Ukraine: Trump droht, während Putin Luftoffensive ausweitet

27.05.2025, Lesezeit 6 Min.
1
Foto: Christopher rogel blanquet/shutterstock

Während Moskau die schwerste Luftoffensive seit Kriegsbeginn startet, verschärft Trump die Rhetorik. Was steht hinter seinen Drohungen?

„Putin ist absolut VERRÜCKT geworden“: während wir diese Aussage von bellizistischen Politiker:innen und Talkshow-„Expert:innen“ schon seit Jahren zu hören bekommen, zweifelt nun auch Donald Trump auf seiner Plattform Truth Social die Zurechnungsfähigkeit des russischen Präsidenten an. Weiter heißt es in dem Post: „Ich habe immer gesagt, dass [Putin] die GANZE Ukraine will, nicht nur einen Teil davon, und ich könnte Recht haben, aber wenn er das tut, wird das zum Untergang Russlands führen!“. Mit diesen Drohgebärden versucht Trump den Druck auf Putin zu erhöhen, nachdem das Gespräch der beiden Staatschefs vor einer Woche und die vorhergangenen Verhandlungen zwischen Selenskyj und russischen Diplomat:innen in der Türkei zu keinen Ergebnissen führten. Zugleich kritisierte Trump ein weiteres mal Selenskyj, „alles aus seinem Mund verursach[e] Probleme.“ Ein Kreml-Sprecher bezeichnete Trumps verbalen Angriff als „Zeichen emotionaler Überlastung.“ 

Anstatt der von Trump geforderten Einstellung der Kämpfe hat die russische Armee ihre Offensive in der Ukraine in den vergangenen Tagen massiv ausgeweitet. Drei Nächte in Folge führte Moskau massive Luftangriffe mit jeweils hunderten Drohnen durch. Laut ukrainischen Behörden handelt es sich bei dieser Luftoffensive um die größte seit Beginn der russischen Invasion. Zu den am schlimmsten betroffenen Gebieten zählen Kiew, Odessa, Charkiw und Tscherkassy. ​​Die Angriffe verursachten Brände, massive Zerstörungen von Häusern und ziviler Infrastruktur sowie mindestens 13 Todesopfer und zahlreiche Verletzte.

Währenddessen haben sich die Kämpfe an der Front in der Ostukraine, insbesondere in den Städten Pokrovsk und Kostyantynivka intensiviert. Die russische Armee scheint sich auf eine Sommeroffensive vorzubereiten. Am 22. Mai erklärte Putin seine Absicht, mehrere Pufferzonen an der russisch-ukrainischen Grenze einzurichten, insbesondere nahe der Region Kursk. 

Putins Weigerung, ein Abkommen für eine Waffenruhe zu eingehen, ist also weniger durch seine „Verrücktheit“ zu erklären, sondern eher dadurch, dass die russische Armee sich aktuell in einem weit besseren Zustand als die ukrainische befindet und – wenn auch nur sehr schleppend – Fortschritte an der Frontlinie verzeichnet. So hält der russische Staat an maximalistischen Kriegszielen wie der Demilitarisierung der Ukraine und der Anerkennung der russischen Souveränität über die Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja, Cherson und Sewastopol fest. Putin wettet auf eine Herauszögerung der Verhandlungen, um seine Position zu stärken. Eine zu starke Verärgerung Trumps könnte dem russischen Staat jedoch gefährlich werden, da dies die US-Regierung dazu veranlassen könnte, ihre militärische Unterstützung für Kiew wieder auszuweiten. 

Trump befindet sich wiederum in einer Zwickmühle. Sein Interesse an einer Waffenruhe verfolgt das Ziel, die USA so schnell wie möglich von der ukrainischen Front abzuziehen, um die durch den jahrelang Krieg strapazierten Militärressourcen des Landes auf den Konflikt mit dem Hauptrivalen China zu konzentrieren. Dazu kommen der innenpolitische Anspruch, sein Image als Friedensstifter wiederherzustellen und das Interesse an der Absicherung des kolonialen Rohstoffdeals mit dem ukrainischen Staat.

Um einen Waffenstillstand zu erreichen, hat Trump einen wichtigen Trumpf bereits ausgespielt. Mit der Androhung, die US-Hilfe auszusetzen, hat er die Ukraine dazu gebracht, zum einen weiter auf die Forderungen der russischen Seite einzugehen, zum anderen das Tor für eine Vertiefung der ökonomischen Kolonisierung der Ukraine seitens der USA zu öffnen.  

Angesichts des Scheiterns der bisherigen Verhandlungen verschärft der US-Präsident nun die Rhetorik gegen Moskau. Auch drohte er mit Sanktionen gegen Russland, ohne dies bisher in die Tat umzusetzen. Aus den eigenen Reihen wächst der Druck auf Trump: Republikanische Senator:innen fordern, Zölle in Höhe von 500 Prozent auf Einfuhren aus Ländern, die russisches Erdöl, Erdölprodukte, Erdgas oder Uran kaufen.  Republikanische Kongressabgeordnete sprechen von der Notwendigkeit, „die Ukraine bis zu den Zähnen zu bewaffnen.“

Ein solcher Schwenk würde jedoch einem anderen geostrategischen Ziel der Trump-Regierung in ihrem Konflikt mit China in die Quere kommen. Sie hofft, die Beziehungen zu Russland zu verbessern, um das Bündnis zwischen Russland und China zu schwächen. Washington befindet sich also in einer widersprüchlichen Verhandlungsposition.

Wenn die Verhandlungen weiter stagnieren, ist ebenfalls nicht auszuschließen, dass die USA sich für einen einseitigen Rückzug aus den Verhandlungen und die Einstellung der Waffenlieferungen an die Ukraine entscheiden könnten, wie Trump in den letzten Woche angedeutet hat. Ein solches Szenario würde darauf hinauslaufen, die Bewältigung des Konflikts den europäischen imperialistischen Staaten zu überlassen.

Diese sind bereits seit Trumps Amtsantritt bemüht, eine eigenständigere Rolle zu spielen, um bei der Aufteilung der Ukraine unter die Großmächte nicht zu kurz zu kommen. Friedrich Merz erklärte gestern die Reichweitenbeschränkung für deutsche Waffen, die sich in den Händen der ukrainischen Armee befinden, für aufgehoben. Damit ermöglicht er flächendeckend den Beschuss von Zielen im russischen Territorium, welcher bisher nur in bestimmten Fällen erlaubt war. Zudem soll Selenskyj am morgigen Mittwoch nach Deutschland reisen. 

Während Trump mit seinem Rohstoffdeal die imperialen Interessen der USA im Ukrainekrieg offen ausgesprochen hat, hält die Bundesregierung weiter an der Rhetorik der nationalen Selbstbestimmung und Unterstützung eines angegriffenen Volkes fest. Doch das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Deutschland und anderen EU-Staaten in diesem Krieg nie um die Unabhängigkeit der Ukraine ging. Sie haben fast drei Jahre lang mit den USA zusammengearbeitet, um auf Kosten der ukrainischen Arbeiter:innen und Massen einen Stellvertreterkrieg gegen Russland zu führen und die völlige Auspressung der Ukraine durch westliche Banken und Konzerne zu garantieren. Das Putin-Regime verfolgt hingegen weiterhin den Schutz der Interessen seiner Kapitalist:innen durch die Schaffung einer „Pufferzone“ an seiner Westgrenze auf Kosten der Bevölkerung der Nachbarländer.

Unabhängig davon, ob Trump den Weg einer direkteren Konfrontation mit Putin oder dem Rückzug aus dem Ukrainekrieg wählt, werden die Arbeiter:innen und Massen der Ukraine, Russlands und des gesamten Kontinents die großen Verlierer sein. Die aktuellen Entwicklungen bestätigen einmal mehr den völlig reaktionären Charakter dieses Krieges. Nur eine Politik der Arbeiter:innenklasse, unabhängig von den kapitalistischen Regimen Russlands, der Ukraine oder des Westens, kann für ein dauerhaftes Ende des Mordens und eine echte Selbstbestimmung des Landes sorgen.

Mehr zum Thema