Palästina-Solidarität hat nichts mit Antisemitismus zu tun

03.05.2022, Lesezeit 10 Min.
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Quelle: Instagram @palestinespeaks

Wir spiegeln ein Statement von Palästina Spricht zum Verbot pro-palästinensischer Demonstrationen und einige Begriffserklärungen.

Auch in diesem Jahr gab es im Vorfeld der revolutionären 1.-Mai-Demo in Berlin-Neukölln massive Hetze gegen Palästina-Solidarität. Diese wird von der bürgerlichen Presse, der Bundesregierung und von Antideutschen als „antisemitisch“ deklariert. In Berlin wurden pro-palästinensische Demonstrationen vom 29. April bis einschließlich dem 1. Mai verboten. Von diesem Verbot haben sich die Demonstrant:innen jedoch nicht einschüchtern lassen. Es wurden Palästina-solidarische Parolen gerufen und auch Fahnen waren auf der Demo sichtbar.

Der Staat, die bürgerlichen Medien und Antideutsche stellen sich damit wieder einmal auf die Seite des israelischen Apartheidstaates. Wenn die Bundesregierung den Kampf gegen Antisemitismus ernst nehmen würde, warum wird nicht gegen die von Rechtsextremen durchsetzten staatlichen Institutionen vorgegangen? Stattdessen werden rassistische Übergriffe und Vorfälle staatlich gedeckt.

Die Hetze gegen Palästina-Solidarität und damit der antipalästinensische Rassismus des deutschen Staates ist „deutsche Staatsräson“, mit der die Bundesregierung die wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen des deutschen Kapitals durchsetzt. Israel ist einer der wichtigsten Partner des deutschen Kapitals im Nahen Osten und damit militärisch sowie wirtschaftlich ein Tor zur Region.

Wir stellen uns ganz klar gegen den antipalästinensischen Rassismus und gegen den israelischen Apartheidstaat und spiegeln solidarisch ein Statement unserer Genoss:innen von Palästina Spricht sowie Begriffserklärungen, die sie auf Social Media veröffentlicht haben:

Statement: #Wir werden nicht schweigen

Verbot aller pro-palästinensischen Demos! Wir lassen uns unsere Grundrechte nicht widerstandslos nehmen!

Das Verbot aller pro-palästinensischen Demonstrationen in Berlin bis zum 1. Mai stellt ein Novum des Abbaus der Demokratie und basalsten Grundrechten in der Bundesrepublik Deutschland dar. Die schweren Repressionen gegen freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht werden unter anderem mit unseren Demos als Palästina Spricht gerechtfertigt.

Während Nazis seit Jahrzehnten ohne jegliches Verbot munter morden und marschieren können, bringt der Einsatz für palästinensische Menschenrechte das Blut des autoritären deutschen Staates zum Kochen. Der vorgeschobene Grund ist das Verhalten einzelner Jugendlicher unter Tausenden.

Der tatsächliche Grund ist, dass die schiere palästinensische Existenz ein Dorn im Auge der Deutschen Staatsräson bildet, die ihren Nationalismus und ihre Weltmachtambitionen über die Beziehungen zum israelischen Arpartheidstaat zu legitimieren sucht. Antipalästinensischer Rassismus und antipalästinensische Repressionen erfüllen also einen klaren Zweck und sind alles andere als eine rein zufällig entstandene Hetzkampagne.

In diesen Momenten patrouillieren Bullen in den migrantischen Bezirken Neukölln und Kreuzberg auf der Jagd nach vermeintlichen arabisch aussehenden Menschen. Das planmäßige Racial Profiling wird in der Verbotsschilderung der Versammlungsbehörde ersichtilch: „Die Versammlungsteilnehemnden werden sich zum Größteil aus Personen der arabischen Diaspora, insbesondere mit palästinensischem Hintergrund, zusammensetzen. Zusätzlich werden sich weitere muslimisch geprägte Personenkreise, vorzugsweise voraussichtlich aus der libanesischen, türkischen sowie syrischen Diaspora, an dem Aufzug beteiligen. (…) Zudem belegen die Erfahrungen, dass zurzeit bei dieser Klientel eine deutlich aggressive Grundhaltung vorherrscht und man gewalttätigem Handeln nicht abgeneigt ist.“

Der Angriff auf palästinensische Menschen wurde also längst ausgeweitet auf migrantisch gelesene Menschen im Allgemeinen, so wie das Demoverbot gegen palästinensische Menschenrechte nur ein Vorbote für ein mögliches Verbot weiterer migrantischer und linker Demos ist. Antipalästinensischer Rassismus ist integraler Bestandteil und eingebettet in die rassistische Struktur des deutschen Repressionsapparat.

Das Demoverbot reiht sich nahtlos ein in die generelle Verdrängung aus öffentlichen Räumen und der entzug von Ressourcen und Zugängen gegen palästinensische Menschen in Deutschland seit vielen Jahren. Antipalästinensischer Rassismus manifestiert sich nicht nur in der Propaganda der deutschen Presse und im öffentlichen Diskurs, sondern auch durch politische Instrumente der Unterdrückung und durch alltägliche Praktiken der Diskrimminierung. Antipalästinensischer Rassismus war in Deutschland schon immer das Einfallstor für die Ausweitung staatlicher Repression und eines autoritären Rechtsrucks.

Deswegen ist jetzt die Zeit, sich kollektiv zur Wehr zu setzen JETZT.

Erfahrungen der Vergangenheit beweisen: Unser Widerstand kann Erfolg haben wie in Stuttgart, wie gegen Raumverbote in Frankfurt, München und anderswo oder gegen antipalästinensisches Racial Profiling beim Kulturfest in Bonn. Dafür sind wir jetzt so sehr wie nie auf eure Solidarität angewiesen, die gleichzeitig Solidarität mit euren eigenen Kämpfen gegen staatliche Unterdrückung miteinschließt. Verwandeln wir die kommenden Tage und Wochen in ein Fest der Unterdrückten und des Widerstands!

Wir werden nicht schweigen! Wir sehen uns auf der Straße! Stay tuned!“

Quelle: Instagram @palestinespeaks

Begriffserklärung

Einige anti-palästinensische Akteur*innen versuchen Formulierungen von Palästina Spricht für Propaganda gegenüber Personen mit geringem Kenntnisstand zu instrumentalisieren. In diesen Slides erklären wir, wofür Begriffe und Konzepte wie Intifada, zionistischer Kapitalismus, From the river to the sea und weitere wirklich stehen.

Intifada

Intifada bedeutet auf arabisch so viel wie „sich erheben“ beziehungsweise „Aufstand“. Gemeint ist eine Erhebung der unterdrückten, kolonisierten palästinensischen Bevölkerung gegen die Unterdrückung durch den zionistischen Apartheidstaat und dessen Siedlungskolonialismus. Historisch hat sich eine solche revolutionäre Erhebung wie andere Revolutionen der Geschichte in Generalstreiks, Massenprotesten, selbstversorgenden Rätestrukturen von unten, Massenboykott, Frauenkomitees bis hin zu militantem Widerstand geäußert. Intifada hat nichts mit „Vernichtungsantisemitismus“ oder „alle Juden töten“ zu tun. Als Palästina Spricht sind wir Teil der internationalen Linken und unterstützen dementsprechend selbstverständlich Aufstände, Revolutionen und Dekolonisierungaprozesse wie eine Intifada.

Zionistischer Kapitalismus

Ein Satz, von uns, der massiv verdreht wurde, ist folgender: „Der zionistische Kapitalismus in Palästina ist Teil eines globalen Systems von Herrschaft und Unterdrückung.“ Einige pseudo-„Linke“ aus dem „antideutschen“ Spektrum versuchen diesen Satz zu entstellen, um die Nazis ihrer Großelterngeneration zu entlasten, indem sie antisemitische Verschschwörungsideologien vom „raffenden jüdischen Kapital“ auf ein rassifiziertes Anderes projizieren.

Solche nazistische Verschwörungstheorien stehen aber im direkten Gegensatz zum von uns betonten Konzept eines im globalen kapitalistischen Weltsystem integrierten zionistischen Kapitalismus. Wie jeder kapitalistische Staat hat auch der spezifische Kapitalismus des zionistischen Apartheidstaates Besonderheiten.

Im Fall des Kapitalismus des zionistischen Staates ist das vor allem der stetige Kapitalzufluss ohne gleichzeitige Ausbeutung oder ökonomische Bedingungen durch einen relativ geschlossenen Block imperialistischer Staaten. Der Grund für diese Eigenart ist die Funktion des zionistischen Staates für den globalen militärisch-industriellen Komplex durch seine am menschlichen Objekt „getesteten“ Waffen- und Überwachungssysteme sowie dessen Funktionen für kapitalistische Interessen in der ressourcen reichsten Region der Welt. So wie es einen spezifischen russischen Kapitalismus und russisches Kapital (z. B. oligarchische Kombinationen politischer und wirtschaftlicher Macht) sowie einen spezifisch deutschen Kapitalismus und deutsches Kapital gibt, gibt es eine spezifische Form des zionistischen Kapitalismus. Keine dieser kapitalistischen Formen haben wir je als „gut“ behauptet.

Kein Kapital ist „schaffend“ im Gegensatz zu „raffend“, Kapitalismus als globales System von Herrschaft und Unterdrückung zu bekämpfen. Und genau das geht aus dem Zitat von uns hervor. Alles andere ist bewusste, böswillige Fehlinterpretation und NS-Relativierung. Solche Methoden sagen mehr über Täterenkel aus, die damit die vernichtungantisemitischen Verbrechen deutscher Nazis relativieren wollen, als über Palästina Spricht.

„Sozialistischer“ Zionismus

Nun mögen Personen mit wenig Kenntnis über den Zionismus einwenden, dass es ja auch einen „sozialistischen“ Zionismus gegeben habe. Ein Zitat des Führers des sogenannten zionistischen „Sozialismus“ David Hacohen sagt alles, was man über dessen ethno „sozialistischen“ Ideale wissen muss: „Ich musste mit meinen Freunden viel über den jüdischen Sozialismus streiten; musste die Tatsache verteidigen, dass ich keine Araber in meiner Gewerkschaft akzeptiere; dass wir Hausfrauen predigten, nicht in arabischen Geschäften zu kaufen; dass wir an Obstplantagen Wache hielten, um arabische Arbeiter daran zu hindern, dort Arbeit zu finden; dass wir jüdische Frauen attackieren und die arabischen Eier, die sie gekauft hatten, vernichteten; dass wir den Jüdischen Nationalfonds hochpriesen, der Hankin nach Beirut schickte, um Land von abwesenden Großgrundbesitzern zu kaufen und die arabischen Fellachen zu vertreiben; dass es verboten ist, einen einzigen jüdischen Dunam an einen Araber zu verkaufen … All das zu erklären war nicht leicht.“ (Ha’aretz, 15.11.1968).

Der sogenannte zionistische „Sozialismus“ basierte auf der Dreierdoktrin „Jüdische Arbeit, jüdische Produkte, jüdischer Boden.“ Die Intention war, einen ethnisch rein jüdischen kapitalistischen Arbeitsmarkt und Staat aufzubauen. In zionistisch-„sozialistischen“ Kibbuzim und der zionistisch-„sozialistischen“ Gewerkschaft Histadrut waren arabische Arbeiter*innen aufgrund ihrer Ethnie nicht erlaubt. Zionistische Kapitalist*innen wurden unterstützt, solange sie keine arabischen Arbeiter*innen beschäftigten. Arabische Produktionsstätten und Produkte wurden vernichtet. Die sogenannten zionistischen „Sozialist*innen“ waren unter den Ersten, die arabische Menschen ethnisch säuberten und in die zionistischen Milizen strömten, um einen kapitalistischen Apartheidstaat aufzubauen. Kolonialrassismus und Sozialismus sind vereinbar. Nur weil auf etwas „Sozialismus“ drauf steht, ist noch lange nicht Sozialismus drin. Was als „sozialistischer Zionismus“ bezeichnet wird, ist nicht mehr als eine weitere kapitalistische Form des Zionismus. Heutzutage spielt diese Form allerdings nicht einmal mehr eine politische Rolle, da der rechte Flügel des Zionismus unangefochten überwiegt, weswegen die Diskussion eine völlige Scheindebatte ist. Auch der sogenannte „sozialistische“ Zionismus hatte jedoch Entfernung statt sozialistische Befreiung der arabischen Arbeiter*innenklasse zum Ziel.

Kolonialistische Barbarei statt Sozialismus. Wer solchen Rassenwahn als „sozialistische“ Perspektive verklärt, kann kein*e Genoss*in im Kampf für die globale sozialistische Befreiung der Menschheit sein.

From the river to the sea, Palestine will be free!

Der Ruf nach der Befreiung des historischen Gebiets Palästina vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer hat nichts mit „Vernichtungsantisemitismus“ zu tun, sondern bedeutet zwangsläufig die antikoloniale Befreiung von zionistischer Unterdrückung und ethnischer Segregationspolitik (Apartheid). Die Freiheit und Gleichberechtigung aller Menschen – ob die jüdisch, arabisch oder sonst etwas sind – ist nicht gleichzusetzen mit dem rassistischen zionistischen Apartheidsystem, das aktuell im Gebiet Palästina herrscht. Der Spruch bedeutet uns wirkliche Freiheit für alle arabischen sowie jüdischen Menschen, die in einem enkolonialzierten und damit entzionisierten Palästina gemeinsam und gleichberechtigt leben können und wollen.

Quelle: Instagram @palestinespeaks

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