TVöD: Die Bundestarifkommission hätte das Ergebnis ablehnen sollen

17.05.2023, Lesezeit 8 Min.
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Foto: Julius Götz (KGK)

Heute wird die Bundestarifkommission im öffentlichen Dienst über die Annahme des Schlichtungsergebnisses der TVÖD-Runde entscheiden. Aller Voraussicht nach wird sie das Ergebnis annehmen – eine tatsächliche Vertretung der Mehrheit der betroffenen Kolleg:innen ist das jedoch nicht.

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde leicht aktualisiert, nachdem die Bundestarifkommission von ver.di das Schlichtungsergebnis im öffentlichen Dienst auch offiziell annahm.

 

Am Mittwoch Nachmittag stand das Ergebnis endgültig fest: Die Bundestarifkommission (BTK) von ver.di nahm den Schlichterspruch in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes (TVÖD) an. Damit sind weitere Streiks, wie sie zur vollen Durchsetzung der eigentlichen Forderungen der Tarifrunde nötig und möglich gewesen wären, endgültig vom Tisch. Zuvor hatte die BTK am Montag bekannt gegeben, dass 66 Prozent bei der Mitgliederbefragung mit „Ja“ gestimmt hatten.

Wochenlang hatten 500.000 Beschäftigte gestreikt. Für 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr pro Monat. Nach der dritten gescheiterten Verhandlungsrunde wurde eine Schlichtungskommission zu Tisch gebeten, deren Kompromissvorschlag sehr weit unter den Forderungen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) liegt. De facto bedeutet er für die Millionen Betroffenen Reallohnverlust, wie selbst das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) ausgerechnet hat.

Um das Ergebnis absegnen zu lassen, waren die Mitglieder von ver.di im öffentlichen Dienst in den vergangenen Wochen befragt worden – nachdem Gewerkschaftssekretär:innen in vielen Bundesländern versucht hatten, das Unschöne schön zu reden. Mehr sei beim besten Willen nicht drin. Doch so sicher war sich die Gewerkschaftsbürokratie angesichts des breiten Unmuts über das Ergebnis dann wohl doch nicht – die Mitgliederbefragung war schließlich nicht bindend, im Falle eines anderen Ausgangs hätte sich ver.di auch über das Votum der Basis hinwegsetzen können. Von den über 100 BTK-Mitgliedern hat zumindest auch ein knappes Viertel der Einigung nicht zugestimmt, während in Mitgliederversammlungen in Berlin bis zu 80 Prozent der Aktiven die Tarifeinigung abgelehnt haben – ähnlich in Leipzig und Hamburg.

Am Mittwoch, den 17. Mai kam die Bundestarifkommission dann zur abschließenden Sitzung zusammen – der Tag, bis zu dem beide Seiten eine zustimmende oder eine ablehnende Erklärung zur „Einigung“ abgeben mussten. Zwischenzeitlich war eine Zustimmung der BTK fraglich – nicht wegen des Unmuts der Beschäftigten, sondern weil der sächsische Ableger des kommunalen Arbeitgeberverbandes (KAV) den Vorschlag der Kommission in Bezug auf den Nahverkehr im Land nicht eins zu eins umsetzen wollte. Die BTK hatte den KAV Sachsen aufgefordert, den Konflikt beiseitezulegen. Nachdem dieses Hindernis beseitigt worden war, gab die BTK schließlich grünes Licht für die Annahme des Ergebnisses.

Dabei gab es noch viel mehr Gründe, aus denen das „Ergebnis“ von der Interessenvertretung der Beschäftigten nicht hätte unterschrieben werden sollen. Zuallererst natürlich, dass ein Reallohnverlust inakzeptabel ist – insbesondere, wenn die volle Streikmacht der Beschäftigten gar nicht erst entfesselt wurde. Aber darüber hinaus ist das Befragungsergebnis auch keineswegs Ausdruck einer breiten Zustimmung der Arbeiter:innen im öffentlichen Dienst: So hatten sich laut inoffiziellen Informationen aus den Fachbereichen nur 27 Prozent der bei ver.di organisierten Streikenden überhaupt an der Mitgliederbefragung beteiligt. Eine aufsuchende Abstimmung durchzuführen, hätte sicherlich zu einem repräsentativeren Ergebnis geführt. Ver.di hätte mit Urnen durch die Krankenhäuser und Wasserwerke, die Behörden und die Müllverbrennungsanlagen ziehen müssen, wie es für die Urabstimmung ursprünglich geplant war, anstatt angesichts der mickrigen Zahlen jetzt von einer breiten Zustimmung zu sprechen.

Stattdessen haben die ver.di-Funktionär:innen getreu der Logik des geringeren Übels einen moralischen Druck aufgebaut, um das schlechte Ergebnis zu akzeptieren. Aussagen wie „mit Nein zu stimmen, ist wie freiwillig zurück auf Los zu gehen“, sind ein wahrer Hohn, während die Alternative eines Erzwingungsstreiks unter den Tisch gekehrt wurde. So war denn auch die tatsächliche Diskussion über das Ergebnis und die weiteren Kampfperspektiven sehr unterschiedlich ausgeprägt: Während in Berlin viel diskutiert wurde, war die Debatte andernorts kaum möglich. Da, wo sie stattfand, wie beispielsweise in München, wurde argumentiert, dass die Weiterführung des Kampfes den unteren Lohngruppen schaden würde, da das aktuelle Angebot für diese gut sei, während das nächste nicht zwingend so aussehen müsste.

Auf der Konferenz Gewerkschaftliche Erneuerung in Bochum wurde zwar über die TVÖD-Einigung diskutiert – eine Erklärung gegen die Annahme des Schlichtungsergebnisses wurde jedoch nicht abgestimmt, trotz des Vorschlags für eine solche Resolution, den wir hundertfach bei der Konferenz verteilten.

Der Abschluss im TVÖD wird ein Signal für viele weitere Branchen sein, da sich viele daran orientieren werden. Schließlich ist die Haltung der Arbeitgeberseite auch Ausdruck der Sparpläne der Regierung, die nicht nur den öffentlichen Dienst, sondern die Gesamtheit der Arbeiter:innen, Jugendlichen, Rentner:innen, Frauen und Migrant:innen in diesem Land hart treffen werden. Ein entschlossener Erzwingungsstreik nicht nur gegen den schlechten Kompromiss der Schlichtungskommission, sondern gegen die Kürzungspläne der Regierung insgesamt, wäre hingegen ein wichtiges Zeichen des Widerstands, das auch andere Sektoren anstecken könnte. Genau das wollten die ver.di-Führung tunlichst vermeiden, um weiterhin die linke Flanke der Ampelregierung zu sein.

Dass nicht so sein muss, zeigte in Ansätzen die Erfahrung in Berlin, wo die Streikenden des öffentlichen Dienstes ein viel höheres Selbstbewusstsein zeigten, bei der Mitgliederbefragung mit Nein zu stimmen. In Versammlungen diskutierten die Teamdelegierten über eine Rückkopplung der Entscheidungen der BTK und BTK-Mitglieder erklärten sich selbst dazu bereit, ihre Positionen nach dem Votum der Streikversammlungen auszurichten. Eine Garantie gibt es dafür jedoch nicht. Als Klasse Gegen Klasse sind wir für ein imperatives Mandat der Bundestarifkommission eingetreten – d.h. dass sich von den Streikenden gewählte Vertreter:innen in der BTK verpflichtend an die Beschlüsse der Basis halten müssen und jederzeit wähl- und abwählbar sind. Wo die Beschäftigten hingegen alles von oben vorgesetzt bekommen, ohne einen Einfluss auf ihren eigenen Kampf nehmen zu können, sorgt die Gewerkschaftsbürokratie für Demoralisierung und Niederlage.

Dagegen gilt es sich zu organisieren und eine klassenkämpferische und antibürokratische Bewegung an der Basis der Gewerkschaften aufzubauen, um zum Einen den Einfluss der Regierungsparteien und der Sozialpartnerschaft zu bekämpfen, und zum Anderen für eine umfassende Demokratisierung der Gewerkschaften zu kämpfen. Allererste Schritte dafür wären, dass die Mitglieder der Tarifkommissionen nicht mehr vom Apparat selbst ernannt werden, sondern in Mitgliederversammlungen gewählt und den Streikenden gegenüber jederzeit rechenschaftspflichtig und abwählbar sein müssen. Die Führung des Streiks muss von den Streikenden selbst ausgehen, mit aus den Betrieben heraus gewählten Delegierten, die in einer bundesweiten Delegiertenstruktur mit imperativem Mandat den Streik demokratisch leiten.

Wie Charlotte Ruga, Hebamme in München und Mitglied von ver.di und Klasse Gegen Klasse, formuliert:

In dem Kampf um den Erhalt unserer Geburtshilfe haben wir deutlich gemerkt, dass Selbstorganisierung uns darin bestärkt, selbst zu entscheiden, wie wir arbeiten wollen und an welchen Punkten wir dafür kämpfen. Ich denke, solche Erfahrungen und noch größere wie die Bewegungen für Entlastungstarife geben uns Beschäftigten die nötige Stärke, nicht nur zu akzeptieren, was uns von oben aufgedrückt werden soll. Die Mitgliederbefragung zeigt meiner Meinung nach, dass die Sparpolitik, der sich die Gewerkschaftsbürokratie anpasst, uns genau diese Stärke versucht zu nehmen, uns einzuschüchtern und uns unter Druck setzt, uns anzupassen.

Online-Treffen von KGK Workers

Wir laden alle Interessierten ein, am 24. Mai um 18 Uhr am nächsten bundesweiten Online-Treffen von KGK Workers teilzunehmen, wo wir über die Frage diskutieren wollen, was für eine linke Opposition wir in den Gewerkschaften brauchen. In Berlin und München auch als Teilnahme vor Ort möglich.

Wann? Mittwoch, 24. Mai, 18 bis 20 Uhr
Wo? Online per Zoom oder vor Ort in Berlin und München (Adresse auf Anfrage)

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