Streik bei Voith gegen Schließung: Der Heidenheimer Konzern Voith will in Sonthofen ein wirtschaftlich intaktes Werk schließen und 500 Beschäftigte auf die Straße setzen. Dabei gehört Voith der Betrieb erst seit 12 Jahren. Bis 1996 war er sogar mehrheitlich in staatlicher Hand. Kann die Verstaatlichung heute wieder ein Ausweg sein?" /> Streik bei Voith gegen Schließung: Der Heidenheimer Konzern Voith will in Sonthofen ein wirtschaftlich intaktes Werk schließen und 500 Beschäftigte auf die Straße setzen. Dabei gehört Voith der Betrieb erst seit 12 Jahren. Bis 1996 war er sogar mehrheitlich in staatlicher Hand. Kann die Verstaatlichung heute wieder ein Ausweg sein?" />

Voith Sonthofen war schon einmal staatlich – warum sollte es das nicht wieder sein?

13.05.2020, Lesezeit 5 Min.
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Streik bei Voith gegen Schließung: Der Heidenheimer Konzern Voith will in Sonthofen ein wirtschaftlich intaktes Werk schließen und 500 Beschäftigte auf die Straße setzen. Dabei gehört Voith der Betrieb erst seit 12 Jahren. Bis 1996 war er sogar mehrheitlich in staatlicher Hand. Kann die Verstaatlichung heute wieder ein Ausweg sein?

Dutzende Schilder säumen den Zaun um das Betriebsgelände von Voith Turbo in Sonthofen. Die Konzernleitung in Heidenheim möchte den traditionsreichen Standort im Oberallgäu schließen und Teile der Produktion nach Crailsheim verlegen, obwohl der Betrieb in Sonthofen schwarze Zahlen schreibt. Die Beschäftigten wehren sich mit Streik – und drücken ihren Unmut auf den Schildern aus. „Warum Arbeitgeber, wenn ihr uns die Arbeit nehmt?“ steht da. Oder: „Voith kann gehen, wir bleiben.“ Für manche der Parolen sind Dialektkenntnisse nötig. Auf einem Werbeplakat mit der Aufschrift „Wir in Sonthofen drehen gemeinsam durch“ prangt in roten Lettern: „Bloß dr VOITH duat dr gegen“, also in etwa „Nur Voith sträubt sich.“ Eine Abkürzung taucht auf den Schildern, aber auch auf den Streik-T-Shirts der Beschäftigten immer wieder auf: BHS.

Privatisierung der BHS Sonthofen in den 1990ern

Die Bayerischen Berg-, Hütten- und Salzwerke waren eine 1927 gegründete staatseigene Aktiengesellschaft. Der bayerische Freistaat wollte damit den Bergbau in Bayern effizienter organisieren. In Sonthofen stand damals als Teil der BHS ein Hüttenwerk. Um 1970 wurde die BHS stark umstrukturiert. Es entstand ein Mischkonzern mit vielfältigen Betriebsfeldern, darunter Salzabbau, Torfgewinnung und Maschinenbau. BHS Sonthofen wurde zu einem Maschinen- und Getriebebauwerk.

Der Beginn des langen Wegs bis zur geplanten Schließung des Werks liegt ebenfalls eine Weile zurück, nämlich 1988. Damals befanden sich große Teile der Weltwirtschaft im Wahn des Neoliberalismus: Aushöhlung von Arbeiter*innenrechten, Angriffe auf Gewerkschaften und vor allem – Privatisierungen. Eine hohe Staatsquote galt nun als wirtschaftsschädigend. Die schärfsten Ausdrücke dieser Privatisierungswelle sind sicherlich die Post, die Bahn sowie die Privatisierung großer Teile des Gesundheitswesens – was uns besonders in der aktuellen Pandemie teuer zu stehen zu kommen droht. In diesem neoliberalen Vorstoß entledigte sich der Freistaat auch der BHS. Bis 1998 waren alle Unternehmensteile in private Hand gewandert. In Sonthofen entstand 1996 die BHS-Sonthofen GmbH. Es wurde also weiter unter dem Kürzel BHS produziert und das Unternehmen blieb weiterhin am Markt erfolgreich.

Konzern will Know-How und Kapital jahrzehntelanger Arbeit abziehen

Voith übernahm das Werk schließlich 2007. Eines der Schilder der Streikenden illustriert diesen Weg als einen „Highway to Hell“ von BHS zu Voith bis zur Zerstörung des Werks. Und mit Voith muss dieser Weg wohl zwangsläufig in die Hölle der Betriebsschließung führen. Die Konzernleitung hält bislang eisern an den Schließungsplänen fest und weigert sich ebenfalls über den Verkauf des Werks in Sonthofen nachzudenken. Nun will der Konzern das Know-How und Kapital auf Kosten der Beschäftigten aus Sonthofen nach Crailsheim verlegen, um dort noch mehr Profite zu machen. Klar ist: Nur gegen die Interessen von Voith können die Arbeitsplätze und die traditionsreiche Produktion in Sonthofen erhalten bleiben.

Ist es da so abwegig, über die Verstaatlichung nachzudenken? Vor noch nicht allzu langer Zeit hat der damalige Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert eine breite politische Debatte über die Verstaatlichung von Industriebetrieben angestoßen. In Berlin gibt es seit einiger Zeit eine sehr dynamische Kampagne für die Enteignung von Immobilienkonzernen. Wenn die sogenannte unternehmerische Freiheit dazu gebraucht wird, die wirtschaftliche Existenz von hunderten Familien und mittelbar sogar einer ganzen Region zu zerstören – warum sollte da nicht der Staat einschreiten können?

Verstaatlichung unter Kontrolle der Beschäftigten

Es kann freilich nicht darum gehen, die Zeit der BHS in Sonthofen als Staatsbetrieb zu glorifizieren. Auch unter staatlicher Führung ging es darum, sich auf dem Markt zu behaupten und Profite zu erwirtschaften. Die Geschichte der BHS nach dem wirtschaftlichen Aufschwung der 1950er Jahre ist eine der Umstrukturierungen und auch Werksschließungen.

Eine Verstaatlichung zur Rettung der Arbeitsplätze und damit zum Lebensunterhalt hunderter Familien ist also kein Allheilmittel. Es hängt alles davon ab, wer eine solche Verstaatlichung durchsetzt. Und das können nur die Beschäftigten selbst sein. Entgegen aller Solidaritätsbekundungen oder der Vermittlungsversuche durch Politiker*innen verschiedener Parteien, weisen sie alle keinen Weg zum Erhalt der Arbeitsplätze.

Doch eines muss betont werden: die Verstaatlichung eines Betriebs muss nicht utopisch sein, nur weil dieser Schritt der vorherrschenden neoliberalen Denke widerspricht. Es gab eine Zeit vor dem Neoliberalismus und es wird eine Zeit nach ihm geben. Der Highway muss nicht zur Schließung führen, wenn die Beschäftigten es schaffen, den Weg selbst zu bestimmen.

Stimmen der Beschäftigten

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