Tod von Franziskus: Ein Papst mit zwei Gesichtern im Dienste einer reaktionären Institution

Mit seinem Image als Papst der Armen, der die Messe in den Slums feiert, hat Bergoglio vor allem versucht, eine ultrareaktionäre Institution wiederzubeleben.
Am Montag, den 21. April, starb Kardinal Jorge Francisco Bergoglio, der im März 2013 zum Papst gewählt worden war, einen Tag nach dem Besuch von JD Vance, dem Vizepräsidenten der USA. Das Ereignis löste bei Millionen von Gläubigen, der internationalen Presse, aber auch bei einem Teil der französischen politischen Kaste insbesondere in der Linken, Betroffenheit aus. Diese Reaktion hängt mit dem Image von Papst Franziskus zusammen: Er ist ein Jesuit, ein Freund der Armen und Unterdrückten, der Progressivität und Treue zum katholischen Dogma miteinander verbunden hat. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu Johannes Paul II, einem antikommunistischen Papst, der den Fall der Berliner Mauer und die „Entsowjetisierung“ Osteuropas begleitete, oder zu Benedikt XVI, der dessen Werk fortsetzte.
Doch trotz des Bildes eines Papstes der Armen, der in den Slums der Welt die Messe feiert und die israelischen Verbrechen in Gaza anprangert, zielte Bergoglio vor allem darauf ab, eine reaktionäre Institution wiederzubeleben, was mit der Notwendigkeit für die Kirche zusammenhängt, den stetigen Verlust ihrer Gläubigenbasis, insbesondere in den von den westlichen Imperialismen beherrschten Ländern des Südens, aufzuhalten.
Ein progressives Image und progressive Inhalte als Deckmantel für die Verteidigung eines reaktionären Dogmas
In dem Bemühen, das Image der katholischen Kirche angesichts ihrer existenziellen Krise zu Beginn des Jahrhunderts aufzupolieren, baute Bergoglio sein Image als „Papst der Armen“ auf. Er selbst gab eine klare Definition seiner institutionellen Mission: „Wir müssen ein neues Gleichgewicht finden, sonst läuft auch das moralische Gebäude der Kirche Gefahr, wie ein Kartenhaus zusammenzufallen.“ Besuche bei Kindern im Krankenhaus, Fußwaschungen bei Häftlingen, Einladungen an Obdachlose, um seinen 80. Geburtstag zu feiern — Bergoglio behauptete, die Kirche in ein „Feldlazarett nach einer Schlacht“ zu verwandeln.
Als er die „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ anprangerte, reiste der Papst zum ersten Mal nach Lampedusa, wo er Geflüchtete besuchte, die das Mittelmeer überquert hatten. Im Jahr 2016 war das Geflüchtetenlager Lesbos an der Reihe, um ihn für einen weiteren medienwirksamen Besuch zu empfangen. Bergoglio machte sich jedoch auch einen Namen, indem er zu Themen Stellung bezog, die mit der Politisierung großer Teile der Jugend in Resonanz standen, wie Ökologie oder eine Form der Kapitalismuskritik, die im Rahmen der „Katholischen Soziallehre“ angesiedelt war und sich in der Praxis darauf beschränkte, die „Auswüchse“ dieses Systems anzuprangern, ohne dessen Grundlagen in Frage zu stellen1.
Diese Äußerungen haben einen Teil der extremen Rechten in Rage gebracht, deren Sprecher Philippe de Villiers sich erst heute Morgen wieder zu Wort meldete. Er lobte Bergoglios katholische Haltung und geißelte gleichzeitig seine vermeintliche Unterstützung für die „Islamisierung Europas“. Zuletzt hatte Bergoglio innerhalb der vatikanischen Institutionen eine kritische Linie gegenüber Israels genozidalem Krieg in Gaza vorgebracht. So zitierte er in einem im November in Italien veröffentlichten Buch „einige Experten“, denen zufolge „das, was in Gaza geschieht, die Merkmale eines Völkermords aufweist“. Der Papst rief dazu auf, die „verzweifelte humanitäre Situation“ im Gazastreifen nicht zu vergessen, und sprach häufig über den Nahen Osten, wobei er sich mit der kolonialen Situation abfand.
Diese Stellungnahmen haben Papst Franziskus natürlich nicht davon abgehalten, der Hüter eines reaktionären Dogmas zu bleiben, was besonders im Bereich der Geschlechterfrage deutlich wird. 2013 hatte Bergoglio auf einer Pressekonferenz folgende rhetorische Formel parat: „Wenn eine Person schwul ist und den Herrn mit gutem Willen sucht, wer bin ich, um über sie zu richten?“ Doch der schwach progressive Heiligenschein verdunkelte sich sehr schnell und wurde offen reaktionär. Der Papst verurteilte bald die „Wegwerfkultur“, deren zwei Seiten Abtreibung und Euthanasie seien, und lobte die „prophetische“ Entscheidung von Paul VI. im Jahr 1968, Verhütungsmittel wie die Pille zu verurteilen, wie Le Monde berichtete.
Während also die Presse in ihren Huldigungen an Papst Franziskus dessen Offenheit gegenüber homosexuellen Gläubigen ausgiebig gefeiert hat, ist die Realität weniger rosig. Der Papst verglich trans Personen mit „Atomwaffen“ und erklärte in einem Buch: „Denken wir auch an die genetische Manipulation, die Manipulation des Lebens oder die Gender-Theorie, die die Schöpfungsordnung nicht anerkennt. Mit dieser Haltung begeht der Mensch eine neue Sünde, gegen Gott, den Schöpfer“. Der Papst kritisierte damals die geschlechtsangleichende Maßnahmen und fand, dass „jungen Menschen geholfen werden muss, ihren eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er geschaffen wurde, denn der Gedanke, dass wir absolute Macht über unseren eigenen Körper haben, führt oft auf subtile Weise zu dem Glauben, dass wir absolute Macht über die Schöpfung haben.“
Die Sünde durch Unterlassung: Von der Komplizenschaft mit der argentinischen Diktatur zu den Missbrauchsskandalen der Kirche
Zu der Realität der Positionen des Papstes kommt die Geschichte seiner Rolle gegenüber der argentinischen Diktatur hinzu. Als Provinzial der Jesuiten während der Diktatur machte sich Bergoglio zum Komplizen des blutigsten Regimes in der argentinischen Geschichte, das unter dem Befehl von General Videla und Admiral Massera, die durch den Militärputsch im März 1976 an die Macht gekommen waren, mehr als 30.000 Aktivist:innen folterte und verschwinden ließ. Bevor er zum Leiter der Gesellschaft Jesu ernannt wurde, war Bergoglio in der Eisernen Garde, einer rechtsextremen peronistischen Organisation, aktiv. Er hatte sogar darum gebeten, dass Massera 1976 zum Ehrenmitglied der Universität von El Salvador ernannt wurde.
Bergoglio ließ nicht nur zu, dass die Diktatur jesuitische Priester aus seiner Kongregation entführte, sondern verschwieg auch das Verschwindenlassen und die Entführung der „Babys“ von politischen Gegnern. Als er 2010 im großen ESMA-Prozess (Escuela Superior de Mecánica de la Marina) als Zeuge geladen wurde, antwortete er der PTS-Aktivistin und Menschenrechtsanwältin Myriam Bregman verwirrend und behauptete, er habe erst Anfang der 2000er Jahre von den Entführungen erfahren, bevor er sich korrigierte und sagte, er habe schon seit 1980 davon gewusst. Briefe belegen jedoch, dass er in der Zeit der Diktatur in Bezug auf einige der verschwundenen Kinder „interveniert“ hatte. Als er 1998 Erzbischof von Buenos Aires wurde, weigerte er sich, Priestern die Amtsgeschäfte zu entziehen, die an „Todesflügen“ – politischen Hinrichtungen, bei denen die Verurteilten lebendig aus einem Flugzeug in den Ozean geworfen wurden – oder an Entführungen beteiligt waren, die von den Sicherheitsdiensten des Regimes organisiert worden waren.
Innerhalb der Kirche zögerte der zum Papst gewählte Kardinal nicht, Fernando Karadima oder Roberto Yanuzzi zu schützen, zwei Priester, die wegen schrecklicher Sexualverbrechen exkommuniziert wurden – eine äußerst seltene Strafe innerhalb der Kirche. In dem Versuch, den Skandal zu vertuschen, handelte er ihren Rückzug aus und ließ das Machtsystem, das sie aufgebaut hatten, intakt. Im Mai 2015 gab der Papst den Opfern von Karadima folgenden Rat: „Lasst euch nicht von den Linken manipulieren, denn sie haben die ganze Sache inszeniert. Seid nicht dumm. Öffnet euer Herz für das, was Gott sagt, und lasst euch nicht von diesem Unsinn einwickeln.“ Ein Skandal, der Bergoglio nicht davon abhielt, an der Seite von Karadimas Beschützer Juan Barros zu stehen, bevor die beteiligten chilenischen Bischöfe sowie Karadimas zurücktraten.
In Argentinien schützte er auch Priester wie Julio Grassi, Justo José Illaraz, Nicola Corradi, Horacio Corbacho, Héctor Giménez, Eduardo Lorenzo (der kurz vor seiner Verhaftung in einem Lokal von Cáritas in La Plata Selbstmord beging), Agustín Rosa Torino und Dutzende andere (einige Bischöfe), die durch kirchenrechtliche Untersuchungen gedeckt waren, die ihre Straffreiheit festschriebe, vehement. Der päpstliche Schutz kam beispielsweise Gustavo Zanchetta im Jahr 2015 zu gute, der zum Immobilienberater des Vatikans befördert und nach Anschuldigungen wegen sexueller Übergriffe eilends nach Rom zurückgebracht wurde. Diese Handlungen sollten die Kirche und die systemische sexualisierte Gewalt, die sie durch und durch durchzieht, schützen.
Eine reiche Kirche für die Reichen
Letztendlich haben Bergoglios Äußerungen über die Armen2, er träume von einer „armen Kirche für die Armen“, ihn nicht davon abgehalten, die Verhandlungen der verschiedenen argentinischen Regierungen mit dem IWF aktiv zu verfolgen, insbesondere bei den Treffen im Mai 2021, die von der Päpstlichen Akademie für Sozialwissenschaften des Vatikans organisiert wurden. An dieser haben von Joe Bidens Finanzministerin Janet Yellen und Weltbankdirektor Axel van Trotsenburg teilgenommen, und so beteiligte sich der Papst an der Schmiedung der abscheulichen Verschuldung, die das argentinische Volk erstickt, und trug aktiv zur Durchsetzung der Austeritätsagenda der peronistischen Regierungen beitrug.
Ebenso hat Bergoglio sein ganzes Leben lang für den Versuch gearbeitet, eine reiche und reaktionäre Institution zu reformieren und wiederzubeleben, was im Widerspruch zu den Werten steht, die er in seinen symbolträchtigen Reden verkündet hat3.
All diese Realitäten hindern uns nicht daran, den Schmerz der Millionen von Arbeiter:innen und Armen zu respektieren, die heute vor allem in Lateinamerika, Afrika und Asien im Rahmen eines religiösen Glaubens, den wir nicht teilen, um den Papst trauern. Aber als Marxist:innen, Materialist:innen und Atheist:innen kämpfen wir politisch und ideologisch gegen die von kirchlichen Institutionen verbreiteten religiösen Vorstellungen, deren Versprechen auf Erlösung und Seligkeiten im Jenseits dazu dienen, die Opfer von Kriegen, Elend und allen sozialen Verbrechen, die der Kapitalismus für uns bereithält, zu trösten, um sie erträglicher zu machen und Aufstände gegen Unterdrückung und Ausbeutung zu verhindern.
Ebenso können wir in Bezug auf den Papst nicht verschweigen, dass er sein Leben in einer reaktionären Institution verbracht hat, die er versucht hat, weiter zu öffnen, selbst auf die Gefahr hin, den Zorn der radikalsten fundamentalistischen Ränder der Kirche auf sich zu ziehen. Nun, da ein neues Konklave ansteht, ist zu befürchten, dass sein potenzieller Nachfolger sich stärker an den makabren Plänen der internationalen extremen Rechten und den aktuellen Militarisierungstendenzen orientieren wird.
Dieser Artikel erschien zunächst am 21. April in unserer französischen Schwesterzeitung Révolution Permanente.
Fußnoten
- 1. Auch wenn der Papst manchmal das durch den Kapitalismus verursachte Elend anprangerte und beispielsweise am Montag, den 16. Dezember 2024, urteilte, dass der Kapitalismus zu einer „unzivilisierten Wirtschaft“ werde und dass die „Finanzwelt kein Gesicht mehr hat“, dann nur, um einen „inklusiven Kapitalismus“ zu verteidigen, der auf „langfristigen, produktiven, nachhaltigen und sozial verantwortlichen Investitionen“ und nicht auf „kurzfristigen Gewinnen“ beruht. Eine Art theologische Lesart von Keynes, die auf „einer Erneuerung, Reinigung und Stärkung gültiger Wirtschaftsmodelle auf der Grundlage unserer persönlichen Bekehrung“ beruht und wenig mit einem echten Antikapitalismus zu tun hat.
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2.
Bergoglio wird häufig mit der Befreiungstheologie in Verbindung gebracht, doch in Wirklichkeit war er ein entschiedener Gegner dieser heterodoxen Strömung innerhalb des Katholizismus, die sich auf sozialistische Prinzipien stützte und danach strebte, die Kirche entschieden auf die Seite der Unterdrückten zu stellen – deren Prinzipien auf der Konferenz von Medellín 1968 in Kolumbien festgeschrieben wurden. Im Gegensatz zu dieser Theologie, von der ihr Haupttheoretiker Gustavo Gutiérrez sagte, sie müsse von der „Rückseite der Geschichte“ aus geschrieben werden, zielen Bergoglios Erklärungen vor allem darauf ab, ihre Radikalität zu deaktivieren und sie in einen vereinbarten Diskurs über Nächstenliebe zu verwandeln.
- 3. Der Vatikan ist in der Tat ein eigener Staat, ein sehr reicher noch dazu, dessen Kapital sich jedoch nicht auf Immobilienwerte beschränkt, sondern sich über die Vatikanbank, die in Hedgefonds investiert, die wiederum wahrscheinlich Anteile an Ölmultis und großen Rüstungskonzernen halten, die am Genozid in Gaza mitschuldig sind, auf ein breites Aktienportfolio erstreckt. Neben den Betrugs- und Geldwäscheskandalen in der jüngeren Geschichte des Vatikans hat der Papst auch hochriskante Spekulationspraktiken wie CDS-Verträge und andere Börsenwetten gebilligt.