War die Sowjetunion staatskapitalistisch?

22.04.2025, Lesezeit 50 Min.
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Sowjetisches Propagandaplakat zur Steigerung der Rüstungsproduktion: „Mehr Metall, Mehr Waffen“ (1941, Ausschnitt)

Der Marxist Tony Cliff analysierte Sowjetunion, DDR und Co. als „staatskapitalistisch“. Dazu musste er grundlegende Begriffe des Marxismus verzerren und stiftete dabei nichts als Verwirrung.

Der vorliegende Beitrag kann als Fortsetzung und Ergänzung des Artikels „Was war die Sowjetunion?“ betrachtet werden, in welchem ich die trotzkistische Theorie vom Charakter der UdSSR als einer Übergangsgesellschaft dargestellt habe, die aufgrund ihrer Isolation, Rückständigkeit und der daraus folgenden bürokratischen Degeneration, auf halbem Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus Schiffbruch erlitt.

Historiker:innen und Journalist:innen des bundesrepublikanischen Mainstreams passt es sehr gut, dass auch die Stalinist:innen die Sowjetunion und die DDR immer als „sozialistisch“ oder gar als „entwickelten Sozialismus“ bezeichnet haben. Indem sie die Machthaber:innen des Ostblocks in diesem – und in keinem anderen – Punkt beim Wort nehmen, können sie auch heute noch zuverlässig die Idee des Sozialismus, die Idee einer befreiten Gesellschaft nach dem Kapitalismus, wirksam verunglimpfen. Der Sozialismus wird so wahlweise als gescheiterte Utopie oder als totalitäre Machtphantasie einiger Irrer abgetan, immer jedoch als abgeschlossene Vergangenheit, die keinen Einfluss mehr auf die Geschichte nach dem Ende der Geschichte haben wird. Wir würden auf diese Verleumdungen der bürgerlichen Geschichtspolitiker:innen aller Couleur antworten: Nein, die Sowjetunion war nicht sozialistisch. Sie war eine Übergangsgesellschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus, in der aufgrund von Isolation und ökonomischer Rückständigkeit eine bürokratische Clique mit Stalin an ihrer Spitze die Arbeiter:innenklasse von der Staatsmacht verdrängt hat und anschließend die Planwirtschaft in ein Instrument für die Erhaltung ihrer Privilegien verwandelte. Manchen Linken reicht diese Abgrenzung aber nicht. Sie wollen, um die Ideen des Sozialismus möglichst rein zu halten, vom stalinistischen Sudel nicht einmal anerkennen, dass die Sowjetunion und die DDR immerhin Gesellschaften waren, in denen der Kapitalismus abgeschafft war, auch wenn sie sich nicht in Richtung Sozialismus entwickelten. Und weil diese Linke alles Schlechte in der Welt mit dem Kapitalismus identifizieren, wurde auch für die Sowjetunion und die DDR schnell der passende Begriff gefunden: Staatskapitalismus. Dieser Begriff hat den Vorteil, dass keiner so genau weiß, was er eigentlich bedeutet. So eignet er sich bis heute perfekt dazu, seine moralische Verurteilung der Verbrechen der sowjetischen Bürokratie im Allgemeinen und Stalins im Besonderen Nachdruck zu verleihen.

Einer dieser empörten Linken war der jüdisch-palästinensische Marxist Tony Cliff mit seiner Theorie vom „bürokratischen Staatskapitalismus“. Mit seinen Ideen stand Cliff nicht alleine. Seit der Oktoberrevolution hatte es bereits eine ganze Reihe linker Theoretiker:innen gegeben, die den Begriff des Staatskapitalismus in Bezug auf die UdSSR gebrauchten. Menschewist:innen wie Fyodor Dan, Anarchist:innen wie Emma Goldman und sogenannte „linke“ Kommunist:innen wie Amadeo Bordiga oder Anté Ciliga taten dies ebenfalls, allerdings meist ohne tiefere theoretische Begründung und in erster Linie mit dem Ziel der Verleumdung des Sowjetstaates.1 Im Gegensatz zu diesen Theoretiker:innen muss zu Cliffs Verteidigung gesagt werden, dass er sich außerordentlich viel Mühe gegeben hat, diesem nebulösen Begriff theoretische Substanz und eine Stütze im klassischen Marxismus zu verleihen. Das macht Cliff zum seriösesten Vertreter dieser Theorie und daher werden wir uns bei unserer Kritik auf seine Arbeiten konzentrieren. 

Cliff selbst stand in der Tradition Lenins und Trotzkis, war Mitglied der von Trotzki gegründeten IV. Internationale. Er sah die Notwendigkeit einer kritischen Überarbeitung der Theorie Trotzkis erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Erwartung der Theoretiker:innen der IV. Internationale auf einen Zusammenbruch des Kapitalismus und des Stalinismus nicht eintraten und es statt der Vollendung der Weltrevolution zu einer Periode des neuerlichen kapitalistischen Booms und gleichzeitig zu einer großen Ausweitung des Machtbereiches der stalinisierten Sowjetunion kam. Cliff kritisierte damals die Tendenzen der Führer der IV. Internationale Michel Pablo und Ernest Mandel, sich politisch zunehmend an die stalinistischen Bürokratien in Moskau, Belgrad und Peking anzupassen und die Perspektive der Weltrevolution in eine unbestimmte Zukunft zu verlegen. Mit seiner Theorie vom Staatskapitalismus wollte er den revolutionären Inhalt der Ideen Trotzkis wiederherstellen, um das „Wesen“ der Theorie Trotzkis zu retten, sei es allerdings nötig vom „Wort“ dieser Theorie abzuweichen.2 Er publizierte die Grundlagen seiner Theorie zum ersten Mal 1948 in „The Nature of Stalinist Russia“3 und finalisierte sie bis 1955 in Form des Buches „State Capitalism in Russia4 auf welches wir unsere Kritik in erster Linie stützen werden. 

Doch von dieser berechtigten Kritik an der Politik der Unterordnung der Trotzkist:innen unter die Führung der Moskauer Bürokratie, sprang Cliff zu dem Schluss, die Sowjetunion und die nach ihrem Vorbild aufgebauten Miniaturen in Osteuropa und Asien seien in Wirklichkeit staatskapitalistische Gesellschaften, im Kern also mit den USA oder Großbritannien eher vergleichbar als mit einem „gesunden“ Arbeiter:innenstaat. Marxist:innen müssten sich daher in der zunehmenden Konkurrenz der Blöcke neutral verhalten. Dieses „Dritte Lager“ bildeten sie unter ihrer bekanntesten Parole: „Weder Washington noch Moskau!“ So weigerten sie sich ab 1950, die antiimperialistischen Kräfte im Korea-Krieg gegen die USA zu unterstützen. Ihre Begründung: Bei diesem Krieg handle es sich um einen imperialistischen Stellvertreterkrieg zweier verfeindeter kapitalistischer Blöcke. Stattdessen bezogen sie öffentlich eine „neutrale“ Position. Der Rest der IV. Internationale vertrat dagegen die Position der bedingungslosen, wenn auch kritischen Unterstützung für den Norden und seine Verbündeten. Damit hatte Cliff den demokratischen Zentralismus der IV. Internationale verletzt und er und seine kleine britische Gruppe wurden ausgeschlossen. Anschließend bildeten sie ihre eigene Strömung, die „International Socialists“, die heute als „International Socialist Tendency“ (IST) bekannt ist. In Deutschland vertreten die Organisationen „Revolutionäre Linke“ und „Sozialismus von Unten“, die beide aus der Spaltung des Netzwerks „Marx21“ hervorgegangen sind, diese theoretische Tradition.

Für die theoretische Unterfütterung seiner Politik stützte Cliff sich auf eine eigenartige Lesart der marxistischen Klassiker, die jedoch zentrale Begrifflichkeiten wie nicht zuletzt „Kapitalismus“ verändern musste, um mit diesen undefinierten Begriffen die UdSSR erfolgreich „staatskapitalistisch“ nennen zu können. Verwendet man jedoch das marxistische Begriffsinstrumentarium ohne die cliffistische Deformation, das heißt in seiner ursprünglichen Bedeutung, dann fällt Cliffs ganzes Theoriegebäude in sich zusammen und hinterlässt am Ende nichts als große theoretische Verwirrung. Aber gerade auf einem so zentralen theoretischen Gebiet des Übergangs vom Kapitalismus zum Kommunismus können sich Marxist:innen eine solche Begriffsverwirrung nicht leisten, weil ohne größtmögliche Klarheit die Vermittlung marxistischer Ideen sehr erschwert wird. Gerade im Zeitalter jenseits des „Endes der Geschichte“, in dem die Mehrheit nicht länger davon ausgeht, dass eine solche Befreiung überhaupt möglich ist, ist diese theoretische Klarheit unverzichtbar. Zudem existieren mit Kuba und Nordkorea noch zwei, sehr unterschiedliche, Beispiele solcher Gesellschaften, was es für die kubanische und US-amerikanische, aber auch für die koreanische Linke heute umso mehr notwendig macht, eine eindeutige marxistische Analyse der Entwicklungstendenzen dieser Gesellschaften anzustellen.

Eine fragwürdige Methode

Tony Cliff bedient sich einer sehr fragwürdigen Analysemethode. Statt die soziale Wirklichkeit des stalinistischen Russlands für sich zu betrachten, sie in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit auseinanderzunehmen und alle entfalteten Elemente zu analysieren, stellt er der sowjetischen Gesellschaft schlicht das theoretische Ideal eines gesunden Arbeiter:innenstaates gegenüber. Dabei kann er aber weiter nichts über die sowjetische Gesellschaft aussagen, als dass sie offensichtlich nicht diesem abstrakten Ideal entsprach. Alle weiteren spezifischen Elemente dieser Gesellschaft bleiben unbestimmt. Das von ihm in den ersten beiden Kapiteln seines Buches zahlreich gesammelte Material ist deshalb nur hinreichend, um zu beweisen, dass es sich bei der UdSSR in der Tat nicht um eine sozialistische Gesellschaft gehandelt hat und auch um keine Gesellschaft, die sich in diese Richtung entwickelte. Trotzki selbst hatte vor dieser Methode bereits zu Lebzeiten gewarnt: 

In der Frage nach dem sozialen Charakter der UdSSR rühren die Fehler, die wir vorher dargelegt haben, gewöhnlich daher, daß die historische Tatsache durch die programmatische Norm ersetzt wird. Die konkrete Tatsache weicht von der Norm ab. Dies bedeutet aber nicht, daß sie die Norm umgestürzt hat; im Gegenteil, sie hat sie nochmals bestärkt, von der negativen Seite. Die Degenerierung des ersten Arbeiterstaates, die von uns festgestellt und erklärt wurde, hat nun einmal mehr anschaulich gezeigt, was ein Arbeiterstaat sein sollte, was er sein könnte und was er unter bestimmten historischen Bedingungen sein würde. Der Widerspruch zwischen der konkreten Tatsache und der Norm zwingt uns keineswegs, die Norm zu verwerfen, sondern im Gegenteil, auf dem revolutionären Weg für sie zu kämpfen.

Doch Cliff begreift diese dialektische Einheit von Wirklichkeit und Norm nicht, er schließt sofort nach seiner Erkenntnis vom nicht-sozialistischen Charakter der UdSSR darauf, dass sie dann kapitalistisch gewesen sein muss. Was für Trotzki noch eine „Verquickung einzelner Stadien, des Amalgams archaischer und neuzeitiger Formen“ gewesen ist,5 ist für die mechanistische Anschauung Cliffs eine reine entweder-oder-Frage. Dabei muss Cliff die marxistischen Begriffe krümmen und dehnen, um seine Theorie in sie hineinpressen zu können. 

Aufgrund dieser Methode ist es unmöglich, die cliffistische Theorie in Gänze darzustellen und zu kritisieren. Sie besteht nicht aus einem Ganzen, sondern aus einer Vielzahl von sich teilweise widersprechenden Definitionen und darauf aufgebauten Argumenten. Daher müssen wir notgedrungener Weise Schritt für Schritt vorgehen und jede einzelne Definition mitsamt des mit ihr gemachten Argumentes für sich betrachten und nacheinander kritisieren. 

Cliffs Begriffswirrwarr I: „Kapital“, „Kapitalismus“ und „Akkumulation“

Cliff möchte beweisen, dass die UdSSR bis 1928/29, das heißt bis zum Beginn des ersten Fünf-Jahres-Plans ein Arbeiter:innenstaat im Prozess der bürokratischen Degeneration war und ab da an, als eine neue staatskapitalistische Gesellschaft angesehen werden muss. Diese Wende ging laut Cliff einher mit der Wesensveränderung der sowjetischen Bürokratie, die zuvor eine unselbstständige Kaste im Arbeiter:innenstaat gewesen sei und die sich im Prozess der Industrialisierung zu einer neuen herrschenden Klasse verwandelt hätte. Er schreibt:

Die Tatsache, daß die Bürokratie den geschichtlichen Auftrag einer kapitalistischen Klasse erfüllt und im Verlauf dieses Prozesses selbst zur Klasse wird, macht sie zur reinsten Personifikation des Kapitals. Obgleich sie sich von der kapitalistischen Klasse unterscheidet, kommt sie doch deren historischem Wesen am nächsten. Die russische Bürokratie stellt auf der einen Seite eine partielle Negation der kapitalistischen Klasse dar, auf der anderen Seite repräsentiert sie die reinste Personifikation der historischen Mission dieser Klasse.6

Das Argument, welches Cliff hier ausbreitet, basiert auf Cliffs Grundannahme: „Das Spezifikum des Kapitalismus ist die Akkumulation um der Akkumulation willen mit dem Ziel, konkurrenzfähig zu bleiben.“7 Weil also die sowjetische Staatsbürokratie 1928/29 begonnen hätte in großem Stil „Kapital“ zu akkumulieren und weil sie damit die „historische Aufgabe“ der Bourgeoisie Russlands erfüllt hätte, hätte sie sich im Verlaufe dieses Prozesses zur „reinsten Personifikation des Kapitals“ verwandelt und damit zu einer kapitalistischen herrschenden Klasse.

Dieses Argument beinhaltet gleich drei Fehler. Erstens ist es keineswegs das „Spezifische“ am Kapitalismus, dass aufgrund eines Konkurrenzdrucks „Kapital“ akkumuliert wird. Tatsächlich kann das Wesen der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt nicht allein aus der bloßen Tatsache, dass die einzelnen Kapitale in Konkurrenz zueinander stehen, hergeleitet werden. Marx schrieb dazu in den „Grundrissen“: 

Die Konkurrenz exequiert die innren Gesetze des Kapitals; macht sie zu Zwangsgesetzen dem einzelnen Kapital gegenüber, aber sie erfindet sie nicht. Sie realisiert sie. Sie daher einfach aus der Konkurrenz erklären wollen, heißt zugeben, daß man sie nicht versteht.8

Mit anderen Worten: Cliff betrachtet die Frage falsch herum und geht hier von der Zirkulationssphäre als bestimmendem Element des Kapitalismus aus. Doch damit würde man den zweiten Band des Kapitals vor dem ersten lesen. Die Konkurrenz konstituiert die kapitalistische Produktionsweise nicht, die Konkurrenz entsteht, und kann nur entstehen, als Folge verallgemeinerter Warenproduktion, das heißt als Folge der Vorherrschaft des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Nur auf dieser Grundlage kommt die Konkurrenz unter den Verkäufern der Waren überhaupt zu Stande und nur auf dieser Grundlage können sich aufgehäufte Waren in Kapital verwandeln. Daraus ergibt sich zweitens auch, dass hier in Bezug auf die UdSSR missbräuchlich von „Kapital“ gesprochen wird, welches „akkumuliert“ werde. Kapital wird bei Marx wie folgt definiert:

Das Kapital besteht nicht nur aus Lebensmitteln, Arbeitsinstrumenten und Rohstoffen, nicht nur aus materiellen Produkten; es besteht ebensosehr aus Tauschwerten. Alle Produkte, woraus es besteht, sind Waren. Das Kapital ist also nicht nur eine Summe von materiellen Produkten, es ist eine Summe von Waren, von Tauschwerten, von gesellschaftlichen Größen. […] Das Kapital besteht nicht darin, daß aufgehäufte Arbeit der lebendigen Arbeit als Mittel zu neuer Produktion dient. Es besteht darin, daß die lebendige Arbeit der aufgehäuften Arbeit als Mittel dient, ihren Tauschwert zu erhalten und zu vermehren.9

In der UdSSR gab es jedoch keine nennenswerten „voneinander unabhängig betriebenen Privatarbeiten“10, deren Produkte Warenform hatten, das heißt die für den Verkauf auf Märkten bestimmt waren. Die Masse der Produktionsmittel befand sich in Staatshand und nahm niemals Warenform an. Auch der übergroße Teil ihrer Arbeitsprodukte nahm keine Warenform an, sie wurden zwischen den einzelnen Staatsbetrieben auf der Grundlage eines im Vorhinein festgelegten allgemeinen Produktionsplans ausgetauscht. Zwar überlebte in der Sphäre der Verteilung weiterhin die Warenform und zwar zwischen Staat und Endverbraucher und zwischen Kolchos und Staat, aber dies war ein dem Plan untergeordnetes Phänomen, die Warenproduktion war keineswegs verallgemeinert. Um diesem offensichtlichen Beweis für die Abwesenheit kapitalistischer Beziehungen in der UdSSR theoretisch nicht begegnen zu müssen, flüchtet sich Cliff in die luftigen Höhen der Zirkulation, ignoriert die grundlegenden Lehren aus dem ersten Band des Kapitals und gesellt sich damit zu den bürgerlichen Wirtschaftswissenschaftlern.

Drittens war die sowjetische Bürokratie überhaupt keine „Personifikation“ der Akkumulation, weder von Tausch- noch von Gebrauchswerten. Der dem Kapitalismus eigenartige Zwang zur Akkumulation von Kapital entspringt allein aus den konkreten Bedingungen verallgemeinerter Warenproduktion, dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und damit der Existenz von mehr als einem ökonomischen Akteur, das heißt mit der Existenz von Konkurrenz. Die sowjetische Bürokratie war nicht der „Tyrannei des Marktes“ ausgeliefert und sie fügte sich der „Tyrannei des Plans“ nur, weil sie ihre Führungsposition behaupten wollte, um damit ihre Privilegien zu erhalten. Mit anderen Worten: Die Aufrechterhaltung der privilegierten Stellung der Bürokratie, das heißt in der letzten Analyse ihre Konsumwünsche, und nicht die Notwendigkeit der Maximierung der Akkumulation von „Kapital“ waren die Triebfeder des bürokratischen Managements. Damit offenbart die Bürokratie ja gerade ihren parasitären Charakter, denn sie gerät zwangsläufig mit der inneren Logik der Planwirtschaft in Konflikt, weil letztere eine Maximierung des Outputs und dafür eine stetig aktualisierte Optimierung des Inputs benötigt.11

Cliffs Begriffswirrwarr II: „Wert“ und „Mehrwert“

Cliff spürt offensichtlich, dass dies nicht hinreicht, um den kapitalistischen Charakter der UdSSR nachzuweisen, daher erweitert er sein Argument noch um die Dimension des nun ausbeuterischen Charakters der Sowjetbürokratie, um so ihren Charakter als neue herrschende Klasse zu untermauern. Dafür müssen die Begriffe „Wert“ und „Mehrwert“ deformiert werden: 

Die uns vorliegenden Statistiken zeigen eindeutig, dass die Bürokratie in der Zeit vor dem Fünfjahresplan zwar eine privilegierte Stellung innehatte, aber keineswegs in den meisten Fällen Mehrwert aus der Arbeit anderer schöpfte. Ebenso eindeutig lässt sich sagen, dass seit Einführung der Fünfjahrespläne die Einkünfte der Bürokratie zu einem großen Teil aus Mehrwert bestanden.12

Der marxsche Begriff vom „Tauschwert“ (häufig synonym mit „Wert“ verwendet) ist eine Kategorie, die, wie „Kapital“ nur in Gesellschaften volle Gültigkeit besitzt, die auf voneinander unabhängig betriebenen Privatarbeiten basieren. Die Produkte dieser Arbeit erhalten ihren Tauschwert nur insofern sie als „Ware“ erscheinen, das heißt ausschließlich dann, wenn sie für den Austausch auf einem Markt bestimmt sind. „Mehrwert“ bezeichnet wiederum die Tauschwertdifferenz zwischen der produzierten Ware und der zur ihrer Produktion nötigen Arbeitskraft, die sich der Kapitalist als Profit aneignet. In der UdSSR existierten die Grundlagen für diesen kapitalistischen Austauschprozess nicht mehr. Die Privatproduzenten waren enteignet, die Produkte der Arbeit nahmen deshalb meistens einen direkt gesellschaftlichen Charakter an und mussten nicht zunächst den Umweg über das Waren-Dasein nehmen. Demzufolge existierte auch keine Ausbeutung im kapitalistischen Sinne des Wortes mehr. Der Staat erhielt keinen „Mehrwert“, weil er die Arbeitskraft des Arbeiters nicht kaufte, mit dem Ziel, aus dem Produkt seiner Arbeit als Ware auf einem Markt Profit zu machen, sondern er erhielt ein konkret nützliches Produkt und war nur an diesem interessiert. Damit kann hier nur von einem „Mehrprodukt“ gesprochen werden, was sich die Bürokratie über ihren Zugang zum Staat kollektiv aneignete. Doch diese Eigenschaft, seinen Sold aus einem Teil des Mehrprodukts der Arbeit anderer zu bestreiten, teilt der sowjetische Bürokrat mit jedem anderen Beamten in der Geschichte, auch den Mandarinen des chinesischen Kaisers und sogar den Beamt:innen eines völlig gesunden Arbeiter:innenstaates, auch wenn diese bereits auf dem Weg sein würden, keine wirklichen Beamt:innen mehr zu sein. In der UdSSR fand dies auch nicht erst seit dem Beginn des ersten Fünf-Jahres-Plans 1928 statt, sondern war immer der Fall. Wie sollte denn auch sonst der Sold eines Staatsbeamten zu Stande kommen, wenn nicht aus einem Anteil des Produktes der Arbeit anderer? Ein solcher Beamte produziert schließlich nichts! Gewiss lässt sich sagen, dass mit dem ersten Fünf-Jahres-Plan der Anteil des Mehrprodukts, welches sich die Bürokratie zuschusterte, relativ zu den Arbeiter:innen stark anstieg, doch ist dies aufgrund der genannten Gründe in keiner Weise ein Argument für den Charakter der Bürokratie als eigenständiger kapitalistischer Klasse. 

Der Sold, den die Bürokratie aus dem Staatshaushalt erhielt, wurde zudem nur zum Erwerb von Konsumgütern und Luxusgütern verwendet, nicht aber zur Investition. Der Bürokrat trat niemals als Kapitalist auf, das Geld in seinen Händen verwandelte sich nicht in Kapital und sein Hunger nach Mehrprodukt endete an seinen Magenwänden. Er war viel eher vergleichbar mit einem feudalen Schmarotzer als mit einem Bourgeois. Die bürokratischen Privilegien waren überdies für den Großteil der Geschichte der „realsozialistischen“ Länder strikt an die Position gebunden, die der Bürokrat in der Staatsmaschinerie besetzte und äußerten sich beispielsweise in speziellen Kaufhäusern für die Bürokratie, in denen es mehr zu kaufen gab, staatlich gestellten besseren Wohnraum, einem Dienstwagen oder ähnlichem. Verlor der Bürokrat seine Position oder starb er, verloren er und seine Familie alle seine Privilegien und mussten wieder arbeiten gehen, ganz ähnlich wie heute Privilegien in den Bürokratien von Staat und Gewerkschaft organisiert werden. Es gab keine bzw. nur sehr stark eingeschränkte Möglichkeiten selbstständig schatzbildend tätig zu werden. Signifikanter persönlicher Reichtum konnte unter diesen Bedingungen nicht angehäuft werden und lieferte ohne den privilegierten Zugang zu Luxusgütern, der an die Position im Staat gebunden blieb sowieso keine Vorteile, weil es nichts gab, was sich mit dem Geld hätte kaufen lassen, vor allem keine Produktionsmittel, die waren schließlich alle in Staatshand. Darüber hinaus vermochte der Bürokrat, anders als zum Beispiel der mittelalterliche Bischof, sein Amt in der Regel nicht zu vererben. Bürokrat:innendynastien, wie man sie aus dem späten Römischen Reich und frühen byzantinischen Reich kennt, als der Staatsapparat bereits allmählich feudale Züge annahm, waren den allermeisten stalinistischen Regimen unbekannt. Stalins Kinder, bei denen man noch am ehesten davon ausgehen könnte, dass sie von der geradezu unbeschränkten Macht ihres Vaters profitieren hätten können, waren völlig unbedeutende Persönlichkeiten. Trotzki wies in „Verratene Revolution“ bereits auf die tiefere Bedeutung dieser Tatsache hin: 

Die Privilegien sind nur halb soviel wert, wenn man sie nicht den Kindern vermachen kann. Doch das Vererbungsrecht ist vom Eigentumsrecht nicht zu trennen. Es genügt nicht, Direktor eines Trusts zu sein, man muss Teilhaber sein. Ein Sieg der Bürokratie auf diesem entscheidenden Gebiet würde bedeuten, dass sie sich in eine neue besitzende Klasse verwandelt hat.13

Tatsächlich blieben Tendenzen zur Vetternwirtschaft und Pseudo-Vererbung unter Stalin allgemein schwach und die Bürokratie war so homogen wie danach nie wieder, weil Stalin immer wieder den Apparat säubern ließ. Selbstverständlich erkennt man mit stärkerer Degeneration der Apparatherrschaft starke zunehmende Tendenzen hin zu individueller Korruption und dies wuchs sich innerhalb der Bürokratie gegen Ende der 70er Jahre in vielen Staaten des Ostblocks immer sichtbarer und schädlicher aus. Nordkorea oder Rumänien sind gute Beispiele hierfür, die tatsächlich eine (instabile) Form der Vererbung praktiziert haben bzw. noch immer praktizieren. Nicht unerheblich für die Beschleunigung dieses Prozesses waren dabei die Wirtschaftsreformen der 60er Jahre, die das Einkommen des Bürokraten an eine objektive Messung der wirtschaftlichen Leistung knüpften. Die Reformen waren eingeführt worden, um Probleme wie niedrige Arbeitsproduktivität, Ressourcenverschwendung, langsame Modernisierung der Betriebe, schlechte Produktqualität etc., die sich aufgrund der bürokratischen Deformation des Planprinzips eingeschlichen hatten, zu bekämpfen. Diese „marktsozialistische Lösung“, die nichts weiter war, als ein Pseudomarkt zur Messung und Korrektur des Plans, führte dazu, dass die einzelnen Fabrikleiter nach immer mehr ökonomischer Unabhängigkeit für „ihre“ Fabrik strebten, um möglichst „profitabel“ zu sein und um damit selbst das bestmögliche Auskommen zu haben. So forderten sie von den Planern z. B. zunehmend das Recht, die Preise ihrer Produkte selbst setzen zu dürfen, die Höhe der Investitionen selbst bestimmen zu dürfen, selbst die Höhe der Löhne mit der Belegschaft aushandeln zu dürfen und schließlich selbst Arbeiter einstellen und feuern zu dürfen. Damit gerieten sie immer mehr in einen Widerspruch mit der zentralen Planbehörde. Die einzelnen Fabrikmanager:innen hatten nun noch ein stärkeres Interesse daran, selbst zu Eigentümern „ihrer“ Fabrik zu werden, denn eine Versetzung von einer „profitablen“ in eine nicht „profitable“ Fabrik hätte mitunter schwerwiegende Auswirkungen auf ihren eigenen Lebensstandard gehabt. Die durch diese Reformen noch beschleunigten Zentrifugalkräfte sorgten so für eine schrittweise Lockerung der Beziehungen zwischen den einzelnen staatlichen Betrieben und führten das ganze System auf den Pfad der Restauration des Kapitalismus.14 

Diese Phänomene zeigen an, welche gewaltigen Ausmaße diese Tendenz zur Selbstbereicherung des Apparats annehmen kann, doch erkennt man hier nur den Grad der Degeneration dieser Regimes, keineswegs, dass die Fabrikmanager:innen der 60er Jahre eine eigene „Klasse“ gebildet hätten. Im Vergleich mit den Ex-Bürokrat:innen im neuen kapitalistischen Russland oder der Ukraine, die nach 1991 zu geradezu fantastischem Reichtum gelangt sind und heute zu den reichsten Menschen der Welt zählen, waren diese Manager:innen selbst in Relation mit der damaligen Einkommensverteilung bettelarme Schlucker:innen und schon gar nicht unabhängige Herren ihrer eigenen Produktion.

Cliffs Begriffswirrwarr III.: „Die Historische Mission der Bourgeoisie“

In unserem ersten Zitat bezeichnete Cliff die Bürokratie als „die reinste Personifikation der historischen Mission“ der Bourgeoisie. Mit „historischer Mission“ meint Cliff, die sowjetische Bürokratie hätte es sich mit dem ersten Fünf-Jahres-Plan zur obersten Aufgabe gemacht, Russland aus der Rückständigkeit herauszuführen und zu diesem Zweck eine moderne Industrie aufzubauen. Diese Industrialisierung wäre notwendig gewesen, um die Unabhängigkeit Russlands gegenüber den großen Imperialismen auch langfristig zu sichern. An dieser Absichtsbeschreibung ist zunächst nichts falsch. Die Bürokratie war sich der Notwendigkeit des „Aufholens und Überholens“ (Lenin) sehr schmerzlich bewusst. Stalin brachte dies 1931 auf einer Konferenz vor Funktionären der „sozialistischen Industrie“ sehr deutlich auf den Punkt:

Das ist das Wolfsgesetz des Kapitalismus. Du bist rückständig, du bist schwach – also bist du im Unrecht, also kann man dich schlagen und unterjochen. Du bist mächtig – also hast du recht, also muß man sich vor dir hüten. […] In der Vergangenheit hatten wir kein Vaterland und konnten keins haben. Jetzt aber, da wir den Kapitalismus gestürzt haben und die Macht uns, dem Volke, gehört, haben wir ein Vaterland und werden seine Unabhängigkeit verteidigen. Wollen Sie, dass unser sozialistisches Vaterland geschlagen wird und seine Unabhängigkeit verliert? Wenn Sie das nicht wollen, dann müssen Sie in kürzester Frist seine Rückständigkeit beseitigen und ein wirkliches bolschewistisches Tempo im Aufbau seiner sozialistischen Wirtschaft entwickeln. Wir sind hinter den fortgeschrittenen Ländern um 50 bis 100 Jahre zurückgeblieben. Wir müssen diese Distanz in zehn Jahren durchlaufen. Entweder bringen wir das zustande, oder wir werden zermalmt.15

Im zweiten Schritt sagt Cliff dann aber, dass die sowjetische Staatsbürokratie, die bis dato nur ein unselbstständiges Dasein als bürokratische Wucherung am Arbeiter:innenstaat geführt habe, sich nun beim Versuch diese Mission zu lösen in eine neue herrschende Klasse, in die „reinste Verkörperung der Kapitalakkumulation“ verwandelt habe. Hier erfolgt wieder ein unzulässiger Schluss. Wenn man schon mit dem Begriff der „historischen Mission“ hantieren möchte, dann reicht ein Blick in die Geschichte um, festzustellen, dass es immer wieder vorkam, dass andere soziale Gruppen oder Klassen die „historischen Mission“ anstelle einer bestimmten Klasse erfüllen konnten, wenn diese aus unterschiedlichen Gründen nicht dazu in der Lage war. Otto von Bismarck, der die nationale Vereinigung als Voraussetzung für das unumschränkte Erstehen des deutschen Industriekapitalismus mittels einer reaktionären, halbfeudalen Militärkamarilla schaffen musste, weil es die deutsche Bourgeoisie in der Revolution von 1848 nicht vermochte, dies aus eigener Kraft zu tun, kommt uns sofort in den Sinn. Ebenso der „Zar Oswoboditel“ (Befreier), Alexander II., der nach der erniedrigenden Niederlage im Krimkrieg 1861, gestützt auf einen Sektor liberaler Großgrundbesitzer:innen, die (halbe) Aufhebung der Leibeigenschaft von oben durchsetzte. Ja, die ganze Theorie der Permanenten Revolution und die Oktoberrevolution selbst basierte auf Trotzkis und Lenins Grundannahme, dass das Proletariat im rückständigen Russland diese „historische Mission“ der russischen Bourgeoisie vollenden müsse, die Autokratie und die Reste des Feudalismus endgültig zu entsorgen und die Wirtschaft zu entwickeln, weil die schwache, dem Imperialismus und der Autokratie hörige, russische Bourgeoisie dazu nicht in der Lage war. Dass die Sowjetbürokratie mit der forcierten Industrialisierung die „historische Mission“ der Bourgeoisie erfüllt hat, macht sie demnach noch lange nicht zur neuen Bourgeoisie. 

Besonders deutlich wird dies, sobald man das Argument umkehrt: es ließe sich nämlich mit gleichem Recht behaupten, dass die Bürokratie gleichzeitig auch die „historische Mission“ des Proletariats erfüllt hat, denn sie hat im Zuge des ersten Fünf-Jahres-Plans die Produktionsmittel nahezu vollständig in den Händen des Staates konzentriert und die alten Ausbeuterklassen nahezu restlos enteignet. Das macht sie aber genauso wie umgekehrt noch lange nicht zu einem integralen Bestandteil einer sozialistischen Gesellschaft. Dieses Janusgesicht der Sowjetbürokratie, welche zwei widersprüchliche Entwicklungstendenzen in sich vereinte und nur aufgrund dieses Widerspruchs überhaupt in die Welt getreten war, offenbart eindeutig den Charakter der UdSSR als Übergangsgesellschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus.

Die internationale Konkurrenz als Motor des Staatskapitalismus?

All diesen Argumenten zum Trotz würde Tony Cliff weiterhin auf dem kapitalistischen Charakter der UdSSR beharren, allerdings möchte er diesen nicht aus der Innenansicht der Sowjetwirtschaft herleiten, weil ihm sonst die offensichtliche Abwesenheit von mehr als einem ökonomischen Akteur schnell den Wind aus den Segeln nehmen würde. Daher flieht er zum zweiten Mal in die Sphäre der Zirkulation und möchte nun den staatskapitalistischen Charakter der UdSSR aus der internationalen Konkurrenz mit anderen kapitalistischen Staaten herleiten. Dafür müsste er allerdings nachweisen, dass die allgemeinen Bewegungsgesetze einer warenproduzierenden Gesellschaft, von Marx verallgemeinernd „Wertgesetz“ genannt, auch indirekt das Wirtschaftsleben der UdSSR bestimmt haben. Dieses „Wertgesetz“ regelt laut Marx die „Verteilung der Warenproduzenten und ihrer Produktionsmittel unter die verschiedenen gesellschaftlichen Arbeitszweige“, es regelt „wieviel die Gesellschaft von ihrer ganzen disponiblen Arbeitszeit auf die Produktion jeder besonderen Warenart verausgaben kann“, es regelt den beständigen „Barometerwechsel der Marktpreise“ und die „beständige Tendenz der verschiedenen Produktionsspähren, sich ins Gleichgewicht zu setzen“. Dies alles spielt sich laut Marx hinter dem Rücken der Akteure ab, als sie „überwältigende Naturnotwendigkeit.“16 Wie daraus bereits zu erkennen ist, ließen sich keine dieser Gesetzmäßigkeiten innerhalb der sowjetischen Wirtschaft finden. Wuchs, bspw. die Produktivität und mit ihr der Bedarf an Arbeitskräften und Material in einem Wirtschaftssektor, flossen dort nicht automatisch „Kapital“ und Arbeit aus anderen Sektoren der Wirtschaft hin, bis ein Gleichgewicht erreicht wurde, sondern ohne bewusste planerische Tätigkeit geschah einfach nichts. Ebenso fehlte der sowjetischen Wirtschaft ein inhärenter Wachstumszwang und es kam nie zu periodischen Überproduktionskrisen, wie in allen anderen kapitalistischen Gesellschaften. Diesen Beweisen für das Nicht-Wirken des Wertgesetzes in der UdSSR kann sich auch Cliff nicht verschließen. Daher muss er versuchen, das Wirken des Wertgesetzes über die Konkurrenz mit dem kapitalistischen Ausland herzuleiten. Schauen wir uns diesen Versuch genauer an: 

Der stalinistische Staat verhält sich zur verfügbaren Gesamtarbeitszeit der russischen Gesellschaft wie ein Fabrikbesitzer zur Arbeit seiner Beschäftigten. Mit anderen Worten: Die Arbeitsteilung ist geplant. Aber was bestimmt die Aufteilung der gesellschaftlich verfügbaren Gesamtarbeitszeit? Müßte Rußland nicht mit anderen Ländern konkurrieren, wäre die Aufteilung rein willkürlich. Tatsächlich hängt die stalinistische Planung aber von Faktoren ab, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen, nämlich von der Weltwirtschaft, der internationalen Konkurrenz. Unter diesem Gesichtspunkt befindet sich die russische Wirtschaft in einer ähnlichen Lage wie der Eigentümer eines kapitalistischen Unternehmens, das mit anderen Unternehmen konkurriert.17

Im Grunde nutzt Cliff hier einen einfachen Vergleich: Die UdSSR sei vergleichbar mit einem kapitalistischen Unternehmen und der Staat sei sein einziger Kapitalist, sein Besitzer. Dieses Staatsunternehmen müsse auf dem Weltmarkt konkurrieren, weil es natürlich nicht ins Hintertreffen geraten möchte und sonst Gefahr liefe, von seinen Konkurrenten übertrumpft und schließlich aufgeteilt oder zerschlagen zu werden. Nun hat die UdSSR aber natürlich nicht wie ein klassisches Unternehmen mit der Produktion von Waren zum Verkauf auf dem Weltmarkt konkurriert, wenn man von einigen wenigen Gütern, wie vor allem Rohstoffen, absieht. Aus diesem marginalen Außenhandel möchte auch Cliff das Wirken des Wertgesetzes nicht herleiten. Stattdessen bedient er sich eines theoretischen Taschenspielertricks: 

Da die internationale Konkurrenz vorwiegend militärische Form annimmt, äußert sich das Wertgesetz praktisch in seinem Gegenteil, nämlich als Streben nach Gebrauchswerten. […] [D]er Staat [ist] als Verbraucher an ganz bestimmten Gebrauchswerten, wie Panzer, Flugzeuge usw., interessiert. Der Wert ist Ausdruck der Konkurrenz zwischen unabhängigen Produzenten. Rußlands Konkurrenz mit der übrigen Welt drückt sich darin aus, daß Gebrauchswerte zum Ziel der Produktion erhoben werden, die gleichzeitig dem eigentlichen Ziel, nämlich dem Sieg im Konkurrenzkampf, dienen sollen. Gebrauchswerte werden also zum Ziel der Produktion, bleiben aber nach wie vor Mittel im Konkurrenzkampf.18

Cliff kommt hier auf die abwegige Idee, das Wirken des Wertgesetzes gerade durch die Abwesenheit von Warenproduktion nachweisen zu wollen. Nicht alles, was sich widerspricht, ist dialektisch! 

Zudem setzt Cliff hier die Konkurrenz um Marktanteile mit der militärischen Konkurrenz zwischen den Blöcken gleich. Das ist aus zweierlei Gründen unzulässig: Erstens, weil sich das Wesen der kapitalistischen Gesellschaft nicht einfach auf die Konkurrenz zwischen den einzelnen Kapitalen reduzieren lässt. Wieder bevorzugt Cliff hier den Blick auf die Sphäre der Zirkulation, um sich bloß nicht mit der ökonomischen Basis der sowjetischen Gesellschaft auseinandersetzen zu müssen.

Zweitens ist militärische Konkurrenz überhaupt kein Spezifikum kapitalistischer Gesellschaften. Die zahlreichen vorkapitalistischen Gesellschaften, denen der Kapitalismus bei seinem Aufstieg begegnete, gerieten häufig mit ihm in militärische Konkurrenz, ohne dabei aber zwangsläufig selbst zu kapitalistischen Gesellschaften zu werden. Marx beschrieb dies sehr gut anhand von Indien und China, die beide Beispiele für die asiatische Produktionsweise waren. Ihr Kontakt mit dem Kapitalismus sorgte zwar dafür, dass sie langsam in den kapitalistischen Orbit hinein gerieten, aber es sorgte für mehrere Jahrhunderte nicht dafür, dass sich in ihrem Inneren selbst eine kapitalistische Produktionsweise entwickelte. Ihre eigene archaische Produktionsweise setzte den Übergriffen des internationalen Kapitals starken Widerstand entgegen. Auch im feudalen Japan war der militärische Druck des internationalen Kapitals nicht der ausschlaggebende Faktor, warum es schließlich zur Meiji-Restauration und zur darauffolgenden Einführung des Kapitalismus kam. Die ausländische Konkurrenz führte nur dazu, dass sich die Widersprüche der japanischen Gesellschaft bis aufs Äußerste zuspitzten. Der Klassenkampf war es aber schließlich, der letztlich den Ständestaat des Shōguns zerbrach.

Gleiches galt auch für die frühe Sowjetrepublik. Die Notwendigkeit, sich gegen die kapitalistische Konterrevolution von außen zu verteidigen, zwang die damals noch demokratischen Sowjets dazu, ihren Machtbereich 1918/19 zu einer regelrechten Festung auszubauen, eine rigorose Arbeitsdisziplin einzuführen (Stichwort: „Militarisierung der Arbeit“), einen Geheimdienst zu gründen, der Terrorkampagnen gegen die Konterrevolution durchführte und eine neue Armee aufzubauen. Trotzdem geschah dies weiterhin auf der Grundlage der Diktatur des Proletariats. Gewiss wirkten diese militärischen Übergriffe des Kapitals in Russland, dahingehend, dass sich der Prozess der Degeneration der Oktoberrevolution beschleunigte, aber dieser Kampf wurde dann im Inneren der sowjetischen Gesellschaft, als Ringen lebendiger sozialer Kräfte ausgetragen. Ernest Mandel schrieb dazu treffend: 

[Es] ist […] methodisch falsch, eine mechanische und automatische Identität anzunehmen zwischen der Tatsache, dass ein Land ‚Einflüssen‘ ausländischen Kapitals ausgesetzt ist, und der Tatsache, dass dieses Land kapitalistisch wird. Nur wenn diese Einflüsse die interne Produktionsweise verändern, führen sie zur Einführung (oder Wiedereinführung) des Kapitalismus.19 

Ein Prozess, der in der UdSSR erst 1991 abgeschlossen wurde.

Cliffs Staatsbegriff

Cliff beschreibt im ersten Teil seines Buches eindrücklich, wie die stalinistische Bürokratie Ende der 20er Jahre gewaltsam die letzten Reste der Arbeiter:innenkontrolle über die Wirtschaft abschaffte, die Gewerkschaften de facto als unabhängige Arbeiter:innenorganisationen auflöste und zu reinen Propagandamaschinen im Betrieb degradierte und wie sie die bolschewistische Partei gänzlich unter ihre Kontrolle brachte und damit ihre alleinige Verfügungsgewalt über den Staat und by extension über die verstaatlichte Wirtschaft errichtete. Anschließend fragt er nicht zu Unrecht, wie es denn sein kann, dass sich ein demokratischer Arbeiter:innenstaat, der nach Lenin bereits kein Staat im eigentlichen Wortsinne mehr sein sollte, zu so einer monströsen Unterdrückungsmaschine entwickeln konnte und was an diesem Staat noch „proletarisch“ genannt werden konnte. 

Es ist das zentrale Argument der Staatskapitalismustheorie. Im Kern basiert es jedoch auf einer fehlerhaften Auslegung der marxistischen Staatstheorie.

Cliff geht davon aus, dass der proletarische Staat und der bürgerliche Staat grundverschiedene soziale Formationen sind. Der proletarische Staat sei bereits so weitgehend herabgeholt von seiner über der Gesellschaft thronenden Position, so sehr bereits kein „Staat“ im eigentlichen Wortsinne mehr, dass er keinerlei unabhängige Existenz mehr von der lebendigen Masse der Arbeiter:innenschaft mehr führen könne. Der Staat ist nach dieser Definition nur das in den Räten organisierte Proletariat. Als Umkehrschluss formuliert: Ein Staat, der sich über die Gesellschaft aufgeschwungen hat und sich von jeglicher Kontrolle durch die Arbeiter:innenmassen befreit hat, kann kein Arbeiter:innenstaat mehr sein.20

Diese Analyse ist formalistisch und basiert auf einer einseitigen Interpretation von Lenins „Staat und Revolution.“ Zwar ist es richtig, dass Lenin den Staat der Arbeiter:innen als „Halbstaat“ bezeichnete, aber gleichzeitig – und hier begreift Cliff die Leninsche Dialektik nicht – betrachtet er alle Staaten in ihrer grundlegenden, letzten Analyse dennoch als gleichförmig. Sie sind alle „[b]esondere Formationen bewaffneter Menschen, Gefängnisse, u.a.“, die bestimmte, der jeweiligen herrschenden Klasse genehmen, Eigentumsverhältnisse verteidigen. Wie ein Staat nun konkret funktioniert, ob es sich um eine Diktatur oder die demokratischste aller Republiken handelt, ist zunächst in dieser Definition nicht enthalten und für die Bestimmung seines Klassencharakters auch unerheblich. Und weil Lenin genau diese grundlegende Gleichförmigkeit aller Formen der Staatlichkeit erkannte, schrieb er in „Staat und Revolution“: „So ergibt sich, daß im Kommunismus nicht nur das bürgerliche Recht eine gewisse Zeit fortbesteht, sondern auch der bürgerliche Staat – ohne Bourgeoisie!“21 Der einzige Unterschied zwischen einem bürgerlichen Staat und einem bürgerlichen Staat „ohne Bourgeoisie“ kann demnach also nur sein, dass ersterer die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse verteidigt, während letzterer die Aufhebung eben dieser Verhältnisse durchsetzt und die neuen Verhältnisse verteidigt. In Russland verlor das Proletariat zwar die Staatsmacht, aber, ohne dass es zur sofortigen Wiedereinführung bürgerlicher Eigentumsverhältnisse kam. Im Gegenteil die Bürokratie weitete die neuen ökonomischen Verhältnisse, die durch die Oktoberrevolution entstanden waren, im Zuge des ersten Fünf-Jahres-Plans noch einmal unermesslich aus und vernichtete dabei fast alle unabhängigen Eigentümer:innen. Diese ganz eindeutig nicht mehr kapitalistischen Verhältnisse verteidigte sie dann mehr als 60 Jahre lang nach innen und außen, während in ihr die Saat der Restauration des Kapitalismus heranreifte und 1991 endgültig zur Konterrevolution überging. Der grundlegende Klassencharakter des sowjetischen Staates änderte sich Ende der 20er Jahre also keineswegs.

Es geschah allerdings etwas anderes: Der Staat machte sich selbstständig, erhob sich über die Gesellschaft und begann, selbst alle Lebensbereiche zu lenken. Das war in der Tat eine vollkommen unvorhergesehene Entwicklung. Trotzki verglich dieses Phänomen mit dem bürgerlichen Bonapartismus, der die Bourgeoisie politisch enteignete, sie zum Teil sogar schikanierte und einsperrte, aber in letzter Konsequenz weiterhin ihrem historischen Klasseninteresse diente, indem er die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse verteidigte und über ganz Europa ausweitete. Als Napoleon in Warschau einmarschierte, brachte er den Code Civil mit. Diese Analogie wird von Cliff schroff zurückgewiesen, er erklärt, die Bourgeoisie und das Proletariat seien ihrer „Klassennatur“ nach zwei vollkommen entgegengesetzte Klassen: die Bourgeoisie besitzt die Produktionsmittel direkt und unabhängig vom politischen Regime, das Proletariat hingegen besitzt sie nur kollektiv durch den Staat und damit würde seine Herrschaft stehen und fallen mit seiner Kontrolle über den Staat. 

Cliff hat sicherlich recht, dass die politische Herrschaft der Bourgeoisie keine notwendige Bedingung für die Entwicklung des Kapitalismus ist, denn der Kapitalismus entwickelt sich blind und hinter dem Rücken seiner Akteure durch das spontan wirkende Wertgesetz. Das macht die Bourgeoisie relativ unabhängig vom politischen Regime, mit einer wichtigen Ausnahme: Der Staat muss, wie vermittelt auch immer, weiterhin das Privateigentum an den Produktionsmitteln schützen, sonst ist ihrer Existenz die rechtliche Grundlage entzogen. Die Bourgeoisie kann also nahezu jede Form der bürgerlichen Herrschaft dulden, auch Formen vorbürgerlicher Herrschaft, sofern sie ihr Privateigentum an den Produktionsmitteln tolerieren, aber einen proletarischen Staat könnte sie niemals dulden und das tat sie historisch auch nie lange.

Was das Proletariat angeht, so ist die Sache ebenfalls klar: eine Entwicklung hin zum Sozialismus kann es nur unter der Bedingung geben, dass das Proletariat seine bewusste politische Herrschaft ausübt. Die Voraussetzung des Sozialismus ist bewusst geplantes Wirtschaften der Gesellschaft für die Gesellschaft. Genau das wurde in der UdSSR verunmöglicht, doch dies ist eben kein Argument dafür, den nicht-kapitalistischen Charakter der sowjetischen Eigentumsverhältnisse zu leugnen. Trotzki hat genau dieses widersprüchliche Phänomen des Staates in der Übergangsgesellschaft analysiert:

Unmittelbar nämlich bekommt der Staat von Anfang an einen doppelten Charakter: einen sozialistischen, soweit er das vergesellschaftete Eigentum an den Produktionsmitteln schützt, einen bürgerlichen, soweit die Verteilung der Lebensgüter mit Hilfe des kapitalistischen Wertmessers erfolgt, mit allen daraus sich ergebenden Folgen. Diese widersprüchliche Charakteristik mag Dogmatiker und Scholastiker in Schrecken versetzen: uns bleibt da nur übrig, ihnen unser Beileid auszusprechen.22

Gegenüber der Bourgeoisie verhielt sich die Bürokratie überall dort, wohin sie ihren Einfluss ausdehnte, weiterhin (notgedrungenerweise und nur bis zu einem bestimmten Punkt) proletarisch-revolutionär. In Ostmitteleuropa bekam die Bourgeoisie den Klasseninhalt der Herrschaft der Bürokratie direkt zu spüren, als die Rote Armee am Ende des Zweiten Weltkrieges vorrückte. Die Bourgeoisie begann sofort alle Versuche Stalins zu sabotieren, eine „volksdemokratische“ Koexistenz mit ihr einzugehen. „Volksdemokratie“ war der Versuch der UdSSR in Osteuropa Staaten zu etablieren, in denen die Betriebe weiterhin unter der Kontrolle der Bourgeoisie bleiben, gleichzeitig aber die politische Herrschaft völlig von der Bürokratie ausgeübt werden sollte. Auf so ein Angebot hätte sich die Bourgeoisie jedoch niemals einlassen können, die sowjetische Bürokratie war eine ihnen fremde Macht, die nicht in ihrem Interesse die Staatsgeschäfte leitete, sie konnte ihr nicht vertrauen, eine dauerhafte Koexistenz war unmöglich, es handelte sich um eine besondere Form der Doppelmacht. Die Bourgeoisie begann daraufhin schnell ihre Fabriken zu sabotieren, zog Kapital ab und auf dem Höhepunkt dieser Zuspitzung floh sie schließlich mangels einer Alternative nach Westeuropa. Die Bürokratie hingegen hatte schließlich, wollte sie einer direkten Machtergreifung der Arbeiter:innenklasse zuvorkommen, keine andere Wahl als die Betriebe zu verstaatlichen und eine von ihr kontrollierte Planwirtschaft zu errichten. Gleiches geschah im Volkschina der frühen 50er Jahre. In allen diesen Fällen wurde die Bürokratie durch eine Zuspitzung des Klassenkampfes seitens der Bourgeoisie dazu gezwungen, weit über ihr eigenes Programm hinauszugehen und sich dabei auf die Arbeiter:innenklasse zu stützen. 

Solch ein Prozess ist in der Geschichte nirgends dort zu beobachten, wenn ein kapitalistischer Staat im Krieg Betriebe eines anderen kapitalistischen Staates erobert. Dann fliehen die Kapitalist:innen in der Regel nicht, sondern arrangieren sich mit ihren neuen Oberherren, weil sie instinktiv wissen, wer ihre Interessen vertritt und wer nicht. Und wenn sie fliehen, dann werden die verlassenen Betriebe für gewöhnlich unter den ausländischen Kapitalist:innen aufgeteilt. Fast die gesamte französische Bourgeoisie steckte sich im Juni 1940 Hakenkreuze ans Revers und machte weiter business as usual, ein beachtlicher Teil unter ihnen wurde zwar dennoch enteignet, aber die Betriebe gingen sofort an deutsche Magnaten. Während zwischen 1946-1951 die gesamte Bourgeoisie Ostmitteleuropas enteignet wurde und anschließend zum Aufbau einer Planwirtschaft übergegangen wurde.

Gegenüber dem Proletariat hingegen verhielt sich die Bürokratie konterrevolutionär, nämlich wie ein bürgerlicher Staat: gewaltsam, repressiv und kommandierend. Aber egal wie sehr sie sich einbildete bereits eine herrschende Klasse zu sein (und wie sehr sich Cliff dies einbildete), sie stellte keine unabhängige historische Kraft dar, sie musste stets andere „Rollen“ spielen, ihre Macht war usurpiert, sie musste zähneknirschend die ökonomischen Grundlagen des Sozialismus nicht nur aufrechterhalten, sondern sie auch noch ausweiten und verteidigen, weil diese Grundlagen die einzige Quelle ihrer Privilegien waren. Und genau das zeichnet sie als proletarische Kraft (wider Willens) aus, trotz aller politischen Deformation. Sie war gebunden an die Grundlagen einer ihr eigentlich völlig fremden neuen Produktionsweise und als sie diese ab 1989 verlassen wollte, stürzte die gesamte Produktionsweise mit ihr zusammen und der Kapitalismus kehrte zurück. Diese parasitäre Beziehung zum Arbeiter:innenstaat lässt sich besonders im Bereich der Wirtschaft erkennen: Die Bürokratie erfüllte im Planungsprozess keine Aufgaben, die nicht auch das Proletariat selbst und obendrein noch viel besser, hätte erfüllen können. Im Gegenteil, sie durchlöcherte mit ihrer Jagd nach immer größeren Privilegien die Planwirtschaft, war unfähig, effektiv und rational zu planen und sollte sich als größte Bremse bei der weiteren Entfaltung der Produktivkräfte erweisen und tieb das ganze System kontinuierlich in Richtung kapitalistischer Restauration. Die Bourgeoisie ist hingegen keinesfalls ausschließlich parasitär. Denn ohne sie ist eine kapitalistische Produktionsweise unmöglich, sie ist zentraler und essenzieller Bestandteil dieser Gesellschaft. 

In allen bisher existierenden Klassengesellschaften wurden auf einem bestimmten Entwicklungsniveau die Eigentumsverhältnisse und die sich daraus notwendigerweise ergebenden Klassenstrukturen zu einer Bremse für die Entwicklung der Produktivkräfte der Menschheit. In der UdSSR waren es nicht die Eigentumsverhältnisse, sondern eine Kaste von Verwalter:innen und Verteiler:innen, die die weitere Entwicklung der Produktivkräfte blockierten. Mark Adam schrieb in seinem lesenswerten Artikel „State capitalism: ‘Call that socialism?’“ über diese Widersprüchlickeit des sowjetischen Staates: 

Das Ergebnis dieser widersprüchlichen Situation ist, dass der ‚Staat‘ in der UdSSR genau in der ‚Form‘, aber nicht in dem sozialen Inhalt fortbesteht, den Marxisten abschaffen wollen – über den Arbeitern stehend und ihnen entgegenstehend. Weit entfernt von einer Tendenz zu immer größerer Gleichheit bestehen Ungleichheiten fort und werden sogar noch verstärkt.23

Cliff verwechselt in seiner Analyse des sowjetischen Staates, die sich nur mit dem politischen Überbau der Gesellschaft beschäftigt, also seine äußere Form mit seinem sozialen Inhalt.

Absurde Implikationen

Marx und Engels gingen davon aus, dass in der alten Gesellschaft bereits die neue heranwächst. So war dies auch mit allen historischen Klassengesellschaften. Da inmitten des Kapitalismus offensichtlich keine weitere höhere Ausbeuterklasse heranzuwachsen schien, sondern sich die Produktion immer mehr vergesellschaftete und das Proletariat dabei zunehmend den Charakter einer „universellen Klasse“ annahm, gingen sie davon aus, dass die Vergesellschaftung der Produktion unter dem Kapitalismus seine höchstmögliche, mit einer Klassengesellschaft vereinbare Stufenleiter erreiche und die Abschaffung der bürgerlichen Ausbeuterklasse durch die proletarische Revolution schließlich zur Abschaffung der Klassengesellschaft selbst führen müsse. 

Versucht man jetzt die Staatskapitalismustheorie mit diesen Annahmen zu vereinbaren, verwickelt man sich in unlösbare Widersprüche. Offenbar muss die zunehmende Vergesellschaftung der Produktion nicht zwangsläufig zur Machtergreifung des Proletariats und zur Abschaffung der Klassengesellschaft führen, um die Produktivkräfte auf ein höheres Niveau zu heben, es wurde dank Cliff eine neue Stufe der historischen Entwicklung entdeckt, eine Stufe, die Marx und Engels übersehen haben! Denn offenbar kann eine bisher nicht entdeckte, neue Ausbeuterklasse, die Staatsbürokratie das erreichen, was Marx und Engels nur dem Proletariat zutrauten: Die Staatsbürokratie kann die Produktionsmittel in einer Hand vereinen und eine bewusst geplante Wirtschaft erschaffen, ohne dabei zum Sozialismus voranzuschreiten. 

Eine solche Entwicklung wäre aber nur dann möglich, wenn diese neue herrschende Klasse die Produktivkräfte besser entwickeln könnte, als es ihre Vorgängerin vermochte. Nur aus diesem Grund ist in der Geschichte überhaupt jemals eine neue Ausbeuterklasse auf die historische Bühne getreten. Alle historischen Ausbeuterklassen verschwanden erst dann von der Bühne, als sie ihr Potenzial, die Produktivkräfte zu entwickeln, völlig erschöpft hatten. Nach Cliffs Theorie müsste die Bürokratie die Produktivkräfte eigentlich besser entwickeln als die (Privat-)Bourgeoisie (und nebenbei auch besser als das Proletariat!), denn er schreibt nicht umsonst, dass der Staatskapitalismus das „höchste Entwicklungsstadium des Kapitalismus“24 verkörpert und in dieser Hinsicht fortschrittlicher sein muss als der Privatkapitalismus. Doch Cliff fürchtet sich vor dieser Implikation, denn sie führt ins Absurde und daher ist er sehr darauf bedacht, ihr mittels moralischer Argumente und dem hastig angeklebten Adjektiv „reaktionär“ nicht begegnen zu müssen.25

Mit anderen Worten: laut Cliffs Theorie hat die Geschichte Marx und Engels widerlegt: nach dem Stadium des Privatkapitalismus folgt nicht direkt der Sozialismus, sondern es gibt eine weitere historische Epoche, die Phase der Universalität der Staatskapitalismen. Nach Cliffs Theorie muss allen kapitalistischen Ländern eine Tendenz zum Staatskapitalismus innewohnen. Vor diesem Hintergrund betrachtete Cliff auch die Wiedereinführung des Privatkapitalismus in der UdSSR als theoretische Unmöglichkeit: 

Vor den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges konnte man noch von der verständlichen, wenn auch falschen Annahme ausgehen, daß der Privatkapitalismus in Rußland ohne Besetzung durch eine imperialistische Macht wiederhergestellt werden könnte. Doch der Sieg der konzentrierten verstaatlichten russischen Wirtschaft über die deutsche Kriegsmaschine brachte all das Gerede von einer solchen Möglichkeit zum Schweigen. […] Wir halten es für ausgeschlossen, daß die internen Klassenkräfte Rußlands zur Restauration des Privatkapitalismus führen können.26

Unglücklicherweise für Cliff berichtigte ihn die Geschichte in diesem Punkt entscheidend. Auch das Hereinbrechen der Realität der Restauration des Privatkapitalismus ab 1989 konnte die aufmerksamsten Schüler Cliffs nicht von dieser katastrophalen theoretischen Fehlannahme abbringen. Als der Abbau der DDR-Planwirtschaft im Winter 1989/90 schon in vollem Gange war, brachte es Volkhard Mosler, der damalige Chef-Theoretiker der cliffistischen Sektion in Deutschland „Sozialistische Arbeitergruppe“, mit dieser Theorie ausgestattet, fertig, eine Tendenz zur Verstärkung staatskapitalistischer Elemente zu prognostizieren: 

Die staatskapitalistische Bürokratie hat auch keinerlei Interesse, Neigung, oder Fähigkeit, sich selbst in eine Bourgeoisie zurückzuverwandeln, mit individuellen Besitzanteilen an den Produktionsmitteln. Sie hat selbst eigene Methoden der Privilegienverteilung und -vererbung entwickelt. […] Die Tendenz geht nicht weg vom Staatskapitalismus, sondern hin zu ihm, weil dem eine ökonomische Notwendigkeit zugrunde liegt!27

und

Der Stalinismus ist tot, der Staatskapitalismus lebt fort, ja wird sogar in verstärkter Form auftreten, wenn er nicht durch Arbeiterrevolutionen gestürzt wird.28

Mosler behauptete unter völliger Realitätsverweigerung, dass das erreichte Niveau der Verstaatlichung auch unter der de Maizière-Regierung nicht rückwärts abgewickelt werden könnte, viel mehr würde sich die wirtschaftliche Struktur der BRD allmählich der der DDR annähern und nicht (wie in Wirklichkeit) umgekehrt. Mosler betrachtete den Staatskapitalismus also als notwendigen nächsten Schritt in der Entwicklung der Menschheit, er betrachtete die staatskapitalistische Bürokratie als fortschrittlichere herrschende Klasse als die (Privat-)bourgeoisie. Hieran ist die Verwirrung ganz deutlich zu erkennen, die die Staatskapitalismustheorie in den Reihen der Marxist:innen schürte. Cliffs Theorie war offensichtlich nicht in der Lage, die Entwicklungen in Osteuropa vorherzusehen, noch sie im Moment ihres Ablaufens richtig einzuordnen, geschweige denn, ihre allgemeine Entwicklungsrichtung vorauszusehen. 

Trotzki hingegen hat die historische Möglichkeit der Restauration des Kapitalismus durch die Bürokratie selbst niemals ausgeschlossen. Ihm war immer bewusst, dass die Oktoberrevolution im Zerfall begriffen war und es eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit dafür gab, dass sich die Bürokratie, beim Ausbleiben einer zweiten, politischen Arbeiter:innenrevolution, schließlich selbst als eine ganz gewöhnliche Bourgeoisie etablieren würde und dafür die Planwirtschaft zerstören müsste. Er brachte es im „Übergangsprogramm“ von 1938 auf den Punkt: 

So schließt die Herrschaftsform der Sowjetunion bedrohliche Widersprüche ein. Aber sie bleibt immer noch die Herrschaftsform eines entarteten Arbeiterstaates. Das ist die soziale Diagnose. Die politische Prognose stellt sich als Alternative: entweder beseitigt die Bürokratie, die immer mehr zum Organ der Weltbourgeoisie in dem Arbeiterstaat wird, die neuen Eigentumsformen und wirft das Land in den Kapitalismus zurück; oder die Arbeiterklasse stürzt die Bürokratie und öffnet den Weg zum Sozialismus.29

Eine gestorbene Idee

Cliffist:innen nahmen an, dass der Zusammenbruch des Stalinismus zu einem großen Aufschwung der Klassenkämpfe führen würde — sie prognostizierten ein rotes Jahrzehnt in den 1990er Jahren. Doch genau das Gegenteil trat ein: der Zusammenbruch der eben doch nicht kapitalistischen Planwirtschaften war eine immense Niederlage für die Arbeiter:innenklasse weltweit. Nun können wir fragen: was für einen Wert hat eine Theorie, die zu so grundlegend falschen Prognosen führt? Spätestens mit dem Zusammenbruch der UdSSR und der Wiedereinführung des Kapitalismus in nahezu allen deformierten Arbeiter:innenstaaten ist auch die Staatskapitalismustheorie und der deformierte Marxismus, auf dem sie aufgebaut ist, in sich zusammengebrochen. Die Geschichte berichtigt diejenigen, die ihre Bewegungsgesetze nicht begreifen.

Der Zusammenbruch von 1989-91 war kein „Schritt zur Seite“, er war der Abschluss eines langen und komplexen konterrevolutionären Prozesses. Die schwerwiegenden zivilisatorischen Kosten, die dieser Zusammenbruch zur Folge hatte, sehen wir heute sowohl in Ostdeutschland, als auch, in zugespitzter Form, in der Krieg- und Krisengeschüttelten Ukraine, in Moldawien, in Bergkarabach und anderswo. Die auf einem Viertel der Welt planmäßig geschaffenen Grundlagen für den Aufbau des Sozialismus und viele der dabei geschaffenen Produktivkräfte sind einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft unwiederbringlich verloren gegangen. Die Arbeiter:innenbewegung verlor ihr letztes materielles Faustpfand und bezahlte dafür auch im Westen mit der Pulverisierung ihrer Organisation und einem stetig sinkenden Lebensstandard. Der linksoppositionelle russische Soziologe Vadim S. Rogovin brachte 1996 diese globalen Auswirkungen des Zusammenbruchs auf den Punkt:

Wenn man das tragische Schicksal unseres Landes betrachtet, dann kann man mit vollem Recht sagen, dass die Oktoberrevolution den Werktätigen anderer Länder um vieles mehr brachte als den Werktätigen der Sowjetunion. Die sozialistischen Veränderungen zwangen die herrschenden Klassen der kapitalistischen Länder, ernsthafte soziale Zugeständnisse an die Arbeiter dieser Länder zu machen. […] Der Zerfall der Sowjetunion in eine Reihe von zweitrangigen Staaten [führte] zum Angriff auf den „Sozialstaat“ in den entwickelten kapitalistischen Ländern […]. Es werden Versuche vorgenommen, die sozialen Errungenschaften zu zerstören, die im Verlauf von Jahrzehnten erreicht wurden.30

Die Sowjetunion, ungeachtet ihrer politischen Deformation, übte Zeit ihrer Existenz in der ganzen Welt einen Einfluss auf das Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit aus. Sie saß bei jeder Tarifverhandlung – unsichtbar und doch unübersehbar – mit am Tisch und beeinflusste das Ergebnis zum Vorteil der Arbeitermassen. Die Systemkonkurrenz zwang die Regierungen der Weltbourgeoisie dazu, die Exzesse bei der Jagd nach Profiten zu zügeln, einen großen Sozialstaat aufzurichten und den Arbeiter:innen so viel vom Kuchen abzugeben, wie davor und danach nie wieder, um so ihre Herrschaft möglichst zu stabilisieren. Das „sozialdemokratische Jahrhundert“ war in erster Linie ein „sowjetisches Jahrhundert“. Auch wenn die Politik der sozialstaatlich gebändigten Marktwirtschaft nur auf der Grundlage eines historisch langen Booms möglich geworden war, aus hohen Wachstums- und Profitraten folgten nicht automatisch steigende Löhne, hohe Renten und gesteigerte soziale Sicherheit, all dies war in der letzten Konsequenz Folge der historischen Stärke der Arbeiter:innenbewegung, trotz ihrer stalinistischen und sozialdemokratischen Deformation, die sich zum ersten Mal in der Geschichte auf eine ganze Reihe mächtiger staatlicher Bastionen stützen konnte, auch wenn diese ihrer Kontrolle entglitten waren und zunehmend ganz andere Interessen verfolgten. Nach der durch die Bürokratie vollendeten Konterrevolution wurde die neoliberale Offensive, die sich bereits in den 80er Jahren angekündigt hatte, vollends entfesselt und diese zerschmetterte auch die meisten der sozialdemokratischen Errungenschaften im Westen. Dass die BRD sich heute mehr als eine halbe Million Wohnungslose leisten kann, ca. 60.000 alleine in Berlin, ist nicht zuletzt deshalb möglich, weil es in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft keine DDR mehr gibt, in der dank gigantischer staatlicher Wohnungsbauprogramme die Wohnungsfrage gelöst war.

Die bürgerliche Restauration hatte aber nicht nur einen großen Einbruch im Lebensstandard der internationalen Arbeiter:innenklasse zur Folge, sie radierte gleichzeitig nicht nur den Stalinismus größtenteils von der Landkarte der Ideen, sondern den authentischen Marxismus gleich mit. Keine Organisation der radikalen Linken, auch nicht die „International Socialists“, blieben von dieser ideologischen Offensive des Bürgertums unberührt. Die weit verbreitete Resignation, die Mentalität des „Endes der Geschichte“ und die dadurch mächtig gestärkte postmoderne Offensive an den Universitäten und darüber hinaus, führten in ihrer Kombination zu einer tiefen Subjektivitätskrise im Proletariat und folglich zum Verfall und zur Lähmung ihrer Kampforganisationen. Die Leugnung der Klasse als die wichtigste soziale Grundeigenschaft des Menschen und die Betonung von Identität und Milieu, verschleiern bis heute größtenteils die wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse und erschweren damit die Wiedergeburt einer revolutionären Arbeiter:innenbewegung. Erst jetzt, nach 30 Jahren unbeschränkter kapitalistischer Herrschaft, klopft der Klassenkampf mit steigendem Selbstbewusstsein auch wieder an die Türen der kapitalistischen Metropolen. 

Dieser, unser größter Rückschlag, ist zurückzuführen auf das historische Stocken der Weltrevolution. Heute ist es wichtiger denn je, die Gründe für dieses Stocken klar und ohne Begriffswirrwarr zu analysieren. Sie liegen nicht zuletzt darin, dass sich eine bürokratische Clique durch Verrat der einzigen staatlichen Bastion der Arbeiter:innenbewegung, die noch dazu im rückständigen und isolierten Russland entstand und deshalb nicht aus eigener Kraft zum Sozialismus voranschreiten konnte, und ihrer Internationale bemächtigen konnte und diese anschließend in eine Zwingburg ihrer eigenen Interessen innerhalb der Arbeiter:innenbewegung verwandeln konnte. Dieser Verrat an der Weltrevolution und am Sozialismus führte zu einer Reihe schwerer Niederlagen. 1991 schließlich wandelte sich dieser politische Verrat in die offene ökonomische Konterrevolution. Diese Fakten müssen wir nüchtern anerkennen, wollen wir voranschreiten. Gleichzeitig lernen wir aus dieser Geschichte, dass es immer auch eine andere, eine sozialistische Alternative gegeben hat, dass die sowjetische Gesellschaft Zeit ihrer Existenz über mehr als einen möglichen Entwicklungspfad verfügte, und dass es damals und heute nur die Arbeiter:innen selbst sind, die ihre Befreiung bewerkstelligen können.

Fußnoten

  1. 1. Siehe zum Beispiel Amadeo Bordiga: Lessons of the Counterrevolutions, 1953, https://libcom.org/article/lessons-counterrevolutions-amadeo-bordiga [30. März 2025]; Anté Ciliga: Im Land der verwirrenden Lüge, durchgesehene Neuauflage, Die Buchmacherei, Berlin 2016; Emma Goldman: There Is No Communism in Russia, in: American Mercury 34, April 1935, Washington DC, https://theanarchistlibrary.org/library/emma-goldman-there-is-no-communism-in-russia [30. März 2025].
  2. 2. Tony Cliff: Der Ursprung der Internationalen Sozialisten. Die Weiterentwicklung der Theorien Trotzkis nach 1945, Edition Aurora, Berlin 2000, S. 24.
  3. 3. Ders.: The Nature of Stalinist Russia, 1948, in: Ders.: Marxist Theory After Trotsky, Selected Writings, Volume 3, Bookmarks, London 2003, S.1–138.
  4. 4. Ders.: Staatskapitalismus in Russland. Eine marxistische Analyse, Neuauflage, Edition Aurora, Berlin 2019.
  5. 5. Leo Trotzki: Verratene Revolution, in: Ders.: Schriften 1, Sowjetgesellschaft und stalinistische Diktatur, Band 1.2 (1936-1940), hrsg. v. Helmut Dahmer, Rudolf Segall et al., Rasch und Röhring Verlag, Hamburg 1988, S. 692.
  6. 6. Cliff: Staatskapitalismus, S. 138.
  7. 7. Ebd., S. 137.
  8. 8. Karl Marx: Grundrisse der politischen Ökonomie, in: Karl Marx und Friedrich Engels: Werke Band 42, Dietz Verlag, Berlin 1983, S. 19–875, hier S. 644.
  9. 9. Ders.: Lohnarbeit und Kapital, in: Karl Marx und Friedrich Engels: Werke, Band 6, Dietz Verlag, Berlin 1961, S. 397–423, hier S. 408f.
  10. 10. Ders.: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, in: Karl Marx und Friedrich Engels: Werke, Band 23, Dietz Verlag, Berlin 1968, S. 87.
  11. 11. Vgl. Ernest Mandel: The Inconsistencies of „State Capitalism“, International Marxist Group Pamphlet, London 1969, S. 14, https://www.marxists.org/history/etol/img/img-pamphlets/the-inconsistencies-of-state-capitalism-ernest-mandel.pdf [31. März 2025]. Ernest Mandel vertrat im Kern eine richtige marxistische Analyse der sowjetischen Gesellschaft, unterschätzte jedoch die mächtige Bremse, die das bürokratische Management für die Entfaltung der Produktivkräfte darstellte. So ging er lange fälschlicherweise davon aus, dass die Wirtschaft der UdSSR automatisch produktiver sei als der Kapitalismus und diesen daher bald überholen würde.
  12. 12. Tony Cliff: State Capitalism in Russia, Bookmarks, London 1974, S. 93, eigene Übersetzung. Diese Passage findet sich nicht in der deutschen Auflage von 2019, da diese auf der englischen Erstauflage von 1955 basiert und nicht auf der 1974 von Cliff durchgesehenen und ergänzten 2. Auflage.
  13. 13. Trotzki: Verratene Revolution, S. 957.
  14. 14. Vgl. Mandel: Inconsistencies, S.13–16.
  15. 15. Josef W. Stalin: Aufgaben der Wirtschaftler. Rede auf der ersten Unionskonferenz der Funktionäre der sozialistischen Industrie, 4. Februar 1931, in: Ders.: Werke, Band 13, Dietz Verlag, Berlin 1955, S. 26–32, hier S. 30f.
  16. 16. Marx: Kapital I, S. 376f.
  17. 17. Cliff: Staatskapitalismus, S. 186f.
  18. 18. Ebd., S. 187f.
  19. 19. Vgl. Mandel: Inconsistencies, S. 13, eigene Übersetzung.
  20. 20. Vgl. Cliff: Staatskapitalismus, S.155–159.
  21. 21. Wladimir I. Lenin: Staat und Revolution, in: Ders.: Werke, Band 25, Dietz Verlag, Berlin 1974, S. 395–507, hier S. 485.
  22. 22. Trotzki: Verratene Revolution, S. 746.
  23. 23. Mark Adam: State capitalism: ‘Call that socialism?'“, in: The Politics of the SWP. A Trotskyist Critique, Workers Power, London 1994, S. 3–8, hier S. 8, https://workerspower.uk/wp-content/uploads/2024/08/19940701-The-Politics-of-the-SWP-2nd-Edition.pdf [28. März 2025], eigene Übersetzung.
  24. 24. Cliff: Staatskapitalismus, S. 145.
  25. 25. Ebd., S. 150–153.
  26. 26. Ebd., S. 165f.
  27. 27. Volkhard Mosler: Selbstmord des bürokratischen Staatskapitalismus, in: Klassenkampf 77 (Dezember 1989), S. 6–9, hier S. 9.
  28. 28. Ders.: Tod des Stalinismus – Tod des Staatskapitalismus?, in: Klassenkampf 82 (Mai 1990), S. 16–19, hier S. 19.
  29. 29. Leo Trotzki: Das Übergangsprogramm. Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale, Mehring Verlag, Essen 2020, S. 124.
  30. 30. Vorlesung von Prof. Dr. Vadim Rogovin (Institut für Soziologie der Russischen Akademie der Wissenschaften, 1998†) im Dezember 1996 in der Humboldt-Universität Berlin, https://solidaritaet.info/2004/05/soziale-gleichheit-die-buerokratie-und-der-verrat-des-sozialismus-in-der-udssr/ [30. März 2025].

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