Sonneberg: Die AfD kann nicht an den Wahlurnen gestoppt werden, nur auf der Straße und in den Betrieben

28.06.2023, Lesezeit 9 Min.
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Björn Höcke, AfD-Vorsitzender bei einer Wahlkampfveranstaltung 2019. Foto: Wikimedia Commons

Am Wochenende ging ein politisches Erdbeben durch Deutschland: Die AfD stellt mit Robert Sesselmann im thüringischen Landkreis Sonneberg erstmals einen Landrat. Bei der Stichwahl am Sonntag gewann er mit 52,8 Prozent gegen Jürgen Köpper (CDU). Dieser blieb mit 47,2 Prozent knapp dahinter zurück.

Dass die AfD nun erstmals einen Landrat stellt, bedeutet eine ernstzunehmende Vertiefung des Aufstiegs der Rechten. Vor allem, weil Sesselmann seinen Sieg mit Björn Höcke feierte, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD Thüringen und Anführer des völkisch-nationalistischen Flügels der Partei. Höcke wurde unter anderem wegen seiner Äußerungen gegen muslimische Migrant:innen mehrfach wegen Volksverhetzung angezeigt. Sein Landesverband ist so rechts, dass selbst der Verfassungsschutz ihn als Verdachtsfall und die Junge Alternative Thüringen, dessen Jugendorganisation, als gesichert rechtsextrem führt. So findet die Landes-AfD beispielsweise, Bezieher:innen kleiner Renten sollen nur dann mit steuerfreien Zuschlägen rechnen, wenn sie deutsche Staatsbürger:innen sind. Dabei leben alle, die nach 45 Jahren Arbeit lediglich eine Grundrente in Höhe von 1.060 Euro beziehen, erwiesenermaßen sowieso schon in Armut. Eine solche Maßnahme würde den Nicht-Deutschen unter ihnen schlicht und ergreifend das Leben in Deutschland verunmöglichen, was wahrscheinlich das Ziel der Thüringer AfD ist.

Im Hinblick auf ein solches Szenario hatten sich im Vorhinein CDU, SPD, Grüne, FDP und selbst die Partei DIE LINKE darauf geeinigt, die CDU zu wählen, um so gemeinsam die AfD abzuwehren. Schließlich müsse man die „Demokratie“ verteidigen. So meinte auch der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (DIE LINKE), man müsse die CDU wählen, weil die Industrie in Sonneberg vom Euroraum abhänge und man deshalb keine EU-feindliche Partei wählen dürfe. Nichts könnte besser zeigen, wie sehr die Linkspartei in Regierungsverantwortung sich der Politik der bürgerlichen Parteien anpasst: Jegliche Kritik an der neoliberalen EU wird aufgegeben. Sie huldigt dem geringeren Übel, anstatt eine tatsächliche sozialistische Alternative zum Status Quo aufzuzeigen.

Das Scheitern der Volksfront

Aber diese Strategie ging nicht auf, zu tief war die Enttäuschung von den renommierten Parteien. In der Beteiligung an Landes- und Bundesregierungen haben sie alle bewiesen, dass sie in letzter Instanz Politik für Unternehmer:innen machen: Lufthansarettung statt Luftfilter für Schulen, Milliarden für die Rüstungsindustrie statt Inflationsausgleich und Expertenkommission mit der Immo-Lobby statt Deutsche Wohnen & Co. zu enteignen. Die Priorisierung von Kapitalinteressen hat den Boden dafür bereitet, dass sich die Parteien des „Establishments“ nun zusammen taten – darauf können sich alle einigen. Sie ist es auch, die die Tendenz zu Volksfronten weiter verschärfen wird. Im brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald haben sich CDU, FDP, Linkspartei und weitere beispielsweise auch schon auf eine gemeinsame Kandidatur gegen die AfD geeinigt.

Eine wichtige Rolle beim Aufstieg der AfD spielt die Politik der Ampel-Parteien. Im Landkreis Sonneberg gewann die SPD 2021 bei der Bundestagswahl noch ein Direktmandat. Damals waren sie mit 31,5 Prozent die stärkste Kraft. Vor zwei Wochen bei der Landratswahl erzielte sie nur noch 13,3 Prozent der Stimmen. Mit der energetischen Abkopplung von Russland entwickelte sich die Inflation wie seit Jahrzehnten nicht. Die von der Ampel durchgeführte Anhebung des Mindestlohns wurde sofort aufgefressen, ohne dass andere Maßnahmen das Problem groß abgefedert hätten.

Die AfD greift dies demagogisch auf und macht auch die Migrationspolitik der Ampel für soziale Probleme verantwortlich. Die wahren Ursachen von Problemen, nämlich die Profitmacherei der Kapitalist:innen und die obszöne Ungleichverteilung von Reichtum benennt sie nicht – kein Wunder, denn die AfD ist eine neoliberale und arbeiter:innnenfeindliche Partei. So ist sie ​​gegen die Übergewinnsteuer, Preisdeckel und die Enteignung von Energiekonzernen und für ein „Wahlrecht nur für die Leistungsträger und nicht für die Transferempfänger„. Um die Lebensarbeitszeit zu verlängern, müsse das Renteneintrittsalter abgeschafft und das Arbeitseintrittsalter gesenkt werden. Nicht einmal die FDP traut sich, solche Vorschläge zu machen, nicht einmal im Hinblick auf den Fachkräftemangel.

Während die AfD sich als „Anti-Establishment“-Partei profiliert, ist sie selbst korrupt bis ins Mark. Um nur ein Beispiel zu benennen: Alice Weidel war Analystin bei Goldman Sachs und Unternehmensberaterin, bevor sie in der AfD Karriere machte. Wie so viele andere Politiker:innen ist auch sie in Spendenaffären verwickelt. Ihr Eliten-Bashing ist verlogen, denn sie ist selbst Teil davon und dient nichts anderem, als ihre eigene Verstrickung zu verschleiern.

Die soziale Misere im Landkreis Sonneberg

Um zu verstehen, warum die AfD mit ihrer Demagogie ausgerechnet in Sonneberg punkten konnte, hilft ein Blick auf die Struktur des Landkreises. Ein überdurchschnittlicher Anteil der Arbeiter:innen ist in der Industrie tätig (30 Prozent, 42 Prozent sekundärer Sektor insgesamt). Die Produktion ist auf relativ einfache, aber energieintensive Bereiche ausgerichtet (Glas, Keramik, Kunststoffe, Holz und Spielzeuge). Hierfür braucht es oft nur angelerntes Personal. Viele werden Angst haben, dass die Betriebe schließen, es bliebe dann nur der Fortzug. So hat gerade dort erst das Traditionsunternehmen Elektrokeramik Sonneberg geschlossen, 230 Arbeiter:innen wurden entlassen. Auch die Löhne sind sehr gering: Vor der Einführung des Mindestlohns verdienten 44 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Sonneberg weniger als 12 Euro.

Demzufolge spielt die Energiepolitik der Ampel den Rechten in die Hände: Wie soll man eine Wärmepumpe für das eigene Haus bezahlen, wenn man gerade so Mindestlohn verdient? Die Ampelregierung lädt die Krisen auf den Rücken der Arbeiter:innen ab. Und die Rechten machen sich dies zunutze und stellen sich als einzige Opposition dar. Die Sanktionen und die Inflation haben in Ostdeutschland, wo die Abhängigkeit von russischem Gas höher ist als im Westen, eine besondere Schlagkraft.

Antworten von links

Dass auch die Linkspartei keine Opposition darstellt, ist mehr als offensichtlich. Mit mehreren Regierungsbeteiligungen verfolgt DIE LINKE die Strategie, die Politik der Regierung mit kleinen Reförmchen ein bisschen weiter nach links zu rücken. Die Hochburg der LINKEN in Ostdeutschland kann sie nicht mehr halten, zu klar ist ihre Verstrickung in das Establishment. Daran, eine Opposition aufzubauen, sind sie auch gar nicht interessiert, schließlich stellten sie sich im Landkreis Sonneberg hinter die CDU, als es hart auf hart kam.

Die demagogischen Antworten der Rechten sind allerdings auch keineswegs eine Lösung im Sinne der Arbeiter:innenklasse. Es werden migrantische und deutsche Arbeiter:innen gegeneinander ausgespielt. So stand „Frauen vor dem Islam schützen“ auf Sesselmanns Wahlplakat. Ein Slogan, der ohne jeden zweifel antimuslimischen Rassismus schürt und zudem Sexismus verschleiert, indem er so tut, als wäre die Gewalt, die Frauen erfahren, nicht dem System immanent – als würde sie sich nicht erwiesenermaßen hauptsächlich im Privaten und in der Familie sowie in geringerem Maße im Betrieb abspielen, sondern einzig und allein von Migranten ausgehen.

Würden die AfD-Funktionäre diese Zeilen lesen, würden sie sicherlich ihr gesamtes Arsenal an Anti-Feminismus-Rhetorik auffahren. Und wahrscheinlich fänden sie damit einigen Anklang. Denn die „feministischen“ Maßnahmen, die die Ampel ergreift, sind unzureichend: Mehr Justiz und Polizei gegen sexualisierte Gewalt statt das Schließen des Gender Pay Gap, damit Betroffene gewaltsame Beziehungen verlassen können. In den Köpfen vieler wird Feminismus deshalb mit Gendern verbunden, während sich an der materiellen Benachteiligung von Frauen und Queers rein gar nichts ändert. Von diesen Köpfen aus schwingt sich die AfD auf und stellt den Feminismus an sich als Problem dar.

Stattdessen wollen wir eine Opposition von links gegen den Sparkurs der Regierung aufbauen. Eine Opposition, die für einen Stopp der Aufrüstung, der Waffenlieferungen und der Sanktionen steht. Dafür, dass Gehälter automatisch ansteigen, wenn die Inflationsrate es tut. Für offene Grenzen und Bleiberecht für alle. Für gleichen Lohn für gleiche Arbeit und ein Ende von Outsourcing. Für die Enteignung der Wohn- und Energiekonzerne und dafür, dass sie danach von den Beschäftigten verwaltet werden. Für eine soziale und ökologische Transformation der fossilen Industrien statt Arbeitsplatzverlust und Profitmacherei des „grünen“ Kapitalismus.

Im nächsten Jahr wird es in Thüringen Landtagswahlen geben. Die rot-rot-grüne Koalition kann sich kaum halten. Gegen mögliche Regierungen mit AfD-Beteiligung oder gar unter ihrer Führung – momentan ist die AfD in Thüringen in Umfragen mit Abstand stärkste Kraft – können wir unsere Hoffnung nicht der CDU geben, die im Ernstfall auch mit der AfD eine Koalition bilden könnte. Stattdessen rufen wir dazu auf, Komitees zu bilden, um sich gegen die antisoziale und immer rechtere Politik der Bundesregierung zu organisieren und zugleich dem Aufstieg der AfD den Kampf anzusagen. Kundgebungen, Demonstrationen und Blockaden zur Verhinderung von Auftritten der AfD müssen mit einem Kampfplan für eine soziale Alternative zur Kürzungs- und Aufrüstungspolitik verbunden werden. Wir müssen auch die DGB-Gewerkschaften auffordern, die Zusammenarbeit mit der AfD zu verweigern und statt nur zur Teilnahme an „Bunt statt Braun“-Aktionen aufzurufen, die größte Waffe, die sie haben, zu nutzen: die des Streiks.

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