Engels, die Frauen der Arbeiter:innenklasse und der sozialistische Feminismus

28.11.2020, Lesezeit 25 Min.
Übersetzung:
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Montage: Marito Ce.

An seinem 200. Geburtstag sind die Ideen, die Friedrich Engels - oft gemeinsam mit Karl Marx - entwickelte, immer noch hochaktuell. Auch für feministische Diskussionen lohnt sich der Blick zurück auf das Werk Engels'.

Immer noch tief betroffen vom Tod seines Freundes, begann Engels 1883 damit, Stapel von Briefen, Manuskripten und Notizen zu sichten, die im Haus von Marx in der Maitland Park Road in London unvollendet geblieben waren. Dort findet er zwischen Haufen von Papieren eine Reihe von Notizen, die auf der Lektüre des Werkes des amerikanischen Anthropologen Lewis Henry Morgan basierten, dessen letztes Buch Ancient Society (dt. Die Urgesellschaft) einige Jahre zuvor erschienen war. Die beiden hatten sich über dieses Thema ziemlich viel ausgetauscht, und Engels war sehr daran interessiert, einige Ideen zu diesem Thema zu systematisieren. Auf der Grundlage der ethnologischen Notizen von Marx entwickelt Engels eine historische und materialistische Analyse gesellschaftlicher Organisationen, insbesondere über die Veränderungen in den Formen der Verwandtschaft, der patriarchalen Familie, der Institution der Ehe und der Monogamie. Sein Buch Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates wurde 1884 erstmals veröffentlicht und gilt seither als Schlüsselwerk des sozialistischen Feminismus.

Wir werden später auf diesen Text zurückkommen, um auf einige seiner grundlegenden Beiträge sowie auf einige der Kontroversen hinzuweisen, die er nach wie vor auslöst. Doch zuvor ist es notwendig, sich das allgemeinere Panorama vor Augen zu führen, in dem die ersten Formulierungen von Marx und Engels über die Emanzipation der Frau erschienen.

Engels schrieb über die Situation der doppelten Unterdrückung, in der sich die Frauen der Arbeiter:innenklasse befanden, zum ersten Mal in einem Text von 1845, Die Lage der arbeitenden Klasse in England. Mit diesem Werk versuchte er, den Leser:innen ein wirkliches Verständnis für das Leben der englischen Arbeiter:innenklasse, ihre Arbeitsbedingungen, die Überbevölkerung in den Städten und ihre großen Nöte so nahe wie möglich zu bringen. Denn sie stellten für ihn eine Grundlage für die Entstehung verschiedener sozialistischer Strömungen, vom utopischen Sozialismus bis zum Kommunismus, dar. Engels war damals 24 Jahre alt, und dieses Buch stellt, wie er in der Einleitung zur deutschen Ausgabe von 1892 erklärt, nur eine embryonale Phase des wissenschaftlichen Sozialismus dar, die sich in den folgenden Jahren als Ergebnis seiner gemeinsamen Arbeit mit Marx entwickeln wird. Der Anfang des Buches ist eine wunderbare visuelle Metapher für die kapitalistische Gesellschaft. Engels erzählt von dem Schock, den man spürt, wenn man nach London einreist und die Themse hinauffährt. Der Reisende ist geblendet von der imposanten Stadt, der Anzahl der Gebäude, der Boote, all den Zeichen einer blühenden Zivilisation. Als er jedoch hinabsteigt und durch die engen Gassen geht, die zu den „niedrigen“ Vierteln führen, beginnt er zu verstehen:

…diese Londoner [mußten] das beste Teil ihrer Menschheit aufopfern […], um alle die Wunder der Zivilisation zu vollbringen, von denen ihre Stadt wimmelt, daß hundert Kräfte, die in ihnen schlummerten, untätig blieben und unterdrückt wurden, damit einige wenige sich voller entwickeln und durch die Vereinigung mit denen anderer multipliziert werden konnten.1

Engels‘ Worte weisen auf die brutalen Ungleichheiten hin, die durch den Kapitalismus verursacht werden, wo jedes „Wunder der Zivilisation“ auf der Zerstörung eines Großteils derselben Gesellschaft – diejenigen, die nichts haben, die Proletarier:innen –, aufgebaut ist. Engels‘ Blick dringt weiter in die Arbeiter:innenviertel vor, um schmutzige und enge Straßen, ungeheizte Wohnungen und Lebensmittelknappheit zu entdecken. Und dann verweist er besonders auf die arbeitenden Frauen, die in den Textilwerkstätten in der Mehrheit sind, die wie ihre männlichen Kollegen 10- oder 12-Stunden-Tage arbeiten, aber niedrigere Löhne erhalten, die in Krisenzeiten als erste entlassen werden und die nach ihrer Heimkehr Kochen, Putzen und Kinderbetreuung übernehmen müssen. Und obwohl wir hier noch keine Theorie über die Rolle der Frauen der Arbeiter:innenklasse in der kapitalistischen Gesellschaft finden, weist Engels immer wieder auf ein gesellschaftliches Phänomen hin, das insbesondere Frauen betrifft. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung, behauptet er, zersetzt die Familie der Arbeiter:innenklasse und macht ihre Existenzbedingungen unmöglich:

So macht die soziale Ordnung dem Arbeiter das Familienleben fast unmöglich; ein unwohnliches, schmutziges Haus, das kaum zum nächtlichen Obdach gut genug, schlecht möbliert und oft nicht regendicht und nicht geheizt ist, eine dumpfige Atmosphäre im menschengefüllten Zimmer erlaubt keine Häuslichkeit; der Mann arbeitet den ganzen Tag, vielleicht auch die Frau und die älteren Kinder, alle an verschiedenen Orten, sehen sich nur morgens und abends – dazu die stete Versuchung zum Branntweintrinken; wo kann dabei das Familienleben existieren? Dennoch kann der Arbeiter der Familie nicht entrinnen, er muß in der Familie leben, und die Folge davon sind fortwährende Familienzerrüttungen und häusliche Zwiste, die sowohl auf die Eheleute wie namentlich auf ihre Kinder im höchsten Grade demoralisierend wirken.2

Die Textilfabriken beschäftigen Frauen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren, und es gibt dort auch eine große Zahl von Kindern. Engels weist darauf hin, dass die Arbeiterinnen „oft schon drei bis vier Tage nach der Niederkunft wieder in die Fabrik“ zurückkehren und während ihrer Freizeit von der Arbeit nach Hause laufen, um das Neugeborene zu füttern. Wenn sie 12 oder 13 Stunden in den Fabriken verbringen, werden die Kinder in der Obhut eines Familienmitglieds oder Nachbarn zurückgelassen, oder sie laufen barfuß durch die Gegend. Arbeitsplätze sind auch häufig Schauplatz sexuellen Missbrauchs, da „die Fabrikdienstbarkeit wie jede andre, und noch mehr, dem Brotherrn das Jus primae noctis Recht der ersten Nacht erteilt.“3
Aus diesem Grund, so Engels, löst „[d]ie Beschäftigung der Frau in der Fabrik […] die Familie notwendig gänzlich auf, und diese Auflösung hat in dem heutigen Zustande der Gesellschaft, der auf der Familie beruht, die demoralisierendsten Folgen, sowohl für die Eheleute wie für die Kinder.“ Die heutige Gesellschaft basiert auf der Familie, aber gleichzeitig zersetzt sie diese und macht ihre Existenzbedingungen unmöglich. Dieser explosive Widerspruch kennzeichnet die Lebens- und Kampfbedingungen der arbeitenden Frauen und der gesamten Arbeiter:innenklasse. Diese Idee, die noch in den Kinderschuhen steckt, wird später von Marx und Engels wieder aufgegriffen werden.

Beide werden auf die Frage zurückkommen und einige Definitionen zur Notwendigkeit des Kampfes für die Emanzipation der Frau, eine Analyse des historischen Ursprungs der Unterdrückung und eine radikale Kritik an der patriarchalen Familie vorbringen. In Die Heilige Familie greifen sie die Ideen des utopischen Sozialisten Fourier wieder auf: „Die Veränderung einer geschichtlichen Epoche läßt sich immer aus dem Verhältnis des Fortschritts der Frauen zur Freiheit bestimmen, weil hier im Verhältnis des Weibes zum Mann, des Schwachen zum Starken, der Sieg der menschlichen Natur über die Brutalität am evidentesten erscheint. Der Grad der weiblichen Emanzipation ist das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation.“ Viele utopische Sozialist:innen hatten sich zuvor mit der Frauenunterdrückung befasst und Ideen zu ihrer Überwindung ausgetauscht. Aus dieser Tradition heraus wurden Themen wie die Notwendigkeit, die Hausarbeit zu vergesellschaften, die Monogamie zu beenden und die freie Liebe zu entwickeln, bis hin zu der Notwendigkeit, die Architektur von Einfamilienhäusern neu zu organisieren und Pläne für kleine Gemeinschaftsgesellschaften zu entwerfen, behandelt. Diese Umrisse waren jedoch diffus, als Teil eines vorwissenschaftlichen Sozialismus; sie sagten weder klar aus, wie diese Ziele erreicht werden sollten, noch welche gesellschaftliche Kraft sie verwirklichen konnte. Die Erfahrungen der owenitischen Kommunen in den USA brachten keinen Erfolg, obwohl, wie Engels in einem späteren Werk betonte, die utopischen Sozialist:innen mit ihren Schriften die Saat für die Vorstellung der zukünftigen kommunistischen Gesellschaft säten.4

Flora Tristán, eine Pionierin des sozialistischen Feminismus, nimmt eine Übergangsposition zwischen diesem utopischen Sozialismus und dem wissenschaftlichen Sozialismus ein. In ihrem Buch Die Arbeiterunion (1843) schaffte sie es, einen Vorschlag für die soziale und politische Organisation der Arbeiter:innenklasse zu skizzieren, und befasste sich zum ersten Mal mit dem Verhältnis von Klasse und Geschlecht: Das dritte Kapitel des Buches ist ganz den Frauen gewidmet, die sie „die letzten Sklavinnen“ der französischen Gesellschaft nannte. In ihrem Buch spricht sie die Arbeiter:innen an und weist darauf hin, dass es nicht möglich ist, ein Projekt der menschlichen Emanzipation ohne die Berücksichtigung der Frauen durchzusetzen.5
Marx und Engels ihrerseits greifen im Kommunistischen Manifest die Idee wieder auf, dass der Kapitalismus dazu tendiert, traditionelle Familienbande in der Arbeiter:innenklasse zu zerstören, indem er Frauen und Kinder massiv in die Lohnarbeit eingliedert und die Mitglieder der Arbeiter:innenfamilie in der Ausbeutung gleichstellt. Aber gleichzeitig prangern sie die „Doppelmoral“ der Bourgeoisie an: Während den Kommunist:innen vorgeworfen wurde, die „Weibergemeinschaft“ errichten zu wollen, übte in Wirklichkeit die Bourgeoisie sie durch Ehebruch (sozial nur für Männer zugelassen) oder durch Prostitution aus und betrachtete Frauen als ihr Eigentum.

Obwohl es im Kapital mehrere Verweise auf die Arbeit von Frauen gibt – sowohl in Bezug auf die Zusammensetzung der industriellen Reservearmee als auch auf die brutale Ausbeutung der Arbeit von Frauen und Kindern –, wird die systematischere Analyse der Institution Familie und der Ursachen der Unterdrückung von Frauen von Engels, wie wir erwähnt haben, in Der Ursprung der Familie… entwickelt.

​Familie, weibliche Arbeit und Kommunismus

Trotz der Grenzen, die dieses Werk haben mag – weil Morgans Studien inzwischen überholt sind oder wegen einer gewissen schematischen Sicht der historischen Perioden –, ist Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates nach wie vor eine grundlegende Referenz. Dies gilt in erster Linie insofern, als das Werk den Ursprung der Frauenunterdrückung historisch verortet und zeigt, dass sie nicht immer existierte und nicht von der Natur gegeben ist, sondern historisch und gesellschaftlich bedingt ist. In diesem Punkt polemisierte Engels auch mit den Arbeiten anderer sozialistischer Theoretiker wie Bebel6 und Kautsky, die kurz zuvor Arbeiten zu diesem Thema veröffentlicht hatten und der Meinung waren, dass die Unterordnung der Frau bis zu den Anfängen menschlicher Gesellschaften zurückverfolgt werden könne, als sei sie etwas, das schon immer vorhanden gewesen sei. Engels vertrat die Ansicht, dass dies nicht der Fall sei, sondern dass es egalitärere primitivere Gesellschaften oder sogar Gesellschaften auf der Grundlage des Mutterrechts gegeben habe, und er versuchte, diese Historizität hervorzuheben.

Engels stellt eine Beziehung her zwischen der Entstehung des Privateigentums, der Klassenteilung der Gesellschaft und der Herausbildung einer familiären Institution, in der Frauen untergeordnet sind. Durch die Einführung von Ehe und Monogamie werden Frauen und Kinder zum „Privateigentum des Mannes„. In diesem Sinne argumentiert er:

Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und bloßes Werkzeug der Kinderzeugung. […] Um die Treue der Frau, also die Vaterschaft der Kinder, sicherzustellen, wird die Frau der Gewalt des Mannes unbedingt überliefert: Wenn er sie tötet, so übt er nur sein Recht aus.

Andererseits gibt es im Vorwort der ersten Ausgabe eine wichtige Passage, die die Beziehung zwischen Produktion und Reproduktion als die Achse aufzeigt, von der aus über die Frage der Familie und die Rolle der Frau in der Gesellschaft nachgedacht werden kann:

Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie.7

Dieses Fragment ist mehrfach zitiert und auch von verschiedenen theoretischen Positionen aus in Frage gestellt worden. Tatsächlich gab es noch zu Lebzeiten Engels‘ eine Debatte zwischen denen, die den Kampf für die Emanzipation der Frauen als eine grundlegende Frage des sozialistischen Programms verteidigten, und einigen konservativeren Sektoren innerhalb der sozialdemokratischen Parteien, die dies nicht akzeptieren wollten.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Im Oktober 1886, während des Kongresses der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Gotha, hielt Clara Zetkin eine wichtige Rede zur Frage der arbeitenden Frauen und des Sozialismus. Dort erklärte sie, dass der Kampf für die Emanzipation der Frauen mit dem Kampf für den Sozialismus verbunden sei und dass es wichtig sei, die sozialistische Agitation unter den Frauen hervorzuheben und ihre gewerkschaftliche Organisation zu fördern. Die Rede wurde von einem englischen Sozialisten, Belfort Bax, der für seine frauenfeindlichen Positionen bekannt war, heftig angefochten.8 Als Autoritätsargument versuchte Bax, dem, was Zetkin sagte, die Positionen von Engels entgegenzusetzen.

Es war Eleanor Marx, die jüngste Tochter von Karl Marx, die Engels persönlich sehr nahe stand, die öffentlich auf Bax antwortete und bekräftigte, dass die Positionen von Engels und Zetkin miteinander verwandt seien. Die Antwort ist im Übrigen sehr interessant, weil sie gerade die Frage der Hausarbeit und der Doppelbelastung für arbeitende Frauen betont. Zunächst weist sie darauf hin, dass es in England rund 4,5 Millionen erwerbstätige Frauen gibt, in Frankreich 3,7 Millionen, in Italien 3,5 Millionen, in Deutschland über 5, in Österreich-Ungarn 3,5, also über 20 Millionen erwerbstätige Frauen in den wichtigsten europäischen Staaten, die in vielen Fällen die Haupternährerinnen für ältere Menschen, Kinder oder arbeitslose Ehemänner sind. Dann weist sie darauf hin, dass zwar viele Aufgaben, die früher im Haushalt erledigt wurden auf gesellschaftliche Arbeit in der Produktion umgestellt wurden, dass aber privat im Haushalt noch viel Arbeit zu erledigen ist. In Bezug auf die Kontroverse weist sie darauf hin:

Aber neben dieser Fabrik und anderen Lohnarbeiten müssen die Frauen auch ihre Hausarbeit erledigen. Ich weiß, dass Belfort Bax oder andere, die seiner Meinung sind, darauf hinweisen können, dass der kapitalistische Industrialismus die Frauen von vielen wichtigen Funktionen befreit hat, die einst die Aufgaben einerHausfrauwaren; dass sie nicht mehr Socken stricken, Wäsche nähen usw. müssen; und dass die anderen Funktionen des Hausesauf ein Minimum reduziertwurden; dennoch gibt es einige Aufgaben im Haushalt, die noch zu erledigen sind, wie Putzen, Waschen, Kochen usw. Der Kapitalismus hat die Maschinerie des Putzens noch nicht erfunden, und gleichzeitig hat er den arbeitslosen Ehemann nicht in einem solchen Maße „domestiziert“, dass er sich um Haus und Kinder kümmern und so seine Frau von einem Teil ihrer Last befreien könnte. Ja, Genosse Belfort Bax, Clara Zetkin hatte jedes Recht, mit Engels zu sagen, dass die Frau „Proletarierinim Haushalt“ ist. Sie hätte eher sagen sollen, dass die Frau unter unserem kapitalistischen Regime einedoppelte Proletarierinist – sie hat zwei Arten von Arbeit, die Arbeit einer Produzentin in der Fabrik und die Arbeit einer Hausfrau und Mutter im Haushalt. Einerseits werden ihre Muskeln und ihr Blut für den unmittelbaren Nutzen des Kapitalisten ausgegeben, andererseits fürseinenzukünftigen Nutzen – um eine neue Generation von Proletariern zu unterstützen und zu ernähren. Arbeit dort, Arbeit hier!9

Wie wir sehen können, ist die Antwort von Eleanor Marx, die sich direkt auf Engels bezieht, eindringlich. Von nun an werden sie und Clara Zetkin und andere sozialdemokratische Anführerinnen sich darauf konzentrieren, arbeitende Frauen zu organisieren und für soziale und politische Rechte für alle Frauen zu kämpfen, während sie weiterhin die Doppelbelastung der Arbeit im Haushalt ins Visier nehmen. Jahrzehnte später wird die Erfahrung der russischen Revolution in diesem Sinne eine große gesellschaftliche Erfahrung sein, die es erlaubt, einige grundlegende Maßnahmen zu konkretisieren: die Legalisierung von Abtreibung und Scheidung, die Anerkennung außerehelich geborener Kinder, gleiche Bezahlung für Frauen sowie die Schaffung von Kindertagesstätten, Suppenküchen, Krippen und Waschküchen, um Schritte zur Vergesellschaftung der Hausarbeit zu unternehmen. Die anschließenden Rückschritte in diesem Bereich, insbesondere in den 1930er Jahren, waren Teil einer internen Konterrevolution, die eine repressive Diktatur als Staatsform stärkte und mit Stalin an der Spitze eine reaktionäre Ideologie wiederbelebte, die Frauen als „Hüterinnen des Hauses“ in die traditionelle Familie einordnete. Die spätere Politik der Kommunistischen Parteien, den Kampf der Frauen vom Kampf der Arbeiter:innenklasse zu „trennen“, als wäre er eine „zweitrangige“ Frage, entspringt nicht einem frühen Missverständnis dieser Frage in den frühen Texten des Marxismus, sondern eher einer konservativen Revision des Marxismus zur Rechtfertigung bürokratischer Positionen und einer ökonomistischen Interpretation von Klassenfragen.

​Patriarchat, Produktion und Reproduktion

Mit der zweiten Welle der feministischen Bewegung in den späten 1960er und 1970er Jahren tauchen andere Debatten über Engels‘ Werk wieder auf. Einerseits heben radikalfeministische Autorinnen wie Shulamith Firestone und Kate Millett hervor, wie das Werk den Weg öffnet, um die Institution Familie zu entnaturalisieren und die Unterdrückung der Frau als gesellschaftliches Phänomen zu begreifen. Aber gleichzeitig kritisieren sie den historischen Materialismus im Allgemeinen, als ob er „Ökonomismus“ wäre. Shulamith Firestone10 geht so weit zu argumentieren, dass ein neuer historischer Materialismus auf der Grundlage des Kampfes geschlechtlicher Klassen entwickelt werden müsse. Die Autorin diskutiert gegen eine ökonomistische Version des Marxismus, die sie jedoch umdreht, um den Schwerpunkt auf die Frage der Sexualität zu legen. Indem sie die Bedeutung der materiellen und ökonomischen Phänomene der gesellschaftlichen Beziehungen auslöscht oder verringert, gelangt sie zu einer idealistischen Konzeption, bei der die Möglichkeit von Veränderungen auf kulturelle Umwälzungen beschränkt ist. Auf derselben Grundlage entwickeln sich in den folgenden Jahren in der radikalfeministischen Bewegung separatistische Tendenzen, die auf reaktionäre Weise jedem gemeinsamen Kampf von verschiedenen unterdrückten Sektoren entgegenstehen.

Von einer ganz anderen Position aus ist darauf hingewiesen worden, dass das Werk von Engels und insbesondere die schon zitierte Passage aus Der Ursprung der Familie…11 als eine Quelle späterer Fehler angesehen werden kann, da sie die Produktionsebene übermäßig von der Sphäre der Reproduktion des Lebens trennt. Diese Idee, dass Engels „dualistisch“ die Sphäre der Produktion von der Sphäre der Reproduktion trennt, wird von der marxistischen Feministin Lise Vogel in ihrem Buch Marxismus und Frauenunterdrückung (1983, dt. 2019) aufgeworfen. Die Kritik wird in jüngerer Zeit von verschiedenen Autor:innen aufgegriffen, die eine von ihnen als Theorie der sozialen Reproduktion definierte Konzeption entwickeln, wie z.B. Sue Ferguson. Für Ferguson12 habe Engels‘ Text, obwohl er fundamentale Beiträge zum sozialistischen Feminismus leistet, einen „Samen“ gesät, aus dem heraus später Teile der Sozialdemokratie und der Kommunistischen Parteien die Idee vertreten hätten, dass der „besondere“ Kampf der Frauen vom Kampf der Arbeiter:innenklasse getrennt werden könnte oder sogar auf die Zeit nach der Revolution „verschoben“ werden sollte.

Meiner Ansicht nach weist die Bedeutung dieser oft zitierten Passage jedoch nicht auf eine solche Trennung hin. Im Gegenteil stellt sie eine Beziehung zwischen beiden Sphären her, und das ist, wie Ariane Díaz betont, gerade das Neue an Engels‘ Analyse, indem sie das Problem der Frauenunterdrückung auf die theoretische Ebene der gesellschaftlichen Produktion stellt, d.h. auf die Achse der Überlegungen des Marxismus“.13 Und indem die Unterdrückung der Frau in Beziehung zu gesellschaftlichen Phänomenen, Produktion und Reproduktion gesetzt wird, wird diese Frage von jeder biologischen Bestimmung befreit, die die untergeordnete Stellung der Frau naturalisiert.

Wir haben nicht die Absicht, hier die ganze reichhaltige Debatte über die soziale Reproduktion zu bearbeiten, die in den letzten Jahren wiederbelebt wurde und für die wir diesen, diesen und diesen Artikel empfehlen. Hier weisen wir nur darauf hin, dass „das Verständnis der Beziehung zwischen Reproduktion und Produktion – und das Aufzeigen der Unterordnung der Ersteren unter die Letztere im Kapitalismus – von grundlegender Bedeutung ist, um eine Strategie des Kampfes zu artikulieren“, und zwar aus einer sozialistisch-feministischen Perspektive.14

Es stimmt, dass eine systematischere Theoretisierung aus dem Marxismus über die Hausarbeit von Frauen in der Familie erst im Rahmen der Debatten des Feminismus der zweiten Welle in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts entstand, als innerhalb der Frauenbewegung unterschiedliche theoretische Positionen und politische Strategien aufeinandertrafen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Marxismus dieser Frage nicht schon früher Bedeutung beigemessen hätte, geschweige denn, dass man der Meinung gewesen sei, dass der Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen auf die Durchsetzung demokratischer Forderungen und eine egalitärere Eingliederung in den Arbeitsmarkt beschränkt wäre, um ihre wirtschaftliche Abhängigkeit zu beseitigen. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Dies waren grundlegende Fragen, aber auch der Kampf um die Vergesellschaftung der Hausarbeit, denn Frauen waren auch „Proletarierinnen im Haus“. Und insgesamt waren all diese Kämpfe mit einer sozialistischen Strategie zur Überwindung des Kapitalismus verbunden.15

Engels selbst bemerkte diese Perspektive in einem Brief aus dem Jahr 1885: „Eine wirkliche Gleichberechtigung von Frau und Mann kann nach meiner Überzeugung erst eine Wahrheit werden, wenn die Ausbeutung beider durch das Kapital beseitigt und die private Hausarbeit in eine öffentliche Industrie verwandelt ist.“16

Um auf sein Vermächtnis für den sozialistischen Feminismus zurückzukommen, ist es wichtig, die Schärfe der Kritik an der patriarchalen Familie und der Institution der Ehe hervorzuheben, die auch heute noch eine große Kraft haben. Einerseits angesichts des Anwachsens konservativer Positionen, die in der Krise von Neoliberalismus und Kapitalismus die Rolle der traditionellen (patriarchalen) Familie unkritisch aufwerten wollen. Engels erinnert uns daran, dass es an dieser Institution nichts „Natürliches“ gibt und sie auch keine „Oase“ mitten im Sturm ist, sondern dass sie auf ökonomischer Abhängigkeit beruht, von hierarchischen Beziehungen durchzogen ist und gesellschaftliche Widersprüche in ihr reproduziert. Geschlechtsspezifische Gewalt kann kaum außerhalb der Konturen dieser patriarchalen Institution und der Idee des „Besitzes“ von Frauen durch ihre Ehemänner verstanden werden. Gleichzeitig verschlechtert der Kapitalismus, wie wir oben dargelegt haben, die Existenzbedingungen der arbeitenden Familie – Millionen wird sogar das Recht auf eine Wohnung oder einen Arbeitsplatz verweigert –, während er sie als eine der Grundlagen dieser Gesellschaft aufrechterhält. Dies erzeugt erschütternde Widersprüche.

Aus Engels‘ Sicht werden Frauen die patriarchale Unterdrückung erst dann überwinden können, wenn Familie und Ehe nicht mehr als Einheiten zwingender ökonomischer Abhängigkeit existieren, wenn reproduktive Arbeit vergesellschaftet wird und wenn selbst Pflege und Erziehung der Kinder […] öffentliche Angelegenheit“ sind. Vergessen wir nicht, dass zur Zeit, als Engels schrieb, in einem Großteil der Welt Frauen immer noch Kinder zu Hause erziehen, dass es keine weit verbreitete allgemeine öffentliche Bildung und keine Kindergärten gab. Nur die Frauen der Bourgeoisie konnten sich durch die schlecht bezahlte Arbeit der Frauen der Arbeiter:innenklasse vollständig von einem Teil der Arbeit der Kinderbetreuung befreien. Trotz aller historischer Unterschiede ist diese Frage heute immer noch voll und ganz gültig, wenn man die Verschlechterung des Bildungswesens und der öffentlichen Gesundheit betrachtet, die von den kapitalistischen Regierungen durchgesetzt wurde, wo es keine kostenlosen Kindergärten oder Kinderkrippen gibt, die von den ersten Monaten an die Betreuung der Kinder garantieren. In jüngster Zeit sehen wir die dreifache Last, die viele berufstätige Frauen in Zeiten der Pandemie bei der virtuellen Ausbildung ihrer Kinder tragen müssen.

Engels‘ Kritik an den gesellschaftlichen Mechanismen, die die emotionalen und sexuellen Beziehungen zwischen Menschen regulieren und einschränken, ermöglicht schließlich die Vorbereitung einer Gesellschaft, in der diese Hindernisse überwunden werden. Befreiung der persönlichen Beziehungen von den Beschränkungen einer Gesellschaft, die von Privateigentum und der Ausbeutung eines großen Teils der Menschheit beherrscht wird, so dass Liebe, Sexualität und Freundschaft auf neuen Grundlagen wiedergeboren werden können.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch am 21. November 2020 bei Contrapunto, der Sonntagsausgabe von IzquierdaDiario.es.

Fußnoten

1.Friedrich Engels, Die Lage der arbeitenden Klasse in England, 1845.

2. Ebd.

3. Ebd.

4. Friedrich Engels, Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, 1880.

5. Vgl. Andrea D’Atri, Brot und Rosen. Geschlecht und Klasse im Kapitalismus, Argument 2019.

6.Bebels Buch Die Frau und der Sozialismus wurde zuerst in Leipzig heimlich gedruckt und zirkulierte mehrere Jahre lang unter der Zensur antisozialistischer Gesetze illegal. Bis 1895 wurde es in Deutschland 25 Mal nachgedruckt und erschien in Englisch, Französisch, Russisch, Italienisch, Schwedisch, Dänisch, Polnisch, Flämisch, Griechisch, Bulgarisch, Rumänisch, Ungarisch und Tschechisch. Es hatte offensichtlich eine große Wirkung. Nach der Veröffentlichung von Engels‘ Buch überarbeitet Bebel seine eigene Arbeit und bezieht Engels‘ Hinweise auf Morgan mit ein.

7. Friedrich Engels, Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates, 1884; Ders., Vorwort zur Erstausgabe.

8. Einige Zeit später schrieb Bax als Antwort auf Stuart Mills Pamphlet The Subjection of Women (1869, dt. Die Hörigkeit der Frau) einen Text mit dem provokativen Titel The Legal Subjection of Men (1908), der alle möglichen Aussagen gegen die Frauenbewegung enthielt und in dem er behauptete, dass sie es seien, die in der Ehe „Privilegien“ genießen.

9. Eleanor Marx, The Proletarian in the Home, 1896. Eigene Übersetzung.

10. Shulamith Firestone, The Dialectic of Sex: The Case for Feminist Revolution, 1970, dt. Frauenbefreiung und sexuelle Revolution, 1975.

11. „Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art…“

12. Sue Ferguson, Women and work, Pluto Press.

13. Ariane Díaz, „El marxismo y la opresión de la mujer“, Ideas de Izquierda, 2017.

14. Josefina L. Martínez, Cynthia Luz Burgueño, Patriarcado y capitalismo. Feminismo, clase y diversidad, Akal 2019.

15. Cynthia Lub, Josefina L. Martínez, „Mujeres, revolución y socialismo (revisitando la relación entre marxismo y feminismo)“, 2020.

16. Friedrich Engels, Brief an Gertrud Guillaume-Schack, 5. Juli 1885. In: MEW Band 36.

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