Wer waren die K-Gruppen? Kleine Geschichte des deutschen Maoismus (Teil 5)

27.01.2017, Lesezeit 5 Min.
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Nachdem wir uns mit dem Aufstieg der "K-Gruppen", der Revision des Marxismus und der Haltung zum deutschen Imperialismus auseinandergesetzt haben, widmet sich der vorletzte Teil der Artikelreihe dem Verschwinden der "K-Gruppen".

Teil 5: Verschwinden

Mit dem Tod Mao Tse-Tungs im September 1976 verloren die maoistischen Gruppen schnell jede Orientierung. Wir dürfen nicht vergessen, dass sie den Untergang des Sozialismus in der Sowjetunion am Tod der Person Stalin festgemacht hatten! Was sollte jetzt nach dem Tod Maos passieren?

Nach einem Jahr kam es schon zum Bruch zwischen der Volksrepublik China und ihrem kleinen Verbündeten Albanien. Der albanische Diktator Enver Hoxha löste sich formell vom Maoismus, woraus ein eigener Hoxhaismus hervorging. Die KPD/ML ging in diese Richtung: Bald hatte sie proklamiert, dass der Maoismus immer nur eine kleinbürgerliche Richtung gewesen sei. „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“

Die KPD/AO, der KBW und der KB lösten sich ab Anfang der 1980er in die Grünen auf. In Städten wie Hamburg oder West-Berlin waren die ersten grünen Strukturen von Maoist*innen dominiert. Auf diesem Weg sind unzählige maoistische Kader ins imperialistische Regime des deutschen Kapitals integriert worden.

Die KPD/ML fusionierte 1985 mit der rechtstrotzkistischen GIM zur “Vereinigten Sozialistischen Partei” (VSP). Dieser Versuch, mao-stalinistische und trotzkistische Ideen im Sinne einer „breiten Linken“ zu versöhnen, endete recht desaströs. Von den sechs K-Gruppen der 70er Jahre macht heute nur der KABD (unter dem Namen MLPD) weiter. Diese hat heute – das muss man auch anerkennen – von allen linksradikalen Organisationen in Deutschland die größte Basis in der Arbeiter*innenklasse.

Eine Bilanz

Der deutsche Maoismus hat kaum zur Entwicklung marxistischer Theorie beigetragen. Glaubt heute irgendein*e Marxist*in, die Sowjetunion wäre die gefährlichste faschistische Macht der damaligen Welt gewesen?

Aber auch auf politischem Gebiet sind kaum Errungenschaften übrig geblieben. Aus dem Maoismus heraus entstand kein Instrument, um die Kämpfe der Arbeiter*innen und Unterdrückten zu stärken – eher ein Instrument zum sozialen Aufstieg von linken Studis. Leute, die erst über den zweiten Bildungsweg ihr Abitur bekommen hatten, konnten dank ihrer Ausbildung als maoistische Kader in ganz hohe Posten im Staatsapparat aufsteigen. (13)

Immerhin: Die maoistischen Studis, die in die Fabriken gezogen sind, findet man manchmal immer noch, auch wenn sie langsam in Rente gehen. Diese aktiven Arbeiter*innen, die seit Jahrzehnten den Maoismus hinter sich gelassen haben, gehören zweifelsohne zum positiven Erbe dieser Bewegung.

Also warum war der Maoismus für westdeutsche Studis so anziehend? Anders gefragt: Warum war die antibürokratische und internationalistische Richtung des Marxismus – der Trotzkismus – weniger anziehend? Denn in Frankreich hat der Trotzkismus vom ’68er Aufstand am Meisten profitiert. Wir haben bereits geschrieben, dass die deutschen Trotzkist*innen wichtige subjektive Fehler gemacht haben, die sie im entscheidenden Moment unsichtbar machten.

Doch die Gründe für den maoistischen Erfolg waren vor allem objektiv. Beim Generalstreik im Mai 1968 in Frankreich haben zehn Millionen Arbeiter*innen das Land lahm gelegt. In der BRD dagegen gab es kaum Momente, in denen die Arbeiter*innenbewegung als politische Kraft auf die Bühne trat. Deswegen war es für studentische Aktivist*innen in Deutschland einfach, sich selbst als das wirklich revolutionäre Subjekt aufzubauen. Während eine Generation französischer Aktivist*innen daran ging, revolutionäre Organisationen in der Arbeiter*innenbewegung aufzubauen, konnten ihre deutschen Pendants sich problemlos selbst zur „Kommunistischen Partei“ ernennen, auch wenn sie praktisch „null Arbeiter“ bei sich hatten.

Der Maoismus zielt nicht auf die Selbstbefreiung der Arbeiter*innenklase – Maos Konzeption des Sozialismus geht davon aus, dass die arbeitenden Massen nur ein „Mitspracherecht“ haben, während eine monolithische Partei die politische Macht behält. Deswegen gab es in der Volksrepublik keine Strukturen der proletarischen Selbstorganisierung, wie die „Räte“ oder die „Sowjets“ in der russischen Revolution. Die deutschen Maoist*innen lehnten auch die Forderung nach Arbeiter*innenkontrolle der Produktion ab (sie nannten es „trotzkistisch“ – völlig zu Recht).

Der Maoismus präsentierte sich gern als die radikale Negation der Student*innenbewegung, die Ende der 60er Jahre nur noch als Scherbenhaufen da stand. Die elitäre Haltung gegenüber der Arbeiter*innenbewegung war jedoch die gleiche – man proklamierte sich schon zur Avantgarde der „Proleten“, bevor man mit ihnen ins Gespräch gekommen ist. Die maoistische Ideologie passt perfekt zum studentischen Subjektivismus. Denn in Maos Theorie ist jemand „proletarisch“, wenn er*sie die Ideen Maos gut findet – diese Person wird „bürgerlich“, wenn sie bei Mao in Ungnade fällt. Dieser Klassenbegriff ist losgelöst vom Verhältnis zu den Produktionsmitteln und von daher perfekt für die Selbststilisierung der vermeintlichen Jugendavantgarde. „Wir sind das Proletariat, weil wir die Mao-Bibel studiert haben!“ Wer braucht schon langwierige Arbeit zum Aufbau einer Kaderorganisation?

Der Maoismus ist also letztendlich ein Ausdruck von den reaktionären Bedingungen in der BRD in dieser Zeit sowie der Passivität der Arbeiter*innenbewegung. In Frankreich dagegen, wo die real existierende Arbeiter*innenklasse die Kampfesbühne betrat, wurde der Trotzkismus zum Bezugspunkt der radikalisierten Jugendbewegung. Denn das Programm des Trotzkismus bietet eine Alternative zur bürokratischen Herrschaft der Sowjetunion – aber genauso zur bürokratischen Herrschaft der Volksrepublik. Nach dem Untergang des deutschen Maoismus gilt es jetzt darum, eine Bilanz daraus zu ziehen und die ursprünglichen Thesen des Marxismus wieder zu erobern.

Im nächsten und letzten Teil veröffentlichen wir Erinnerungen über den Maoismus in Westberlin.

Fußnoten

(13) Gerd Kornen: Das rote Jahrzehnt: Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977. 2002. S. 425-426.

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