von Millionen von Arbeiter*innen und halbkolonialen Länder macht, waren für viel wichtiger als die „freie demokratische Grundordnung“, die nur eine andere, „mildere“ Form kapitalistischer Herrschaft ist.

Antifaschismus à la Sozialpartnerschaft

Doch neben verschiedenen Unternehmen positionieren sich auch Teile der Arbeiter*innenbewegung eindeutig. So zum Beispiel auch die Beschäftigten des VW-Motorwerks in Chemnitz. Diese haben sich in einer beeindruckenden Aktion vor dem Werkstor versammelt, um sich gegen die rassistischen Hetzjagden in ihrer Stadt zu positionieren.

Bild: Arbeiter*innen in Chemnitz positionieren sich gegen Rassismus

Mit dabei war neben dem Betriebsrat, aber auch die Werksleitung. Doch es sind gänzlich unterschiedliche Motive, mit denen sich beide Seiten gegen Rassismus stellen. So suchen die Bosse vor allem nach einer Möglichkeit, den Lohn noch weiter zu drücken und die Konkurrenz unter den Beschäftigten zu erhöhen, mit dem Ziel ihren eigenen Profit zu steigern. Auch angesichts des demografischen Wandels wird seitens der Unternehmen oftmals erzählt, die Migration sei notwendig.

Doch vergessen wird dabei, dass sich die Produktivität in den vergangenen Jahrzehnten verdoppelt hat. Die selbe Anzahl an Menschen kann also doppelt so viel produzieren, wie noch wenige Jahrzehnte zuvor. Gleichzeitig ist die durchschnittliche Arbeitszeit jedoch nicht zurückgegangen, sondern ist im Schnitt sogar gestiegen, durch unbezahlte Überstunden oder durch Tricksereien bei den Pausenzeiten, wie sie bei FlixBus praktiziert werden. Zudem befürchten die Unternehmen ihr Ansehen zu verlieren, die Störung des Betriebsfriedens und dass Arbeitskräfte aus Angst vor Übergriffen wegziehen.

Die Beschäftigten jedoch müssen als eine Einheit zusammenstehen, um sich genau gegen diese Praxen zur Wehr zu setzen. Ihnen bleibt keine andere Wahl als den Rassismus in den eigenen Reihen zu bekämpfen, der die Beschäftigten spaltet und so ihre Kampfkraft schwächt. So wurde in einer Studie des berühmten Soziologen Klaus Dörre das Beispiel eines Betriebsrats genannt, mit rechtsradikalen Einstellungen und Sympathien für AfD und Pegida. Gleichzeitig aber hat sich genau dieser Betriebsrat für die Übernahme von tschechischen und polnischen Leiharbeiter*innen in seinem Betrieb eingesetzt.

Die Gewerkschaften müssen sich unabhängig von Kapitalist*innen gegen Rassismus organisieren. Als Kampforgane der multiethnischen Arbeiter*innenklasse brauchen wir ein antirassistisches Programm der Gewerkschaften, das die Spaltung unserer Klasse überwindet: volle Bürger*innen- und Arbeitsrechte für alle in Deutschland lebenden Menschen, Reduzierung der Arbeitszeit bei voller Lohnausgleich, um neue Arbeitsplätze zu schaffen, deren Kosten die Kapitalist*innen dieser Unternehmen tragen.

Um diese Forderungen durchzusetzen und die materiellen Grundlagen des Rassismus in Deutschland zu beseitigen, braucht es einen Kampf der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter*innen: Streiks. Der Kampf gegen die rassistische Hetze der AfD und die Angriffe der faschistischen Banden auf den Straßen muss mit dem Kampf gegen die neoliberalen Angriffe der Regierung und für demokratische Rechte der Migrant*innen verbunden werden. Aus diesem Grund sind die Vorstände von Volkswagen und Co. nicht unsere „Partner“, sondern als Ausbeuter*innen unsere Gegner. Die herrschende Sozialpartnerschaft ist eine große Hürde, um diesen diesen Kampf effektiv zu führen. Eine solche Bewegung muss mit Selbstorganisation und Druck auf die Gewerkschaftsbürokratie dafür sorgen, dass überhaupt Kämpfe aufgenommen werden.

Nicht erst heute engagieren sich Beschäftigte und Betriebsräte gegen Rassismus. Schon in den frühen 1990er Jahren, die eher für ihre fremdenfeindlichen Pogrome in Erinnerung geblieben sind, haben sich Arbeiter*innen gegen diese Tendenz ausgesprochen. So wurde im November 1992 auf der 2. Konferenz der ostdeutschen Betriebs- und Personalräte ein Beschluss gefasst, der sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus aussprach. Dies geschah angesichts der Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen, die drei Monate zuvor stattfanden.

Daneben gibt es viele weitere Beispiele, wie sich Gewerkschaften in Deutschland eindeutig gegen rechts positionieren. Vor allem die Gewerkschaft Nahrungsmittel Genuss Gaststätten (NGG) gehört dazu, bei der, neben Unterstützung von Konzerten gegen rechts, auch mal laut darüber nachgedacht wird, der AfD den Zugang zu Gastronomiebetrieben zu verwehren. Denn wer könnte denn sonst so etwas durchsetzen, wenn nicht die Beschäftigten selbst? Sei es, wenn AfD-Mitglieder für den Bundesparteitag nach Hotelzimmern suchen oder einen Ort für das wöchentliche Treffen.

Eine antifaschistische Front der Arbeiter*innen und Unterdrückten

Wir können und im Kampf gegen rechts nicht auf die Bosse setzen. Denn mit dem selben Eifer, mit dem sie heute Projekte gegen Rassismus unterstützen, zur Sicherung ihrer Profite, werden sie morgen aus dem selben Grund gegen die Ausgebeuteten und Unterdrückten zu Felde ziehen. Die Arbeiter*innen jedoch sind auf ihre Einheit und Solidarität angewiesen, um ihre Interessen zu verteidigen. Daher müssen wir uns unabhängig organisieren, gegen das Kapital, den Staat und seine Organe.

Um gegen den Rechtsruck zu kämpfen und die faschistische Entwicklung im Lande zu stoppen, bauchen wir eine Front der Arbeiter*innen, Frauen, Migrant*innen und Jugendlichen, die sich von bürgerlichen Parteien abgrenzt, sich gegen die imperialistischen Interessen des deutschen Staates stellt und eine Aktionsprogramm für die Betriebe, Universitäten und Schulen aufstellt.

Eine solche Front sollte alle Arbeiter*innenorganisationen von SPD bis DGB-Gewerkschaften einschließen, ohne dass die klassenkämpferischen Arbeiter*innen und Organisationen mit deren Bürokratien politische Kompromisse machen. Unterschiedliche Kräfte der Arbeiter*innenbewegung sollten also getrennt marschieren, aber gemeinsam schlagen – sowohl gegen die Faschist*innen, als auch gegen die Kapitalist*innen und ihre Handlanger*innen.

Mehr zum Thema