Trotzki, Gramsci und der Aufstieg der Arbeiter:innenklasse als hegemoniales Subjekt

11.03.2021, Lesezeit 35 Min.
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Illustration: @flaviagregorutti

Wie kann die Arbeiter:innenklasse in „westlichen“ Ländern zu einem sozialen und politischen Subjekt werden? Über die Zentralität der Errichtung von Institutionen zur Vereinigung und Koordination der Kämpfe schreiben Matías Maiello und Emilio Albamonte.

In diesen Zeilen analysieren wir anhand von Trotzkis und Gramscis Ausarbeitungen einige Elemente zur Entwicklung der Arbeiter:innenklasse als soziales und politisches Subjekt in „westlichen“ Ländern mit komplexen sozio-politischen Strukturen. Entgegen der Idee der Eroberung von Räumen innerhalb des Regimes und der friedlichen Koexistenz mit den Bürokratien der Massenbewegung, aber auch entgegen der Anpassung an die Verwaltung von Sozialplänen des Staates oder der Anpassung an den Status Quo der Struktur der Gewerkschaften, beschäftigen wir uns mit Trotzkis origineller Konzeption der Artikulation der Avantgarde und der Massensektoren. Dabei gehen wir von der Errichtung von Institutionen zur Vereinigung und Koordination der Kämpfe aus, die er in seinen Schriften über Frankreich unter dem Namen „Aktionskomitees“ zum Ausdruck brachte. Eine Frage von großer Aktualität, die wir im Rahmen der Debatten zum nächsten Kongress der PTS vertiefen werden.

Unter linken Intellektuellen im Allgemeinen und selbst unter denen, die Trotzkis wichtige Beiträge zur marxistischen Theorie anerkennen, wurde der Hinweis zu einem Gemeinplatz, dass es Trotzki im Gegensatz zu Gramsci nicht gelungen sei, das Problem des Proletariats im Westen anzugehen: angefangen bei Michael Burawoy, der darauf hinweist, dass „Trotzkis Analysen immer wieder am Felsen des westlichen Proletariats Schiffbruch erlitten“ hätten und dass „es ein anderer Marxist, Antonio Gramsci, sein sollte, der eine breitere Interpretation entwickeln würde“1; oder Razmig Keucheyan, der argumentiert, dass Trotzkis Fehler darin bestehe, „an einer Konzeption der sozialen Welt und damit der revolutionären Strategie aus einer Zeit vor den von Gramsci beschriebenen strukturellen Veränderungen festgehalten zu haben“, insbesondere bezüglich der Unterscheidung „zwischen der ‚Ostfront‘ und der ‚Westfront‘, d.h. zwischen den östlichen Gesellschaften, die noch flüssig sind, und den westlichen Gesellschaften, in denen die Zivilgesellschaft und der Staat fest verschmolzen sind“2; oder selbst Perry Anderson, der einerseits betonte, dass Trotzkis Schriften „über die drei wichtigsten Sozialformationen Westeuropas [Deutschland, England und Frankreich] in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen […] den Gefängnisheften entsprechend überlegen“ seien, aber andererseits hinzufügte, dass Trotzki „[d]ie Probleme einer, auf die sozialistischen Revolution in diesen Ländern ausgerichteten, […] festgelegten Strategie […] niemals mit der derselben Sorge und Klarheit [aufwarf] wie Gramsci.“3

Wie wir in unserem Buch „Sozialistische Strategie und Militärkunst“4 ausgeführt haben, widerspricht die Analyse von Trotzkis theoretischem und praktischem Werk nicht nur weitgehend jenen Gemeinplätzen, sondern liefert auch eine solide Grundlage für eine – in ihrer Komplexität kaum erforschte – politische Theorie über die Entstehung der Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt. In diesem Artikel werden wir uns besonders auf einen seiner Aspekte konzentrieren, ausgehend von einer Reihe von Schriften, die unter dem Titel „Wohin geht Frankreich?“ bekannt wurden. Wir beziehen uns auf die Idee von „Aktionskomitees“ als Mittel zur Sammlung der Avantgarde und der Massensektoren, um die Kräfte der Revolutionär:innen zu stärken, den Widerstand der bürokratischen Apparate zu „brechen“ und die Macht der Arbeiter:innenbewegung zu entfalten.

Das politische Terrain im „Westen“

Es waren Trotzki und Gramsci, die die Problematik der westlichen kapitalistischen Demokratien am gründlichsten analysierten. Sie waren Teil derjenigen Revolutionär:innen der Dritten Internationale, die sich mit der Komplexität der Revolution in Europa auseinandersetzten. Dort war der Einfluss der bürgerlichen Demokratie und des Parlamentarismus als Ideologie unter den Massen mehrheitlich, und es hatten sich große reformistische Apparate mit ihren jeweiligen politischen und gewerkschaftlichen Bürokratien entwickelt; im Gegensatz zum „gallertartigen“ und prekären Charakter der Institutionen im Russland vor 1917, das als Beispiel für eine „östliche“ sozio-politische Struktur diente.

Gramsci entwickelt den Begriff des „integralen“ oder „erweiterten Staates“ und seine Formel vom Staat „in integraler Bedeutung: Diktatur + Hegemonie“, mit der er die Tatsache erklären will, dass die Bourgeoisie weit über das „passive Warten“ auf den Konsens hinausgeht und eine ganze Reihe von Mechanismen entwickelt, um ihn zu organisieren. Die „Erweiterung“ des Staates war eine Antwort auf den Aufstieg der Arbeiter:innenbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts.5 Die Verstaatlichung der Massenorganisationen und die Ausdehnung der Bürokratien in ihnen waren grundlegende Elemente dessen, mit ihrer doppelten Funktion der „Integration“ in den Staat und der Fragmentierung der Arbeiter:innenklasse.6

Die Arbeiter:innenbürokratie war (und ist) das Vorauskommando, um die bürgerliche Hegemonie in den Organisationen des Proletariats zu „organisieren“. Dieses Ziel wird sowohl mit Mitteln der Ideologie als auch des Zwangs verfolgt, je nach Fall in unterschiedlicher Kombination. In diesem Sinne wies Trotzki darauf hin, dass der Kapitalismus „immer weniger gewillt [ist], sich mit der Unabhängigkeit der Gewerkschaften abzufinden. Er verlangt von der reformistischen Bürokratie und der Arbeiteraristokratie, welche die Brosamen von seiner Festtafel auflesen, daß sie sich vor den Augen der Arbeiterklasse in seine politische Polizei verwandeln.“ Gramsci näherte sich der Frage in ähnlicher Weise, als er bemerkte, dass es der Bourgeoisie gelungen sei, eine „Gesamtheit der vom Staat und den Privatleuten organisierten Kräfte für den Schutz der politischen und wirtschaftlichen Herrschaft der führenden Klassen“ zu organisieren, und hinzufügte, dass deshalb „ganze ‚politische‘ Parteien und andere Organisationen wirtschaftlicher oder anderer Art als Organismen politischer Polizei mit Untersuchungs- und Vorbeugungscharakter angesehen werden“ müssen.7

Die Bürokratie, die „Volksfront“ und die Frage des Subjekts

Es gab wichtige Berührungspunkte zwischen Trotzki und Gramsci hinsichtlich der Charakterisierung der Rolle der Bürokratie. Dazu reicht es, einige der besten Seiten der Gefängnishefte mit Trotzkis Analyse der Einheitsfront in Deutschland angesichts des Aufstiegs des Faschismus in den frühen 1930er Jahren zu vergleichen.8 Es war jedoch Trotzki, der den Übergang von der defensiven zur offensiven Einheitsfront klar entwickelte und in diesem Rahmen die Wege zur Überwindung und Bezwingung der in den Massenorganisationen verwurzelten Bürokratien aufzeigte. Er schlug eine Lösung für die Frage des Aufstiegs der Arbeiter:innenklasse als politischem Subjekt in „westlichen“ Gesellschaften vor.

Im Allgemeinen werden Trotzkis Schriften über den Aufstieg des Faschismus in Deutschland viel mehr gelesen und zitiert als die über Frankreich. Das ist kein Zufall, denn in letzteren stellt er sich offen gegen die Politik der Klassenkollaboration der „Volksfront“, die Gramsci – eingesperrt in Mussolinis Kerker – nicht zu analysieren vermochte. Es ist jedoch in „Wohin geht Frankreich?“, wo Trotzki das volle Ausmaß seiner Konzeption der revolutionären Politik aufzeigte. Trotzki schenkte der französischen Situation besondere Aufmerksamkeit, mit dem zusätzlichen Vorteil, dass er sich in diesem Land – wenn auch unter schwierigen Bedingungen – von 1933 bis Juni 1935 aufhielt, bis er ausgewiesen wurde. Er erlebte die Veränderung der Situation im Jahr 1934 mit den Aufständen der faschistischen Ligen am 6. Februar und der wichtigen Antwort der Arbeiter:innen am 12. Februar hautnah mit. Die Aktion der Arbeiter:innenbewegung war für die bürokratischen Apparate der Sozialistischen Partei (SFIO) und der Kommunistischen Partei wie ein Schlag ins Gesicht und gaben der trotzkistischen Organisation, die über einige hundert Aktivist:innen verfügte, einen neuen Impuls. Ab September 1934 führten sie die Taktik des „Entrismus“9 in der Sozialistischen Partei durch, um sich mit den sich radikalisierenden sozialistischen Arbeiter:innen zu verbinden. Ab 1935 bildeten Sozialdemokrat:innen und Stalinist:innen zusammen mit der Radikalen Partei – einer Partei, die mit der französischen Kolonialunterdrückung verbunden war (mit ihrer traditionellen Basis im städtischen und ländlichen Kleinbürger:innentum) – die „Volksfront“ und unterstützten die Politik der „nationalen Verteidigung“ der französischen Regierung.

Wie kann sich angesichts der relativen Stärke der reformistischen Apparate und der Schwäche der Revolutionär:innen die Macht der Arbeiter:innenklasse als revolutionäres Subjekt entfalten? Dies war die Frage, die Trotzki in „Wohin geht Frankreich?“ in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellte und in dessen Rahmen er die Debatte über die „Aktionskomitees“ entwickelte. In ihnen sah Trotzki die Möglichkeit, dass die Revolutionär:innen, die damals über sehr geringe Kräfte verfügten, sich stärken, indem sie den Aufbau der revolutionären Partei mit der Vereinigung und Umgruppierung der Avantgarde und der Massen im Kampf verbanden.

Trotzki schlug vor, die Resolution des VII. Kongresses der Kommunistischen Internationale (1935) über den Aufruf zur Bildung von „Aktionskomitees der Volksfront“ „beim Wort zu nehmen“. Während Trotzki in seiner Kritik am versöhnlerischen Charakter der Volksfront unerbittlich war, machte er sich diesen Vorschlag zu eigen, den er als den einzig richtigen unter allen Resolutionen des Kongresses definierte und der, wie zu erwarten war, von der bürokratisierten Französischen Kommunistischen Partei nicht umgesetzt werden würde. Trotzki sah darin einen Weg, die Unterordnung unter die Bourgeoisie zu brechen und das Gewicht der Avantgarde durch die Entwicklung der Aktionskomitees, die direkt mit dem Klassenkampf verbunden sind, zu stärken. Das würde die Vertreibung der „bürgerlichen Schieber“ aus der Radikalen Partei und die Niederlage der „von Moskau“ diktierten Politik der Klassenversöhnung erleichtern.

Institutionen der Vereinheitlichung und Koordinierung der Kämpfe, um den Widerstand der Bürokratie zu brechen

Trotzki entwickelte diesen anfänglichen Ansatz weiter, bis er zu einem Schlüsselelement dessen wurde, was wir als eine Theorie über die Konstituierung der Arbeiter:innenklasse als Subjekt in einem Szenario der „Sättigung“ mit bürokratischen Apparaten definieren könnten, das für westliche soziopolitische Strukturen typisch ist.

In seinem berühmten Artikel „Volksfront und Aktionskomitees“ vom 28. November 1935 gab Trotzki einen Überblick, in dem er sich den Komitees aus verschiedenen Blickwinkeln näherte, ausgehend von unterschiedlichen Radikalisierungsprozessen. Das erste Beispiel, das er anführte, bezieht sich auf die Kämpfe der Hafenarbeiter:innen von Toulon und Brest Mitte 1935 gegen die von der Regierung der Radikalen Partei verfügten Lohnkürzungen. Die Führungen der Kommunistischen Partei und der Sozialistischen Partei protestierten, taten aber nichts. Doch die Arbeiter:innen nahmen den Kampf auf, hissten die rote Fahne bei der Präfektur von Brest und errichteten in Toulon Barrikaden gegen die Repression. Bei den Zusammenstößen gab es drei Tote und dutzende Verletzten, und es kam zu einem großen Solidaritätsstreik, angesichts dessen die offizielle Führung zur Ruhe aufrief und die Anwesenheit von „Provokateuren“ anprangerte.10 Trotzki erklärte seine Position mit Beispielen und argumentierte: „Während der Kämpfe in Toulon und Brest würden die Arbeiter ohne zu zögern eine lokale Kampforganisation geschaffen haben, hätte man sie nur dazu aufgerufen.“

Er verwies im Anschluss auf die Kämpfe in Limoges Mitte November desselben Jahres, die einen ähnlichen Charakter wie die der Hafenarbeiter:innen hätten und unter der Propaganda der Sozialistischen Partei und der Kommunistischen Partei gegen die „Provokateure“ und den Aufrufen an die Regierung zum Vorgehen gegen die „Aufrührer“ leiden würden. Dagegen benannte Trotzki ein anderes Beispiel für die Politik der Komitees: „Am Tage nach den blutigen Ereignissen in Limoges wären die Arbeiter und ein beträchtlicher Teil des Kleinbürgertums ohne Zweifel bereit gewesen, zur Untersuchung der blutigen Geschehnisse und zu ihrer Verhinderung in Zukunft ein gewähltes Komitee zu bilden.“ Er sah auch das Potential der „Aktionskomitees“ unter den Soldaten und erklärte: „Während der Bewegung in den Kasernen im Sommer dieses Jahres gegen den ‚rabiot‘ (Verlängerung der Dienstpflicht) würden die Soldaten ohne zu zögern Kompanie-, Regiments- und Garnisonsaktionskomitees gewählt haben, wenn man ihnen nur diesen Weg gewiesen hätte.“

Das heißt, im Prozess von Toulon und Brest sah Trotzki die Aktionskomitees als „lokale Kampforganisation“, in Limoges als Komitees „zur Untersuchung der blutigen Geschehnisse und zu ihrer Verhinderung in Zukunft“, in den Kasernen als Komitees gegen die Verlängerung des Militärdienstes. Die Schlussfolgerung, die er zog, war, dass sich mit der Entwicklung der revolutionären Elemente der Situation „solche Gelegenheiten […] auf Schritt und Tritt“ bieten würden: an jedem Ort, der mit den Konflikten und Prozessen verbunden war, die verschiedene Regionen durchquerten und die Gelegenheiten waren, Institutionen der Sektoren im Kampf auf lokaler Ebene und, wenn möglich, auf nationaler Ebene zu errichten. Die Aufgabe der Revolutionär:innen, so Trotzki, besteht darin, „keine einzige solche Gelegenheit zu verpassen“, die Avantgarde und die Massensektoren, die in den Kampf ziehen, in ständigen Institutionen vom Typ „Aktionskomitee“ zu organisieren.

Auf diese Weise skizzierte Trotzki eine allgemeinere Konzeption, die von der Notwendigkeit ausgeht, „klar selber die Bedeutung der Aktionskomitees [zu] begreifen als das einzige Mittel, den antirevolutionären Widerstand der Partei- und Gewerkschaftsapparate zu brechen“. Sein Ausgangspunkt war es, diese Notwendigkeit, den „Widerstand“ der Bürokratien zu brechen, mit der enormen Gefahr zu verbinden, dass Teilkonflikte isoliert bleiben und die Energie der Massen in isolierten Explosionen vergeudet wird und in Apathie endet. Deshalb wies er darauf hin, dass angesichts von Streiks, Demonstrationen, Straßenscharmützeln oder direkten Aufständen, die in einer sich revolutionär entwickelnden Situation unvermeidlich sind, die Hauptaufgabe der Revolutionär:innen darin besteht, „den Abwehrkampf der werktätigen Massen […] zusammenzufassen und ihnen so das Bewusstsein ihrer eigenen Kraft für den künftigen Angriff zu vermitteln.“

Wie stellte sich Trotzki nun die Bildung dieser Komitees vor? Er wies darauf hin, dass es nicht darum geht, „an einem bestimmten Tag und zu einer bestimmten Stunde die proletarischen und kleinbürgerlichen Massen zur Wahl von Aktionskomitees auf Grund eines bestimmten Statuts auf[zu]rufen“. Dies wäre eine bürokratische Art, das Problem anzugehen. Hingegen müssten die Komitees direkt mit der Aktion verbunden sein:

Aktionskomitees können die Arbeiter nur dann wählen, wenn sie selbst an irgendeiner Aktion teilnehmen und das Bedürfnis nach einer revolutionären Führung empfinden. Es handelt sich nicht um die formell-demokratische Vertretung aller und jeder Massen, sondern um die revolutionäre Vertretung der kämpfenden Massen. Das Aktionskomitee ist der Apparat des Kampfes. Es ist nicht nötig, im voraus zu erraten, welche Schichten der Werktätigen nun gerade an der Schaffung der Aktionskomitees beteiligt sein werden: die Grenzen der kämpfenden Massen werden sich im Kampf von selbst ergehen.

Es geht aber auch nicht darum, dass diese „Aktionskomitees“ die Parteien und Gewerkschaften ersetzen:

Die Massen treten in den Kampf mit all ihren Ideen, Gruppierungen, Traditionen und Organisationen. […] Bei den Wahlen zu den Aktionskomitees wird jede Partei natürlich danach trachten, ihre Anhänger durchzusetzen. Beschließen werden die Aktionskomitees nach Stimmenmehrheit (bei Vorhandensein völliger Freiheit der Parteien- und Fraktionsgruppierungen). Im Hinblick auf die Parteien kann man die Aktionskomitees ein revolutionäres Parlament nennen: die Parteien sind nicht ausgeschlossen, sondern im Gegenteil notwendig vorausgesetzt: gleichzeitig werden sie in der Aktion geprüft, und die Massen lernen sich von dem Einfluss der verrotteten Parteien zu befreien.

Auf diese Weise ging Trotzki von der Betrachtung des Aktionskomitees im Besonderen zu einer umfassenderen Formulierung über, in der diese Art von Organismen dazu dienen können, die Politik der Klassenkollaboration der Bürokratie zu bekämpfen. Dieser stellt Trotzki gegenüber: „Die Regel des Bolschewismus in der Frage der Blocks lautete: getrennt marschieren, vereint schlagen! Die Regel der heutigen Kominternführer ist: vereint marschieren, um getrennt geschlagen zu werden. Die Bürokratien der Sozialistischen Partei und der Kommunistischen Partei beabsichtigten mit der Politik der „Volksfront“ also, das Proletariat vermittels der Radikalen Partei und der Unterstützung der „nationalen Verteidigung“ mit der Bourgeoisie „vereint marschieren“ zu lassen. Dies spiegelte sich in den verschiedenen Konflikten und Aufständen des Proletariats wider, die isoliert gelassen wurden. So konnte die Bourgeoisie die Avantgarde und die Massen einzeln besiegen und verhindern, dass die Kämpfe immer revolutionärer wurden.

Trotzki schlug im Gegenteil dazu vor, die Kräfte der kämpfenden Sektoren in den Aktionskomitees zu sammeln, die somit die einzelnen punktuellen Konflikte überschreiten und die kämpferischen Sektoren verbinden sollten. Auf diese Weise würde sich die Kraft der Revolutionär:innen für die Arbeit in der Gewerkschaftsbasis vervielfachen. Diese Arbeit besteht darin, die dringendsten Forderungen mit einem Übergangsprogramm (in diesem konkreten Fall in „Ein Aktionsprogramm für Frankreich“ dargestellt) zu verbinden, das eine Brücke von den reformistischen Illusionen der Massenbewegung zum Kampf um die Macht schlägt. Das Ziel ist es, eine revolutionäre Gruppe – selbst eine kleine –, in die Lage zu versetzen, einen ausreichenden Teil der Arbeiter:innenklasse zu erreichen, damit die Taktik der Arbeiter:innen-Einheitsfront des „getrennt marschieren, vereint schlagen“ nicht nur eine ohnmächtige Forderung gegenüber der Bürokratie bleibt, sondern effektiv durchgesetzt wird.

Wie wir sehen, waren die „Aktionskomitees“ nicht mit den „Sowjets“ zu vergleichen, die genau genommen Organe der Einheitsfront der Massen sind. Sondern die „Aktionskomitees“ waren ein Werkzeug, um Entwicklung der „Sowjets“ und das Wachstum der revolutionären Partei in einer Situation wie der französischen von 1935 vorzubereiten. Denn die Situation war noch nicht offen revolutionär, auch wenn es radikalisierte Konflikte gab, welche aber getrennt voneinander stattfanden und nicht von einem verallgemeinerten Aufschwung des Klassenkampfes begleitet wurden. In diesem Sinne bemerkte Trotzki, dass die „Sowjets“ in der öffentlichen Debatte mit der bereits eroberten Macht in Verbindung gesetzt wurden, was in diesem Fall jedoch nicht bevorstand. Tatsächlich kritisierte er damals die stalinistische Führung der KPF, die als Überbleibsel der „Dritten Periode“11 die Losung „Sowjets überall!“ erhob, was Trotzki für eine aus der Zeit gefallene Forderung und eine Vulgarisierung der Losung hielt. Erst mit der Verallgemeinerung der Streiks mit Fabrikbesetzungen im Jahr 1936 wies er auf die Aktualität des Aufrufs zum Aufbau von „Sowjets“ als Aktionsparole hin; ein Thema, das er in seinem Artikel „Die französische Revolution hat begonnen“ ausführt.

Wie war das Verhältnis zwischen den Aktionskomitees und der zukünftigen Entwicklung von Räten oder Sowjets? Trotzki selbst erklärte es in diesem Artikel wie folgt: „Unter gewissen Umständen können die Aktionskomitees Sowjets werden.“ Aber er wies darauf hin, dass sie in der Situation Frankreichs 1935, die er als „vorrevolutionär“ oder „so revolutionär, wie es bei dem nichtrevolutionären Charakter der Führungen der Arbeiterbewegung sein kann“ definierte, noch weit davon entfernt seien. Außerdem stellte er gegen eine mystifizierende Sicht auf die russischen Sowjets klar, dass diese in ihren ersten Schritten „durchaus nicht das [waren], was sie später wurden, und […] damals sogar oft den bescheidenen Namen Arbeiter- oder Streikkomitees [trugen]“. In diesem Sinne hatten die „Aktionskomitees“ damals in erster Linie die Aufgabe, „den Abwehrkampf der werktätigen Massen Frankreichs zusammenzufassen und ihnen so das Bewusstsein ihrer eigenen Kraft für den künftigen Angriff zu vermitteln.“ Ob sie in diesem letzten Sinne vorankommen konnten oder nicht, hing nicht nur von der Aktion der Avantgarde ab, sondern auch von der Entwicklung der objektiven Bedingungen der Situation selbst.

Die Wege zum revolutionären Aufstieg der Arbeiter:innenklasse

All diese Elemente, die wir skizziert haben, sind integraler Bestandteil von Trotzkis Überlegungen zum Problem des Aufstiegs der Arbeiter:innenklasse zum revolutionären Subjekt in einem „westlichen“ Szenario. In jüngster Zeit sind viele Karikaturen des Marxismus aufgeblüht, die diese Frage auf ein rein „ontologisches“ Problem beschränkt haben. Doch im Gegensatz dazu handelt es sich um konkrete Fragen der Politik und der Strategie. Die Aktionskomitees als Institutionen der Vereinheitlichung und Koordinierung der kämpfenden Sektoren – noch weit vor der Entstehung von Sowjets – sind für Trotzki das einzige Mittel, den Widerstand der bürokratischen Apparate zu brechen, die Einheitsfront wirksam durchzusetzen und so die Strategie der Selbstorganisation in der Perspektive der Konstituierung von Räten oder Sowjets voranzutreiben, die die Grundlage einer alternativen Macht bilden können. Zugleich können sie eine fundamentale Kraft zum Aufbau der revolutionären Partei sein. Trotzki setzte auf die Stärkung der Revolutionär:innen, welche die Kraft der fortgeschrittensten Sektoren der Arbeiter:innen- und Massenbewegung organisieren, und stellte diese Perspektive der von den Bedürfnissen des Kampfes losgelösten „Einheit der Apparate“ entgegen, die von der – linkszentristischen – Gruppe der „Revolutionären Linken“ unter der Führung von Marceau Pivert vertreten wurde.12

Auf diese Weise gibt Trotzki eine Antwort auf eines der Hauptprobleme der Arbeiter:innenklasse, zu einem hegemonialen Subjekt im Rahmen der „massive[n] Struktur der modernen Demokratien“13 zu werden, wie Gramsci sie nannte. Diese zeichnen sich durch ihre staatlichen Organisationen und einen Komplex von Assoziationen der Zivilgesellschaft aus, die das Terrain der politischen Intervention beeinflussen. Hierbei handelt es sich um eine alternative Konzeption, die den „togliattianischen“14 Interpretationen von Gramscis Ausarbeitungen entgegensteht. Diese identifizieren – ausgehend von den Besonderheiten und der Komplexität „westlicher“ soziopolitischer Strukturen – die Aussagen des sardischen Revolutionärs zum „Stellungskrieg“ entweder mit einem Kampf um die Hegemonie im rein kulturellen Sinne, oder mit der Möglichkeit der Verwandlung der Arbeiter:innenklasse in ein revolutionäres Subjekt aus der schrittweisen Entwicklung bestimmter Apparate heraus („hegemoniale Apparate“, wie Peter Thomas es ausdrückte15), mehr oder weniger außerhalb des Klassenkampfes und des Kampfes gegen die verschiedenen Bürokratien, die in den Organisationen der Massenbewegung verankert sind.16 Ganz zu schweigen von jenen Interpretationen, die im Sinne Nicos Poulantzas der Meinung sind, dass der Staat in seinem weiten Sinne (über den „physischen Raum des Staates“ hinaus) als „das Terrain eines strategischen Feldes“17 betrachtet werden könnte, das umkämpft wäre.

Aber Trotzkis Konzeption ist sogar innerhalb des Trotzkismus missverstanden worden. Ernest Mandel kritisierte Trotzki dafür, dass er die Situation in Frankreich Mitte der 1930er Jahre angeblich übertrieben charakterisierte. Mandel bekundete, dass Trotzki fälschlicherweise davon ausgegangen sei, dass es in „westlichen“ Gesellschaften eine revolutionäre Krise geben könne, ohne dass die Massen ihre Illusionen in die bürgerliche Demokratie verloren hätten.18 Auf diese Weise reduzierte Mandel das Problem der Revolution auf eine Frage der demokratischen Legitimität, ohne auf die zentrale Rolle der Bürokratien einzugehen. Er erkannte also nicht, dass es sich nicht nur um ein ideologisches Problem, sondern um ein Problem der materiellen Kräfte handelt. Trotzkis Einschätzung von Frankreich ist ganz anders:

Die Volksfront-Koalition, die absolut machtlos gegen Faschismus, Krieg, Reaktion usw. ist, erwies sich als eine gewaltige konterrevolutionäre Bremse für die Massenbewegung, unvergleichlich mächtiger als die Februarkoalition in Russland, weil (a) wir keine allmächtige Arbeiterbürokratie hatten, einschließlich der Gewerkschaftsbürokratie; (b) wir eine bolschewistische Partei hatten.

Tatsächlich entwickelte sich nach der Machtübernahme der Volksfront im Mai 1936 eine enorme Streikbewegung, in der sich mehr als zwei Millionen Arbeiter:innen an Fabrikbesetzungen beteiligten. Die Streiks warfen die Machtfrage auf, doch die Sozialistische Partei und die Kommunistische Partei wollten sie im Gegenzug für eine Reihe von Zugeständnissen wie Lohnerhöhungen, 40-Stunden-Woche usw. beenden. Diese Operation wurde als Matignon-Abkommen bekannt. Danach folgten zwei Jahre der Währungsabwertung, Entlassungen und Repression, die diese Errungenschaften in Luft auflösten. Während dieser Zeit zerstörte die Bourgeoisie mit Hilfe der Arbeiter:innenbürokratie die unterschiedlichen Widerstandsherde einen nach dem anderen und verhinderte auf diese Weise eine zweite verallgemeinerte Welle nach 1936. Schließlich verließ die Volksfront die Bühne und machte der Regierung von Édouard Daladier Platz, der die Münchner Abkommen mit Hitler unterzeichnete. Die Streikbewegung, die die Grenzen des Privateigentums und des Staates zu überschreiten drohte, stieß mit dem Vorgehen der Volksfrontregierung zusammen.

Viel näher an Trotzkis Erklärung als an der von Mandel gelangte Daniel Guérin, der 1936 Mitglied der Gruppe von Pivert war, als er Jahre später zu einer kritischen Bilanz dieses Prozesses zurückkehrte und die Bedeutung der Trotzki aufgeworfenen Perspektive hervorhob. Er wies darauf hin:

Trotzkis bewundernswerter Artikel ‚Die französische Revolution hat begonnen‘, der in der beschlagnahmten Ausgabe von La Lutte Ouvriere erschien, wurde nur von wenigen Eingeweihten gelesen. Hätten wir unseren Auftrag innerhalb der Massenbewegung wirklich erfüllt, hätten wir andere wirksame Mittel gehabt, um uns Gehör zu verschaffen. Der Stalinismus hatte seine Herrschaft über die Millionen neu gewerkschaftlich organisierter Menschen noch nicht gefestigt und wir hätten mit ihm konkurrieren können. Die streikenden Massen waren sicherlich nicht bewusst revolutionär. Sie wurden von unmittelbaren Motiven angetrieben: Brot und Menschenwürde. […] Aber selbst blind oder zumindest verwirrt, so war das Verhalten der Massen sicher revolutionär, wenn auch nicht ganz bewusst, weil es mit der etablierten Ordnung brach.

Und angesichts dessen zieht er das bittere Fazit: „Im Juni 1936 haben wir das Boot der Geschichte verpasst“19.

Das Problem ist, dass sich in den „westlichen“ oder „verwestlichten“ Formationen die Entstehung der Doppelmacht von dem klassischen Beispiel der Russischen Revolution unterscheidet. Wie Juan Dal Maso hervorhebt, kämpft in letzterer die Macht der Sowjets oder Räte direkt um die Übernahme der öffentlichen Funktionen, während der Kampf in den „westlichen“ Formationen in erster Linie über die Eroberung der Massen läuft:

[D]ie Konzeptualisierung des integralen Staates von Gramsci (oder Trotzkis Analysen des Bonapartismus und der Verstaatlichung der Gewerkschaften) machen deutlich, dass der Kampf – in dem Maße, wie sie die Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre verwischt – in einem Rahmen stattfindet, in dem der Staat dazu tendiert, die traditionellen Arbeiter:innenorganisationen einzubeziehen, weshalb die Entwicklung von Instanzen wie den Räten oder Sowjets einem Staat gegenübersteht, der weitgehend auf der Bürokratisierung der Arbeiter:innenbewegung basiert.

Daher hat „die Entwicklung von Organen der Arbeiter:innenmacht die Aufgabe, die Verstaatlichung zu brechen und auf dieser Grundlage die Hegemonie aufzubauen, um die Macht zu erobern und einen Arbeiter:innenstaat zu schaffen, indem der bürgerliche Staatsapparat zerstört wird.“20

Für dieses Problems formulierte Trotzki eine Antwort, indem er die Idee der „Aktionskomitees“ verallgemeinerte und so Wege vorschlug, wie selbst kleine Gruppen einen Weg finden können, um Teile der Massen zu beeinflussen. Dies kann gelingen, indem sie sich als Organisator:innen der Kraft aller kämpfenden Sektoren beweisen. Angesichts der Bürokratien, die den französischen politischen Raum beherrschten, und der Schwäche der Revolutionär:innen, erklärte Trotzki 1935 in diesem Sinne:

Es wäre absurd zu glauben, dass wir genug Zeit haben, um eine sehr mächtige Partei zu schaffen, die alle anderen Organisationen vor den entscheidenden Auseinandersetzungen mit dem Faschismus oder vor dem Ausbruch des Krieges ausschalten könnte. Aber es ist durchaus möglich, in kurzer Zeit – die Ereignisse helfen – die breiten Massen zwar nicht für unser Programm, nicht für die Vierte Internationale, aber für diese Aktionskomitees zu gewinnen. Aber sobald diese Aktionskomitees geschaffen sind, würden sie zu einem großartigen Sprungbrett für eine revolutionäre Partei werden. In einem Aktionskomitee wird Pivert zum Beispiel gezwungen sein, eine ganz andere Sprache zu sprechen als das Gestammel der Revolutionären Linken. Die Autorität und der Einfluss der mutigen, entschlossenen und weitsichtigen Elemente würde sich sofort verzehnfacht. Das ist nicht einfach nur eine andere Angelegenheit, es ist eine Frage von Leben und Tod.21

Und so war es dann auch.

Eine sehr aktuelle Diskussion

Die Situation der Arbeiter:innenbewegung in den westlichen Ländern hat sich seit dem von Trotzki analysierten französischen Prozess in den 1930er Jahren stark verändert. Selbst in jenem französischen Mai 1968, wo – um Marx‘ Ausspruch in Anlehnung an Hegel aufzunehmen, dass die großen Ereignisse und Gestalten der Weltgeschichte erst als Tragödie und dann als Farce erscheinen – die Handlung der Kommunistischen Partei die Farce von 1936 war. Es handelt sich jedoch nicht nur um eine Frage des historischen Interesses.

Seitdem haben sich die Charakteristika der „westlichen“ soziopolitischen Formationen, die zu Trotzkis und Gramscis Zeiten typisch für Europa und eine Handvoll zentraler Länder waren, heute enorm auf die verschiedensten Breitengrade ausgebreitet. Obwohl in den letzten Jahrzehnten mit dem Rückzug und dem Sprung der Verstaatlichung der Gewerkschaften die Funktion der Bürokratien als Garantinnen des Zersplitterung der Klasse in den Vordergrund trat, fand damit nicht die Liquidierung des „integralen Staates“ statt. Zusammen mit der Neuformulierung der Rolle der traditionellen Arbeiter:innenbürokratien haben sich parallel „neue“ Bürokratien entwickelt, angesichts des Aufstiegs der so genannten „neuen sozialen Bewegungen“. Auch diese haben sich anschließend verstaatlicht, entweder durch die Verbindungen der so genannten NGOs mit dem Staat oder durch spezifische staatliche „Abteilungen“ (Ministerien, Sekretariate, Agenturen), die die Aufgaben der Kooptierung und Reglementierung innerhalb der „Bewegungen“ erfüllen. Die einen und die anderen interagieren auf komplementäre Weise. Erstere beschränken die gewerkschaftlichen Organisationen auf die am besten gestellten Sektoren der Arbeiter:innenklasse und legen einen Korporativismus an den Tag, der sich gegen die Massen wendet. Letztere agieren, indem sie den Kampf für bürgerliche oder „soziale“ Rechte von den Forderungen der Arbeiter:innenklasse als Ganzes trennen.

Wenn es in der Linken heute eine Gefahr gibt, dann dem Druck des Staates durch die Verwaltung der Sozialhilfe in der Arbeitslosenbewegung nachzugeben, oder sich an den Status Quo der Struktur der Gewerkschaften, an die studentische Organisation von Dienstleistungen, an die „NGO-isierung“ und Verstaatlichung von Bewegungen wie der Frauen-, Umwelt- oder anderen Bewegungen oder an den Parlamentarismus durch vom Klassenkampf getrennte Parlamentssitze anzupassen. Das heißt, die eigene Tätigkeit an die Strukturen des „erweiterten Staates“ anzupassen. Erst recht in Situationen wie der, die wir in Argentinien zu durchlaufen beginnen, wo sich ein (noch beginnendes) vorrevolutionäres Stadium auftut.

In diesem Rahmen gehen die von Trotzki skizzierten theoretischen Entwicklungen um die „Aktionskomitees“ weit über diese Komitees und ihre spezifische Formulierung für Frankreich in den 1930er Jahren hinaus. Sie werfen zum Einen das allgemeinere Problem auf, dass „Sowjets“ oder „Räte“ nie aus dem Nichts kommen, und schon gar nicht in komplexen „westlichen“ Gesellschaften, die durch die Ausbreitung von Bürokratien in Massenorganisationen gekennzeichnet sind. Obwohl wir uns hier nicht damit befassen können, wäre es nicht schwer, diese Frage im Arbeiter:innenaufstand der 1970er Jahre in Argentinien und den vorangegangenen Prozessen ab den 1960er Jahren nachzuzeichnen, die schließlich zur Konstituierung der Fabrikkoordinationen im Jahr 1975 führten.22 Und zum Anderen offenbaren sie das Potenzial dieser politischen Logik als Weg für revolutionäre Parteien, sich mit einigen tausend Mitgliedern, die mit diesen Prozessen verbunden sind, einen Weg zu den Massen zu eröffnen und die Einheitsfront effektiv durchzusetzen. Was Trotzkis Ausarbeitung zeigt, ist die Notwendigkeit ständiger Institutionen der Sektoren im Kampf, in die die Revolutionär:innen ihre ganze Energie stecken, um keine Gelegenheit zu verlieren, sie zu entwickeln. Dies ist ein grundlegendes Element, um zu verhindern, dass die Energie der Massenbewegung in isolierten Kämpfen ohne Kontinuität verwässert wird. Sie dienen der Herausbildung der Arbeiter:innenklasse als Subjekt, indem sie die bürokratische Struktur sprengen, die über der Arbeiter:innen- und Massenbewegung steht. Das ist die Quelle, aus der die enorme Kraft entspringen kann, die für den Aufbau einer revolutionären Partei, die diesen Namen verdient, notwendig ist.

In Argentinien ist dies eine sehr aktuelle Debatte, wo wir nach den Landbesetzungen von 2020, die ihr Epizentrum in Guernica hatten, bereits eine neue Welle von Kämpfen in praktisch allen Provinzen erleben, die im Kontrast zur Komplizenschaft der Gewerkschaftsführungen angesichts der Krise steht. Sektoren von Arbeiter:innen haben ihre Unternehmen besetzt oder Blockaden und Zeltlager gegen die Schließungen und Massenentlassungen errichtet: in Konflikten wie in der Fleischverpackungsfabrik Arrebeef, Hey Latam in Rosario, Ternium Canning, usw. Die Kämpfe reichen von kleinen Betrieben über Mobilisierungen der Arbeitslosen bis hin zu Streiks der großen Gewerkschaften wie der Lehrer:innengewerkschaften in Mendoza, Tucumán, Neuquén, Río Negro und anderen. Einige dieser Aktionen werden begleitet, oft durch die Aufforderung der Basis an ihre Gewerkschaftsführungen, aber viele Konflikte sind das Produkt echter antibürokratischer „Rebellionen“, die über diese Führungen hinausgehen, zum Beispiel im Gesundheitssektor in Neuquén.

Alle Aspekte, die wir in diesem Artikel entwickelt haben, sind ein weiterer Beweis dafür, dass das Argument, dass Trotzki nicht in der Lage gewesen sei, politische Strukturen und Strategien für den „Westen“ zu erklären, auf einer oberflächlichen Lektüre seiner Theorie im Allgemeinen und seiner Konzeption der Strategie im Besonderen beruht. Sowohl vulgäre als auch akademische Herangehensweisen an Gramscis und Trotzkis Werke, die sie außerhalb der Geschichte platzieren – mit ihren konkreten Kämpfen und den Problemen, die sie zu beantworten suchten –, lassen beiseite, was für revolutionäre Marxist:innen ein unschätzbares Gut ist, wenn sie über den Marxismus als Anleitung zum Handeln nachdenken. Und genau dort erhalten die Ausarbeitungen, mit denen wir uns beschäftigt haben – sowohl die von Gramsci über den Staat als auch die von Trotzki als Theoretiker und Stratege nicht nur der Revolution im Osten, sondern auch im Westen – ihre volle Dimension.

Dieser Artikel erschien zuerst auf Spanisch bei Ideas de Izquierda.

Fußnoten

1. Michael Burawoy, „Two methods in search of science. Skocpol versus Trotsky“, in: Theory and Society 18 (1989), S. 759-805, hier: S. 789, online abrufbar unter: http://burawoy.berkeley.edu/Methodology/Two%20Methods.T&S.pdf. Eigene Übersetzung.

2. Razmig Keucheyan, „Machiavel, la politique, le prince moderne et les classes subalternes“, in: Antonio Gramsci, Guerre de mouvement et guerre de position, París, La fabrique, 2011, S. 163. Eigene Übersetzung.

3. Perry Anderson, Antonio Gramsci: Eine kritische Würdigung, Berlin, Olle und Wolter, 1979, S. 105.

4. Emilio Albamonte und Matías Maiello, Estrategia socialista y arte militar, Buenos Aires, Ediciones IPS, 2017.

5. Dazu bemerkt Gramsci, dass „die sozialen Elemente dieser neuen Formation, die zuvor keine Rolle spielten, […] durch den bloßen Fakt ihrer Vereinigung die politische Struktur der Gesellschaft verändern“. „Der moderne Staat ersetzt den mechanischen Block der gesellschaftlichen Gruppen durch ihre Unterordnung unter die aktive Hegemonie der führenden und herrschenden Gruppe, beseitigt folglich einige Selbständigkeiten, die jedoch in anderen Formen, als Parteien, Gewerkschaften, Bildungsvereine wiedererstehen.“ (Antonio Gramsci, „Einige allgemeine Notizen zur geschichtlichen Entwicklung der subalternen gesellschaftlichen Gruppen im Mittelalter in Rom“, H25, §4, Gefängnishefte, 10 Bde., Hamburg, Argument, S. 2191ff.). In demselben Sinn haben wir in „Trotzki, Gramsci und die kapitalistische Demokratie“ geschrieben, dass Trotzki in diesen Institutionen „Elemente der proletarischen Demokratie“ sah, die die Arbeiter:innenklasse in ihrem Kampf in der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt (Leo Trotzki, „Gespräch mit einem sozialdemokratischen Arbeiter“).

6. Vgl. Emilio Albamonte und Matías Maiello, Estrategia socialista y arte militar, a.a.O., Kapitel 9; und Juan Dal Maso, El marxismo de Gramsci, Buenos Aires, Ediciones IPS, 2017.

7. Antonio Gramsci, „Der Cäsarismus“ (H13, §27), in: Gefängnishefte, a.a.O., S. 1592ff.

9. Die Kommunistische Liga, die trotzkistische Gruppe in Frankreich, benannte sich in Bolschewistisch-Leninistische Gruppe um und trat der SFIO bei. Diese Politik wurde als „französische Wende“ bekannt und bestand in dem taktischen Schritt des „Entrismus“ in die sozialistischen Parteien mit dem Ziel, sich mit den Sektoren der Arbeiter:innenbewegung zu verbinden, die sich radikalisierten und diesen Parteien beitraten, und auf dieser Grundlage den Aufbau unabhängiger revolutionärer Parteien zu stärken.

10. Vgl. Jean-Paul Joubert, „Trotsky y el Frente Popular“.

11. Laut dem Stalinismus eröffnete sich ab 1928 die „dritte Periode“, die letzte des Kapitalismus, in der dieser bald verschwinden würde. Deshalb ist die Politik der Dritten Internationale zwischen 1928 und 1934, die von Stalin angeführt wurde und die durch Ultralinkstum und die Weigerung, Einheitsfronten mit anderen Arbeiter:innenorganisationen aufzubauen, charakterisiert war, unter diesem Namen bekannt.

12. Marceau Pivert (1895-1958) hatte sich der Sozialistischen Partei nach der Spaltung von Tours angeschlossen. Er war Anführer der „Einheits“-Tendenz Sozialistischer Kampf und einer der Anführer der Seine-Föderation. Im September 1935 gründete er die Revolutionäre Linke der Sozialistischen Partei.

13. Gramsci, Antonio, „Frage des ‚Kollektivmenschen‘ oder des ‚gesellschaftlichen Konformismus'“, H13, §7, Gefängnishefte, a.a.O., S. 1544f.

14. Palmiro Togliatti war Anführer der Italienischen Kommunistischen Partei und Vordenker der „Wende von Salerno“, welche mit dem Pakt mit Marschall Badoglio, der „nationalen Einheit“ und der Entwaffnung der Partisan:innen eine zentrale Rolle in der Rettung des italienischen Kapitalismus am Ende des Zweiten Weltkriegs spielte. Die Partei verwandelte sich in einen Stützpfeiler für die Bourgeoisie in der gesamten folgenden Periode.

15. Vgl. Emilio Albamonte und Matías Maiello, „Trotzki, Gramsci und die kapitalistische Demokratie“.

16. Eine besondere Erwähnung verdienen gewisse Strömungen der Linken, die die PTS für ihre Annäherung an Gramscis Denken kritisiert haben, welche dazu geführt hätte, die Theorie des marxistischen Staates und des Kampfes um die Revolution aufzugeben und durch einen „Kampf um die kulturelle Hegemonie“ zu ersetzen. Damit haben diese Kritiker:innen nur bewiesen, dass ihre Lektüre von Gramsci nie über die – wenn überhaupt – ersten paar Seiten einer von Togliattis Zusammenstellungen hinausgekommen ist. Gramsci hat seine Stärken und seine Zweideutigkeiten, aber wie Juan Dal Maso in seinen Büchern („El marxismo de Gramsci“ und „Hegemonía y lucha de clases“) zeigt, ist die Gleichsetzung des Denkens des Autors der Gefängnishefte mit Togliattis reformistischer Interpretation ebenso lächerlich wie die oberflächliche Wiederholung von Gramscis Fehlcharakterisierungen von Trotzkis Denken, wie es viele „Gramscianer“ tun.

17. Vgl. das Interview mit Nicos Poulantzas von Henri Weber, „L’État et la transition au socialisme“, in: Critique Communiste Nr. 16, Juni 1977.

18. Vgl. Ernest Mandel, „Consideraciones sobre estrategia revolucionaria“ (Interview von Henry Weber), in: Crítica de la economía política Nr. 26, Mexiko, El Caballito, 1984, S. 114.

19. Daniel Guérin, Front Populaire, révolution manquée, Marseille, Agone, 2013. Eigene Übersetzung. Wir danken Juan Dal Maso, uns auf diese interessanten Schlussfolgerungen von Guérin aufmerksam gemacht zu haben, und insgesamt sowohl ihm als auch Fredy Lizarrague für ihre Meinungen und Beiträge, die zur Endfassung dieses Artkels beigetragen haben.

20. Juan Dal Maso, Hegemonía y lucha de clases, Buenos Aires, Ediciones IPS, 2018, S. 83. Eigene Übersetzung.

21. Brief von Trotzki an Jean Rous, 13. November 1935. Eigene Übersetzung

22. Vgl. Ruth Werner und Facundo Aguirre, Insurgencia Obrera en la Argentina 1969-1976, Buenos Aires, Ediciones IPS, 2009.

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