Antibürokratische Strömung aufbauen: Für Massenstreiks statt Sozialpartnerschaft

10.05.2023, Lesezeit 10 Min.
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Foto: Marius (KGK)

In Frankreich streikten Millionen Menschen gegen die Rentenreform von Macron. Die Gewerkschaften müssen auch hierzulande Massenstreiks gegen Sparpolitik und Aufrüstung organisieren. Flyer von Klasse Gegen Klasse zur Konferenz für Gewerkschaftliche Erneuerung.

Die Ampel-Koalition kündigt Sparmaßnahmen an: Nach den Einschnitten der Inflation will Finanzminister Christian Lindner (FDP) nun 20 Milliarden Euro an Ausgaben für Arbeit, Soziales und Familien kürzen. Die Einsparungen zeigen sich bereits im öffentlichen Dienst, wo die Tarifverhandlungen (TVöD) zu einem Reallohnverlust führen. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung wird die Kaufkraft bis zum Ende der Laufzeit (Dezember 2024) voraussichtlich um sechs Prozent sinken.

In den vergangenen Wochen beteiligten sich über 500.000 Menschen an den Streiks im öffentlichen Dienst. Trotzdem bleibt das Verhandlungsergebnis hinter der Inflation zurück, ebenso wie die Abschlüsse bei der Post,  der Metall- und Elektroindustrie, Chemie und im Hafen. Die Gewerkschaftsbürokratie, die die hauptamtlichen und Führungspositionen inne hat und gute Beziehungen mit dem Ampel-Parteien pflegt, folgt einer Kampfvermeidungsstrategie, weshalb den Arbeiter:innen diktiert wird, die Kosten der kapitalistischen Krise zu tragen.

Die Verhandlungsführungen von ver.di, IG Metall und IG BCE haben vorzeitig Abschlüsse vereinbart, ohne das Potenzial von Erzwingungsstreiks zu nutzen. Die Gewerkschaftsbürokratie verlässt den Rahmen der konzertierten Aktion nicht, die von der Regierung initiiert wurde, um auf die Forderungen der Bosse Rücksicht zu nehmen. Einmalzahlungen werden als Almosen angenommen, statt einen langfristig tabellenwirksamen Inflationsausgleich zu erkämpfen – ganz zu schweigen von einer automatischen Anpassung der Löhne an die Inflation. So hatte ver.di für das Jahr 2023 10,5 Prozent plus mindestens 500 Euro Sockelbetrag gefordert, wirbt nun aber für einen Schlichtungsspruch, der nicht einmal die Hälfte davon enthält und das auch erst zum März 2024. Die Vertragslaufzeit von 24 Monaten verhindert eine Korrektur und erneute Streiks im Falle einer weiterhin hohen Inflation. Aktuell läuft beim TVöD die Mitgliederbefragung – die jedoch nicht bindend ist. Die Bundestarifkommission (BTK) empfiehlt trotz großer Kritik der Gewerkschaftsbasis die Annahme der Tarifeinigung. Sie kündigt jedoch wegen des Druckes an, eine Urabstimmung für einen unbefristeten Streik einzuleiten, falls die Mitgliederbefragung eine Ablehnung des Ergebnisses ergeben sollte. Wir rufen alle ver.di-Kolleg:innen dazu auf, mit Nein zu stimmen. Die Tarifkommission muss das Ergebnis ablehnen und eine Urabstimmung einleiten.

Denn das ist die einzige legitime Basis, um über den Verlauf des Tarifkampfes zu bestimmen. Die Arbeiter:innen haben mit den Konsequenzen der Tarifeinigung zu leben, daher sollten sie selbst bestimmen – und zwar auf Betriebs- und Streikversammlungen mit bindender Entscheidung.

Wir sind Arbeiter:innen und Studierende, die sich gemeinsam mit der Zeitung Klasse Gegen Klasse organisieren und an diesen Kämpfen teilgenommen haben, als Streikende sowie solidarisch mit unserer Zeitung. Wir ziehen die Bilanz, dass die Gewerkschaften ihr Potenzial nicht ausschöpfen, weil sie durch Sozialpartnerschaft und Bürokratie gehemmt sind. Wir schlagen daher den Aufbau einer sozialistischen und antibürokratischen Opposition in den Gewerkschaften vor, damit die Arbeiter:innen ihre Kämpfe zum Sieg führen und darin eine eigene politische Rolle unabhängig von Regierung und Konzernen einnehmen können.

Streiks müssen politisch werden!

Krieg, Inflation, Sparpolitik, Klimakrise und Strukturwandel machen eine umfangreiche Antwort der Gewerkschaften nötig. Die Ampel-Regierung will die Bundeswehr mit 100 Milliarden Euro Sondervermögen und 70 Milliarden Euro jährlich aufrüsten, um Deutschland zur drittgrößten Militärmacht der Welt zu machen. Unter dem Vorwand, die ukrainische Bevölkerung zu schützen, führt sie mit der NATO einen Stellvertreterkrieg gegen Russland. Als Gewerkschafter:innen müssen wir uns konsequent sowohl gegen Putin als auch die NATO stellen, indem EVG und GDL jegliche Waffenlieferungen blockieren und alle Gewerkschaften Demonstrationen bis zu Massenstreiks gegen Sparpläne, Inflation und Aufrüstung organisieren.

Wir müssen die Streikbewegungen wie im öffentlichen Dienst, der Eisenbahn, Nahverkehr und den Flughäfen ausweiten und mit Kämpfen in anderen Branchen und sozialen und ökologischen Bewegungen verbinden, um solche Massenstreiks zu organisieren. Wir müssen heute schon die Verteidigung gegen die kommenden Angriffe der Ampel-Regierung vorbereiten, damit wir streiken können wie in Frankreich. In den kommenden Jahren wird sich die Verteilungsfrage schärfer stellen: Die Ampel spart, aber ist nicht bereit, über Vermögensabgaben auch nur ansatzweise nachzudenken. Die Gewerkschaftsführungen lassen dies der Ampel durchgehen, weil sie den sozialen Frieden nicht stören wollen.

Die Regierungspolitik betrifft nicht nur unsere Lebensbedingungen, sondern auch unseren Arbeitsalltag: Hunderttausende Arbeitsplätze in der Industrie stehen in den kommenden Jahren durch die Energie- und Mobilitätswende in Frage. Zugleich ist der Wechsel auf Flüssiggas aus den USA und E-Autos mit Lithium aus den trockenen Andenregionen keineswegs umweltfreundlich. Statt neue Profitquellen für die Konzerne zu suchen, für die weltweit Rohstoffe ausgebeutet werden sollen – wo nötig auch militärisch –, braucht es eine ganzheitliche Umstellung der Produktion und Verteilung nach sozialen und ökologischen Kriterien unter Kontrolle der Beschäftigten. Die IG Metall muss Paragraph 2 ihrer Satzung wieder ernst nehmen, der die „Überführung von Schlüsselindustrien in Gemeingut“ vorsieht, statt mit Unternehmen und Regierungen über Sozialpläne und Subventionen zu verhandeln.

An den Krankenhäusern setzt Gesundheitsminister Lauterbach die Zentralisierungspolitik seiner Vorgänger fort. Zahlreiche Stationen müssen schließen. Seine Krankenhausreform wird die Profitorientierung in der Gesundheit nicht abschaffen. Im gesamten medizinischen Bereich, in der Bildung und in den sozialen Berufen wie in Kindertagesstätten und Pflegeheimen fehlt es an Personal. Trotzdem soll nun im öffentlichen Dienst der Reallohnverlust kommen.

Es gibt jedoch Gegenwehr, wie in den vergangenen Jahren mit den Krankenhausbewegungen in Berlin und NRW oder auch mit dem selbstorganisierten Kampf von Kolleg:innen, die in München-Neuperlach für den Erhalt ihres Kreißsaals eintreten. Auf der Konferenz für Gewerkschaftliche Erneuerung wird „Organizing“ als Mittel zum gewerkschaftlichen Erfolg diskutiert. Dieses Konzept hat erfolgreich eine größere Zahl von Kolleg:innen organisiert und in Streiks und Versammlungen eingebunden. In NRW und Berlin gelang es nach monatelangen Streiks, Entlastungstarifverträge an den Krankenhäusern zu erkämpfen. Aber zentrale Probleme wie Outsourcing, Fallpauschalen und Profitorientierung im Gesundheitswesen wurden nicht bekämpft. Das System der Teamdelegierten hatte keine bindende Entscheidungsmacht (imperatives Mandat), weshalb die Kontrolle der Arbeiter:innen über ihren Kampf beschränkt blieb. Die Entlastungstarifverträge wurden bis heute nicht oder unzureichend umgesetzt, weil die strukturellen Probleme des profitorientierten Systems nicht überwunden werden können. Um zu einer bedürfnisorientierten Gesundheitsversorgung zu kommen, braucht es ein sozialistisches Programm mit der Verstaatlichung der Krankenhäuser unter Kontrolle der Beschäftigten. Die Kolleg:innen müssen durch Versammlungen die volle Kontrolle über ihre Streiks haben, um solche Forderungen entwickeln zu können und die sozialpartnerschaftliche Ausrichtung der Gewerkschaftsbürokratie in Frage zu stellen.

Die Gewerkschaften können nicht allein durch organisatorische Methoden und minimale Reformforderungen erneuert werden. Wir treten dafür ein, sie auf antibürokratischer Grundlage, gestützt auf die Selbstorganisierung der Arbeiter:innen, zurückzuerkämpfen.

Organisieren wir uns, um zu streiken wie in Frankreich!

Millionen Arbeiter:innen in Frankreich haben durch Streiks Widerstand gegen die Rentenreform von Macron geleistet. Auch in Großbritannien und Griechenland gab es zuletzt Streiks mit Millionen Teilnehmer:innen. Wir meinen, dass die Arbeiter:innenklasse in Deutschland sich an diesen Kämpfen ein Vorbild nehmen muss, um gegen die Sparmaßnahmen, sozialen Angriffe und Aufrüstung Gegenwehr zu leisten. In Frankreich haben Kolleg:innen in verschiedenen Sektoren wie Eisenbahnen, Entsorgung, Raffinerien, Atomkraftwerken und Nahverkehr in selbstorganisierten Versammlungen über die Fortsetzung ihrer Streiks abgestimmt und so die hohe Kampfbeteiligung ihrer Betriebe ermöglicht.

Unter dem Druck haben die Führungen der Gewerkschaften zu großen Mobilisierungen aufgerufen, dabei jedoch lieber auf vereinzelte Aktionstage gesetzt, statt mit einem mehrtägigen Generalstreik die Rentenreform zurückzuschlagen und die autoritäre Regierung zu stürzen. Mit unserer französischen Schwesterorganisation Révolution Permanente haben wir das Netzwerk für den Generalstreik gegründet, das die Sektoren versammelt hat, die in selbstorganisierten Streiks standen. Unsere Perspektive ist die Verbindung der Streiks, statt der Politik der isolierten Aktionstage, wie sie die Gewerkschaftsbürokratie durchgeführt hat.

Um eine solche Position in Deutschland in die Gewerkschaften zu tragen, beteiligen wir uns an der Vernetzung für Kämpferische Gewerkschaften (VKG) und dem Netzwerk für eine demokratische und kämpferische ver.di. Wir wollen dort ein klassenkämpferisches Profil und den Aufbau einer antibürokratischen Strömung vorantreiben. In dieser Perspektive wollen wir kämpferische Kolleg:innen verschiedener Sektoren zusammenzubringen, wie aus der Metall-, Chemie-, Elektro-Industrie, Energie, Häfen, Gesundheit, Sozialer Arbeit, Verkehr, Logistik und Bau.

Werde aktiv bei KGK Workers und Waffen der Kritik

Als Gewerkschaftler:innen rund um Zeitung Klasse Gegen Klasse organisieren wir uns bundesweit bei der Arbeiter:innengruppe KGK Workers. Wir sind von Gesundheit bis Bildung in unterschiedlichen Bereichen, in Betriebsgruppen und Gewerkschaftsstrukturen aktiv und treten für eine klassenkämpferische Politik mit einem sozialistischen Programm ein. Kürzlich haben wir unser Gruppierungs-Manifest veröffentlicht.

Wir wollen die Spaltung der Arbeiter:innenklasse in Einheimische/Ausländische, Festangestellte/Outgesourcte, die Unterdrückung aufgrund von Geschlecht und anderen Spaltungslinien beenden, indem die Arbeiter:innen selbstorganisiert ihre Streiks führen und sich nicht den Bürokratien und reformistischen Parteien unterordnen. Wir denken, dass wir als Gewerkschaften nicht nur für mehr Lohn, sondern auch für politische Forderungen an die Regierung mit Aktionen und Streiks kämpfen müssen, um unsere Interessen zu verteidigen. Der Sozialpartnerschaft setzen wir den Klassenkampf entgegen. Wir sind aktiv in der Vernetzung für kämfperische Gewerkschaften (VKG) und dem Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di.

An den Universitäten organisieren wir uns mit der Gruppe Waffen der Kritik. Wir wollen uns nicht zufrieden geben mit Krieg, Klimakatastrophe und Krise. Wir haben eine Welt zu gewinnen. Wir wollen eine Studierendenbewegung aufbauen, die an der Seite der Arbeiter:innenklasse den Klassenkampf in den Mittelpunkt stellt. Wir treten ein für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TVStud), aber auch die Entfristung von Lehrstellen, die Demokratisierung der Universitäten und den freien Zugang zum Studium, in der Perspektive einer Universität im Dienste der Ausgebeuteten und Unterdrückten.

Wir laden alle Interessierten ein, am 24. Mai um 18 Uhr am nächsten bundesweiten Online-Treffen von KGK Workers teilzunehmen, wo wir über eine Bilanz der Konferenz und die Frage diskutieren wollen, was für eine linke Opposition wir in den Gewerkschaften brauchen. In Berlin und München auch als Teilnahme vor Ort möglich.

Online-Treffen von KGK Workers

Wann? Mittwoch, 24. Mai, 18 bis 20 Uhr
Wo? Online per Zoom oder vor Ort in Berlin und München (Adresse auf Anfrage)

Außerdem findet voraussichtlich am 25. Mai um 18 Uhr eine bundesweite Online-Veranstaltung von KGK Workers und Waffen der Kritik über den Klassenkampf in Europa statt. Aktuelle Infos auf unserer Website klassegegenklasse.org.

Vorschlag für eine Erklärung der Konferenz

Mit 1.400 Teilnehmer:innen hat die Konferenz für Gewerkschaftliche Erneuerung eine gewichtige Stimme. Wir schlagen vor, dass das Auftaktplenum am Samstag über folgende Erklärung abstimmt:

„Als Teilnehmende der Konferenz für Gewerkschaftliche Erneuerung stellen wir uns gegen die angekündigten Einsparungen bei Bildung, Sozialem, Familien und Gesundheit mit denen die Regierung die Kosten von Krieg und Krise auf uns abwälzen will. Wir rufen alle Betriebsgruppen, Vertrauensleutekörper und gewerkschaftlichen Strukturen auf, Gegenwehr gegen die Sparpläne der Regierung zu organisieren. Gemäß dem Aufruf des DGB zum Antikriegstag 2022 stellen wir uns gegen einen neuen weltweiten Rüstungswettlauf. Die Gewerkschaften müssen sich gegen Waffenexporte stellen. 

Wir lehnen jeden Abschluss in Tarifverhandlungen unter Inflationsniveau ab. Einmalzahlungen ersetzen keine tabellenwirksamen Erhöhungen. Wir rufen dazu auf, bei der Mitgliederbefragung im öffentlichen Dienst mit Nein zu stimmen. Die Tarifkommission muss das Verhandlungsergebnis ablehnen und die Urabstimmung zum Erzwingungsstreik einleiten.“

 

 

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