Burgfrieden mit Merz wird die AfD nicht stoppen

28.05.2025, Lesezeit 20 Min.
1
Foto: ahmetrefikguler (shutterstock.com)

Leitartikel: Deutschland steckt wirtschaftlich und politisch in einer tiefen Krise. Mit Angst vor politischem Chaos und der AfD begründet die Linkspartei die Anpassung an die Merz-Regierung. Doch können wir die extreme Rechte mit der traditionellen Rechten schlagen?

Die nun seit etwa drei Wochen amtierende Merz-Regierung erfreut sich keiner großen Beliebtheit. Laut aktuellen Umfragen vereinigen die Koalitionsparteien Union und SPD gerade einmal 41 Prozent der Befragten auf sich, 4 Prozentpunkte weniger als noch bei der Wahl im Februar. Um Merz selbst ist es nicht besser bestellt: Nur 31 Prozent der Befragten halten ihn für einen geeigneten Kanzler. Die extrem rechte AfD kritisiert „Regierungschaos und Streit statt echter Migrationswende“ und liegt in den meisten mittlerweile etwa gleichauf mit der Union. 

Für Linke gibt es zahlreiche Gründe, Merz zu hassen: Der millionenschwere ehemalige Blackrock-Lobbyist ist bekannter Sexist, zu dessen Lieblingsbeschäftigungen rassistische Hetze zählt, will die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas machen und tönt: „Wir müssen in diesem Land wieder mehr arbeiten“. Und dennoch blieb der Widerstand gegen seine Kanzlerschaft bisher eher verhalten. Füllten Anfang des Jahres noch Millionen Demonstrant:innen die Straßen gegen die Union-AfD-Kooperation und brachten damit das rassistische Zustromsbegrenzungsgesetz zu Fall, kam es seit dem Amtsantritt der neuen Regierung mit ihrer reaktionären Agenda zu keinen Mobilisierung in annähernd ähnlichem Ausmaß. Eine dominante Logik dahinter lautet: Merz sei zwar höchst unangenehm, doch seine Regierung sei leider notwendig, um geordnete Verhältnisse zu bewahren, denn weiteres Chaos käme ja nur der AfD zugute.

In diesem Artikel wollen wir darlegen, warum diese Logik fatal ist. Nicht nur legitimiert die zähneknirschende Unterordnung unter die Regierung die Umsetzung ihrer gefährlichen Vorhaben, sie wird auch den Aufstieg der AfD nicht aufhalten können. Im Gegenteil: Sie verschafft der Rechten weiteren Auftrieb.

Die Agenda der Regierung

Wer sich das Programm der neuen Merz-Regierung ansieht, könnte meinen, die AfD wäre bereits an der Macht. Aufbauend auf den rassistischen Vorstößen der Ampelregierung hat Schwarz-Rot eine Hetzjagd gegen Migrant:innen losgetreten. Die Polizei weist Asylsuchende nun an allen deutschen Außengrenzen zurück und soll dafür auch auf KI-Erkennung zurückgreifen dürfen – ein Vorgehen, das selbst nach geltendem EU-Recht nicht zulässig ist. Der Koalitionsvertrag übernimmt im Bereich der Migration weitgehend den „Fünf-Punkte-Plan“, den Merz im Januar mit der AfD beschließen wollte. Die Regierung will eine Abschiebeoffensive einleiten und dafür „alle Möglichkeiten ausschöpfen, um die Kapazitäten für die Abschiebehaft deutlich zu erhöhen“, die Bundespolizei berechtigen, Menschen in Abschiebehaft zu nehmen, den Rechtsbeistand vor der Durchsetzung der Abschiebung abschaffen, Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan erhöhen und Asylverfahren in Drittstaaten abwickeln lassen. Zudem soll die Einbürgerung erschwert werden, während die ohnehin menschenunwürdigen Leistungen für Geflüchtete weiter gekürzt werden sollen.

Neben dieser rassistischen Offensive greift die Regierung die Lebensbedingungen der Arbeiter:innen und Armen an. Am stärksten springen die geplante Abschaffung des Acht-Stunden-Tages und des Bürgergelds – eine Maßnahme nicht nur zur Disziplinierung Arbeitsloser, sondern aller Beschäftigten – ins Auge. Unternehmenssteuern will die Regierung senken, das Lieferkettengesetz abschaffen. Wirtschaftsministerin Reiche – vor ihrem Eintritt in die Regierung CEO einer e.on-Tochterfirma, die sinnbildlich für den wirtschaftlichen Kurs der neuen Regierung steht – kündigte auf dem ostdeutschen Wirtschaftsforum ein „Entlastungspaket“ für Unternehmen an, dass neben Steuersenkungen und „Reformen zum Arbeitsmarkt“ beinhalte. Dieses ominöse Versprechen deutet darauf hin, dass Angriffe auf uns zukommen, die nicht explizit im Koalitionsvertrag genannt werden. Auch die Einrichtung einer Kommission zur Rentenreform lässt nichts Gutes erahnen. 

Währenddessen zeichnet sich immer klarer ab, dass die ohnehin völlig unzureichenden sozialen Zugeständnisse des Koalitionsvertrags, wie die Erhöhung des Mindestlohns, bald begraben werden dürften. Ohnehin stehen alle Maßnahmen – abgesehen von der Aufrüstung – unter „Finanzierungsvorbehalt“. Im Juni steht die Verabschiedung eines neuen Bundeshaushaltes an, dem laut einer neuen Schätzung etwa 33 Milliarden Euro bis 2029 fehlen. Merz und Finanzminister Klingbeil, der darauf drängt „dass jedes Ministerium Einsparungen vorbringt“, sind sich einig, dass gekürzt werden muss.

Während also mit weiteren Einschnitten in bereits chronisch unterfinanzierten Bereichen wie Gesundheit, Bildung und Sozialem zu rechnen ist, gibt es für die Militärausgaben keine Obergrenze. Der neue Außenminister Wadephul spricht mittlerweile davon, 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Aufrüstung zu stecken – mehr als doppelt so viel wie unter der alten Regierung, die bereits einen massiven militaristischen Sprung vollzogen hatte. Zuvorgekommen war ihm Alice Weidel, die diese Forderung schon im Januar erhoben hatte. Die Militarisierung Deutschlands ist das zentrale Projekt der neuen Regierung, dem sie alles andere unterordnet. „Mit Sozialleistungen und mit Bildung lässt sich dieses Land nicht verteidigen“, sagt Verteidigungsminister Pistorius. Das bedeutet nicht nur Kürzungen: Mit der massiven Erhöhung der Militärausgaben will die Regierung die Bundeswehr in Zeiten schärferer internationaler Konkurrenz in eine militärische Großmacht verwandeln und erhöht so das Risiko für kriegerische Eskalationen, mit fatalen Konsequenzen für die Arbeiter:innenklasse und Jugend weltweit. Auch wenn Merz nun leicht mahnende Worte an den Völkermörder Netanyahu richtete, verdeutlichte Wadephuls erster außereuropäischer Staatsbesuch in Israel die Palästinaposition dieser Regierung. 

Schwarz-Rot hat keine Antwort auf die Krise

Dass der Start der neuen Regierung holprig verlief, ist kein Zufall. Es ist wahrscheinlich, dass Merz’ Durchfallen in der ersten Runde der Kanzlerwahl nicht das letzte Mal sein wird, dass Schwarz-Rot mit Instabilität zu kämpfen hat. Die „starken Männer“ der Koalition Merz und Klingbeil sind in ihren eigenen Parteien aus verschiedensten Gründen keineswegs unumstritten. Während der Kanzler für gewisse Teile der Union, die auf eine stärkere Zusammenarbeit mit der AfD drängen, immer noch nicht rechts genug agiert, hat er kleinere Teile seiner Partei, die mehr an der Vermittlung zu SPD und Grünen interessiert sind durch seine Kooperation mit der AfD im Januar vor den Kopf gestoßen. Wieder andere, Ultra-neoliberale in der Partei, nehmen ihm die Aussetzung der Schuldenbremse und damit das Brechen eines der wichtigsten Wahlversprechen übel. Zudem blieb das Wahlergebnis von 28,5 Prozent weit hinter den Erwartungen vieler CDUler:innen zurück. 

Klingbeil ist es zwar gelungen, die Macht in der SPD auf sich zu vereinen und parteiinterne Gegner:innen auszuschalten, doch nicht ohne Teile des weiter links stehenden Flügels zu brüskieren. Der Eintritt in die Koalition ebnet den Weg für die weitere Marginalisierung der Sozialdemokratie, während einige in der Partei neidisch auf den Erfolg der Linkspartei blicken und in Zukunft ein eigenständigeres Profil und klarere Kante gegen die Union einfordern könnten, um die SPD vor dem Untergang zu bewahren. 

Doch die Gründe für die Schwäche der neuen Regierung sind nicht nur innerhalb der Regierungsparteien, sondern primär in der Weltlage und Deutschlands fragiler Rolle darin, auf die sie reagieren müssen, zu suchen. Das deutsche Regime ist nicht in der Lage, eine einheitliche Antwort auf die wirtschaftliche Krise und den Machtkampf zwischen den USA und China zu finden.

Die Union steht historisch für eine transatlantische Ausrichtung, also ein enges Bündnis mit den USA, die für die deutsche Bourgeoisie lange „sicheres Fahrwasser“ versprach. Die transatlantischen Beziehungen spannten sich bereits vor Trumps Amtsantritt zunehmend an, seitdem hat deren Krise jedoch einen bedeutenden Sprung gemacht. Die neue Regierung steht vor dem Widerspruch, dass sie einerseits nicht in der Lage ist, die Bindung an die USA aufzukündigen, andererseits diese Bindung aber vom US-Präsidenten in Frage gestellt wird und mit dem Zick-Zack in der Zollpolitik gegenüber der EU auch zu erheblichen wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen könnte. 

Ebenso unklar ist das Verhältnis zum Hauptrivalen der USA. Die ökonomische Abhängigkeit zwischen China und Deutschland ist weiterhin hoch, während die geopolitischen Spannungen zunehmen. Eine schärfere Konfrontation könnte der deutschen Bourgeoisie beträchtlich schaden, während jedoch eine Annäherung die USA erzürnen könnte, was sich die Regierung nicht leisten will. 

Allgemeiner können wir davon sprechen, dass sich die Bedingungen, auf denen die deutsche Bourgeoisie ihren imperialistischen Erfolg aufbaute, im Niedergang befinden. Die aktuelle Krise greift den Kern ihres Wirtschaftsmodells an. Nachdem die deutsche Wirtschaft 2023 um 0,3 Prozent und 2024 um 0,2 Prozent schrumpfte, senkten Ökonom:innen die Prognose für 2025 auf 0,0 Prozent, deutlich weniger als der Rest der Eurozone. Der Erfolg Deutschland als Exportnation wird zum einen durch den wachsenden Protektionismus, der zunehmend an die Stelle des Freihandels tritt, zum anderen durch die internationale Konkurrenz, insbesondere von China, bedroht. 

Angesichts seiner widersprüchlichen geopolitischen Position und der tiefen wirtschaftlichen Krise wird es der Regierung schwer fallen, den von ihr erklärten Führungsanspruch in der EU aufrechtzuerhalten. Die bisherigen Versuche von Merz, gemeinsame Initiativen mit Macron und Starmer zum Ukrainekrieg einzugehen, sind gescheitert. Das Projekt eines von den USA und China gleichermaßen „unabhängigen Europas“ unter deutscher Führung, das aus bürgerlichen Kreisen als Alternative zum bröckelnden Transatlatizismus formuliert wird, scheint angesichts der teilweise völlig unterschiedlichen Interessen, die die EU-Staaten vertreten, ebenfalls kaum realistisch. 

Wohin geht die gesellschaftliche Linke?

Dass die neue Regierung in der Lage sein wird, die Krise langfristig zu überwinden und die deutsche Bourgeoisie wieder auf Erfolgskurs zu bringen, ist also höchst unwahrscheinlich. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie keine Versuche in diese Richtung unternehmen wird – Versuche, die sich direkt gegen die Interessen der Arbeiter:innen und Jugend richten. Verbunden mit der massiven Aufrüstung will die Regierung uns mit neoliberalen Eingriffen zu mehr Arbeit unter schlechteren Bedingungen zwingen, um die Profite der Kapitalist:innen abzusichern. Die Beschwerde des CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemanns, die Rentner:innen würden zu wenig arbeiten, spricht Bände. Mit der Ankurbelung der Rüstungsproduktion soll der Verfall der anderen Industriezweige teilweise wettgemacht werden – etwa durch die geplante Umstellung von VW-Werken auf Waffenproduktion. Doch ein Rezept für ein neues Akkumulationsmodells und eine Überwindung der Industriekrise stellen diese Maßnahmen nicht dar.

Die widersprüchliche und krisenhafte Situation des deutschen Regimes wird sich in widersprüchlichen Antworten von verschiedenen Teilen des Regimes ausdrücken. Schon innerhalb der Koalition ist viel Potential für das Ausbrechen von Streitigkeiten enthalten – sei es um Fragen des Haushalts und der Subventionspolitik oder der außenpolitischen Antwort auf Trump und China. Darüber hinaus ist die gesellschaftliche Basis der Schwarz-Roten Regierung sehr dünn. Dass die Koalition überhaupt eine Mehrheit finden konnte, verdankt sie dem undemokratischen Wahlrecht, das — neben dem Ausschluss von 10 Millionen Migrant:innen — dafür gesorgt hat, dass Millionen von abgegebenen Stimmen nicht im Bundestag repräsentiert sind. Zudem kamen die Koalitionsparteien bei den Unter-60-Jährigen zusammen auf lediglich 37 Prozent. 

Die Ampelregierung hatte zu Beginn ihrer Amtszeit – auch und gerade in der Jugend – eine größere Basis und formulierte mit dem Anspruch einer progressiv-grünen Erneuerung des deutschen Kapitalismus und „feministischer“ Außenpolitik eine, selbstverständlich trügerische,  positive Zukunftsvision. Diese Illusion zerschellte, insbesondere seit Beginn des Ukrainekriegs und der „Zeitenwende“ schnell. Die neue Regierung entstand auf den Trümmern der Ampel, während sie die Widersprüche, an der diese zugrunde ging, geerbt hat und nicht in der Lage ist eine hegemoniale Vision zu artikulieren. Merz spricht einzig davon, „Wohlstand“ schaffen zu wollen, auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung und ohne große Erfolgsaussichten – seine Regierung erscheint eher als eine Verwalterin des Niedergangs. 

Für Linke stellt sich vor diesem Hintergrund die entscheidende Frage: Soll die Schwäche der Regierung genutzt werden, um die kommenden Angriffe zurückzuschlagen und eine offensive, antikapitalistische Antwort auf die verschiedenen Krisen zu verbreiten? Oder versuchen Linke, den Tendenzen der Instabilität entgegenzuwirken und ordnen sich damit der Merz-Regierung unter?

Zusammen mit Merz gegen die AfD?

Die Führung der Linkspartei hat sich eindeutig auf letzteres festgelegt. Obwohl die Linkspartei häufig gerade aus Protest gegen Merz gewählt wurde, hat sie dessen Regierung schon in mehreren entscheidenden Momenten gestützt. Nachdem die Linke-Minister:innen im Bundesrat schon – entgegen aller linken Prinzipien – das massive Aufrüstungsprogramm unterstützen, verhalf die neue Bundestagsfraktion Merz an die Macht, indem sie einem Geschäftsordnungsantrag zustimmte, der eine erneute Kanzlerwahl noch am selben Tag ermöglichte, nachdem dieser in der ersten Runde durchgefallen war. Laut Parteivorsitzenden Ines Schwerdtner hätte es „zu Chaos geführt, wenn wir nicht mit eingesprungen wären.“ Stolz fügte sie hinzu: „Die CDU muss begreifen, dass sie nicht an uns vorbeikommt“. 

Die Integration in das Regime, die Betonung der Gesprächsbereitschaft mit der Regierung, begründen sie häufig mit dem Kampf gegen Rechts. In seinem Jacobin-Artikel „Droht die Establesmentisierung der Linken?“ stellt Sebastian Friedrich fest, wie „unkritisch sich Politikerinnen und Politiker der Linken in die Formel der »demokratischen Parteien« einreihen – gemeint sind alle außer der AfD.“ Dieser Logik folgend sei es notwendig, dass alle anderen über ihre Differenzen hinweg zusammenarbeiten, um die extreme Rechte aufzuhalten.

Auch wenn die Linkspartei die Merz-Regierung kritisieren mag, mit der Einreihung in die „Front aller Demokrat:innen“ ordnet sie sich ihr unter und vermittelt ihrer Anhänger:innenschaft, dass diese dasselbe zu tun habe. Der Inhalt dieser Front ist nicht einfach die Verteidigung abstrakter demokratischer Werte, er ist vielmehr ein zutiefst reaktionärer. Denn er besteht in der Deckung des an den Interessen der Bourgeoisie orientierten militaristischen, rassistischen, arbeiter:innenfeindlichen – und letztlich auch antidemokratischen Kurses – den die Regierung einschlägt. 

Für das Prestige der Linksparteispitzen in den bürgerlichen Medien und ihre Aussichten auf lukrative Regierungsposten in der Zukunft mag diese Ausrichtung zuträglich, für den Kampf gegen den Aufstieg der extremen Rechten ist sie aber eine Sackgasse. 

Auch wenn die Union im Februar noch vorerst damit scheiterte, die strategische Öffnung gegenüber der AfD zu vertiefen, ist die Integration der extremen Rechten für Merz und Co. keine Frage mehr des „Ob?“ sondern des „Wann und Wie?“. Statt sie sofort in Regierungsbeteiligungen einzubeziehen — was erneut massive Proteste hervoruffen könnte — wird die Union vorerst eher parlamentarische Zusammenarbeiten entwickeln und ihre Position in der Gesellschaft weiter normalisieren. Besonders im Osten ist ohne die Integration der AfD kaum noch Politik zu machen. Von Linkspartei bis Grünen und SPD ist das Argument, dass man aus der Erfahrung von Ende Januar heraus Merz nun einhegen und im „demokratischen“ Lager halten müsse. Dies muss aber notwendigerweise zu einer starken politischen Anpassung nach rechts führen, die der AfD weiteren Auftrieb gibt. 

Die AfD darf nicht die einzige Oppositionspartei sein

Die Logik, dass „Chaos nur der AfD nutzen wird“ wird so zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Wenn die Linkspartei von vornherein vor der Aufgabe kapituliert, eine konsequente Opposition gegen die Regierung aufzubauen, erlaubt sie der AfD, die Unzufriedenheit, die unvermeidlich in den nächsten Jahren hervorgerufen wird, mit einer demagogischen Scheinopposition für ihr ultrareaktionäres Projekt zu nutzen. 

Was dadurch verunmöglicht wird, ist eine wirksame Bekämpfung der extremen Rechten, die an den Ursachen des Rechtsrucks ansetzt. Die Entstehung einer kampfstarke Bewegung gegen die AfD und den Rechtsruck auf der Straße, in den Betrieben, Unis und Schulen ist in der Logik der „Front aller Demokrat:innen“ überhaupt nicht vorgesehen. Alle Mittel, die den Rahmen von bürgerlicher Legalität und Parlamentarismus überschreiten, sei es die Politisierung von Streiks oder die organisierte Selbstverteidigung gegen rechte Angriffe auf den Straßen und in den Betrieben, werden durch das Bündnis mit den bürgerlichen Kräften verhindert, da diese für sie selbst zur Gefahr werden könnten. 

Hier nimmt auch der bereits zitierte Sebastian Friedrich eine höchst inkonsequente Position ein. Er warnt zwar davor, dass Linke sich zu hastig auf eine Volksfrontpolitik einlassen, behauptet aber zugleich: „Diese Strategie ist nicht per se falsch. In Situationen höchster Not, wenn sich die Etablierung einer faschistischen Diktatur etwa konkret abzeichnet, kann sie richtig sein. Angesichts der deutschen Geschichte ist nachvollziehbar, dass Linke nicht »zu spät« auf eine Volksfront-Strategie setzen wollen.“

Doch gerade der Blick in die Geschichte zeigt die fatalen Auswirkungen einer Volksfrontpolitik. Überall, wo sie angewendet wurde, bedeutete sie einen drastischen Selbstbeschränkung der Möglichkeiten von Arbeiter:innen und Linken, den Kampf gegen die extreme Rechte erfolgreich auszutragen. Beispielsweise im Spanischen Bürgerkrieg führte die Unterordnung der Kommunist:innen unter die liberalen Republikaner zur Zerschlagung und Entwaffnung der Arbeiter:innenmilizen, um die Bourgeoisie zu schützen und damit zu einer erheblichen Schwächung des antifaschistischen Widerstands, der den Weg für Francos Sieg ebnete. 

Auch heute gilt es, statt der heuchlerischen „Einheit aller Demokrat:innen“, die darauf hinausläuft, der AfD die Opposition gegen die Regierung zu überlassen, eine Einheitsfront aller linken- und Arbeiter:innenorganisationen, die sich zugleich gegen die Angriffe der Rechten und gegen die Kriegs- und Kürzungspolitik der Regierung stellt, zu entwickeln. Es braucht die Selbstorganisation an den Arbeitsplätzen, Universitäten und Schulen, in denen Arbeiter:innen und Jugendliche unabhängig den Kampf gegen die AfD aufnehmen können. 

Kein Kampf zur Verteidigung von Merz! 

Eine Politik gegen die extreme Rechte und die Krise lässt sich nicht in Zusammenarbeit mit der Regierung, sondern nur gegen sie umsetzen. Die DGB-Führungen passen sich an den Kurs der SPD – mit der sie sich personell überschneiden – an und machen sich bereit, die Merz’ Angriffe auf die Arbeiter:innen mitzutragen. Gestern rückte die IG Metall von ihrer Forderung nach der allgemeinen Vier-Tage-Woche ab. Gewerkschafter:innen müssen sich sektorübergreifend zusammenschließen und dafür kämpfen, dass die sechs Millionen Arbeiter:innen des DGB, den offenen Abscheu, den Merz, Linnemann und Komplizen für die arbeitenden Menschen in diesem Land zeigen, nicht einfach hinnehmen. Dafür braucht es Versammlungen in den Betrieben, in denen alle Kolleg:innen darüber diskutieren, wie ein Verteidigungsplan gegen die Aufweichung des Acht-Stunden-Tages und Betriebsschließungen aussehen kann. 

Doch die Organisierung der Verteidigung von Arbeitsplätzen und -rechten ist nicht ausreichend, um die kapitalistische Krise zu überwinden und die extreme Rechte zu besiegen. Der politischen Linken – inner- und außerhalb der Linkspartei – stellen sich in ihrer Intervention zwei eng miteinander verbundene Aufgaben, während sie konsequent um das Abhalten von Versammlungen aller Kolleg:innen kämpft. 

Erstens kann sie nicht bei „Antifa heißt Wohlfahrtsstaat“ bleiben, wie die Führung der Linkspartei es vorschlägt. Unsere Intervention auf solchen Versammlungen muss die Aufrüstung sowie den Rassismus und Sexismus der Merz-Regierung, der unsere migrantischen, weiblichen und queeren Kolleg:innen noch stärker unterdrücken und damit letztlich die gesamte Arbeiter:inneklasse spalten und schwächen will, anprangern. Der Kampf gegen den Rechtsruck muss offen in den Betrieben explizit geführt werden, wo wir erklären müssen, dass die Militarisierung eine Gefahr für die Arbeiter:innenklasse ist und der Chauvinismus von Merz und AfD nur den Bossen dient. 

Zweitens können wir nicht dauerhaft in der Defensive bleiben. Es ist also notwendig, ein positives Programm zu entwickeln, welches einen wirklichen Ausweg aus den verschiedenen Krisen bieten kann und die reaktionären Antworten, die die Rechten auf die um sich greifenden Abstiegsängste und düsteren Zukunftsaussichten geben, bloßstellt. Für die entschädigungslose Enteignung schließender Betriebe unter Kontrolle der Beschäftigten statt Arbeitsplatzverlust, Arbeitszeitverkürzung statt -verlängerung bei vollem Lohnausgleich, offene Grenzen und gleiche Rechte für alle statt zunehmenden Rassismus und die Enteignung der Kriegsprofiteure und Blockade von Waffenlieferungen statt Kriegsvorbereitung. Nur so kann der AfD ihr Nährboden entzogen werden. 

Parallel dazu braucht es Versammlungen in den Unis und Schulen, die ebenfalls über die Erhaltung des Lebensstandards und den effektiven Kampf gegen Merz und die AfD an der Seite der Arbeiter:innen diskutieren und ebenfalls Kampfpläne entwickeln. Nur auf Grundlage der Unabhängigkeit von Staat und Bossen können wir die extreme Rechte schlagen. Wir wollen alle, die sich konsequent den Angriffen der kommenden Regierung und der extremen Rechten entgegenstellen wollen, dazu einladen, eine Kraft aufzubauen, die den Plänen der Rechten und der Kapitalist:innen den Kampf ansagen kann.

Mehr zum Thema