Linkspartei beschwört Hoffnung: Was sagt uns der Parteitag?

19.05.2025, Lesezeit 8 Min.
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Foto: Martin Heinlein, CC BY 2.0., flickr.com

Vor einer Woche traf sich die Linkspartei in Chemnitz, um sich selbst zu feiern. Aufrüstung, Krieg und vor allem die Palästinafrage zeigen allerdings deutlich, dass es unüberwindbare Widersprüche zwischen der Führung und dem linken Teil der Partei gibt.

Die Linke weiß sich am Wochenende zu inszenieren. In der „Karl-Marx-Stadt“ mangelt es nicht an historischen Bezügen, um sich selbst einen radikalen, aber gleichzeitig hippen Schliff zu geben. Die Parteigrößen, allen voran Heidi Reichinnek, lassen keine Gelegenheit aus, um medienwirksam ihr neu gewonnenes Selbstbewusstsein zu demonstrieren. Mit Parolen, wie „Die Hoffnung organisieren – Niemals alleine, immer gemeinsam“ soll die Basis auf die „Erneuerung“ vorbereitet werden. 

Die letzten Wochen haben aber gezeigt, wie weit die Führung der Partei geht, um sich als regierungsfähige Partei zu präsentieren. Dabei ist sie sich auch für eine Zusammenarbeit mit der reaktionären CDU nicht zu schade. Nur wenige Tage vor dem Parteitag ermöglichte die Linkspartei die schnelle Kanzlerwahl von Merz und beteuerte dabei auch noch stolz, wie gut sie Verantwortung für den deutschen Staat übernehmen kann. Reichinnek witzelt in ihrer Rede sogar noch über die Kanzlerwahl: „Der Mann hat ja in seinem Leben ziemlich oft falsch gelegen. Ich mein’, der dachte auch, er wird im ersten Anlauf Kanzler.“ 

Jan van Aken bekräftigt nochmal seine Aussage, dass er findet, es sollte keine Reichen geben. Gleichzeitig will er sie aber nicht enteignen und hat vor Kurzem auch noch gesagt, dass er ja nichts dagegen hat, wenn Menschen ein oder zwei Millionen auf dem Konto haben. 

Alles in Allem bleibt die politische Linie ökonomistisch: Mietendeckel, Preisbremse und Umverteilung durch Steuerreformen. So soll auch der Rechtsruck in Deutschland effektiv bekämpft werden. Die Zusammenhänge zwischen Militarisierung, Imperialismus, Kapitalismus in der Krise und dem wachsenden Rassismus in der Gesellschaft werden dabei nicht gesehen oder einfach ignoriert. Die Linke passt sich außerdem der „Brandmauer“-Logik an, indem sie den Kampf gegen Rechts mit dem Kampf gegen die AfD gleichsetzt. In dieser Logik ist die Rechte auch besiegt, wenn die AfD erstmal verboten ist. Dabei wird sich sogar positiv auf den Verfassungsschutz bezogen, der nicht erst seit dem NSU gezeigt hat, auf welcher Seite er wirklich steht. Für uns ist klar: Wir verlassen uns niemals auf den deutschen Staat, wenn es um den Kampf gegen Rechts geht!

Die Linke und die deutsche Aufrüstung

Die Haltung der Linkspartei zur Aufrüstung ist ein Drama in mehreren Akten. Zuerst stimmte die Fraktion der Partei im Bundestag gegen die Aufhebung der Schuldenbremse für die Aufrüstung, dann stimmten die Landesverbände in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen im Bundesrat dafür. Parteilinke forderten deshalb Konsequenzen. Ein Antrag dazu kam vom Jugendverband solid. Dort wurde der Rücktritt der Verantwortlichen von ihren Ämtern gefordert. Auch wenn der Antrag nicht die Regierungsbeteiligung an sich kritisierte oder einen Ausschluss aus der Partei forderte, zeigte er den Regierungsbürokrat:innen immerhin, dass die Basis sich nicht alles gefallen lässt. Die Grundlage dafür ist auch relativ einfach, da die Partei sich in ihrem Programm eindeutig gegen die Aufrüstung stellt. Ines Schwerdtner entgegnete den Antragstellenden, dass sich ja im neuen Leitantrag auf ein Verfahren geeinigt wurde, wie man in solchen Fällen gemeinsam als „lernende Partei“ umgehen müsse. Inhaltlich würde sie aber zustimmen. Das Verhalten des Parteivorstands zeigt, dass er unter Druck gerät und sich die abenteuerlichsten Erklärungen ausdenken muss, um seine Autorität zu behalten. Am Ende scheiterte der Antrag knapp. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Antragstellenden und Linke in der Partei sich weiter für eine klare Haltung zur Aufrüstung einsetzen und die Bürokrat:innen weiter unter Druck setzen.

Die Linke und die Palästinafrage

Der Parteitag beginnt mit einer eskalativen Ansage aus dem Parteivorstand am Vorabend des ersten Sitzungstages: 

„Das Existenzrecht des Staates Israels ist für uns nicht verhandelbar. Der Parteivorstand distanziert sich von jedem Aufruf, jedem Statement und jedweder bildlichen Darstellung, die unter dem Deckmantel der Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung die Existenz Israels negiert oder die Auslöschung Israels propagiert.“ 

Damit wurde auf die Angriffe gegen Ulrike Eifler reagiert, die eine Karte Palästinas in ihren historischen Grenzen zeigt. Palästinasolidarität ist für die Parteiführung gleichbedeutend mit Antisemitismus. Ganz im Sinne der Staatsräson zeigt die Bürokratie dabei ein weiteres Mal, wie sehr sie den bürgerlichen Staat mitverwalten will. Auch wenn sich vor dem Sitzungsgebäude Linke versammelten, um sich mit Eifler und dem ausgeschlossenen Ramsis Kilani zu solidarisieren und auch von den Delegierten immer wieder auf die unberechtigte Repression eingegangen wurde, wurde der Beschluss des Vorstands nicht zurückgenommen. Bemerkenswert sind vor allem viele junge Delegierte, die kleine Palästinaflaggen dabei haben oder Kuffieh tragen.

Der wohl weitreichendste Beschluss von Chemnitz ist die Übernahme der Jerusalemer Erklärung als Antisemitismusdefinition. Die Jerusalemer Erklärung JDA unterscheidet Antisemitismus von Antizionismus und ermöglicht dadurch die Kritik am kolonialen Charakter Israels ohne sich dem Vorwurf des Antisemtismus aussetzen zu müssen. Der Antrag, der von Parteilinken gestellt wurde, führte die Debatte des letzten Bundesparteitags in Halle weiter. Diese wiederum folgte auf den eskalativen Landesparteitag in Berlin, der zum Rücktritt einiger Parteibürokraten, unter anderem Klaus Lederer führte. Die Parteirechten um Lederer hatten vor, die IHRA offiziell als Arbeitsdefinition für die Partei aufzunehmen und damit jede Kritik an Israel als antisemitisch zu diffamieren und Ausschlüsse, wie den von Ramsis Kilani, zu rechtfertigen. Als dieser ultrarechte Antrag, der die Hamas mit den Nazis auf eine Ebene stellte, indem er dem palästinensischen Widerstand „eliminatorischen Antisemitismus“ vowarf, scheiterte, verließen Lederer und seine Anhängerschaft den Parteitag empört. Allerdings scheiterte ein Antrag, der stattdessen die Jerusalemer Erklärung als Definition forderte, auf dem Landesparteitag genauso wie auf dem Bundesparteitag in Halle im vergangenen Jahr. Dort hatte Jan van Aken erklärt, dass es aufgrund der wissenschaftlichen Bedeutung besser sei, dass der Parteivorstand sich mit der Thematik auseinandersetzt, verschiedene Stimmen dazu hört und dann eine Entscheidung treffen würde. Das gleiche undemokratische Manöver versuchte Jan van Aken in Chemnitz nun ein zweites Mal. Daraufhin wehrten sich Parteilinke, wie die EU-Abgeordnete Özlem Demirel. Sie betonte die Dringlichkeit des Antrags, weil es während eines laufenden Genozids in Gaza möglich sein müsse, die israelische Politik zu kritisieren, ohne einen Parteiausschluss fürchten zu müssen. 

Der berüchtigte Bremer Landesverband der Linken, der sich schon mit der Zustimmung zur Aufrüstung im Bundesrat bei Vielen unbeliebt gemacht hat, setzt nach dem JDA-Beschluss noch einen drauf. Am Montag nach dem Parteitag veröffentlichten sie ein Statement mit dem Titel: „Israel-Palästina: Unser Maßstab ist die Menschlichkeit.“ In dem Statement sagen sie den Parteilinken den Kampf an: 

„Die Forderung mancher Linker, man könne Israel als Staat auflösen und stattdessen einen gemeinsamen oder föderalen Staat gründen, ist eine nur oberflächlich überdeckte Forderung nach dem Tilgen Israels und der Juden und Jüdinnen von der Landkarte. Dieser nur wenig verbrämte Antisemitismus ist für uns inakzeptabel.“

Damit zeigt sich ein weiteres Mal, was mit der Linkspartei passiert, wenn sie in Regierungsverantwortung kommt. Die Staatsräson wird dabei bedingungslos umgesetzt,  im Dienst der Regierungsstabilität. 

Es sieht allerdings so aus, als bildete sich, vor allem um den Jugendverband solid und den Studierendenverband SDS, ein linker Flügel, der sich der rechten Führung entgegenstellt. Dieser Teil der Partei muss sich allerdings weiter radikalisieren und die Widersprüche deutlich machen. Jetzt ist die Zeit für konkrete Kampagnen gegen die Abschottung der Grenzen, gegen die Kriegstüchtigkeit in Form der Wehrpflicht und gegen die Aufrüstung. Vor allem aber muss der Beschluss zur JDA dazu führen, dass ein linker Flügel sich der Palästinabewegung in Deutschland anschließt und die Führung durch offene Konfrontationen bezüglich ihrer staatstragenden Palästinaposition herausfordert. Die Gefahr einer Integration der progressiven Kräfte, indem man ihnen einen vermeintlichen Sieg gegönnt hat, muss um jeden Preis bekämpft werden. Die JDA zu beschließen war ein wichtiger Akt der Verteidigung, beinhaltet aber noch kein antizionistisches Programm. Auch mit der JDA kann sich der Parteivorstand immer wieder zum „Existenzrechts Israels“ bekennen. Alle, die diese fortschrittlichen Beschlüsse unterstützt haben, müssen mit der Vorstellung  von Veränderung durch Regierungsbeteiligung und der „Front der Demokraten“ brechen und stattdessen Mobilsierungen der Arbeiter:innen und der Jugend anstreben. Diese müssen sich konsequent gegen die Merz-Regierung stellen, jede Zusammenarbeit mit ihr bekämpfen und die Palästinasolidarität mit einem konsequenten Antizionismus und einer allgemeinen Haltung gegen den Rechtsruck und die Aufrüstung verbinden.

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