Was ist Faschismus?

08.05.2020, Lesezeit 6 Min.
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Mit dem Rechtsruck und dem Aufstieg der AfD ist auch eine Welle brutaler rechtsradikaler Anschläge über das Land gezogen. Dabei wird auch immer wieder der Begriff „Faschismus“ verwendet. Doch was verstehen Marxist*innen eigentlich unter Faschismus?

Auch 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes ist die Diskussion um den Faschismus keine rein historische. Im Zuge des Rechtsrucks kam es in den letzten Jahren zu einer Häufung faschistoider Anschläge, Hanau und Halle sind nur die letzten Beispiele einer langen Reihe rechtsextremer Attentate. Dabei machten der NSU und die jüngsten Skandale in Bundeswehr und Polizei die Verstrickung des Staatsapparates mit der rechten Szene deutlich. Auch der Thüringer Landesvorsitzende der AfD, Björn Höcke, darf nach einem Gerichtsurteil aus dem September letzten Jahres offiziell als „Faschist“ bezeichnet werden. Doch was war der Faschismus historisch und welche Schlussfolgerungen zogen und ziehen Revolutionäre daraus für den Kampf gegen ihn?

Antirevolutionäre Kraft des Imperialismus

Der Faschismus entstand historisch als eine Antwort der Kapitalist*innen und des Kleinbürger*innentums auf die Möglichkeit einer sozialistischen Revolution der Arbeiter*innen. Der Begriff Faschismus, der vom lateinischen Wort für „Bündel“ stammt, wurde von Benito Mussolini in Italien nach dem Ersten Weltkrieg geprägt. Besonders im industriellen Norditalien entstand unter dem Einfluss der Oktoberrevolution von 1917, die in Russland den Krieg beenden und die Kapitalist*innen enteignen konnte, eine revolutionäre Bewegung. Diese stellte mit Fabrikbesetzungen die Frage der proletarischen Revolution auf die Tagesordnung. Um dies zu verhindern bildeten sich von Mussolini zusammengeführte paramilitärische Milizen, die Streiks niederschlugen und ab 1922 das erste faschistische Regime aufbauten.

Gleichzeitig entstanden an vielen Orten der Welt, von Brasilien über Japan, im Gleichklang mit den Kämpfen der Arbeiter*innenbewegung, faschistische Massenbewegungen. Mit der Machtübernahme der NSDAP in Deutschland im Jahr 1933 verstärkten sich diese in weiteren Ländern, wie den USA, Frankreich oder Spanien. Zur brutalsten Entfaltung seiner Macht kam der Faschismus in Deutschland, was seine enge Verbindung mit dem Imperialismus aufzeigt.

Obwohl ein bedeutender Teil der deutschen Kapitalist*innen der Hohenzollern-Monarchie nachtrauerten, sahen sie in der parlamentarischen Demokratie der Weimarer Republik die effektivste Form, die bürgerliche Herrschaft auszuüben. Dem gegenüber stand eine mächtige Arbeiter*innenklasse, die nach 1918 immer wieder in revolutionären Aufständen gekämpft hatte, jedoch unter der Führung der SPD stand, die das bestehende System erhalten wollte, sowie der KPD, die besonders unter Einfluss des Stalinismus den revolutionären Kampf behinderte.

Kleinbürger*innentum: Rammbock gegen die Arbeiter*innenklasse

Seit der Niederlage des Ersten Weltkriegs schwelte eine tiefe soziale und wirtschaftliche Krise, die Anfang der 20er Jahre latent blieb, um im Zuge der Großen Depression von 1929 katastrophale Ausmaße zu erreichen. Das Kleinbürger*innentum, das in Deutschland weit ausgeprägt war, wurde im Zuge der Krise zur sozialen Basis der faschistischen Massenbewegung. Der russische Revolutionär Leo Trotzki schrieb dazu: „In der durch Krieg, Niederlage, Reparationen, Inflation, Ruhrbesetzung, Krise, Not und Erbitterung überhitzten Atmosphäre erhob sich das Kleinbürgertum gegen alle alten Parteien, die es betrogen hatten.“ (Portrait des Nationalsozialismus, 1933)

Die radikalisierten und im Zuge der Krise verzweifelten Kleinbürger*innen suchten in antisemitischen und rassistischen Theorien nach einer Antwort auf die Krise. Der Nationalsozialismus konnte diesen Wunsch verkörpern, indem er sich dieser Ideen annahm und bis zum Ende verfolgte. Doch der Nationalsozialismus griff nicht alleine Jüd*innen, Sinti und Roma und LGBT* an, sondern zerschlug alle Organisationen der Arbeiter*innenklasse, von den Gewerkschaften bis hin zu den Parteien der SPD und der KPD. Durch die Vernichtung und Vereinzelung der Arbeiter*innen stellte er sich in den Dienst des Großkapitals, die eine sozialistische Revolution wie die Pest fürchtete und das Dritte Reich unterstützte.

Trotzki erklärte diese Dynamik wie folgt:

Der deutsche wie der italienische Faschismus stiegen zur Macht über den Rücken des Kleinbürgertums, das sie zu einem Rammbock gegen die Arbeiterklasse und die Einrichtungen der Demokratie zusammenpreßten. Aber der Faschismus, einmal an der Macht, ist alles andere als eine Regierung des Kleinbürgertums. […] In Perioden großer Krisen sind sie berufen, die Politik einer der beiden Hauptklassen bis zur Absurdität zu treiben. Dem Faschismus gelang es, sie in den Dienst des Kapitals zu stellen.(Ebd.)

Diese soziale Bestimmung des Faschismus als kleinbürgerliche Massenbewegung im Dienste des imperialistischen Kapitals, der die komplette Vernichtung der Arbeiter*innenbewegung zur Durchsetzung der brutalsten Klassenherrschaft der Bourgeoisie zum Ziel hat, ist zentral für ein marxistisches Verständnis des Faschismus. Demgegenüber steht die vom Stalinismus weit verbreitete Definition von Georgi Dimitroff als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Dabei wurde jedoch die Rolle des Kleinbürger*innentums als soziale Basis des Faschismus ausgeklammert, was die „sozialistischen“ bzw. „antikapitalistischen“ Demagogie und die Radikalität des Antisemitismus nicht erklärt.

Einheitsfront oder Volksfront gegen den Faschismus?

Zudem ermöglichte diese Definition, neben dem „faschistischen“ Flügel des Kapitals einen „fortschrittlichen“ Flügel zu erkennen, der Teil eines antifaschistischen Kampfes sein könnte. Diese Vorstellung bildete den Kern der „Volksfront“-Politik, welche die Grundlage der Politik der Kommunistischen Internationale ab 1934 bildete und besonders in Spanien und Frankreich verheerende Folgen hatte. In beiden Ländern wurden Volksfrontregierungen unter Beteiligung der sozialistischen und kommunistischen Parteien mit bürgerlichen Parteien gebildet, die als Bollwerk gegen erstarkende faschistische Bewegungen dienen sollten.

Doch indem sich die Parteien der Arbeiter*innenbewegung zur Verteidigung des Privateigentums an Produktionsmitteln verpflichteten, verhinderten sie auch die Möglichkeit von proletarischen Revolutionen und wanden sich gegen die Arbeiter*innenklasse selbst. So ging der revolutionäre Prozess in Frankreich verloren und in Spanien endete der blutiger Bürger*innenkrieg mit dem Sieg Francisco Francos im Jahr 1939 aus. Dabei hätte der Kampf gegen den Faschismus auch einen Kampf gegen die Bourgeoisie und den Imperialismus und für die sozialistische Revolution bedeuten müssen. Denn wie Trotzki schon im Jahr 1931 sagte, war „die Abwehr des Faschismus […] keine isolierte Frage. Der Faschismus ist nur ein Knüppel in den Händen des Finanzkapitals.“

Trotzki schlug entgegen der Klassenkollaboration die breiteste Aktionseinheit der Arbeiter*innenorganisationen, eine Einheitsfront aus Gewerkschaften, SPD und KPD vor, um den Faschismus zu schlagen: „Und diese für das ganze Proletariat gemeinsame Front des direkten Kampfes gegen den Faschismus muß man für den von der Flanke geführten, darum aber nicht minder wirksamen Kampf gegen die Sozialdemokratie ausnützen.“ (Wie wird der Nationalsozialismus geschlagen?, 1931) So hätte nicht nur der Faschismus besiegt, sondern auch die Grundlagen gelegt werden können, für den Kampf gegen den Kapitalismus und für die sozialistische Revolution.

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