Politische Arbeit in Zeiten der Isolierung?

24.03.2020, Lesezeit 7 Min.
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Corona drängt uns in die Isolierung, physisch und psychisch. Dabei ist dies eine Zeit, in der noch mehr als sonst nicht politisch untätig bleiben dürfen. Wie wir weiter politisch arbeiten - oder damit anfangen - können, erklärt Anja Bethaven.

Bild: „Home office in converted closet“ by IN 30 MINUTES Guides is licensed under CC BY 2.0

Die Schulen und Universitäten sind geschlossen, deutschlandweit sind Ausgangsbeschränkungen in Kraft, es gilt ein weitreichendes Kontaktverbot (natürlich nur im privaten Bereich, während Millionen Menschen weiter zur Arbeit gehen sollen, um die Profite ihrer Bosse zu garantieren). Es gibt keine Versammlungen mehr, Tarifrunden wurden ausgesetzt, selbst die Linke und diverse Arbeitnehmer*innenorganisationen schwören auf den Burgfrieden ein (hier eine Ansprache von Dietmar Bartsch als Audiodatei). Ist es also Zeit, unsere politische Arbeit auszusetzen und in eine Art Coronaschlaf zu gehen?

Social Distancing und Nachbarschaftshilfe

Im Umgang mit Corona beobachten wir gerade zwei Tendenzen: zum Einen eine Isolierung und Depolitisierung. Natürlich wird man durch die Ausgangsbeschränkungen, Social Distancing, etc. ohnehin schon durch die äußeren Umstände in Isolierung gedrängt. Doch auch “in den Köpfen” findet ein Rückzug statt. In dieser Zeit, die für so ziemlich alle von uns irgendwie belastend ist, müssen wir auf unsere psychische Gesundheit und mentale Stabilität besonders schauen und auch die von uns, die eigentlich psychisch gesund sind, müssen sich verstärkt darum kümmern, dass das auch so bleibt.

Da liegt es nahe, und ist auch bis zu einem gewissen Grund notwendig, sich mit “schönen Dingen” zu umgeben, das Hirn auszuschalten, runter zu kommen. Und so verbringen viele von uns die letzten Tage damit, sich einzugraben, den Bücherstapel in der Ecke anzugehen, mal ordentlich die Wohnung zu putzen oder Serien zu bingewatchen.

Auf der anderen Seite gibt es den Versuch, auf lokaler Ebene Netzwerke aufzubauen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Es werden Gabenzäune eingerichtet, Einkaufsdienste organisiert, durch Kündigungen frei gewordene Arbeitskraft wird koordiniert (z.B. für Corona-Krisendienst am Telefon, Unterstützung in den Krankenhäusern oder bei der Ernte). Insbesondere anarchistische und autonome Netzwerke versuchen gerade verstärkt, die Communities zu stärken. Das sind enorme Zeichen der Solidarität von unten – es ist natürlich wichtig, für Menschen in Quarantäne oder in Risikogruppen einzukaufen und aufeinander zu achten und sich zu unterstützen. Doch “stabile Nachbarschaften”, so notwendig solche solidarischen Strukturen sind, können in einer derart instabilen Gesamtsituation stets nur die schlimmsten Auswüchse der Krise mildern, sie aber nicht überwinden.

Stattdessen müssen wir darüber hinaus arbeiten, deutschlandweit, EU-weit, weltweit. Das Coronavirus und die verheerenden Folgen, die es in den kaputt gesparten Gesundheitssystemen, maroder Infrastruktur und individualisierter Gesellschaft anrichtet, sind ein weltweites Problem. Aktuell gibt es die Tendenz “jede*r für sich”, Söder für Bayern, linke Nachbarschaftshilfen für ihren Kiez. Die muss überwunden werden, um die Krise zu bekämpfen.

Depolitisierung entgegenwirken!

Das Allerwichtigste: Die Corona-Krise ist höchst politisch. Wer angesichts der katastrophalen Situation im Gesundheitssystem getestet und behandelt wird und wer nicht, wer bezahlt freigestellt wird und wer trotz Corona weiter prekär arbeiten gehen muss, ob Beschäftigte während der Arbeit Schutzkleidung tragen können oder nicht, ob Menschen weiter ihre Miete bezahlen können, wer von Polizeikontrollen in Folge der Ausgangsbeschränkungen und des “Kontaktverbots” betroffen ist, ob noch weitere Einschränkungen der demokratischen Rechte auf uns zukommen werden, und wer für die auf uns zukommende Wirtschaftskrise am Ende blechen wird: All diese Fragen haben nicht eine, sondern mehrere Antworten – je nachdem, ob wir uns jetzt organisieren oder nicht.

Klar, aktuell werden wir nicht einfach so zu Versammlungen aufrufen, und natürlich gibt es weniger physiche Möglichkeiten zur Intervention: Die Unis sind zu, die Schulen sind zu, viele Arbeitsstätten sind zu – aber eben viele auch nicht. Und vor allem: Ob und unter welchen Bedingungen gearbeitet wird, wird sehr stark davon abhängen, ob wir aktiv werden, oder ob wir in den politischen Coronaschlaf gehen.

Deshalb: Nutzt die zahlreichen Vernetzungsmöglichkeiten, um Räume zur politischen Diskussion zu schaffen. Lest Artikel zusammen (unter dem Artikel findet ihr ein paar Empfehlungen, an dieser Stelle sei auch auf die Rubrik Coronavirus und “Von der Redaktion empfohlen” verwiesen), oder auch politische Bücher. Das Gesundheitssystem und auch die Rolle des Staates werden gerade an jedem Esstisch diskutiert, bezieht also auch euer Umfeld und eure Kontakte mit ein. Aktuell ist es sehr wichtig, dass wir unsere Ideen verbreiten. Dafür wollen wir auch unsere Website KlasseGegenKlasse.org zur Verfügung stellen. Wir laden euch deshalb auch ein,  immer gerne einen Gastbeitrag an uns von KgK schicken, sei es mit Gedanken oder Antworten auf Texte, Analysen, Erfahrungen, …

Was gibt es zu tun?

Nur weil viele von uns individuell zu Hause festsitzen, heißt das eben noch lange nicht, dass das für alle von uns gilt. Beispielsweise BMW und Daimler schlossen erst sehr spät einige ihrer Werke, in Österreich, dem Spanischen Staat und Frankreich brauchte es massive Arbeiter*innenproteste, um die Schließungen zu erwirken und die Arbeiter*innen vor dem Risiko an ihrer Arbeitsstätte zu schützen.

Auf der anderen Seite sind hunderttausende Arbeiter*innen aktuell unter widrigen Bedingungen dem Virus ausgesetzt. Lasst uns unsere politischen Energien und Ressourcen einsetzen, um dafür zu kämpfen, dass die Bedingungen verbessert werden. Besonders in den Krankenhäusern (hier findet ihr die Stimmen der Kolleginnen Charlotte Ruga und Lisa Sternberg, die am Ende des Artikels auch eine Liste konkreter Forderungen aufgestellt haben, die nötig wären, um sie zu schützen und zu entlasten), aber auch für die anderen Sektoren, die zum Weiterlaufen der Gesellschaft nötig sind, wie ambulante medizinische Versorgung, Müllentsorgung, Reinigung, Einzelhandel, … Ob und wie diese Sektoren weiterarbeiten, darf nicht in den Händen der Bosse bleiben. Wie unsere Genossin Andrea D’Atri schreibt:

Die Verkettung der Ereignisse führt schnell zu einem Scheideweg auf internationaler Ebene: Die Regierungen werden weiterhin der Rettung der Kapitalist*innen auf Kosten unseres Lebens Priorität einräumen, oder die arbeitenden Massen werden ihr Programm durchsetzen, das notwendigerweise die Profite und Vorteile der Unternehmen angreift, um die Menschheit vor diesen Verwüstungen zu retten.

Ob das eine oder das andere geschieht: Da wollen wir ein Wörtchen mitreden.

Weiterführende Artikel

Was bedeutet es, wenn autoritäre Maßnahmen ergriffen werden, um den Virus einzudämmen? Und überhaupt, wie dämmen wir den Virus ein? Ein Beitrag von Marco Blechschmidt:

Coronavirus eindämmen, keinen Polizeistaat errichten!

Das “gemeinsame Interesse aller” wird beschworen, jede*r müsse ihren*seinen Teil leisten. Was das für uns Arbeiter*innen bedeutet, erklärt Stefan Schneider:

Covid-19 und Sozialpartnerschaft: Nein zum Ausverkauf unserer Interessen!

Gegen die Corona-Krise: Für eine sofortige Umstellung der Produktion zur Sicherung unserer Gesundheit! 11 Notfallmaßnahmen der Arbeiter*innenklasse , um die Pandemie zu bekämpfen:

Gegen die Corona-Krise: Für eine sofortige Umstellung der Produktion zur Sicherung unserer Gesundheit!

Kontaktverbot – und trotzdem zur Arbeit? Kontrolliert von der Polizei? Wie betrifft dich der Coronavirus? Schick uns deine Erfahrungen und Geschichten aus dem Beruf und Alltag.

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