Weiterer Volkswagen-Skandal: Zwangsarbeit und Folter auf Rinderfarm in Brasilien

15.08.2017, Lesezeit 5 Min.
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Ein weiteres blutiges Kapitel der Volkswagen-Geschichte kommt ans Licht: Der brasilianische Ableger Volkswagen do Brasil hat in Zusammenarbeit mit der Militärdiktatur nicht nur gefoltert, sondern auch Zwangsarbeit auf einer Rinderfarm mitten im Amazonas durchgeführt.

Vor kurzem erst wurde eine Dokumentation veröffentlicht, die enge Verbindungen zwischen dem Volkswagen-Konzern und der brasilianischen Militärdiktatur aufdeckte. Demzufolge erlaubte die Fabrikleitung der Militärpolizei, linke Arbeiter*innen auf dem Betriebsgelände zu verhaften und zu foltern.

Nun kommt ein neuer Skandal aus dieser blutigen Epoche von VW ans Licht: Über 15 Jahre lang betrieb Volkswagen do Brasil im Amazonas eine Rinderfarm, für dessen Betrieb sie Zwangsarbeiter*innen einsetzte. Diese wurden dort gegen ihren Willen festgehalten und mussten unentgeltlich für den Wolfsburger Autoriesen Wälder roden und die Farm betreiben.

1973 gründete Volkswagen do Brasil den Tochterkonzern „Companhia Vale do Rio Cristalino“. Mit Steuererleichterungen, die ihnen die Militärdiktatur gewährte, kaufte VW 140.000 Hektar Land im Bundesstaat Pará mitten im Amazonas-Regenwald. Dort sollte eine Rinderfarm entstehen, mit der VW neben dem boomenden Auto-Verkauf ein zweites Standbein in der Fleischindustrie aufbauen wollte. VW war zu dieser Zeit der größte Privatkonzern in Brasilien und der VW-Käfer das meistgekaufte Industrieprodukt.

Die Militärdiktatur versuchte in Zusammenarbeit mit imperialistischen Konzernen neue Gebiete zu erschließen und die Auslandsschulden abzubauen. VW profitierte von dieser Zusammenarbeit und ließ im Gegenzug die politische Polizei oppositionelle Gewerkschafter*innen foltern und festnehmen.

Für die Rodung des Regenwaldes suchte sich Volkswagen die Unterstützung von Arbeitsvermittler*innen. Diese heuerten Leiharbeiter*innen aus anderen Bundesstaaten unter falschen Versprechungen an und brachten sie auf die VW-Farm. Einmal angekommen, wurde ihnen erzählt, dass sie durch den Transport hohe Schulden beim Unternehmen hätten, und diese abarbeiten müssten. Das System der Schuldknechtschaft wurde damit fortgeführt, dass sich die Arbeiter*innen nur auf dem Gelände zu überzogenen Preisen Essen kaufen konnten und auch für die Übernachtung in Hängematten bezahlen mussten.

In dem Video-Bericht des ARD erzählen zwei Arbeiter, die 1983 angeheuert wurden, von den grausamen Arbeitsbedingungen. Die Arbeiter*innen wurden mit Peitschenhieben zur Arbeit gezwungen. Bei der Flucht drohte Folter oder Ermordung. Die Leichen wurden in den Fluss geworfen, nach dem das Lager benannt war. Einer der Arbeiter berichtet:

Ein Junge hat zu fliehen versucht. Die Aufpasser sind hinter ihm her und haben ihm ins Bein geschossen. Wenn man von alleine gesund wurde, war das gut. Wenn nicht, dann starb man halt. Sowas haben wir oft gesehen.

So wurden über zwölf Jahre lang, solange die Rodungen andauerten, jährlich bis zu 1.000 Menschen als Schuldsklaven Zwangsarbeit und Folter ausgesetzt. 1987 schloss die Rinderfarm, da sie nicht die erhofften Profite erwirtschaftete.

Bis heute steht der damals für die „Companhia Vale do Rio Cristalino“ bei VW Verantwortliche zu diesen brutalen Methoden. Friedrich Brügger, der heute in seiner Heimat in einem Schweizer Bergdorf wohnt, war damals Projektleiter und wusste von den Foltermethoden, mit denen die Beschäftigten zur Zwangsarbeit getrieben wurden. „Ja, es wurden schon massive Mittel verwendet, damit sie nicht davonlaufen. Vor allem, wenn sie verschuldet waren. Das war aber auch nicht speziell von uns.“

Er stellt Zwangsarbeit und Folter als notwendige Übel dar, um das Modellprojekt im brasilianischen Amazonas durchzuführen. „Um eine Masse Leute am Zügel zu halten, müssen sie so eine gewisse Kraft zeigen, damit das Ganze überhaupt läuft.“ Er sieht das Problem viel mehr in der einheimischen Bevölkerung, die „xenophob“ und „gewalttätig“ sei: „Der Brasilianer ist ein böser Mensch. Dem eine Pistole aus dem Sack ziehen, um einen Anderen über den Haufen zu knallen – das gruselt die überhaupt nix.“

Brügger war sowohl Vertrauter der VW-Geschäftsleitung in São Paulo als auch in Wolfsburg. 1983 berichtete er dem damaligen Volkswagen-Chef Carl Hahn von den Anklagen, die Brügger einen „Sklavenhalter“ nannten. Bis heute hält Carl Hahn an der Aussage fest, dass Volkswagen in Brasilien ein „Musterbetrieb“ war.

Rechtlich versucht VW, die Schuld von sich zu weisen, da die Subunternehmen für die Einstellung der Leiharbeiter*innen verantwortlich waren. Doch brasilianische Forscher*innen weisen darauf hin, dass Brügger und die VW-Autoritäten von den Vorgängen wussten und durch ihr Nicht-Eingreifen eine Mitschuld tragen. Auch der VW-Chefhistoriker Christopher Kopper von der Universität Bielefeld spricht von einem System der „Schuldknechtschaft“, welches VW aus eigenem Interesse aufrechterhalten hat.

Die Arbeiter*innen, die damals für VW Zwangsarbeit leisten mussten, fordern heute eine Entschädigung vom Konzern für die schrecklichen Leiden, die sie durchmachen mussten. José Liborio, einer der Arbeiter, die das ARD interviewte, hat eine klare Forderung an das Unternehmen: „Was ich jetzt von der Firma erwarte, ist eine Entschädigung. Für die Erniedrigung, die wir erleben mussten, die Respektlosigkeit.“

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