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Für welche Welt wollen wir kämpfen?

31.10.2019, Lesezeit 6 Min.
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Wie sehr die Massenbewegungen hin- und hergerissen sind zwischen Institutionalismus und Antikapitalismus, zeigt sich nirgends so gut wie in „Fridays for Future“. Leitartikel der ersten Ausgabe der neuen Druckzeitung KlasseGegenKlasse.

Wie sehr die Massenbewegungen hin- und hergerissen sind zwischen Institutionalismus und Antikapitalismus, zeigt sich nirgends so gut wie in „Fridays for Future“. Niemand verkörpert dies so sehr wie Greta Thunberg selbst: Sie klagt zornig den Kapitalismus für seine Profitgier an und grüßt Barack Obama mit Fistbump, sie ruft zum Generalstreik auf und lässt sich ihre Atlantik-Überquerung vom Monaco Yacht Club finanzieren. Einige Zyniker*innen, die mit böswilligen Kommentaren an der Seitenlinie stehen, sehen darin Heuchelei und reihen sich ins rechte Greta-Bashing ein. Andere meinen, die Masse der Menschen lerne in der Bewegung und könne die kapitalistische Produktionsweise „irgendwie irgendwann“ überwinden, wenn sie sich bewusst wird. Wir wollen dagegen eine Perspektive vorstellen, die die Widersprüche der Bewegung nicht nur sehr ernst betrachtet, sondern sie zum Ausgangspunkt für die Analyse und fürs Handeln nimmt.

Dieser Ausgangspunkt ist die Klimabewegung am Scheideweg. Das gilt einmal für ihre Ziele: Emissionshandel, CO2-Steuer und Belastung der Konsument*innen oder Enteignung der Großkonzerne und demokratisch geplante Wirtschaft? Das gilt ebenso für ihre Methoden: Aktionstage mit „Entrepreneurs for Future“ und sozialpartnerschaftliches Ausstempeln für die Demo oder mobilisierte politische Streiks bis hin zum Generalstreik fürs Klima? Und schließlich gilt es auch für ihre Führung und Basis: Luisa Neubauer mit einer bürokratisch gesteuerten Masse eine Karriere ermöglichen oder mit den bewusstesten Teilen der Arbeiter*innenklasse, der Jugend und Unterdrückten eine nicht nur internationale, sondern auch internationalistische Bewegung aufbauen?

Tatsächlich ist Fridays for Future nicht das Eine oder das Andere. Weder ist es die gesteuerte Maschinerie des neoliberalen Kapitals, wie es die Rechten gerne sagen. Noch ist es eine antikapitalistische Massenbewegung, wie wir sie gerne hätten. Im Kern der Bewegung liegt ein antikapitalistisches Moment, wenn Greta vor der UNO ihre berühmte Rede hält und sagt: „Menschen sterben, die Ökosysteme brechen zusammen, wir befinden uns am Beginn eines Massenaussterbens. Und Sie sprechen noch immer über Geld und Märchen über ewiges Wirtschaftswachstum, wie können Sie es wagen?“

Aber dieser antikapitalistische Kern, auf Demos mit „System change, not climate change“ betitelt, der kann alles Mögliche bedeuten. Die gängigste Interpretation dafür ist wohl die Postwachstumsökonomie. Dieser utopische Ansatz will den Kapitalismus zu einem veganen Tiger machen, einem profitwirtschaftlichen System mit Privateigentum an Produktionsmitteln, das aber – Hokuspokus – keine Überproduktion hat und für den menschlichen Gebrauch produziert. Die Kapitalist*innen müssten auf seltsame Weise dem Kapitalismus entsagen – und schauen wir uns auf der Welt einmal um, dann sieht es nicht danach aus, als wäre ihnen danach.

Eine gänzlich andere Interpretation, das Märchen vom ewigen Wirtschaftswachstum zu beenden, wäre die Enteignung der Kapitalist*innen und eine neue Organisierung der Gesellschaft in Form einer Planwirtschaft auf Grundlage einer Arbeiter*innen-Demokratie, von der die politische und ökonomische Macht ausgeht. Dieses Modell wurde durch seine stalinistische Karikatur diskreditiert, erlangt aber jeden Tag aufs Neue durch die Verbrechen des Kapitalismus und die globale ökologische Katastrophe eine brennende Aktualität. Dieses sozialistische Projekt, die Arbeiter*innen-Demokratie, ist ein internationales und passiert anders als der Kapitalismus nicht von allein, sondern muss bewusst herbeigeführt werden. Niemand kann mir nichts, dir nichts die Klimabewegung zu einer sozialistischen Bewegung machen. Die Frage ist erst einmal, in welche Richtung es überhaupt geht: Gegen die Bundesregierung mit ihren arbeiter*innenfeindlichen Gesetzen, gegen die Konzerne, die unsere Welt zerstören und uns ausbeuten – dafür treten wir ein. Damit die Bewegung mit einer solchen Ausrichtung an Kraft gewinnt, muss sie ihre Verbündeten in der Arbeiter*innenbewegung suchen, deren Macht im Produktions- und Zirkulationsprozess des Kapitals die Mächtigen dieser Welt erzittern lässt – wenn sie sie nutzt. Und sie muss sich mit der weltweit in den letzten Jahren stark angewachsenen Frauenbewegung verbinden, die die Waffe des Streiks langsam wieder für sich entdeckt.

Mit unserer sozialistisch-feministischen Gruppierung Brot und Rosen treten wir genau für diese Verbindung ein. Denn nicht nur von der Klimakatastrophe sind überproportional Frauen und Mädchen betroffen, sondern auch von den schärfsten Ausdrücken der kapitalistischen Ausbeutung.

Für eine Ausrichtung auf die zentrale Rolle der Arbeiter*innenklasse gibt es noch viele Hürden: Sie liegen nicht nur in der unter Einfluss des „grünen Kapitalismus“ stehenden Jugend, die in Deutschlands Osten wie Westen schlechte Erfahrungen mit denen hat, die sich sozialistisch nennen. Auch in der Arbeiter*innenklasse, die von den bürokratischen Führungen der Gewerkschaften am Streik gehindert wird, braucht es mehr als nur einen Aufruf und etwas Überzeugung. Nein, es ist notwendig eine Strömung aufzubauen, die ganz bewusst Anstrengungen unternimmt, die sozialen Bewegungen und die organisierte Arbeiter*innenklasse zusammenzuführen, um diese Hürden zu überwinden.

Dafür kämpfen wir innerhalb der Arbeiter*innenbewegung und innerhalb von Fridays for Future an allen Orten, an denen wir präsent sind, mit unseren Gruppierungen und mit unserer Website www.klassegegenglasse.org – und mit dieser Zeitung, die wir bundesweit herausbringen.

Viele der hier angerissenen Fragen stellen sich in ähnlicher Form auch für die Mietenbewegung, die Frauenbewegung oder die antirassistische Bewegung. Die Rubriken dieser Zeitung spiegeln die politischen Felder wider, die uns zentral erscheinen, um eine ebenso realistische wie optimistische programmatische Debatte zu führen: zur Ökologie, zum Feminismus, zum Antirassismus, zur Mietenbewegung und zu den Unis.

Mit dieser Zeitung wollen wir dazu beitragen, in Deutschland eine revolutionäre Organisation aufzubauen – die es seit fast 90 Jahren nicht mehr gibt. Allen, die das für utopisch halten, werfen wir entgegen: Wurde es denn seitdem versucht? Nein; es wurde versucht in der SPD zu arbeiten… die Grünen aufzubauen… in die Linkspartei zu gehen… die zigtausendste NGO zu gründen… und alles ist knallhart gescheitert. Wir sind überzeugt, dass es möglich ist, ein Programm der Unabhängigkeit von allen Varianten des Kapitals zu vertreten und damit nicht nur am Rand zu stehen. Um diese Überzeugung greifbar zu machen, präsentieren wir in dieser Zeitung die Erfahrung unserer Genoss*innen aus Argentinien, die in einer harten Wirtschaftskrise eine antikapitalistische Front der Unabhängigkeit der Arbeiter*innenklasse aufstellen und damit Hunderttausende erreichen.

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