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Wie kämpfen wir gegen patriarchale Gewalt?

05.05.2020, Lesezeit 20 Min.
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In der Krise verstärkt sich auch die patriarchale Gewalt. Welche Antwort muss der Feminismus geben, um beide zu überwinden?

Bild: Aktivistinnen von Brot und Rosen Argentinien am Internationalen Frauenkampftag 2017 in La Plata, von Catalina Medrano und Joaquín Díaz Reck

Es sind überwiegend Frauen, die in Krankenhäusern 12-Stunden-Schichten leisten, die im Einzelhandel die Versorgung der Bevölkerung gewährleisten, die bei geschlossenen Schulen und Kitas die Kinderbetreuung übernehmen und Zuhause unbezahlte Reproduktionsarbeit leisten. Es sind auch Frauen, die stärker als ohnehin jetzt Gewalt durch ihre Partner/Ehemänner ausgesetzt sind – das Hilfetelefon gegen Gewalt an Frauen meldete im April einen Anstieg der Anrufe von 17,5 Prozent. Doch auch mit einer Lockerung der Ausgangsbeschränkungen wird sich die Situation nicht lösen: Denn durch die Folgen von Corona droht eine enorme Weltwirschaftskrise – in solchen Ausnahmesituationen steigt auch die Feminizidrate.

In der breiten Öffentlichkeit werden diese Themen diskutiert – also eine große Chance für die feministische Bewegung, die sich in den letzten Jahren in einem Aufschwung befand. Doch die feministische Szene bleibt – über die Anprangerung der Situation hinaus – überraschend stumm und schlägt kaum ein weitergehendes Programm vor. Warum?

Bürgerlich-liberale Feministinnen feiern Merkels Krisenmanagement und stellen sich damit in den Dienst der nationalen Einheit. Die Vorstellung, die Probleme von Frauen einfach erst nach der Krise zu lösen (“wir halten durch”, #zusammenhalten), ist absurd. Und hat historisch noch nie funktioniert. Die Coronakrise ist der Beginn einer Änderung der Weltsituation. Die kommende Wirtschaftskrise wird ähnliche Auswirkungen wie die von 1929 haben, Nationalstaaten schotten sich ab, die Arbeitslosigkeit steigt ins Immense, allein in den USA haben sich in den letzten Wochen 26 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet.

Vor Kurzem erschien ein von linken feministischen Zusammenschlüssen aus der ganzen Welt unterschriebenes “Transnationales Feministisches Manifest”. Bekannte linke feministische Intellektuelle wie Cinzia Arruzza oder Tithi Bhattacharya, die schon das “Manifest für einen Feminismus für die 99%” verfasst hatten, unterstützen diesen neuen Aufruf. Dort prangern sie korrekt an, dass “die kapitalistische Antwort auf diese Krise überall auf der Welt derselben Logik [folgt]: sie stellt die Interessen des Kapitals über unsere Gesundheit, indem sie die tatsächlichen Kosten dieser Krise auf uns abwälzt und dauerhafte Effekte hervorbringt.” Doch über die Analyse dieser Antwort hinaus bieten sie keinerlei Strategie, “um gemeinsam aus der Krise herauszukommen und das System zu verändern”, wie der Untertitel des Manifests eigentlich lautet.

Wir erlauben uns an dieser Stelle ein ausführliches Zitat:

„Ausgehend von unseren unterschiedlichen materiellen Bedingungen, unserer Pluralität von Sprachen, unserer Heterogenität von Praxen und unserer Komplexität von Diskursen sind wir entschlossen, unsere Kämpfe, Widerstandspraxen und Formen der Solidarität zu erhalten, zu stärken und miteinander zu verbinden.

So wie jene, die auf globaler Ebene spontan entstehen und die für die Wiederbelebung unserer künftigen Initiative von zentraler Bedeutung ist. Was uns der weltweite feministische Streik in diesen vier Jahren gelehrt hat, ist, dass wir zusammen und vereint mehr Kraft haben, gegen die patriarchale und repressive „Normalität“ zu rebellieren. Wir müssen jetzt mehr denn je unsere Millionen Stimmen in die gleiche Richtung lenken, um die Zersplitterung zu vermeiden, die uns die Pandemie auferlegt. Im Moment können wir die Straßen nicht mit unserer feministischen Macht durchfluten, aber wir werden weiterhin unsere ganze Wut gegen die Gewalt eines Systems herausschreien, das uns ausbeutet, unterdrückt und tötet und werden die Schuldigen benennen. Damit wir unseren Platz in der ersten Reihe in noch größerer Anzahl wieder einnehmen werden können.

Wir werden diesen Prozess der Grenzen durchkreuzenden feministischen Befreiung, den wir kollektiv und weiträumig gestalten, nicht unterbrechen. Wir werden weiterhin für jenes Leben kämpfen, das wir uns wünschen und von dem wir träumen.

Wir rufen alle, die patriarchale Gewalt, Ausbeutung, Rassismus und Kolonialismus ablehnen, dazu auf, sich zu engagieren und sich uns anzuschließen, damit der weltweite feministische Kampf bereichert und gestärkt wird. Denn vereint überstehen wir nicht nur die Pandemie, sondern können alles ändern.“

Besonders der letzte Satz sticht ins Auge: Vereint können wir alles ändern. Wer ist wir? Mit wem sollen wir uns vereinen? Und was ist dann der Weg, um alles zu ändern? Wie Andrea D’Atri in ihrem Artikel “Feminismus und Coronavirus: Was ist jetzt zu tun?” argumentiert, müssen wir die Veränderung der Kräfteverhältnisse, um zu einer Gesellschaft frei von Unterdrückung und Ausbeutung zu kommen, gegen Hindernisse und Gegner*innen durchsetzen – und dazu müssen wir nicht nur Staat und Kapital, sondern auch ihre Agent*innen in den Reihen unserer Klasse und der sozialen Bewegungen bekämpfen: die Bürokratien und die reformistischen Parteien, die uns mit dem Staat versöhnen wollen.

Für uns ist es keine Option, die Krise auszusitzen und darauf zu warten, dass der Gender Pay Gap, Altersarmut, unbezahlte Mehrbelastung im Haushalt, Vergewaltigungen und Feminizide von alleine verschwinden. Als Feminist*innen muss unser Ziel sein, die Grundlage all dieser Unterdrückung zu beseitigen. Um das erfolgreich tun zu können, müssen wir auch verstehen, gegen was wir kämpfen.

Was ist patriarchale Gewalt?

Gewalt gegen Frauen beginnt nicht mit der Situation, nach der das Hilfetelefon angerufen wird oder das Frauenhaus aufgesucht wird. Diese physische und psychische Gewalt – der Frauen in der Coronakrise noch stärker als ohnehin ausgesetzt sind, da ein nahezu kompletter Rückzug in die eigene Wohnung stattfindet und somit Hilfsstrukturen und Möglichkeiten, der Situation zu entkommen, minimiert werden – sind Teil eines Systems aus sexistischer Unterdrückung.

Um zu verstehen, wie patriarchale Gewalt funktioniert, sprechen wir von einer Kette der Gewalt: “Die Gewalt finden wir nicht nur im Frauenmord. Er ist nur das letzte Glied in einer Kette der Gewalt, die aus dem Lächerlichmachen, dem Verdacht und der Kontrolle, der Einschüchterung, der Verurteilung der Sexualität und der Verhaltensweisen, die sich nicht der heterosexuellen Norm anpassen, besteht. Eine Kette der Gewalt, die sich in der Abwertung der Körper, die nicht den klassischen Schönheitsmodellen entsprechen, zeigt, ebenso wie im Abtreibungsverbot durch den Staat, der Vergewaltigung, dem sexualisierten Missbrauch und den Schlägen. Sie besteht aber auch aus der Gewalt durch die Kapitalist*innen: durch die Prekarisierung, durch das Outsourcing, durch die doppelte Bürde in Lohnarbeit und Haushalt und durch die Arbeitskrankheiten. Die Gewalt wird ausgeübt von den Kapitalist*innen und ihrem Staat, aber auch von Männern, die sich in diesem Moment zu Agenten des Kapitals in unseren Reihen machen.”

Die strukturelle Verankerung patriarchaler Gewalt im Kapitalismus manifestiert sich in etablierten soziokulturellen Normen, wie Frauen sich verhalten sollten, und “verschleiert, dass es sich nicht um eine pathologische individuelle und spezifische Handlung im privaten Bereich handelt, sondern um ein weiteres Glied in der Kette der strukturierenden Gewalt der Klassengesellschaften gegen Frauen vom Altertum bis heute. Eine Gewalt, die – auch wenn sie naturalisiert und verschleiert wird – im öffentlichen Bereich entsteht, aufrechterhalten, gerechtfertigt und reproduziert wird. Durch die herrschenden Klassen, ihren Staat und seine Institutionen, ihre Repressivkräfte, die Schule, die Kirche und die Medien.”

Im bürgerlichen Gerichtssystem ist es nur möglich, einen einzelnen Täter für eine einzelne konkrete Tat anzuklagen. Es ist unmöglich, das Patriarchat anzuklagen – obwohl die Kontinuität der eigenen, sowie der Erfahrungen anderer Frauen, Gesetze, Norm- und Wertevorstellungen etc. sich zu dem strukturellen Charakter von sexistischer Unterdrückung vereinigen. Durch die einzelne Anklage einzelner Taten werden diese aus dem strukturellen Kontext gerissen und so zu individuellen, unpolitischen Taten gemacht.

Die Reduzierung auf die individuelle Beziehung zwischen einzelnen Frauen und Männern und die konkreten Taten in diesen Beziehungen lassen das System außer Acht. Ohne den strukturellen Charakter dieser Taten zu begreifen – und damit die Notwendigkeit einer strategischen Antwort im Kampf gegen den patriarchalen Kapitalismus –, rückt der Kampf gegen die Ursachen von Sexismus in unbestimmte Ferne. Was bleibt, ist ein ungewinnbarer Kampf gegen jede einzelne Tat – was zu Ohnmacht von denen führt, die kämpfen wollen.

Alles, was bleibt, ist eine unendliche Summe von Strafen ohne Verringerung oder Beseitigung von Unterdrückung und Gewalt.

Die Gegenreaktion auf die staatliche Herangehensweise, nur den individuellen Mann und seine konkrete Tat zu verurteilen und den Täter als “über die Stränge schlagend” oder “von der Norm abweichend” zu behandeln, ist die Herangehensweise, alle Männer als (potenzielle) Täter zu sehen. Dadurch, dass die Logik des individuellen Täters als abweichend dazu führt, dass der strukturelle Charakter von Sexismus nicht thematisiert und somit auch nicht bekämpft werden kann, wird dagegen von einigen Feminist*innen argumentiert, dass es eine “männliche Natur” gibt, die zu Gewalt gegen Frauen führt.

Bestrafung und Separatismus

Doch aus dieser Logik folgt nichts anderes als ein separatistischer Feminismus. Denn wenn die Beziehung zwischen Männern und Frauen als ein Feld der primären Unterdrückung mittels sexualisierter Gewalt strukturiert ist, als Unterdrückung einer bestimmten Frau durch einen bestimmten Mann, führt diese Sichtweise “ zur Ohnmacht in Bezug auf die Transformation dieser Unterordnungssituation – es sei denn, man versucht, einen Krieg der Hälfte der Menschheit gegen die andere Hälfte zu führen, was nur in aufwändigen dystopischen Fantasien auftritt. Es ist eine Art reduktionistischer Essentialismus, der am Ende die Frage des sozialen Systems, den Kampf gegen Ausbeutung, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Imperialismus und die ganze Reihe von Unterdrückungen, die der patriarchale Kapitalismus ebenfalls für seine Herrschaft nutzt, beiseite lässt.”

Paradoxerweise fällt dieser separatistische Ausweg aus der staatlichen Bestrafung aufgrund seiner Auswegslosigkeit wieder auf die staatliche Logik zurück und “weist schließlich auf eine Strategie hin, die sich auf die Forderung nach staatlicher Intervention zur Regulierung, Einschränkung, Bestrafung und Repression dieser Unterwerfung konzentriert, die (individuelle) Männer (individuellen) Frauen in ihren zwischenmenschlichen Beziehungen aufzwingen.” Dieser Weg der Bestrafung, des “Punitivismus”, bleibt völlig machtlos, um die strukturellen und systemischen Wurzeln des Problems anzugehen. Das zeigt sich auch darin, dass die Zahl von Sexualverbrechen und Feminiziden, wie alle Statistiken zeigen, mit oder ohne Gesetze zur Einschränkung und Bestrafung von Gewalt gegen Frauen nicht sinken.

In der Logik der Bestrafung ergibt sich, dass alle Frauen eine Gemeinsamkeit haben: Sie alle sind (potenzielle) Opfer. In dieser Viktimisierung sind sie scheinbar miteinander verbunden und werden homogenisiert. Sororidad und Sisterhood zeigen diese scheinbare Gemeinsamkeit – die einen zentralen Unterschied jedoch unsichtbar macht: Frauen bilden keine homogene Gruppe, sondern stehen sich in ihren Klassenzugehörigkeiten diametral gegenüber.

Hieraus ergibt sich auch die scheinbare Notwendigkeit, sich seperat als Betroffene von Sexismus zu organisieren – ohne die Menschen, die Seite an Seite mit uns für die Durchsetzung feministischer Forderungen kämpfen könnten. Denn wenn es in Männern/Männlichkeit an sich etwas gibt, das zu Gewalt gegen Frauen veranlasst, kann es kein gemeinsames Bündnis mit diesen geben. Männlichkeit getrennt vom Kapitalismus und Klassengesellschaften zu sehen, bedient einen Gegensatz, der nur der herrschenden Ideologie dient: Männer vs. Frauen ist ein Konstrukt, um die gemeinsamen Interessen der Arbeiter*innen zu verschleiern und Trennlinien aufzumachen, wo sie nicht verlaufen müssen.

So wird der feministische Kampf geschwächt, denn um erfolgreich zu sein, bräuchte es eben diese Bündnisse der unterdrückten und ausgebeuteten Mehrheit.

Die Vorstellung, dass es für patriarchale Gewalt individuelle Lösungen geben kann, in dem der individuelle Täter bestraft wird, zeigt sich auch in der Empowerment-Strategie. Hierbei ist es die Aufgabe jeder einzelnen unterdrückten Person, sich selbst zu ermächtigen zur Integration in ein System voller Abscheulichkeit. So bleibt von Analysen des Systems und Willen zur Veränderung am Ende doch nur die Forderung nach mehr Repräsentation und mehr Geldern für diskriminierungssensible Bildungsprojekte.

Dagegen setzen wir mit Brot und Rosen auf einen Kampf gegen die Opferrolle, wie wir in unserem Internationalen Manifest schreiben:

Wir Frauen von Brot und Rosen wollen nicht die ohnmächtigen Opfer sein, die dieses System gerne hätte. Wir entscheiden uns für einen produktiven Hass auf die verfaulte soziale Ordnung, die uns zu Opfern macht – uns, wie Millionen weiterer Menschen auf dem gesamten Planeten. Es ist kein privater, subjektiver Hass, der uns antreibt. Es ist der soziale Hass, der im Laufe der Geschichte schon immer den Aufstand der Sklav*innen entzündet hat, wie ein „Funke“.

Uns bleibt nicht nur ewiger Widerstand

Solange sich die Forderungen auf “Gerechtigkeit” und “Bestrafung” beschränken, gibt es keine Lösung für patriarchale Gewalt. So sind Frauen dazu verdammt, ewigen Widerstand zu leisten, ohne die Beseitigung der Gewalt erreichen zu können – denn sie kämpfen für Gerechtigkeit, ohne die Ursachen der Ungerechtigkeit zu bekämpfen.

Diese Herangehensweise an patriarchale Gewalt zeugt von einer Skepsis, dass der feministische Kampf über Schadensbegrenzung hinausgehen kann – und das Patriarchat wirklich besiegt werden kann.

Die vergangenen Jahrzehnte sind geprägt von Niederlagen der revolutionären Bewegungen. Mit der Degeneration und dem Niedergang der Sowjetunion wurde das Narrativ geschaffen, dass der Sozialismus im besten Fall eine nette Idee, aber keineswegs ein realistisches Ziel sei. Der Neoliberalismus verschleiert die kapitalistische Herrschaft unter einer Rhetorik der Selbstverwirklichung, Individualisierung, einem Ende der Klassen und der Geschichte. So wird argumentiert, dass der Kapitalismus zwar nicht gut, aber das bestmögliche sei und revolutionäre Theorie und Praxis der Vergangenheit angehöre.

Doch seit der Krise 2008/9 haben wir mehrere Zyklen des Klassenkampfes erlebt. Der aktuelle Zyklus begann 2018 mit den Gelbwesten und drückte sich 2019 in Aufständen und Rebellionen in Ländern auf dem ganzen Globus aus. Und auch wenn die Corona-Krise vorerst zu einer Pause dieser Rebellionen geführt hat, sind schon jetzt die Anzeichen einer Wiederaufnahme des Kampfes zu spüren: Arbeiter*innen bei McDonalds verteilen Essen an die, die es brauchen, Arbeiter*innen der Druckerei Madygraf produzieren unter Arbeiter*innenkontrolle Desinfektionsmittel, bei Voith in Sonthofen ist die gesamte Belegschaft im unbefristeten Streik und sagt, “das Management kann gehen, das Werk bleibt”.

Dass die Perspektive einer Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung – der Kommunismus – aus dem Vorstellungshorizont so vieler Menschen verschwand, ist auch das Resultat der Verfälschung und Beschmutzung dieser Perspektive durch den Stalinismus in seinen verschiedenen Varianten. Auch die Vorstellung, dass Marxist*innen sich für den Kampf gegen Unterdrückung nicht interessieren, ist Resultat dessen, was “real existierender Sozialismus” genannt wird, in der Realität aber eine degenierte Form sozialistischer Ideen darstellt, sowie der antikommunistischen Hetze der kapitalistischen Großmächte.

In der ersten Zeit nach der Oktoberrevolution wurde das Recht auf Scheidung für Frauen eingeführt, Homosexualität legalisiert und das Recht auf Abtreibung umgesetzt. Eine Politik, von der viele 2020 behaupten, sie sei utopisch. Nach der Machtübernahme durch den Stalinismus wurden diese Errungenschaften jedoch wieder rückgängig gemacht, und als höchstes Ziel für Frauen galt erneut die Mutterrolle. Mit der Aufhebung der demokratischen Verwaltung der Sowjetunion ging auch der Rückgang emanzipatorischer Rollen- und Familienbilder einher. In der heutigen Praxis stalinistischer Organisationen drückt sich diese Vorstellung in einer Beschränkung auf ökonomische oder gewerkschaftliche Kämpfe aus – der Kampf gegen Unterdrückung wird auf irgendwann später nach der Revolution verschoben.

Wie wir zu Beginn dieses Artikels diskutiert haben, ist es für eine Perspektive der Überwindung der Krise – und erst recht für eine Perspektive der Überwindung einer Gesellschaft, die auf Ausbeutung und Unterdrückung basiert – notwendig, eine klare Vorstellung unserer Gegner*innen zu haben. Denn wir befinden uns “inmitten eines Kampfes, auf den in naher Zukunft größere folgen werden. Ob wir in den Kämpfen von morgen mit genügend Kräften auf unserer Seite rechnen können, um als Sieger*innen aus ihnen hervorzugehen, hängt davon ab, ob wir es heute schaffen, sie aufbauen.”

Unser Feind sind nicht die Männer, sondern der Kapitalismus, welcher die Trennung in Geschlechter aufrecht erhält, um uns auszubeuten, uns klein zu halten und uns vorzulügen, wir könnten nicht gemeinsam kämpfen. Der Staat setzt diese Ideologie mit repressiven Gesetzen, wie dem Abtreibungsverbot, durch. Doch wir sind nicht dazu verdammt, ewigen Widerstand zu leisten. Keine gesellschaftlichen Strukturen, keine zwischenmenschlichen Beziehungen entstehen aus einem vermeintlichen menschlichen „Wesen“ oder irgendeiner Natur. Sie sind veränderlich. Das heißt auch: Patriarchat und Kapitalismus können wirklich gestürzt werden. “Die erste Voraussetzung dafür ist, die soziale und politische Kraft zu artikulieren, um das mit einer Strategie und revolutionären Zielen zu erreichen, und nicht mit Reformen dieses Systems und dieses patriarchalen kapitalistischen Staates.”

Eine Partei und eine Strategie für den Sieg

Die Partei, die wir aufbauen müssen, um den patriarchalen Kapitalismus zu stürzen, muss für das Ende der Unterdrückung kämpfen. Hierzu ist es zentral, dass auch unsere männlichen Kollegen und Genossen diesen Kampf als ihren begreifen und wir Seite an Seite kämpfen. Wie das konkret aussehen kann, haben die Arbeiter der Druckerei Donnelley in Argentinien gezeigt. Als eine Trans-Arbeiterin in dem Betrieb, in dem ansonsten nur männliche Kollegen gearbeitet haben, angefangen hat, haben die Arbeiter gegen den Widerstand des Bosses für eine eigene Umkleide und Toilette für ihre Kollegin gekämpft. Heute heißt Donnelley Madygraf – die Druckerei steht unter Arbeiter*innenkontrolle und hat in der Corona-Krise die Produktion auf Desinfektionsgel umgestellt.

Wir gehören nicht zu denen – wie die stalinistischen Strömungen –, für die das Proletariat kein Geschlecht hat. Wir müssen jetzt die sexistische und rassistische Unterdrückung bekämpfen, die auch von großen Teilen der Arbeiter*innenklasse reproduziert wird. Nur im Kampf gegen diese Spaltung können wir eine wirklich revolutionäre Perspektive aufwerfen. So interveniert Brot und Rosen auf der ganzen Welt in die Frauenbewegung mit einem Programm für die Einheit aller Arbeiter*innen, unabhängig vom Geschlecht.

Der Kampf gegen Sexismus und andere Unterdrückungsformen in unseren eigenen Reihen ist kein einfacher, aber ein notwendiger. Sich in Safe(r) Spaces zu organisieren ist angenehmer, aber kann nur in einer Niederlage enden, weil der Anspruch, die gesamte Welt radikal zu verändern, aufgegeben wird. Dem entgegen stellen wir den Aufbau von revolutionären Parteien auf der gesamten Welt. Eine Partei, die mit einem Programm gegen Unterdrückung interveniert, und für die Verbindung der feministischen und der Arbeiter*innenbewegung kämpft.

Das “Transnationale Feministische Manifest”, das wir zu Beginn zitiert haben, bleibt angesichts dieser Aufgabe stumm. Doch wenn wir tatsächlich verhindern wollen, dass die Kapitalist*innen die Krise erneut auf uns abladen; wenn wir “gemeinsam aus der Krise herauskommen und das System verändern” wollen, müssen wir die soziale und politische Kraft aufbauen, die notwendig ist, um die Spaltung der Klasse zu überwinden. Dazu können wir uns nicht auf die Anprangerung der schrecklichen Ungerechtigkeiten beschränken, sondern müssen die strategischen Positionen in Industrie, Logistik und Dienstleistungen besetzen, um das Funktionieren des Kapitalismus zu unterbrechen. Das impliziert auch einen Kampf gegen die Bürokratien in den Massenorganisationen der Arbeiter*innenklasse und der sozialen Bewegungen, die uns ein ums andere Mal mit den Interessen des Kapitals versöhnen wollen.

Nur so werden wir den patriarchalen Kapitalismus stürzen können. In den Worten von Andrea D’Atri:

Der antikapitalistische Feminismus kann sich nicht darauf beschränken, festzustellen, dass arbeitende Frauen zum ersten Mal in der Geschichte fast die Hälfte der Arbeiter*innenklasse ausmachen. Er kann sich auch nicht darauf beschränken, anzuprangern, dass Frauen Opfer der schlimmsten Arbeitsbedingungen, Löhne und patriarchalen Gewalt sind. Denn Frauen sind auch diejenigen, die heute „an vorderster Front“ stehen, diejenigen, die die Menschen der Welt aus den Fenstern beklatschen und „Heldinnen“ nennen. Diese Arbeiterinnen fangen an, ihren Kolleg*innen zu sagen, dass sie, um zu siegen, ihre Kräfte miteinander vereinen müssen. Es ist also an der Zeit, dass der antikapitalistische Feminismus die Aufgabe in die Hand nimmt, die Organisation dieser Sektoren aktiv zu fördern, mit einem unabhängigen Programm, das die Perspektive eröffnet, den Kapitalismus zu besiegen und eine neue sozialistische Ordnung durchzusetzen, in der Brot und Rosen reichlich vorhanden sind.

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