Kein Verlass auf die SPD: Gegen Abtreibungsverbote brauchen wir Mobilisierungen

10.09.2021, Lesezeit 5 Min.
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In Argentinien wurde das Recht auf Abtreibung nach Massenprotesten durchgesetzt. Bild: La Izquierda Diario.

Im Zuge der Bundestagswahl wird auch wieder über das Selbstbestimmungsrecht von Frauen diskutiert. Doch wie können wir die Legalisierung von Abtreibungen wirklich erkämpfen?

Nach der skandalösen Verabschiedung des Heartbeat-Gesetzes in Texas ist die Frage der Legalisierung von Abtreibung auch in Deutschland wieder auf der Tagesordnung. Schwangerschaftsabbrüche sind hier nicht legal, lediglich unter Auflagen straffrei. Die Informationsmöglichkeiten für Ärzt:innen sind auch seit der Reform von Union und SPD 2019 immer noch enorm eingeschränkt und weiterhin müssen Ärzt:innen Strafen zahlen, wenn sie ihre Patient:innen über Methoden der Abbrüche informieren wollen.

Die Streichung der §§ 218 und 219 StGb, die Abtreibung neben Mord und Totschlag verorten, ist deshalb seit Jahren eine zentrale Forderung feministischer Aktivist:innen. Sie eint die feministische Bewegung weltweit, die zuletzt in Argentinien, wo unsere Schwestergruppe Pan y Rosas aktiv ist, einen wichtigen Erfolg errungen hat. Hier wurde immer wieder sichtbar: Der Zugang zu Abtreibung ist eine Klassenfrage, wer reich ist umgeht die Verbote mit Geld, die Armen trifft das Verbot.

Deshalb fordern wir weltweit den Zugang zu sicherer, kostenloser und legaler Abtreibung als Teil der medizinischen Grundversorgung. Schwangerschaftsabbrüche sollten für alle – unabhängig von Alter, Aufenthaltsstatus und Einkommen – kostenlos und unkompliziert zugänglich sein, ohne lange Anfahrtswege und Zwangsberatungen. Dafür ist es notwendig, dass Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland endlich verbindlich Teil des Medizinstudiums werden, wofür sich Studierende seit Jahren einsetzen und selbst die notwendige Bildung organisieren. Denn selbst wenn Abtreibung legalisiert wird, löst sich damit das enorme Problem der Versorgung nicht von alleine. Seit Jahren sinkt die Zahl der Ärzt:innen, die Abbrüche durchführen. Denn einerseits sind Ärzt:innen immer wieder Repression und Geldstrafen ausgesetzt und andererseits gehen viele Ärzt:innen, die dies in der DDR, wo Schwangerschaftsabbrüche legal waren, oder im Zuge der Frauenbewegung in den 70er-Jahren gelernt haben, inzwischen in den Ruhestand.

Außerdem muss verbindlich festgelegt werden, dass niemandem ein Schwangerschaftsabbruch aus “Gewissensgründen” verweigert werden darf. Jedes Krankenhaus und jede:r Gynäkolog:in muss diesen Eingriff anbieten, damit auch in ländlichen Regionen jede:r Zugang hat und nicht nur diejenigen, die sich eine weite Reise leisten können. Denn nach wie vor werden beispielsweise in katholischen Krankenhäusern keine Abbrüche angeboten.

Aber der Zugang zur Abtreibung ist nur der erste Schritt: Was wir brauchen, ist eine flächendeckende und kostenlose Versorgung mit allen notwendigen medizinischen Leistungen. Dazu gehören die Pille danach sowie kostenlose Verhütungsmittel. Letztlich geht es darum, dass unsere Entscheidungen und unsere Körper im Vordergrund stehen und nicht die Profite der Pharmakonzerne und der Krankenhauskonzerne. Deswegen fordern wir eine Vergesellschaftung des Gesundheitssystems: Wir wollen Krankenhäuser, die von den Beschäftigten verwaltet und kontrolliert werden, denn die Kirche und der Staat haben in unseren Körpern nichts zu suchen!

Dabei können wir nicht auf die Parteien vertrauen, die bewiesen haben, dass sie allzu schnell bereit sind, unsere Rechte zu verraten.

Die SPD hatte beispielsweise bereits im letzten Bundestagswahlkampf damit geworben, den §219a StGB streichen zu wollen – eben den Paragrafen, der “Werbung” für Abtreibung verbietet und zur Kriminalisierung von Ärzt:innen wie Kristina Hänel angewendet wird. Den entsprechenden Gesetzesentwurf hat die SPD dann auch vorgestellt – und direkt mit Beginn der Koalition mit der CDU/CSU wieder zurückgezogen.

Verabschiedet wurde dann letzten Endes im Dezember 2018 ein “Kompromiss” zur “Reformierung” von 219a. Kristina Hänel und Kolleginnen fassten diesen damals wie folgt zusammen:

“Bei genauerem Hinsehen erweist sich der als Kompromiss ausgegebene Vorschlag als Null-Nummer. Der §219a bleibt komplett bestehen incl. seiner Strafandrohung von zwei Jahren Gefängnis. Die restlichen Vorschläge, die die Situation verbessern sollen, sind flankierende Maßnahmen, die bereits jetzt möglich sind. (…)

Wir sind empört, dass aus politischem Machtkalkül und aus Angst vor Rechts Frauenrechte so verraten und wir Ärztinnen weiterhin kriminalisiert werden. Informationsrechte sind Menschheitsrechte. Das gilt auch für Frauen.”

Dass dieses Thema überhaupt wieder auf der Agenda war, ist das alleinige Verdienst der feministischen Bewegung, die auf den Straßen Druck gemacht hat. Und das Beispiel der SPD zeigt: Wir können uns keine Illusionen in die reformistischen Parteien leisten. Unsere Rechte können wir nur erkämpfen, wenn wir uns heute schon organisieren: Für volle reproduktive Rechte in einem Gesundheitssystem ohne Profite unter Kontrolle der Beschäftigten! Für Mobilisierungen von Tausenden Menschen gegen Abtreibungsverbote im Beispiel der internationalen Mobilisierungen!

Das ist unser Programm zur Gesundheitsfrage


Unsere Gesundheit ist mehr wert als ihre Profite! Verstaatlichung des gesamten Gesundheitssystems unter Kontrolle von Arbeiter:innen und Patient:innen!

Wir fordern die sofortige Abschaffung des Fallpauschalensystems, die Reduzierung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich für alle Krankenhausbeschäftigten und die Schaffung von hunderttausenden neuen Arbeitsplätzen. Die Privatisierung der Krankenhäuser muss zurückgenommen werden; alle Krankenhäuser und Kliniktochterunternehmen müssen unter Kontrolle von Arbeiter:innen und Patient:innen verstaatlicht werden, ebenso alle medizinischen Labors und Pharmaunternehmen. Patente auf Medikamente und Impfstoffe müssen ersatzlos abgeschafft werden. Für volle reproduktive Rechte brauchen wir die Abschaffung der Anti-Abtreibungsparagraphen 218 und 219a StGB und das Recht auf kostenfreie und sichere Abtreibung für alle. Statt eines profitorientierten Versicherungssystems brauchen wir eine staatlich finanzierte kostenfreie Gesundheitsversorgung für alle und ein Verbot von Profitmacherei im Gesundheitssystem, in der Perspektive der Vergesellschaftung der gesamten Daseinsvorsorge und der Reproduktionsarbeit.

Und hier findest du unser gesamtes Programm zu den Wahlen:

https://www.klassegegenklasse.org/wahlen-2021-unser-leben-ist-mehr-wert-als-ihre-profite/

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