Neuer Antikapitalismus in der Krise: Die NPA

02.10.2012, Lesezeit 10 Min.
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Drei Jahre nach ihrer Gründung schwimmen der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) in Frankreich die Felle davon. Im Jahr Fünf der kapitalistischen Krise brechen die Mitgliederzahlen zusammen, bei Wahlen werden mikroskopische Ergebnisse eingefahren und ganze Flügel verlassen die Partei. Auf der Nationalen Konferenz im Juli zeigte sich vor allem zunehmende Zersplitterung. Währenddessen eifern verschiedene Gruppen des trotzkistischen Zentrismus in Europa dem großen Vorbild aus Frankreich nach.

Doch die Krise der NPA inmitten der Krise des Kapitalismus sollte für RevolutionärInnen Anlass sein, das französische Projekt besonders kritisch zu betrachten. Es zeigt, dass organisatorische Einheit allein wenig wert ist, wenn sie nicht auf einem klaren, gemeinsamen Programm fußt. Der diffuse Antikapitalismus der NPA konnte zwar kurzzeitig für Begeisterung unter linken AktivistInnen sorgen – aber statt in den vergangenen und aktuellen Kämpfen in Frankreich eine entscheidende Rolle zu spielen, zerreißt es das schwache Fundament der Partei bereits nach wenigen Jahren.

Unsere GenossInnen der Revolutionären Kommunistischen Strömung (CCR) innerhalb der NPA propagieren ein revolutionäres Programm, das die Verbindung der Partei mit kämpferischen Sektoren des Proletariats sucht, um diese Avantgarde auf die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und die Machteroberung durch die ArbeiterInnen vorzubereiten. Gegen diese marxistische Perspektive richten sich jedoch verschiedenste politischen Strömungen innerhalb der NPA, von denen einige auf dem besten Wege sind, auch den letzten Rest Antikapitalismus hinter sich zu lassen. Diese allgemeine Rechtsentwicklung der NPA muss analysiert werden.

Ein zentristisches Vorzeigeprojekt

Als 2007 der Präsidentschaftskandidat der trotzkistischen Organisation Revolutionäre Kommunistische Liga (LCR), Olivier Besancenot, im ersten Wahlgang 4,08% der Stimmen gewann, sah dies die LCR als ein Zeichen, dass ein großer gesellschaftlicher Raum für linke, antikapitalistische Politik bestünde. Tatsächlich wäre es, wie unsere französischen GenossInnen schrieben, „konservativ gewesen, nicht zu versuchen, dieses Echo in kämpferische Kräfte zu verwandeln, und wenn es dafür notwendig gewesen wäre auf ein Vokabular zu verzichten, das allzu sehr von den Traditionen der radikalen Linken nach 1968 besetzt ist, warum nicht?“[1]

Doch anstatt einen wirklichen Raum zu schaffen, in dem fortschrittliche ArbeiterInnen und Jugendliche sich mit revolutionärer Politik befassen können, ohne von Vorurteilen gegenüber traditioneller Terminologie abgeschreckt zu werden, wurde vielmehr die These aufgestellt, dass auch die hinter dieser Terminologie stehende Strategie seit der kapitalistischen Restauration in den ehemaligen bürokratisch degenerierten ArbeiterInnenstaaten überholt sei. Getäuscht von dem Klima der bürgerlichen These vom „Ende der Geschichte“ sprachen die TheoretikerInnen der LCR von der „strategischen Verwaisung“ der radikalen Linken und versuchten, durch eine vermeintlich zeitgemäße Auflösung des Trotzkismus in einen abstrakten Antikapitalismus der Bewegungen – inklusive „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ von Hugo Chávez in Venezuela – Einfluss auf die Massen zu gewinnen.

Tatsächlich gingen die Mitgliederzahlen bei der Gründung der NPA in den fünfstelligen Bereich. Doch offensichtlich konnte die neu gegründete Partei daraus kaum politisches Kapital schlagen, denn weder konnte die Partei bei der Massenbewegung gegen die Rentenreform im Herbst 2010 eine alternative politische Führung zur Gewerkschaftsbürokratie anbieten[2], noch konnte sie diese Mitglieder halten. Nach drei Jahren sind weniger als 2.000 Menschen bei der NPA aktiv.

Obwohl das bisherige politische und strategische Projekt der NPA so offenkundig scheitert, versuchen verschiedene trotzkistische Kräfte, ähnliche Gruppierungen in ihren Ländern aufzubauen. So beispielsweise die „New Anticapitalist Initiative“ in Großbritannien, die ursprünglich von der Gruppe „Workers Power“ (britische Sektion der Liga für die Fünfte Internationale, LFI) initiiert wurde, mittlerweile aber hauptsächlich von einer Abspaltung aus ihr betrieben wird; die „Nova Antikapitalisticka Levice“ in Tschechien, die ebenfalls von der LFI mitgegründet wurde; sowie jüngst auch der Prozess zum Aufbau einer „Neuen Antikapitalistischen Organisation“ (NAO)[3] in Deutschland, der von der Kleingruppe „Sozialistische Initiative Berlin“ (SIB) angestoßen wurde, mittlerweile aber auch von der Gruppe Arbeitermacht (GAM, deutsche Sektion der LFI), dem Revolutionär-Sozialistischen Bund (RSB, deutsche Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationale) und anderen unterstützt wird.

Einige dieser Gruppen, die einen Parteiaufbau nach dem Vorbild der französischen NPA anstreben, haben einen Bezug zur NPA: wie der RSB, dessen Schwesterorganisation die LCR war. (Die SAS, deren französische Schwesterorganisation, die LO-Fraktion „L‘Etincelle“, eine Fraktion innerhalb der NPA bildet, ist nicht am Diskussionsprozess über die Gründung einer „Neuen Antikapitalistischen Organisation“ in Deutschland beteiligt.) Deswegen ist es uns wichtig, die Absicht dieses Artikels klar zu stellen: Wir denken, dass die Einblicke und Lehren, die unsere GenossInnen der CCR durch ihre politischen Arbeit in der NPA gewonnen haben, von großer Bedeutung für den weiteren Weg des Aufbaus einer revolutionären Partei in Frankreich aber auch in Deutschland sind.

Wenn in der NPA kein strategischer Umschwung stattfindet und sie stattdessen weiter zerfällt, bedeutet dies einen herben Rückschlag für die radikale Linke im zweitwichtigsten Land des europäischen Imperialismus. Innerhalb Deutschlands, das mittlerweile die Hegemonialstellung in Europa eingenommen hat und diese im Zuge der Eurokrise weiter auszubauen versucht, wäre es denkbar gefährlich für RevolutionärInnen, die französischen Fehler im Parteiaufbau zu wiederholen. Insofern wollen wir auch diesen Text nicht als sektiererisches Pamphlet verstanden wissen, sondern als solidarische Kritik, mit der ausdrücklichen Einladung, ihn gemeinsam mit uns zu diskutieren.

Kompromisse statt Klarheit

Sollte die nationale Konferenz der NPA im Juli dieses Jahres eigentlich für Klarheit in der politischen Linie sorgen, verdeutlichte sich die Krise der Partei nur. Der äußerste rechte Flügel der NPA hat sich Ende 2011 als „Antikapitalistische Linke“ (Gauche Anticapitaliste, GA) konstituiert. Er hatte bereits seitdem dafür plädiert, die Präsidentschaftskampagne von Jean-Luc Mélenchon und der Linksfront (Front de Gauche, FdG) zu unterstützen, anstatt eine/n eigene/n Präsidentschaftskandidatin/en der NPA aufzustellen. Nachdem dennoch Philippe Poutou, ein Arbeiter aus der Automobilindustrie[4], von der Partei demokratisch als Kandidat bestimmt wurde, torpedierte die GA unaufhörlich dessen Wahlkampagne. Ihren liquidationistischen Kurs vollendete die GA dann im Juli mit dem kollektiven Austritt aus der NPA und ihrem Anschluss an die FdG.

Im Richtungsstreit um die zukünftige Ausrichtung der NPA auf ihrer Konferenz bildeten die verschiedenen Strömungen wieder politische Plattformen (E bis I), über deren Vorschläge diskutiert und abgestimmt wurde. Die von bekannten Führungsfiguren wie Olivier Besancenot und Philippe Poutou angestoßene Plattform F konnte mit ihrem zentristischen Kurs eine knappe Mehrheit erlangen. Sie lehnte einen Beitritt zur FdG zwar ab, suchte aber dennoch nach Kompromissen in Richtung der GA und zeigte sich offen für Zusammenarbeit mit der Linksfront. Sie verweigerte sich dagegen den von der Plattform I eingebrachten Änderungsanträgen, die ein Notprogramm gegen die Krise, eine stärkere Verankerung in den Betrieben und eine Ablehnung der FdG beinhalteten. Stattdessen einigten sich schließlich die Plattformen I, H (die Gruppe „L‘Etincelle“) und E (CCR) auf einen gemeinsamen Vorschlag. Dieser enthält auf Druck der CCR auch die Forderung nach der Verstaatlichung unter ArbeiterInnenkontrolle von Betrieben, die Entlassungen durchführen wollen, und das Ziel einer ArbeiterInnenregierung. Das gemeinsame Papier erreichte zwar fast ebenso viele Stimmen wie die Plattform F, doch ist es in vielen Punkten nicht deutlich genug und zeigt lediglich sehr grob die Richtung auf, in die revolutionäre Kräfte in der NPA drängen sollten.

Wir halten es für besonders bedenklich, dass auch Kräfte, die im linken Sektor des Trotzkismus stehen, zentristische Tendenzen in der NPA unterstützen. So konnte die Gruppe „L‘Etincelle“ sich erst im Vorfeld der Konferenz im Juli organisatorisch von der alten linkszentristischen Plattform 2 lösen, und lehnte die Einladung der GenossInnen des CCR ab, gemeinsam konsequent für eine revolutionäre Ausrichtung der NPA zu kämpfen. Ähnliches gilt für die LFI, deren Vertreter Marc Lasalle die CCR explizit als sektiererisch denunziert, und stattdessen die zentristischen Strömungen innerhalb der NPA unterstützt[5]. Die GAM argumentiert eigentlich, wie wir, das RevolutionärInnen nur dann in reformistische und zentristische Parteien eintreten dürfen, wenn sie für ein klares revolutionäres Programm kämpfen und kleinbürgerliche Tendenzen scharf verurteilen (dies kam und kommt unter anderem in unserer Kritik des Entrismus der SAV in der Linkspartei zum Ausdruck). Umso verwunderlicher ist es, dass sie die Möglichkeit nicht ergreifen wollen, einen starken revolutionären Pol in der NPA aufzubauen.

Verwaisung der Partei

Es muss unserer Ansicht nach klar sein, dass die Grundthese der NPA, die der „strategischen Verwaisung“, vielmehr die NPA selbst als politische Partei „verwaisen“ lässt, und damit vollkommen entwaffnet. Wir halten es für sehr bedenklich, dass Teile des deutschen Trotzkismus sich in diesem Moment bemühen, sich in ein ähnliches Projekt zu liquidieren. Es kann nur oft genug wiederholt werden, auch zur Warnung der GenossInnen, die den „NAO-Prozess“ vorantreiben, dass ein breites antikapitalistisches Projekt – wenn es denn überhaupt dazu in der Lage ist, eine relevante Menge an AktivistInnen zu versammeln – allenfalls die Illusion schürt, dass die Kämpfe, die uns die kapitalistische Krise aufzwingt, ohne eine vorherige Auseinandersetzung über die richtige politische Strategie gewonnen werden könnten.

Eine auf dieser Grundlage gebildete Führung wäre nicht im Mindesten dazu befähigt, einen harten antiimperialistischen und internationalistischen Kurs gegen den bürgerlichen Staat einzuschlagen. Das Resultat wäre die Demoralisierung der Massen, die sich – im besten Fall – diesem Projekt mit großen Hoffnungen angeschlossen haben. Für NAO und andere NachahmerInnen besteht allerdings zusätzlich das Problem, dass sie keinerlei Anziehungskraft selbst auf die fortgeschrittensten ArbeiterInnen und Jugendlichen besitzen und ihnen damit eigentlich jede Existenzberechtigung fehlt.

Wir sind der Ansicht, dass es im Sinne aller RevolutionärInnen ist, anhand der Erfahrungen der NPA eine politische Diskussion und Klärung durchzuführen und die Reorganisierung der Avantgarde auf dem Boden des Übergangsprogramms und der wiederaufgebauten Vierten Internationale voranzutreiben. Dazu laden wir alle Interessierten ein.

Fußnoten

[1]. Daniela Cobet: A trois ans du Congrès de fondation: Confronter le projet du NPA aux leçons politiques et strategiques de la lutte de classe. http://www.ccr4.org/Confronter-le-projet-du-NPA-aux. (Eigene Übersetzung.)

[2]. Zum „Französischen Herbst“ siehe unsere Broschüre „Frankreich brennt!“.

[3]. Siehe unsere Stellungnahme zum NAO-Prozess.

[4]. Zur Kampagne von Poutou, siehe den Artikel in Klasse Gegen Klasse Nr. 3: Wahlen in Frankreich: Eine Epochenwende?.

[5]. http://www.fifthinternational.org/content/second-npa-congress-what-kind-party-and-what-politics-should-it-have.

Richtigstellung

In der Version dieses Artikels, die in Klasse Gegen Klasse Nr. 4 erschienen ist, wurde der Eindruck erweckt, als wäre die SAS am Diskussionsprozess über die Gründung einer „Neuen Antikapitalistischen Organisation“ in Deutschland beteiligt. Die SAS nimmt daran nicht teil.

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