Kartoffelparty gegen israelischen Film

07.03.2016, Lesezeit 4 Min.
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Rund 50 Biodeutsche protestieren vor einem Kino in Kreuzberg gegen die Premiere eines israelischen Dokumentarfilms. Wie kann man sich diese merkwürdige Szene erklären?

Eine Kartoffelparty. Anders kann man den Menschenhaufen nicht beschreiben, der sich am Freitag Nachmittag am Kottbusser Damm in Berlin versammelte. Rund 50 weiße Deutsche protestieren in Berlin-Kreuzberg vor dem historischen Kino Moviemento, weil dort „Even Though My Land Is Burning“ von Dror Dayan gezeigt werden soll. Der Dokumentarfilm des in Berlin lebenden israelischen Regisseurs wurde zum ersten Mal in Deutschland aufgeführt.

Also eine antisemitische Protestveranstaltung? „Deutsche, schaut nur deutsche Filme“? Neh, das ist Kreuzberg und alles ist komplizierter. Die deutschen Demonstrant*innen werfen dem israelischen Filmemacher Antisemitismus vor. Durch die Verhinderung des Films soll gegen Antisemitismus gekämpft werden, so die Logik der Kundgebung, die das Kino mit betont schlechter Technomusik beschallt. Zu sehen sind Israel- und Regenbogenfarben.

Wenige Meter weiter stehen dreimal so viele Leute mit Palästina-Fahnen, die in den Film wollen. Sie müssen aber erstmal schnell eine Gegenkundgebung machen. Die Vorstellung beginnt mit Verspätung. Zwei Säle sind brechend voll.

„Wir haben Kekse und Tee heruntergebracht, um die Stimmung auf beiden Seiten zu entspannen“ sagt Wulff Sörgel, Geschäftsführer im Moviemento. Koschere Kekse übrigens. Aber viele ist er nicht losgeworden.

Im Film geht es um den Tel Aviver Aktivisten Ben Ronen. Mit den meisten Demos in seinem Land kann er nichts anfangen. Man sieht Bilder von Protesten gegen Fleischkonsum. Für Erdgasförderung im Mittelmeer. Für „soziale Gerechtigkeit“. Doch für Ronen beginnt „soziale Gerechtigkeit“ mit der Forderung, dass Israel die besetzten palästinensischen Gebiete verlassen soll. Dafür demonstriert er einmal die Woche zusammen mit Palästinenser*innenn in ihren Dörfern.

Vor knapp zehn Jahren waren noch mehr Israelis in dieser Solidaritätsbewegung aktiv. Aber für die Palästinenser*innen hat es eine große Bedeutung. „Es ist sehr wichtig für meine Gesellschaft, dass du dabei bist, um die Mentalität zu verändern“ erklärt ein älterer Herr vor der Kamera. Sonst erleben die jungen Palästinenser*innen die Israelis nur in Form von Besatzungssoldat*innen. Gemeinsame Protestveranstaltungen eröffnen neue Perspektiven. Mohammad, ein junger Palästinenser mit Zahnspange, demonstriert mit seinem israelischen Kumpel. Den Soldaten ruft er zu: „Wir sind gleich.“ Diese lachen nur.

Die deutschen Gegendemonstrant*innen wollen von solchen gemeinsamen Erfahrungen nichts wissen. Sie stört, dass die Filmvorführung Teil einer „BDS-Aktionswoche“ ist: Boykott, Deinvestition und Sanktionen gegen den israelischen Staat werden gefordert, bis dieser die Besatzung beendet. In Deutschland ist das ein schwieriges Thema.

Asal Akhavan findet das alles merkwürdig. Früher hat sie in Australien gelebt, wo große linke Demos in Solidarität mit den Palästinenser*innen und für BDS eine Selbstverständlichkeit sind. Hier nicht. „Deutsche haben viele Schuldgefühle“ spekuliert die Aktivistin von der Berliner Gruppe FOR, „For One State and Return in Palestine“, zu der auch Dayan gehört. „Sie wollen wohl nicht über ihre eigene Familiengeschichte reflektieren, und deswegen fällt es ihnen leichter zu projizieren.“

Diese Projektion formuliert Arthur Buckow in der einst linken Wochenzeitschrift Jungle World über Dayan: Dieser habe „den Antizionismus als Assimilationsangebot angenommen“. Damit wird Dayan als jüdischer Mensch politische Eigenständigkeit abgesprochen – er wird auf seine vermeintliche Funktion in deutschen Diskursen reduziert. Aber über diese Menschenverachtung hinaus ist es schlicht ein bisschen absurd, weil Dayan schon vor dem Bundeskanzleramt festgenommen wurde, als er gegen Netanyahu protestierte. Nein, als glühender Zionist könnte er auf wesentlich bessere Aufstiegsmöglichkeiten bei den Kartoffeln hoffen.

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