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Katja Kipping und die zweite Infektionswelle

07.05.2020, Lesezeit 5 Min.
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In der Lockerungs-Debatte meldete sich kürzlich Katja Kipping zu Wort. Sie plädierte für eine Stop-the-virus-Politik, im Interesse der Wirtschaft und zur Rettung von Menschenleben. Dafür müsste der Staat der Wirtschaft strengere Vorschriften machen und die Kosten der Krise gleichmäßiger verteilen.

Im Berliner Tagesspiegel schrieb die Co-Parteivorsitzende der Linkspartei über ihre Vorstellungen, wie die Coronakrise zu bewältigen sei.

Sie wirft der „Lockerungslobby“ völlig zu recht vor, im Interesse der Profite Menschenleben zu riskieren. Gleichzeitig argumentiert sie, dass die damit einhergehende Gefahr einer zweiten Infektionswelle langfristig auch für die Wirtschaft schädlicher wäre.

Als Gegenmodell schlägt sie darum eine sozial gerechtere „Stop-the-Virus“-Politik vor, um statt einer schleichenden Herdenimmunisierung – um das kaputtgesparte Gesundheitssystem nicht zu überlasten – das Virus vollständig zu besiegen. Dafür müsste die Ausbreitungsrate unter 0,5 liegen. Also 100 Infizierte stecken nur 50 weitere an. Das kann nur mit scharfen Auflagen gelingen.

Als Ausgleich schlägt sie soziale Maßnahmen vor, um Familien und einkommensschwache Haushalte zu entlasten. Es soll ein Corona-Elterngeld geben, das Kurzarbeitergeld soll weiter aufgestockt werden. Finanziert werden soll dies durch eine einmalige Vermögensabgabe. Als historische Referenz führt sie die 1952 von der Adenauer-Regierung durchgeführte Maßnahme an, um die Kosten des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg auszugleichen.

Um der deutschen Wirtschaft nach der Rezession wieder auf die Beine zu helfen, argumentiert sie – wie schon andere vor ihr – für einen Green New Deal. Der Kampf gegen die Rezession soll mit der Umstrukturierung der Wirtschaft verbunden werden, mit Investitionen in eine grüne Zukunft.

Das alles ist nett gedacht und angesichts dessen, dass die Kosten für die Krise sehr ungleich verteilt sind, völlig nachvollziehbar. Jeff Bezos verbucht Rekordgewinne und deutsche Unternehmen werden trotz Boni und Dividenden mit finanzieller Unterstützung überhäuft, während ein Großteil mit Kurzarbeitergeld abgespeist wird. Die soziale Kluft wird in der Coronakrise noch größer.

Indes: Kipping fordert eine Rückkehr zum Wohlfahrtsstaat der Nachkriegs-Ära, verbunden mit der Politik des „Great New Deals“ in einer ökologischen Variante. Das Problem dabei ist weniger der Plan selbst, sondern die Frage der Durchsetzung. Freilich brauchen wir in der Krise sozialstaatliche Maßnahmen im Interesse der Beschäftigten, wie sie Kipping vorschlägt – und noch weitergehende, wie ein Verbot von Entlassungen, eine Öffnung von Geschäftsbüchern und dass die Reichen zur Kasse gezogen werden, anstatt dass sie auch noch zu Gewinnern der Krise zu werden.

Nur fehlt dem Kapital dazu heute, im Gegensatz zu 1952, der Spielraum für derartige Zugeständnisse. Der Wirtschaftskrieg mit China und den USA, verbunden mit der massiven Entwicklung der Produktivkräfte, bringt die internationale Konkurrenz auf einen neuen Höchstpunkt. Wenn die deutsche Bourgeoisie sich in diesem Wettkampf behaupten möchte, kann sie keine weiteren Zugeständnisse machen.

Gleichzeitig löst ein grünes Investitionsprogramm nicht die ökologische Frage. Ihre Wurzel liegt nicht in weniger umweltfreundlichen Technologien, sondern in der chaotischen Produktionsweise und der ständigen Jagd nach Profiten, für die – um die Produktion effizienter zu gestalten und sich im Wettbewerb zu behaupten – immer neuere Maschinen angeschafft werden. Dies bedingt einen Rohstoffverbrauch, der gar nicht zur Befriedigung von Bedürfnissen nötig ist, sondern lediglich dem Durst der Kapitals nach Profit dient.

Ein soziales Programm für die Krise kann deshalb nur im Sinn eines Übergangsprogramms sein. Dazu gehören eben die Öffnung der Geschäftsbücher und die Kontrolle der Produktion durch die Beschäftigten. Solche Maßnahmen werden aber von Kipping gar nicht vorgeschlagen. Statt ein Programm gegen die kapitalistischen Interessen, im Sinne der Beschäftigten, schlägt sie ein Programm vor, dass an einen „vernünftigen“ Kapitalismus appelliert, dem langfristiger Nutzen wichtiger ist als das kurzsichtige Streben nach Profiten.

Um aber wirklich soziale Maßnahmen durchsetzen zu können, brauchen wir Aktionen der Beschäftigten. Die Industrie soll unter Kontrolle der Beschäftigten auf die Produktion von medizinischen Geräten umgerüstet werden. Statt im Sinne „grüner“ Profite zu produzieren, brauchen wir eine Produktion zur Befriedigung von Bedürfnissen.

Angesichts der Corona-Krise erscheint es sinnvoll, beim Gesundheitssystem anzufangen. Die Beschäftigten müssen die Kontrolle übernehmen. Nicht ein absurdes pauschales Abbuchungssystem darf darüber entscheiden, welche Behandlung durchgeführt wird, sondern die Pfleger*innen und Ärzt*innen gemeinsam mit den Patient*innen.

Für einen ökologischen Wandel brauchen wir einen Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs. Dies mit einer dauerhaften Reichensteuer zu finanzieren, ist eine Forderung, die auch unbedingt von Gewerkschaften aufgegriffen und mit den Mitteln des Streiks durchgesetzt werden sollte. Hierzu könnten Kipping und die Linkspartei die Gewerkschaftsführung aufrufen.

Ein solches Programm muss auch verbunden sein mit dem Verbot von Entlassungen und Produktionsverlagerung, wie wir es gerade bei Voith in Sonthofen erleben. Ohne eine Reichensteuer mit solchen Maßnahmen zu kombinieren, würde sich das Kapital in andere Länder verlagern. Dann hätten wir nicht mehr, sondern weniger Steuereinnahmen. Dies kann allerdings nur mit einem antikapitalistischen Programm durchgesetzt werden, nicht mit einem Programm, das den Kapitalismus lediglich verwalten möchte. Daran mangelt es bei Kipping und der Linkspartei.

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