Rente mit 70: CDU und Arbeitgeberverband kündigen Angriff an

04.01.2021, Lesezeit 9 Min.
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Laut einem Papier des CDU-Wirtschaftsrates soll das Renteneintrittsalter in Zukunft über 67 hinausgehen. Auch Kürzungen von Sozialleistungen wurden angekündigt. So antworten die Großkapitalist:innen auf die Frage, wer die Krise zahlen soll. DGB-Gewerkschaften müssen Mobilisierungen und Streiks gegen diese Reform organisieren.

Der CDU-Wirtschaftsrat hat letzte Woche ein Konzeptpapier für ein neues Reformprogramm unter dem Titel „Überlastung der Sozialsysteme verhindern“ veröffentlicht, worüber die F.A.Z. berichtete. Darin positionieren sich Unternehmer:innen, die der Union nahestehen, gegen weitere Staatsausgaben während der Corona-Pandemie und plädieren für einen „Kurswechsel in der Sozialpolitik“.

Der CDU-Wirtschaftsrat fürchtet, dass die Sozialversicherungsbeiträge in Zukunft von 40 Prozent des Bruttolohns auf mehr als 50 Prozent steigen könnten. So rechnet die Regierung damit, dass die Rentenbeiträge bis 2024 von 18,6 Prozent auf 19,9 Prozent steigen, für dieselbe Rente müssten wir also künftig monatlich mehr in die Kasse zahlen. Ebenfalls werden die Gesundheits- und Pflegeausgaben wegen der Corona-Pandemie steigen, wie wir bereits in den Jahresabrechnungen der Krankenkassen beobachten konnten.

Aus diesem Grund schlägt der Wirtschaftsrat eine radikale Reform vor: Das bisherige Renteneintrittsalter von 67 Jahre soll erhöht werden. Das bedeutet nichts weiter als eine massive Kürzung der Renten, weil die große Mehrheit nicht das volle Alter zum Renteneintritt schaffen wird und deshalb mit Abzügen in die Rente gehen muss.

Dabei dienen große Angriffe wie in Niederlanden – die das Rentenalter auf 72 Jahre erhöhen wollen – als Vorbild für den Wirtschaftsrat der CDU. Ebenfalls soll sich dem Papier zufolge arbeiten „stärker lohnen“ als Sozialleistungsbezug: im Klartext Kürzungen der Harz IV-Sätze, sowie ALG I.

Geld, das frei wird für den Abbau von 180 Mrd. Euro neuen Schulden, die überproportional als Subventionen und Hilfen an Großunternehmen und Großaktionäre verschenkt wurden, um die Profite der deutschen Bourgeoisie zu retten.

Ein Generalangriff auf die Arbeiter:innenklasse

Die Reformen, die in dem Papier vorgeschlagen werden, können als ein Rezept des Großkapitals für die Wirtschaftskrise verstanden werden – ein Vorgeschmack auf eine kommende Schwarz-Grüne Bundesregierung?

Angesichts der Wirtschaftskrise und der Kosten des Strukturwandels im Automobilsektor wird der Staatshaushalt stark belastet. Dass die Regierungsparteien die Schuldenbremse ab 2022 wieder einhalten wollen, bedeutete von Anfang an, dass die Kosten der Krise durch weitere Kürzungen in Sozialleistungen, Gesundheit und Bildung finanziert werden.

Besonders die notwendigen Investitionen in den Automobilsektor und in Elektromobilität ist für die deutsche Bourgeoisie für den Wettbewerb gegenüber den USA und China auf dem Weltmarkt von zentraler Bedeutung, die finanzpolitische Umstrukturierungen, also Angriffe auf die Arbeiter:innenklasse notwendig macht. Sei es in Form von Massenentlassungen, die seit 2019 im Gange sind, oder Kürzungspakete, um einen möglichst großen Anteil der Steuergelder an die Reichen und Kapitalist:innen zu verschenken.

Die Reichen wurden reicher und wollen noch reicher werden

Überraschend an dem Papier ist für viele der Zeitpunkt der Veröffentlichung. Im Detail zu klären, wer die Kosten der Krise tragen soll, war von den Parteichefs bisher als eine Frage für nach den Bundestagswahlen behandelt worden. Die Kapitalist:innen, die Union nahestehen, wollen nun von vornherein für klare Verhältnisse sorgen.

Berücksichtigt man, dass der Wirtschaftsrat fester Teil des Merz-Flügels der CDU ist (Merz ist Vizepräsident) muss der Vorstoß auch als Teil der Auseinandersetzung um die CDU-Kanzlerkandidatur verstanden werden. Wir bekommen also tatsächlich präsentiert, wie ein Wirtschaftsprogramm unter Merz aussehen könnte. Dies berührt aber auch die Frage der möglichen Koalition, weil nicht klar ist, ob der Machthunger der Grünen so groß ist, dass sie so etwas anstandslos mitmachen würden.

Andererseits ist dieses arbeiter:innenfeindliche Reformpaket als eine Antwort der Bourgeoisie auf die Forderungen nach einer Vermögenssteuer zu verstehen. Das reichste Prozent besitzt mit 1400 Milliarden Euro – so viel wie die ärmsten 75 Prozent der Bevölkerung. Während der Corona-Pandemie vertieft sich diese Ungleichheit auch aufgrund der Maßnahmen der Regierung: In nur wenigen Monaten haben die zehn reichsten Deutschen 40 Milliarden Euro an neuem Vermögen akkumuliert. Darunter sind Großaktionäre von Unternehmen wie Aldi, Lidl, BMW, SAP und Würth.

Durch das Reformvorhaben der CDU wollen diese Großkapitalist:innen ihr Vermögen sichern, das sie auf dem Rücken von Millionen Beschäftigten verdient haben. Während Olaf Scholz die Wiedereinführung der Vermögenssteuer symbolisch zu seinem Wahlkampfthema erklärt – jedoch dabei nur von einem ein- bis zweiprozentigen „Ministeuer“ wie in der Schweiz spricht – ist die Mehrheit der Bevölkerung klar für eine größere Beschlagnahmung des Großvermögens für die Kosten der Wirtschaftskrise. Laut einer Umfrage von CIVEY sind 57 Prozent der Menschen in Deutschland für eine Vermögensabgabe der Superreichen für die Kosten der Corona-Krise, während laut einer Umfrage von Berlin direkt 78 Prozent für mehr Steuern auf sehr hohe Einkommen sind.

Durch eine Umstrukturierung der Sozialleistungen und des Rentensystems wollen die Großkapitalist:innen die Staatsschulden nicht etwa durch Vermögensabgaben, sondern durch weitere Kürzungen finanzieren.

Das Märchen der „Belastung der kommenden Generationen“

Im Reformpapier des CDU-Wirtschaftsrats wird argumentiert, dass es das Ziel des Reformpakets bezüglich des Rentensystems sei, „die zukünftigen Generationen nicht mehr zu belasten“. Dabei wird davon ausgegangen, dass der Staat keine neue Einnahmen schaffen darf, wie etwa mit einer Vermögensabgabe, sodass jede neue Generation von Rentner:innen mit steigender Lebenserwartung eine zusätzliche Belastung für den Staatshaushalt darstelle.

Laut ihr habe der Staat in diesem Fall zwei Optionen: entweder die Sozialleistungen wie die Rente zu kürzen oder Sozialabgaben zu erhöhen, z.B. indem der Renteneintrittsalter erhöht wird. Dabei ist diese Argumentation nichts als Heuchelei, da Millionen von Arbeiter:innen durch ihre Arbeit riesige Profite für die Großkapitalist:innen sichern, während sie ihre Rente aus ihren eigenen Löhnen zahlen müssen.

Indem die Kapitalist:innen die vermeintlichen Kosten der Alterung der Gesellschaft den „neuen Generationen“ zuschreiben, versuchen sie den eigentlichen Grund für den Altersarmut zu verschleiern. Nicht die Anzahl an Rentner:innen ist das Problem, sondern die Großkonzerne, deren Aktionär:innen durch Staatshilfen massive Profite in ihre Taschen wirtschaften, während die Sozialleistungen immer wieder gekürzt werden, um diese Unternehmenshilfen zu finanzieren.

Auch der neue Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) Rainer Dulger fordert die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Selbst die Tagesschau reagiert auf ihre Äußerungen mit den Worten „Also Rente mit 70?“. Natürlich ist es keinen Zufall, dass des Rentenalters zeitgleich vom Arbeitgeberpräsident und vom CDU-Wirtschaftsrat zum Thema bei den Bundestagswahlen gemacht wird. Die deutsche Bourgeoisie formuliert ihre Ansprüche an die neue Regierung und macht klar: wer Deutschland regieren will, muss einen neuen Generalangriff wie die Agenda2010 vorbereiten.

Gewerkschaften: Auf zum Widerstand!

Die DGB positioniert sich bisher gegen die Forderungen der Kapitalseite und bezeichnet eine Erhöhung des Rentenalters sowie eine Erhöhung der Sozialabgaben über 40 Prozent des Lohns als „völlig inakzeptabel“. Dass ein Lippenbekenntnis der Gewerkschaftsführung nicht genug ist, um solche Generalangriffe auf die Arbeiter:innenklasse zu stoppen, wissen wir bereits von den Agenda2010-Reformen.

Wir brauchen große Mobilisierungen noch vor den kommenden Bundestagswahlen gegen diese Vorhaben der Großkapitalist:innen und Unionsparteien. Diese Mobilisierungen sollten diesen Generalangriff auf die Arbeiter:innenklasse als Anlass nehmen und einen Kampfplan gegen die Wirtschaftskrise aufstellen. Ein solcher Plan muss kombinierte Mobilisierungen und Streiks unterschiedlicher Sektoren wie Continental, Daimler oder im Einzelhandel beinhalten und sich sowohl gegen die Schließungen von Betrieben und die Privatisierung des Bildungssystems angefangen bei den Hochschulen wenden als auch für mehr Personal und massive Investitionen in das Gesundheitssystem eintreten.

Die Kapitalist:innen und die Reichen nehmen die Corona-Pandemie als Anlass, ihre verbrecherischen Pläne ohne einen Widerstand der Massen durchzusetzen. Angefangen mit Betriebsgruppen und Gewerkschaftsstrukturen an der Basis brauchen wir eine Vernetzung unter Arbeiter:innen, um die Gewerkschaftsführungen unter Druck zu setzen, den Kampf aufzunehmen. Bisher verweigern diese größere Streiks und Mobilisierungen zu organisieren, wie im Falle von Galeria-Karstadt-Kaufhof, Continental oder Daimler, sowie in den Krankenhäusern.

Dieses arbeiter:innenfeindliche, neoliberale Reformvorhaben der Bundesregierung und der Kapitalist:innen müssen wir zurückschlagen. Die Mobilisierungen müssen mit weiteren Forderungen gegen alle Auswirkungen der Krise erweitert werden: wie die Einführung einer drastischen Vermögenssteuer für die Superreichen und eine Vermögensabgabe der Großaktionär:innen, die während und vor der Krise profitiert haben. Entschädigungslose Enteignung aller Konzerne, die schließen, entlassen oder sich nicht an die Gesundheitsvorschriften halten, unter Kontrolle ihrer Beschäftigten. Die Vergesellschaftung des gesamten Gesundheitswesens und -industrie und massive Investitionen dorthin, die aus den Vermögen der Großaktionär:innen finanziert werden.

Die Kapitalist:innen sind sich völlig bewusst, dass entweder sie oder wir für die Krise zahlen werden und haben das Selbstvertrauen, ihre Pläne offen und heuchlerisch anzukündigen. In Frankreich sahen wir in den vergangenen Jahren, wie die Arbeiter:innenklasse die französische Variante der Rentenreform mit Generalstreiks und Massenstreiks bekämpft hat und dabei Millionen auf die Straße mobilisieren konnte. Auch in Deutschland bildet der Generalstreik die Perspektive des Kampfes gegen diesen Generalangriff auf die Arbeiter:innenklasse. Dafür müssen wir die DGB-Bürokratie sowie die Führungen von SPD und Linkspartei für Mobilisierungen unter Druck setzen.

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