Revolutionärer Internationalismus erfüllt mich mit Stolz

Letztes Wochenende habe ich an einer riesigen Veranstaltungen meiner Internationale, der FT, teilgenommen. Zu wissen, dass es tausende anderer Genoss:innen weltweit gibt, die mit mir kämpfen, gibt mir Kraft.
Vergangenes Wochenende waren über 2.000 Aktivist:innen in Paris bei der internationalistischen Versammlung unserer französischen Schwesterorganisation Révolution Permanente (RP), wo wir darüber diskutierten, wie wir uns international gegen Krieg, Aufrüstung, den Rechtsruck und für die Befreiung vom Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus organisieren können. Eine dieser Aktivist:innen war ich und ich möchte euch von meinen Eindrücken erzählen.
Als FT-CI (Trotzkistische Organisation für den Wiederaufbau der Vierten Internationale) organisieren wir uns zur Zeit in 14 Ländern. Wir machen nicht in jedem Land genau das selbe zu jeder Zeit, da die verschiedenen nationalen Situationen verschiedene Maßnahmen erfordern, aber wir teilen dieselbe Strategie, sind uns also einig über unser Ziel (einer weltweiten sozialistischen Revolution) und wie wir dorthin kommen wollen. Mehr dazu findet ihr unter anderem hier, hier und hier.
Riesiger Andrang für revolutionären Sozialismus
Samstagnachmittag kamen wir etwas später als geplant an der Halle an und es gab bereits eine riesige Menschenmenge. Die französische Genossin Irène sagte in einem Video auf Instagram, dass man denken könnte, man sei in der Schlange von einem Bad-Bunny-Konzert gelandet. Wer mich kennt, weiß, dass ich starke Ängste habe – es war jedoch alles sehr gut organisiert, sodass sich meine Befürchtung einer Massenpanik (wie bei der Love-Parade) nicht bewahrheitete.
Zwei Genoss:innen aus dem Spanischen Staat, Natalia und Choli, sowie Ariane von Le Poing Levé (dt.: „Die erhobene Faust“, die Hochschulgruppe von RP) hielten Grußworte, in denen sie die Notwendigkeit für die Studierenden betonten, gemeinsam mit den Arbeiter:innen zu kämpfen. Besonders in Erinnerung ist mir geblieben, dass Le Poing Levé bei den Wahlen für die Studierendenparlamente insgesamt 11.000 Stimmen erhielt (50 Prozent der Stimmen an der Universität Paris 8 in Saint-Denis). Mit einem Programm und einer Gruppe, die offen sagt, dass sie revolutionäre Sozialist:innen sind und eine ganz andere Gesellschaft erkämpfen wollen. Für eine Universität für alle und Rechte für ausländische Studierende, gegen Prekarität und Ausbeutung. Für den Kampf gegen das Patriarchat – in der Universität und in der gesamten Gesellschaft. Gegen antimuslimischen Rassismus und Polizeigewalt. Gegen den Aufstieg der Extremen Rechten und gegen den Genozid in Palästina.
Am Rande der Veranstaltung wurde Geld für die streikenden Eisenbahner:innen gesammelt, damit sie ihren Streik ohne finanzielle Sorgen fortsetzen können. Wir haben mit französischen Genoss:innen über den Streik der CFM (Charité Facility Management) in Berlin gesprochen. Ich finde es richtig schön, dass es die Möglichkeit gibt, dass Streiks so über ihre Stadt oder ihr Land heraus bekannt werden und andere sich davon inspirieren lassen können.
Jede:r ist besonders – besonders wichtig für die Revolution
Richtig wichtig finde ich, dass wir unsere „bekannteren“ oder „langjährigen“ Genoss:innen (oder generell andere Genoss:innen) nicht auf ein Podest stellen und ihre Erfahrung und Fähigkeiten als etwas Unerreichbares ansehen. Unsere Stärke liegt darin, gemeinsam organisiert zu sein, nicht alles können oder wissen zu müssen, sondern voneinander lernen und gemeinsam wachsen zu können. Anasse Kazib (Eisenbahner, Genosse von RP und ehemaliger Präsidentschaftskandidat) sagte sinngemäß, dass er nicht wichtiger als irgendjemand anderes in diesem Raum sei und dass er vor zehn Jahren in einer ähnlichen Situation war wie viele hier und nicht als revolutionärer Aktivist geboren wurde.
Jede einzelne Person, die sich mit uns politisch organisieren möchte, bringt etwas mit – sei es besonderes Wissen über ein Thema, eine Fähigkeit oder Erfahrungen. Es ist, was sie einzigartig macht und dazu führt, dass sie etwas Neues zu der Organisation beiträgt.
Ich habe dieses Wochenende mit verschiedenen internationalen Genoss:innen darüber gesprochen, was wir für eine Politik wo gerade machen und wir haben uns gegenseitig Tipps gegeben, was man verbessern oder bedenken kann. Internationalismus heißt für mich nicht, zu bestaunen, was eine andere Sektion macht, sondern sich aktiv einzumischen und Fragen zu stellen. Die Kapitalist:innen und die extreme Rechte sind international vernetzt, also müssen auch wir es sein.
Wir können und müssen uns mit den Kämpfen von Sozialist:innen, der Arbeiter:innenklasse und der Jugend beschäftigen, um Antworten auf die Fragen zu finden, was zu tun ist. Aber wir können und müssen auch in die Vergangenheit schauen. Oft wird angenommen, dass unsere Ideen zu radikal oder unmöglich seien, doch in der Vergangenheit haben mutige und entschlossene Aktivist:innen und Arbeiter:innen große Erfolge erzielt. Julia Wallace, die für unsere US-amerikanische Schwesterorganisation Left Voice (LV) auf dem Podium saß, sprach über die Schwarze Aktivistin und ehemalige Sklavin Harriet Tubman, die ein Netzwerk gründete, welches über 70 Menschen aus der Sklaverei befreite. Am Sonntag waren wir am Grab der Ermordeten der Pariser Kommune, die uns ein frühes Beispiel dafür liefert, dass eine Gesellschaft in den Händen der Arbeiter:innen möglich und notwendig ist. Unsere Genossin Inés Heider von der Revolutionär Internationalistischen Organisation (RIO) aus Berlin betonte den Kampf von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Clara Zetkin gegen den Ersten Weltkrieg. Karl Liebknecht stimmte im Bundestag 1914 als einziger Abgeordneter gegen die Kriegskredite. Doch nur einige Jahre später fingen Soldat:innen an, die Befehle zu verweigern und Fabrikarbeiter:innen streikten für ein Ende des Krieges.
Angesichts des weltweiten Rechtsrucks, der Kriege und Krisen, ist es leicht, die Hoffnung zu verlieren. Diese Versammlung hat vielen gezeigt, dass wir eine Zukunft haben, für die es sich zu kämpfen lohnt. Wir sind nicht alleine.
Die FT und ich
Fast hätte ich dieses Event verpasst – weil es mir in den letzten Wochen psychisch nicht gut ging, hatte ich überlegt, die Reise abzusagen. Schon als Kind haben bei mir aus verschiedenen Gründen komplexe psychische Probleme begonnen, die mich auch nach jahrelanger Therapie noch im Alltag einschränken. Als Jugendliche habe ich intensiv danach überlegt, was der Sinn des Lebens ist. Ich war eine depressive 15-Jährige in einem Haushalt, der durch Gewalt geprägt war. Ich wusste, dass ich queer war, aber konnte mir dies an meiner für Berliner Verhältnisse sehr konservativen Schule nicht eingestehen. Ich habe mich machtlos gefühlt und als ob meine Stimme nicht zählt, als ob es nicht möglich ist, etwas an den bestehenden Verhältnissen zu ändern. Es wirkte alles hoffnungslos und ich denke, in unserem kapitalistischen System ist das für viele die Norm. Jedes Jahr ist das Wärmste seit Beginn der Aufzeichnung, jeden Tag mehr als ein Femizid (und das nur in Deutschland), die Festung Europa wird immer weiter ausgebaut. Es wird gesagt, dass unsere Gesellschaftsform die einzig mögliche und bestmögliche sei. Ich dachte lange, dass der Sinn meines Lebens (falls es soetwas gibt) höchstens darin liegen kann, zu heiraten und Mutter zu sein. Dass außer individuellem Glück (was sowieso nur eingeschränkt möglich ist) nichts existiert.
Ich will nicht behaupten, dass ich den objektiven Sinn des Lebens mittlerweile herausgefunden hätte, aber ich denke, der Kampf für eine bessere Welt frei von Grenzen, Kriegen und Kapitalismus ist ein sehr guter „Sinn des Lebens“.
Revolutionärer Aktivismus hat mir ermöglicht eine Stimme zu finden und mir Gehör zu verschaffen. Zu sehen, dass die Lage nicht hoffnungslos ist und dass die Zukunft nicht festgeschrieben ist, sondern dass es an der weltweiten Arbeiter:innenklasse liegt, sie zu schreiben. Wie es die Genossin Sasha Yaropolskaya von RP sagte:
Was ich anstelle von Machtlosigkeit gewählt habe, ist jeden Tag aufzuwachen und zu kämpfen, kämpfen, kämpfen. Mit Entschlossenheit und ohne Aufschub. Als würde mein Leben davon abhängen, denn das tut es. Als würden unsere aller Leben davon abhängen, denn das tun sie.
Einen großen Teil meines Lebens wurde mir gesagt, dass ich dumm sei, dass ich zu nichts zu gebrauchen sei, dass meine Bedürfnisse und Gedanken nicht zählen. Ich dachte, dass ich politisch nicht aktiv sein und nichts beitragen könne, dass meine intellektuellen Grenzen viel schneller erreicht wären, als die anderer Menschen. Da ich diese Glaubenssätze nicht ablegen konnte, sagte ich mir, dass ich rausfinden werde, wie viel ich lernen kann und wann meine Grenzen erreicht sind.
Ich entdecke oft, dass ich viel mehr kann und viel mehr weiß, als ich zuvor dachte. Zum Beispiel konnte ich die französischsprachigen Redner:innen im Original anhören und mich auch auf französisch mit Genoss:innen unterhalten – was richtig krass war, da ich nicht wusste, dass ich das kann. Wenn ich politische Texte lese, verstehe ich mit jedem gelesenen Text mehr.
Bei der Versammlung habe ich gemerkt, was es heißt, Teil der FT zu sein. Mit tausenden Genoss:innen gemeinsam zu kämpfen, die in verschiedenen Teilen der Welt anhand der selben Strategie kämpfen. Mit denen wir uns austauschen können, unsere Siege gemeinsam feiern und uns bei Schwierigkeiten unterstützen können. Zu wissen, dass wir nie allein sind, weil wir immer unsere Genoss:innen haben. Anasse sagte am Schluss seiner Rede, dass er zu Beginn dachte, er hätte gar keine Zeit, Politik zu machen, da er arbeitet und eine Familie hat. Er sagte aber auch, dass wer zwei Millionen Mal ein Fußballspiel von Paris St. Germain (oder in eurem Fall vielleicht von einem anderen Verein) im Fernsehen ansehen kann, auch genug Zeit hat, politisch aktiv zu sein. Dafür brauchen wir Jede und Jeden.
Schreibt uns gerne per Mail oder Instagram, um mehr über uns und unsere Politik zu erfahren und um gemeinsam aktiv zu werden. Ich persönlich kann es sehr empfehlen.