Keine Lösung, sondern Teil des Problems: Die Ampel-Politik zu patriarchaler Gewalt

20.06.2023, Lesezeit 10 Min.
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Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Bild: Alexander H. Jungmann / shutterstock.com

Die polizeilich angezeigten Fälle häuslicher Gewalt sind erneut gestiegen. Doch die Regierung bietet keine erfolgreiche Strategie dagegen, vielmehr bedingt die aktuelle Regierungspolitik mit Kürzungen und schlechten Tarifabschlüssen die materielle Grundlage dieser Gewalt – und spielt den Rechten in die Hände.

Letzte Woche war es die Studie von „Plan International“ zum Thema Männlichkeit. Diese Woche der Bericht der „Welt am Sonntag“, nach dem die Fälle gemeldeter häuslicher Gewalt im letzten Jahr um fast zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind. Rammstein-Frontsänger Till Lindemann steht wegen Anschuldigungen von sexualisierter Gewalt in den Schlagzeilen. Gleichzeitig reihen sich Berichte über körperliche Gewalt gegen queere Menschen auf CSDs oder anderen Pride-Veranstaltungen aneinander.

Wer in diesen Tagen die Nachrichten verfolgt, wird mit einer Vielzahl von Meldungen zum Thema Gewalt gegen Frauen und Queers konfrontiert. Natürlich ist dieses Thema nicht neu, Vielen sind die patriarchalen und gewaltvollen Verhältnisse im kapitalistischen Staat schon bewusst. Trotzdem ist es auffällig, dass sich die Medienberichte häufen. Es ist ein Dauerthema mit Freund:innen oder Kolleg:innen. Vor allem wird heiß darüber diskutiert, welche Ursachen und Auswege es gibt.

Warum der Staat uns nicht schützt

Wie wir im Artikel „Von der Belästigung zum Frauenmord: Die Kette der Gewalt“ erklären, ist das Funktionieren des kapitalistischen Systems mit der Aufrechterhaltung des Patriarchats eng verbunden. Dementsprechend wird es auch in diesem System kein Ende patriarchaler oder queerfeindlicher Gewalt geben können. Trotzdem ist der Ansatz, sich im Kampf dagegen auf den Staat, das bürgerliche Justizsystem und seine Repressionsapparate zu beziehen, weit verbreitet. Die Idee dahinter ist, durch Anzeigen und möglichst hohe Urteile mit am besten lebenslangen Freiheitsstrafen Stück für Stück für eine gewaltfreie Welt zu sorgen. Außerdem sollen andere Personen durch schärfstes juristisches Eingreifen abgeschreckt werden. So klingt auch das, was Bundesinnenministerin Nancy Faesers vorschlägt. Als Reaktion auf die erschreckenden Zahlen plädierte sie laut Tagesschau dafür, dass sich Betroffene häuslicher Gewalt häufiger mit einer Anzeige an die Polizei wenden sollten.

Doch das Vertrauen in das kapitalistische Justizsystem und die Polizei können im Kampf gegen patriarchale und queerfeindliche Gewalt nicht unsere Strategie sein. Zumal auch diese Staatsorgane nicht frei von genau dieser Gewalt sind: Dies zeigen Berichte von Polizisten, die auf ekelhafteste Weise sexualisierte Gewalt an Kolleginnen ausgeübt haben sollen, oder auch sexualisierte Übergriffe gegen Teilnehmer:innen linker Demonstrationen. Die Polizei und andere Organe des Staats sind also nicht unsere Verbündeten, sondern unsere Gegner bei der Bekämpfung patriarchaler Gewalt.

Wie Andrea D’Atri betont, können „die Politik und die Methoden, die wir heute wählen, um die patriarchale Gewalt zu bekämpfen, […] nicht im Gegensatz zu der zukünftigen Gesellschaft stehen, die wir uns wünschen und für die wir kämpfen.“ Dazu zählt „die Art und Weise, wie wir die Taten bestrafen, kontrollieren oder lösen, denen Frauen in dieser kapitalistisch-patriarchalen Gesellschaft zum Opfer fallen“.

Der Staat ist nicht nur keine Strategie im Kampf gegen Gewalt, sondern ihre Ursache

Eine wirksame Strategie im Kampf gegen Gewalt sucht man bei der Ampel also vergebens. Das zeigt sich in der Reaktion der Regierung auf die aktuelle Studie zu häuslicher Gewalt deutlich. Neben dem Pochen auf das Vertrauen auf Justiz und Polizei gibt es jedoch noch einen weiteren Punkt. Erstmals will der Bund ein Gesetz zum Ausbau von Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen vorlegen. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) betont, dass der Staat finanziell seinen Beitrag leisten werde.

Nun ist der Ausbau von Frauenhäusern oder Zufluchtswohnungen eine Forderung, hinter die wir uns zu einhundert Prozent stellen. Erst dieses Jahr am feministischen Kampftag streikten Sozialarbeiterinnen in Frauenhäusern, um auf die katastrophale Lage dort aufmerksam zu machen. Solche Orte sind wichtig und wir werden uns auch weiterhin für ihren Ausbau stark machen. Doch handelt es sich hier weniger um eine Strategie zur Bekämpfung patriarchaler Gewalt als um Symptombekämpfung. Zumal bei dem enormen Fachkräftemangel in der Sozialen Arbeit die Frage aufkommt, wer in diesen Einrichtungen arbeiten wird und unter welchen Bedingungen, wenn sie denn gebaut werden.

Gleichzeitig verschleiert die vermeintlich progressive Antwort der Regierung, dass sie für die Zunahme der Gewalt verantwortlich ist. Sie verlagert die Problematik auf eine individuelle Ebene, die den Frauen die Hauptverantwortung für ihre eigene Situation zuschiebt. Sie müssten nur ermutigt werden, sich aus den Beziehungen zu ihren gewalttätigen Partnern zu lösen und sich an die Polizei und Justiz zu wenden. Doch was nützt der Wunsch, eine gewaltsame Beziehung verlassen zu wollen, wenn es materiell nicht möglich ist? Und genau dort setzt das Verschulden der Ampel mit ihrer Politik an.

Die materielle Lebensrealität für Menschen, die in typisch feminisierten Berufen arbeiten, gerade jetzt in Zeiten der Krise, lässt die Ampel unangetastet oder verschärft sie durch Kürzungen und Sparkurse. Diese Berufe in Bereichen wie Gesundheit, Erziehung, Bildung oder Soziales sind weiterhin unterbezahlt, von etlichen Einsparungen und schlechten Arbeitsbedingungen geprägt. Wir sahen harte Gehaltsverhandlungen in den Streiks im TVöD, bei denen Kriegsminister Boris Pistorius damals einen Inflationsausgleich für die Arbeiter:innen dem Sondervermögen für Aufrüstung gegenüberstellte. Wir sehen hohe Lebenshaltungskosten, rasant steigende Mieten in ganz Deutschland und Wohnungsknappheit. Die Krise wird auf unseren Schultern abgeladen.

All das sind Dinge, die die ohnehin schon schlechtere materielle Lage von Frauen noch mehr verschärfen. Wie soll man die Entscheidung treffen, gewalttätige Partner zu verlassen, vielleicht auch gemeinsam mit Kindern, wenn das Gehalt nicht reicht und man keine Wohnung findet? Frauenhäuser bieten meist keinen Platz für Söhne über zwölf Jahre. Mehr als ein oder zwei Kinder mitzubringen, ist fast nirgends möglich. Zufluchtswohnungen sind keine Endstation, in der man den Rest des Lebens wohnen kann.

Um Frauen zu ermöglichen, sich selbstbestimmt aus gewaltvollen Beziehungen lösen zu können, braucht es eine Verbesserung ihrer materiellen Lage, gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Es braucht die Enteignung großer Wohnungskonzerne sowie eine gleitende Lohnskala, die an die Inflation angepasst ist. Es braucht ein Ende von Outsourcing, von dem grade auch migrantische Frauen extrem betroffen sind. Und gegen genau diese Forderungen richtet sich die Politik der Ampel mit ihrer Kürzungspolitik, die alle Bereiche bis auf den Militärhaushalt betreffen.

Angriffsfläche für Rechts?

Die Rechten instrumentalisieren ihrerseits die vermeintlich feministische Politik der Ampel für ihre eigene Agenda. So postete die AfD auf Instagram zu den Vorwürfen um Rammstein-Frontsänger Till Lindemann rassistische Hetze gegen Geflüchtete und Migrant:innen, es seien „muslimische Zuwanderer, die deutsche Frauen vergewaltigen oder sexuell belästigen“. Vor allem beziehen sie sich in ihrem Post auf die Reaktion der Grünen, die „Row Zero“ bei anstehenden Rammstein-Konzerten zu verbieten. Auf den Plan der Ampel, ein Selbstbestimmungsgesetz für trans Personen in die Wege zu leiten, reagieren die Union und die AfD mit einem regelrechten Kulturkampf gegen die „Genderideologie“.

Nachdem die Stadtbibliothek in München-Bogenhausen eine Lesung mit einem Dragking, einer Dragqueen und einer 13-jährigen trans Autorin ankündigte, begann die CSU umgehend mit einer rechten Kampagne, die schließlich von der AfD aufgegriffen wurde – inklusive eines Plakates, das so auch im Stürmer, einem nationalsozialistischen Hetzblatt, hätte veröffentlicht werden können. Kinder müssten vor „woker Frühsexualisierung“ sowie „Gender-Propaganda“ geschützt werden. Aufgrund der Bedrohungen im Vorfeld sagte die Familie der jungen Autorin deren Teilnahme an der Lesung schließlich ab. Gegen die Kundgebung der AfD vor der Stadtbibliothek mobilisierten verschiedene Gruppen und Vertreter:innen von Parteien, sodass etwa 1.000 Demonstrierende dafür sorgten, dass die queer- und transfeindlichen Reden der Rechten zumindest an diesem Tag akkustisch kaum noch verständlich waren.

Die Antwort der Arbeiter:innenklasse

Um patriarchale Gewalt zu bekämpfen, müssen wir diesem System, dem sie unweigerlich innewohnt, den Kampf ansagen. Weder dürfen wir den Organen des kapitalistischen Staates vertrauen, noch zulassen, dass die Rechten diese Debatte für sich instrumentalisieren. Was wir brauchen, ist eine unabhängige Position der Arbeiter:innenklasse, die vereint dagegen vorgehen kann. Wir brauchen Streiks in feminisierten Sektoren, wie dem Sozial- und Erziehungssektor oder dem Gesundheitswesen, und darüber hinaus für praktische Forderungen, wie mehr Personal und bessere Löhne für Care-Arbeit, beispielsweise am 8. März, dem feministischen Kampftag. Doch sollten diese Streiks nicht nur Verbesserungen der materiellen Lage, sondern auch politische Forderungen beinhalten. Beispielsweise für ein Recht auf sichere, legale Schwangerschaftsabbrüche, das die vermeintlich feministische Regierung uns immer noch verwehrt. Denn im gemeinsamen Kampf gegen Ausbeutung lässt sich am besten erkennen, dass Sexismus und Queerfeindlichkeit die Klasse spalten, ihre Kampfkraft schwächen und damit die Ausbeutung aller stützen.

Dafür gilt es, eine antibürokratische Strömung in den Gewerkschaften aufzubauen. Denn die bürokratischen Führungen der Gewerkschaften hier in Deutschland verhindern, dass Arbeitskämpfe dem kapitalistischen System wirklich gefährlich werden können. Ihr Auftrag ist es, sicherzustellen, dass sich Streiks nicht gegen politische Angriffe der Regierung richten. Deshalb brauchen wir Menschen in den DGB-Gewerkschaften, die ihren Kolleg:innen eben dies klar machen. Und die gleichzeitig ein Profil des sozialistischen Feminismus vertreten und aufzeigen, dass der Kampf gegen die, die von unserer Ausbeutung profitieren, nur gemeinsam gewonnen werden kann.

So wie es in der mittlerweile unter Arbeiter:innenkontrolle stehenden Fabrik Madygraf in Argentinien passiert ist. Unsere argentinische Schwesterpartei, die Partei der sozialistischen Arbeiter:innen (PTS) vertrat dort eine solche Perspektive. Das Ergebnis war ein Arbeitskampf, bei dem die Belegschaft einer Fabrik, in der es nur Männern erlaubt war zu arbeiten, für die Rechte einer trans Kollegin kämpfte. Sie forderten für sie die Möglichkeit, die Toilette ihrer Wahl zu nutzen und den Bau einer eigenen Umkleide. Mit dem Vorantreiben von Selbstorganisierung und einem Programm, das den Kampf gegen Ausbeutung mit dem gegen sexistische und queerfeindliche Unterdrückung vereinte, gewannen sie den Arbeitskampf.

Eben dieser war wichtig für das Verständnis, dass die Unterdrückung sie spaltet, aber der Kampf dagegen sie eint. Ihr Zusammenhalt und ihr Vertrauen in ihre Kampfkraft wurde so gestärkt, dass sie schließlich auch den Kampf für die Kontrolle über die Fabrik gewannen. Ihr Beispiel lehrt uns, wie wir hier in Deutschland der patriarchalen Gewalt den Kampf ansagen müssen.

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