Deutsche Aufrüstung und Kriegswirtschaft: Die Zeitenwende wird Wirklichkeit

03.02.2023, Lesezeit 6 Min.
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Foto: WIkimedia Commons

Deutschland rüstet auf. Milliarden werden in den kommenden Jahren in die Rüstungsindustrie gehen – um für die Zukunft große Materialschlachten vorzubereiten.

Mit der Zusage zur Lieferung deutscher Leopard 2-Panzer an die Ukraine beteiligt sich Deutschland endgültig an einem Stellvertreterkrieg. Die Lieferung von Kampfpanzern ist keine Unterstützung von Selbstverteidigung – wie die Regierung behauptet – sondern eine Eskalation des Krieges und ein Zeichen der aktiven Rückeroberung. Während Annalena Baerbock (Bündnis 90/ Die Grünen) mit ihrer offenbarenden Wortwahl eine symbolische Erklärung des Kriegseintritts Deutschlands preisgibt, verfestigt sich parallel eine Kriegskultur in der materiellen Wirklichkeit Deutschlands. Die Zeitenwende Scholz’ und der SPD wurde mit viel Nachdruck angekündigt. In der nun folgenden Periode der Aufrüstung und Waffenlieferungen Deutschlands, der EU und der NATO wird sie aber auch konkrete Realität.

Liefert Deutschland seine Leopard 2-Panzer, so fehlen diese entsprechend im eigenen Arsenal, denn es werden die eigenen Bestände weitergegeben. Es entsteht also eine Lücke. Insbesondere mit der geplanten Versprechung der Aufrüstung und „Instandhaltung“ der Bundeswehr wurde das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro und die Zusage, dass zwei Prozent des jährlichen BIPs in die Armee fließen sollen, gerechtfertigt. Die Regierung hat damit zum Imperativ erklärt, dass die Bundeswehr in ihrer Ausrüstung nur besser und nicht schlechter werden darf. So hat Boris Pistorius (SPD), der neue Verteidigungsminister, angekündigt, für entsprechenden Ersatz zu sorgen. Hierfür war er laut eigenen Angaben schon am Dienstag in Gesprächen mit deutschen Rüstungskonzernen. In diesen Gesprächen wurde vermittelt, welche Güter in welchen Mengen zur Verfügung gestellt werden können. Wenn Pistorius also nach solchen Gesprächen eine Ankündigung zum Erwerb von Waffen macht, so wird es sich nicht um folgenlose Nebensätze handeln. Die Rüstungsindustrie wird also neue Gewinne einfahren und ihre Position in der deutschen Wirtschaft behaupten.

Dass dieser Einfluss der Rüstungsindustrie aus Sicht der SPD kein leidlicher Nebeneffekt, sondern willkommen und kalkuliert ist, wird ersichtlich, wenn man die Nähe der Partei zu ihr betrachtet. So hat sich Lars Klingbeil (SPD) zum Ende des letzten Jahres dafür ausgesprochen, einen „nationalen Pakt für Sicherheit“ mit der Rüstungsindustrie zu schließen, der bürokratische Wege übergehen soll und die Produktionskapazitäten auf ihre langfristige Erhöhung ausrichtet. Klingbeil war bis 2017 im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik sowie im Förderkreis Deutsches Heer. An diesen Lobbyvereinen beteiligt sich auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die ebenso einen schnellen Ausbau der Produktionskapazitäten an Waffen und Munition befürwortet.

Für die Rüstungsindustrie bahnen sich seit der Ankündigung der Zeitenwende große Geschäftsmöglichkeiten an. So erzielte Rheinmetall 2022 einen neuen Rekordumsatz von 6,4 Milliarden Euro, 800 Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor. Wolfgang Ischinger, ehemaliger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, sagt, die Ukraine verschieße jeden Tag so viel Munition, “wie wir in einem halben Jahr produzieren”. Die Marschrichtung ist klar: Deutschland will seine Rüstungskapazitäten massiv ausbauen.

Es werden wirtschaftliche Entscheidungen getroffen und Richtungen eingeschlagen, die Deutschland noch weit über den Angriffskrieg Russlands hinaus überdauern werden. Unabhängig davon, dass jede Waffenlieferung von uns verurteilt wird, spielen selbst für die Regierung messbare Annahmen darüber, wie viele Waffen überhaupt für eine Selbstverteidigung der Ukraine benötigt werden, ob Russland seine Mobilisierung aufrechterhalten oder wie der Konflikt beendet werden kann, wohl keine Rolle mehr. Vielmehr gibt die ukrainische Führung seit Monaten schon die Losung der Rückeroberung der Krim-Halbinsel heraus – ein Ziel, für das die Panzer aus Europa und den USA unerlässlich ist. Es droht damit eine weitere Vertiefung des Konflikt, eine jahrelange Materialschlacht. Deshalb hört man nach der Zusage der Kampfpanzer schon die Rufe nach Kampfjets und gar der atomaren Bewaffnung der Ukraine, wie sie deren Botschafter in Deutschland, Olexij Makejew, ins Spiel bringt.

Von einer interventionistischen Opposition ist dabei auf der parteipolitischen Bühne nichts zu sehen. Innerhalb der Partei DIE LINKE hat sich Bodo Ramelow für Waffenlieferungen ausgesprochen und die oppositionelle Stimme wird vor allem vom Flügel Wagenknechts, der in seiner apologetischen Haltung den Angriff Russlands herunterspielt, vereinnahmt. Die Grünen haben sich zur Überraschung vieler Bürger:innen als große Befürworter von Waffenlieferungen gezeigt, die der FDP und der CDU/CSU in nichts nachkommen. Und auf internationaler Ebene erntet Deutschland durch die vorerst zögerliche Haltung Scholz’ Kritik. So ist es auch keine Überraschung, dass die Bundesregierung besonders auf den Druck der USA reagiert und einlenkt. Diese möchte die Situation in besonderer Weise taktisch nutzen, um sich durch Schließung der Materiallücken für die eigene Rüstungsindustrie Absatzmärkte in Europa zu finden.

Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius – hier unsere Einschätzung zu ihm – wird diese militärische Ausrichtung stemmen und vorantreiben. So zeigte er schon in seiner Position als Innenminister Niedersachsens, dass die Bundeswehr, der Katastrophenschutz und die Stärkung einer hegemonialen EU grundlegende Pfeiler seiner Politik sind. Mit ihm als Mann der Zeitenwende werden der Aufrüstung und der Eskalation des Krieges keine Schranke vorgehalten. Während Arbeiter:innen streiken und Existenzkämpfe führen, richtet die Bundesregierung ihren Haushalt und Prioritäten in entgegengesetzte Richtung aus. Forderungen der SPD und ihrer Wehrbeauftragten Eva Högl für eine Erhöhung des Sondervermögens auf 300 Milliarden Euro könnten sich verwirklichen; von weiteren Kosten und langfristigen Folgen dieser Politik ganz zu schweigen.

Die Militärs der Welt sind nach Schätzungen für bis zu 5,5 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich und bilden einen zentralen Problempunkt in der Entwicklung der Klimakrise. So stieß auch die Bundeswehr nach eigenen Angaben 2021 1,71 Millionen Tonnen CO2 aus, die tatsächliche Zahl ist aber höher, da Auslandseinsätze und Stützpunkte außerhalb Deutschlands nicht mit eingehen. Schwere Maschinen, Explosionen, Munition und Abfälle zerstören und kontaminieren die Natur für Jahrzehnte, wie es auch in den Minenfeldern in der Ukraine der Fall ist. Die materielle Realität Deutschlands zeigt nicht auf die Rettung der Welt vor dem Klimawandel oder einer gerechten Behandlung der Arbeiter:innen, sondern auf weitere Katastrophen.

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