89,3 Prozent der Mitglieder der Linkspartei Berlin stimmen für Abschiebungen, Privatisierungen und Repression

08.12.2016, Lesezeit 3 Min.
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Die neue Regierung in Berlin nimmt Gestalt an: Die Mitglieder von SPD und Grünen hatten den Koalitionsvertrag bereits auf Parteitagen zugestimmt. Die LINKE, dritte Partei im neuen Senat, hat eine Mitgliederbefragung durchgeführt. Die Ergebnisse, die gestern Abend veröffentlicht wurde, zeigen die Kräfteverhältnisse innerhalb dieser reformistischen Partei.

Gestern Abend sind die Ergebnisse auf Facebook veröffentlicht worden: Demnach hatten 89,3 Prozent der Mitglieder der Linkspartei Berlin für den Koalitionsvertrag gestimmt. Lediglich 10,7 Prozent hatte dagegen gestimmt oder ungültig gewählt. Die Wahlbeteiligung lag bei zwei Dritteln der 7.350 Parteimitglieder.

Das Jahrzehnt zwischen 2002 und 2012 ist nicht so lange her. Berlin hatte bereits eine „linke“ Regierung aus SPD und PDS (heute: Die Linke). Und ihr Motto lautete: „Sparen, bis es quietscht.“ Diese Regierung hat Hunderttausende Wohnungen privatisiert. In den Landesunternehmen hat sie outgesourcte Tochterfirmen mit Billiglöhnen gegründet. Und sie hat abgeschoben und die repressive Residenzpflicht durchgesetzt.

Die Folgen dieser Politik zahlen Lohnabhängige in der Hauptstadt bis heute, in Form von explodierenden Mieten, Niedriglöhnen und rassistischer Hetze. Ausgerechnet Rot-Rot-Grün verspricht, eine Reihe der Probleme zu lösen, die Rot-Rot erst geschaffen hat. In den 270 Seiten des Koalitionsvertrages werden sehr viele nette Versprechen gemacht. Und am Ende steht salopp, dass jedes dieser Versprechen „unter Finanzierungsvorbehalt“ steht – also nur dann erfüllt wird, wenn Geld vom Himmel regnet.

Dennoch haben neun von zehn Mitgliedern der Linkspartei dafür gestimmt. Gerade mal 382 waren dagegen. Für den Parteichef Klaus Lederer ist das Ergebnis „eine Antwort auf all diejenigen, die meinen, der höchste Sinn linker Politik sei, es sich auf den Oppositionsbänken gemütlich zu machen“. Und irgendwie hat er auch Recht: Seine Fraktion der „Regierungssozialist*innen“ hat eine sehr breite Basis in der Partei.

Eine Abfuhr ist das für linke Aktivist*innen in der Linkspartei, die sich besonders im Bezirksverband Neukölln konzentrieren. Dieser Verband hat den intensivsten Wahlkampf gemacht und der Linkspartei die besten Wahlergebnisse in den Westbezirken der Stadt eingebracht. Dafür haben sie allerdings keine 10,3 Prozent der Sitze in der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, sondern gerade mal null Prozent.

Sowohl die SAV wie Marx21 – zwei Gruppen aus trotzkistischer Tradition, die in der Linkspartei arbeiten – hatten dazu aufgerufen, mit „Nein“ zu stimmen. Seit zehn Jahren haben diese Gruppen mit jeweils dutzenden Aktivist*innen dafür gearbeitet, diese Partei in eine weniger reformistische Richtung zu drängen. Und das Ergebnis: Gerade mal fünf Prozent der wahlberechtigten Mitglieder hören auf Argumente gegen Regierungsbeteiligungen. (Dabei sind wir noch gar nicht bei revolutionären Vorschlägen!)

Aus unserer Sicht ist es keine akademische Frage, dass Revolutionär*innen ein Banner brauchen, das von der neuen Regierung unabhängig ist. Wie Stefan Schneider über die Perspektive nach der Regierungsbildung schrieb:

In dieser Situation wird die rechtsextreme AfD als einzige Alternative zu dieser angeblich „linken“ Misere erscheinen. Umso wichtiger ist es, dass sozialistische Aktivist*innen nicht als ein radikaler Flügel einer Regierungspartei auftreten. Stattdessen brauchen wir eine kämpferische linke Front aller revolutionären Sozialist*innen.

Wenn der „linke“ Senat die prekären Arbeitsverhältnisse in den Landesunternehmen weiterhin verteidigt, müssen wir gemeinsam als linke Opposition bei den Streiks der Kolleg*innen sein. Wenn R2G weiterhin Menschen abschiebt und zwangsräumen lässt, müssen wir das mit Mobilisierungen praktisch verhindern. Wenn die „Regierungssozialist*innen“ die Universitäten und Schulen weiterhin unterfinanziert lassen, müssen wir mit den Jugendlichen Besetzungen führen.

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