Voith ist kein Einzelfall! Eine kleine Geschichte der Privatisierung

20.05.2020, Lesezeit 8 Min.
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Das Voith-Werk in Sonthofen darf nicht geschlossen werden! Aber wie war das nochmal mit der Privatisierung damals in den 90ern, die diese Schließung erst ermöglichte? Und gab es da nicht etliche andere Fälle, die inzwischen in unterschiedlichen Härten um ihr Weiterbestehen kämpfen?

In Deutschland heißt es wieder “Klassenkampf”, genau gesagt im Allgäu. Es geht um die Schließung von drei Werken der Voith-Tochter Voith Turbo, einem Maschinenbauer spezialisiert auf Gasturbinen: In Sonthofen, dem sächsischen Zschopau und Mühlheim an der Ruhr.

Seit dem 22.04.2020 befinden sich die Beschäftigten in Sonthofen im unbefristeten Streik. An sich mit Unterstützung der IG Metall, die allerdings an einigen Stellen durchscheinen ließ, dass ihre Taktik darin besteht “die Schließung des Werkes so teuer wie möglich zu machen”, und zwar über Sozialpläne. Dies ist jedoch nicht ausreichend, das Werk muss erhalten bleiben, dafür muss die IG Metall die Mobilsierungen ausweiten.

Dass ein profitables Werk zu schließen sein ganz eigene Ironie hat, ist klar. Noch spannender wird es, wenn man sich die Geschichte des Voith-Werkes in Sonthofen anschaut: Das Werk war schon mal staatlich. Zumindest der Standort in Sonthofen gehörte bis in die 1990er der Bayerischen Berg-, Hütten- und Salzwerke (BHS), einer staatlichen Aktiengesellschaft. Die Privatisierung, die eine derartige Schließung überhaupt erst möglich macht, ist also noch gar nicht mal so lange her.

Und Voith ist kein Einzelfall, inzwischen seit über 40 Jahren läuft weltweit eine neoliberale Offensive. Eine Offensive, der etliche Werke, Betriebe und Dienstleistungen zum Opfer gefallen sind.

Voith ist kein Einzelfall

Bayern feiert sich gerne als Industriestandort und Innovationsschmiede Deutschlands. Der Standort ist aber nicht so toll für die Arbeiter*innen, allein in den letzten Jahren wurden unzählige Werke geschlossen, davon etliche in der fertigenden Industrie, unter anderem bei     Osram, Conti, Michelin, Fujitsu, BMW.

Doch noch auf eine weitere Art untergräbt das Land Bayern seinen Status als Industriestandort: Durch Privatisierungen.

Selbst Betriebe in Staatshand, deren Wurzeln bis in die Frühzeit der Industrialisierung zurück gehen wie der Münchner Maschinenbauer Krauss-Maffei, gerne mal als “bayerisches Tafelsilber” bezeichnet, blieben nicht verschont. Der genannte Konzern macht seit dem Heraus-Filetieren der profitabelsten Teile (die Rüstungssparte, heute unter dem Namen “Krauss-Maffei Wegmann”) einen Weg von einem Investor zum nächsten durch, verbunden mit einem stetigen Abstieg, Stellenstreichungen, Kurzarbeit auch außerhalb von Corona, …

Werksschließungen waren auch geplant, 2013 für das Werk in Treuchtlingen. Die Schließung konnte damals von den Beschäftigten verhindert werden.

Bundesweite Desaster: Von Treuhand, Post und Deutscher Bahn

Außerhalb von Bayern sieht es nicht viel anders aus: nach der “Wende” wurden Betriebe der ehemaligen DDR verscherbelt, mit den Folgen kämpft die Regionen bis heute.

Und auch zentrale Infrastruktur wurde in den letzten Jahrzehnten privatisiert. Wer sich fragt, wie es dazu kommen konnte, dass ein sprichwörtlich pünktliches und hochwertiges Unternehmen wie die deutsche Bahn zu dem Scherbenhaufen werden konnte, der er heute ist, sei die entsprechende Folge des Podcasts Wohlstand für alle “Warum die Bahn zu spät kommt” empfohlen.

Und die Deutsche Bahn ist nur eines von zahlreichen Beispielen, in denen zentrale Infrastruktur privatisiert wurde: 1995 wurde die Deutsche Bundespost privatisiert. Sie zerfiel in mehrere Konzerne, die Deutsche Post AG für das Ausliefern von Briefen, die Deutsche Telekom AG für die Bereitstellung digitaler Infrastruktur und die Deutsche Postbank AG für den Finanzteil der ehemaligen deutschen Bundespost. Diese zentralen Dienstleistungen sind seitdem in privater Hand.

Warum wird privatisiert?

Aber warum wird überhaupt privatisiert, wenn es doch zumindest für Arbeiter*innen und Konsument*innen bzw Kund*innen schlecht ist (wer will schon eine Bahn, die viel zu teuer und dann auch noch schlecht ist?)

Verkürzt gibt es einen einfachen Grund: Geld. Privatisierung bedeutet den Übergang von staatlichem Eigentum in Privatbesitz. Das hilft den Kapitalist*innen. Sie können ihr Kapital in den privatisierten Betrieben nach ihren Regeln arbeiten lassen, der Gewinn fließt in ihre Taschen, nicht in die des Staates. Deswegen wünschen sich die Kapitalist*innen immer möglichst viel Privatisierung. Das klappt allerdings nicht immer: In Zeiten schlechter Konjunktur, aber auch in Zeiten starker Arbeiter*innenbewegungen kommen sie damit nicht durch.

In Zeiten der Krise mit zeitgleicher Schwäche der Arbeiter*innen allerdings hat Privatisierung Hochzeit. Wir befinden uns in genau einer solchen Phase. Sie hält jetzt über 30 Jahre an und beinhaltete den verbrecherischen Ausverkauf der ehemaligen DDR durch die Treuhand, den Abbau der Sozialsysteme, Privatisierung und Kaputtsparen der Gesundheitssysteme, den Ausverkauf, eingeschlossen der Infrastruktur im Rahmen der europäischen Austeritätspolitik, wie in Griechenland und Spanien, aber eben auch die Privatisierung der Industrie. So passiert es aktuell auch bei der Berliner S-Bahn, die privatisiert werden soll.

Wir sprechen bei solchen Maßnahmen immer wieder davon, dass wir nicht für die Krisen bezahlen wollen. Dass die Kapitalist*innen für die Krise bezahlen sollen. Es mag scheinen, als ginge uns das erstmal nichts an. Was interessiert es uns, wenn ein griechischer Hafen privatisiert wird? Oder ein Betrieb am anderen Ende von Deutschland? Was haben westdeutsche Arbeiter*innen mit der Treuhand zu schaffen?

Ein relativ nahes Beispiel ist der Umgang mit der weltweiten Finanzkrise von 2007 bis 2009. Das Spekulieren mit Immobilien hatte milliardenschwere Löcher in die Wirtschaft gerissen. Um die Krise wieder “in den Griff” zu bekommen mussten diese Löcher gestopft werden. Doch statt das Geld von denen zu nehmen, denen wir die Krise zu verdanken hatten, legte man die Verantwortung auf die Staaten und ihre verlängerten Arme, den Internationalen Währungsfond und die Zentralbanken. Milliardenschwere Rettungsschirme für Banken wurden verabschiedet, bezahlt von Geld, das die Staaten aber gar nicht hatten.

Und wo nimmt man dieses Geld her? Man verkauft Staatseigentum oder zwingt Staaten wie Griechenland, es zu tun, um ihre “Schulden” abzubezahlen. Das heißt, Steuern, die aktuell ohnehin zum Großteil von Arbeiter*innen und den halb-proletarischen Teilen des Kleinbürger*innentums bezahlt werden, werden verbrannt, um Kapitalist*innen zu retten. Dafür werden Betriebe privatisiert, die uns dann noch schlechter behandeln und noch mehr ausbeuten. Wir zahlen für die Krise also sogar doppelt.

Etwas Ähnliches steht uns angesichts der Corona-Krise bevor: Olaf Scholz kündigte eine Aufnahme von 156 Milliarden Euro Neuverschuldung zur Bewältigung der Krise an. Die letzten Wochen haben sehr deutlich gezeigt, was Scholz mit “Bewältigung der Krise” meint: Nicht etwa das medizinische Bekämpfen des Virus, alles darauf zu setzen, diese Pandemie mit möglichst wenig Toten zu überstehen. Nein, es geht um die Rettung der deutschen Wirtschaft.

Was können wir dagegen tun?

Retten kann uns nur eine starke organisierte Arbeiter*innenbewegung. Betriebe in unserer Hand, in denen die Produktion gestoppt werden kann, wie eben in Voith, oder Betriebe mit starker Ausstrahlung und Solidarität durch die Bevölkerung wie die Beschäftigten in Krankenhäuser (An dieser Stelle sei auf die Videos zum 1. Mai unserer Genossin Charlotte Ruga und der US-amerikanischen Genossin Tre Kwon verwiesen).

Um die Kämpfe erfolgreich zu Ende führen zu können, müssen wir auch in unserer Gewerkschaften um eine Klassenpolitik gegen die Gewerkschaftsführungen kämpfen. Die Entscheidungen sollen direkt von Arbeiter*innen selbst betroffen werden. Voith darf kein weiterer Eintrag in der langen Liste der von der Gewerkschaftsbürokratie abgewürgten Kämpfe werden.

Ein Sozialplan ist nicht ausreichend. Und schon gar nicht, wenn wir uns in einer weltweiten Krise befinden. Der “freie Markt” kann mit den Zugeständnissen, die ihm gemacht wurden, wie der Privatisierung von Betrieben, nicht umgehen? Dann lasst uns diese Zugeständnisse wieder entziehen. Voith muss wieder staatlich werden, diesmal unter der Kontrolle der Arbeiter*innen. Ebenso wie jeder Betrieb, der Mitarbeiter*innen entlassen will oder Werke schließen.

Stimmen der Beschäftigten

Du arbeitest bei Voith oder hast dort Angehörige? Du willst deine Erfahrungen zum Arbeitskampf oder deinem Alltag auf der Website teilen? Du hast Anmerkungen oder Kritik zu unserer Berichterstattung? Dann kontaktiere uns:

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