Geschichte der Sozialpartnerschaft: Gründungsjahren

08.02.2022, Lesezeit 20 Min.
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Quelle: Archiv der sozialen Demokratie in der Friedrich-Ebert-Stiftung

Was für eine historische Rolle spielt die Sozialpartnerschaft für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Regimes der Bundesrepublik Deutschland? Eine Analyse ihrer Entstehung und Entwicklung in den Gründungsjahren.

„Im Rahmen der Sozialpartnerschaft hat der DGB so den Wandel der Arbeitswelt mitgestaltet, Krisen bewältigt und insbesondere den wirtschaftlichen Erfolg sowie sozialen Frieden in Deutschland ermöglicht.“ – Annegret Kramp-Karrenbauer, Vorsitzende der CDU, 2019.

„Die Erfahrung von Ländern mit schwacher Sozialpartnerschaft, mit wilden Arbeitskämpfen und politischen Streiks, sollte uns auf allen Seiten zu denken geben. Auch die Erinnerung an die soziale Zerrissenheit Deutschlands, auf die Stinnes und Legien vor 100 Jahren eine Antwort suchten, sollte uns Mahnung sein. Wir sollten einen neuen Anlauf nehmen, um die Sozialpartnerschaft von morgen stark zu machen. “ – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, 2018.

„Die gelebte Sozialpartnerschaft in unserem Land ist ein Glücksfall für unser Land und beispiellos innerhalb Europas.“ – Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, 2018.

Mit der Corona-Pandemie begann 2020 in gewerkschaftlichen und linken Kreisen eine neue Debatte über die notwendige Politik für die Interessen von Arbeiter:innen in der Wirtschafts- und Gesundheitskrise.

Schon am 3. März 2020 erklärten der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann und der Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, dass sie in der Coronakrise die „gemeinsame Verantwortung“, also die Sozialpartnerschaft, über die Differenzen stellen. Gemeint ist damit eine gemeinsame Verantwortung gegenüber dem deutschen Kapital. Sie drückte sich in zurückhaltenden Lohnforderungen der Gewerkschaften in den Tarifrunden aus, in Entlassungswellen und Werkschließungen, die oft ohne einen einzigen Streiktag stattfanden, sowie im Verzicht auf gewerkschaftliche Mobilisierungen gegen die Pandemiepolitik der Regierung.

Eben diese „verantwortungsvolle“ bzw. mit dem Kapital und den Herrschenden versöhnlerische Politik der Gewerkschaften erlaubt heute der Regierung und den Kapitalist:innen, Maßnahmen im Interesse der Profite durchzusetzen und stärkt dabei die extreme Rechte und kleinbürgerliche Bewegungen wie „Querdenken“, die sich als einzige wahrnehmbare oppositionelle Bewegung auf der Straße positionieren.

Doch ist diese sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeit mit Unternehmensverbänden nur eine Frage der politischen Einstellungen der Gewerkschaftsfunktionär:innen? Oder gibt es historische und strukturelle Gründe dafür? Wie ist die Sozialpartnerschaft historisch entstanden? Und was für eine Rolle spielt sie für die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Regimes der Bundesrepublik Deutschland und des „sozialen Friedens“?

Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG): Vorgänger der Sozialpartnerschaft

Im Oktober 2018 feierten der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände den 100. Jahrestag der Entstehung der deutschen Sozialpartnerschaft. Vertreter:innen der deutschen Bourgeoisie hatten in der Tat jeden Grund, diesen „Glücksfall“ – in den Worten des Arbeitgeberpräsidenten – zu feiern, da dieses Datum ebenso die Niederschlagung der Novemberrevolution in Deutschland markierte, die eine große Gefahr für den deutschen Imperialismus darstellte.

Während der Novemberrevolution 1918 stellte sich die damalige Bürokratie der Gewerkschaften – in Gestalt der leitenden Generalkommission – gegen die Forderungen nach Vergesellschaftung der Produktionsmittel unter Arbeiter:innenkontrolle und des Aufbaus einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, die seitens klassenkämpferischer Arbeiter:innen erhoben wurden. Stattdessen propagierte sie den wirtschaftlichen Wiederaufbau in Zusammenarbeit mit Unternehmensverbänden und Kapitalist:innen.

Nur nach einigen Tagen vom revolutionären Aufstand der Arbeiter:innen und Matrosen bildeten die Gewerkschaftsbürokratie und Unternehmensverbände am 15. November gemeinsam die sogenannte „Zentralarbeitsgemeinschaft“ (ZAG). Sie gilt als Vorgängerin der heutigen Sozialpartnerschaft und hatte das Ziel, „gemeinsame Lösungen“ für alle wirtschaftlichen Angelegenheiten Deutschlands zu erarbeiten.

In einem Sinne war die Zentralarbeitsgemeinschaft ein Zugeständnis seitens der deutschen Bourgeoisie, um eine mögliche Vergesellschaftung der Wirtschaft zu verhindern, ihr Privateigentum zu behalten und die Führungen der Gewerkschaftsbewegung auf die eigene Seite zu ziehen.

Die Gewerkschaftsbürokratie und die SPD lehnten die Ausweitung der Mitbestimmungsrechte der in der Novemberrevolution gebildeten Arbeiterräte auf die ganze Wirtschaft ab, wie sie von der Rätebewegung gefordert wurden. Im Gegenteil wurden nach der Ausrufung der bürgerlichen Republik 1919 die neuen „Betriebsräte“ in die Weimarer Verfassung eingegliedert. Diese hatten im Vergleich zu den Arbeiter:innenräten, die politische Macht- und Kontrollfunktionen ausübten, viel weniger Macht, sodass sie nur bei arbeitsrechtlichen Fragen betriebliche „Mitbestimmung“ ausüben konnten.

Dieser erste Versuch der Sozialpartnerschaft wurde jedoch schnell durch die revolutionären Ereignisse von 1919 bis 1923 herausgefordert. Der deutschen Bourgeoisie wurde klar, dass Maßnahmen der Kooptation und Kompromissen nicht genug waren, um die Arbeiter:innenbewegung unter ihrer Kontrolle zu halten. Sie musste immer mehr Zwangsmaßnahmen verwenden, um ihre Herrschaft zu sichern, sowohl der staatlichen, auch der paramilitärisch/faschistischen. Dieser Prozess endete durch die Machtübernahme des Faschismus und der Zerschlagung der Arbeiter:innenorganisationen.

Wiederbelebung der Sozialpartnerschaft nach dem Faschismus

Der Faschismus vernichtete die Gewerkschaftsbewegung, da das Großkapital wegen der Stärke der Arbeiter:innenbewegung keine Opposition dulden konnte und nur durch die physische Vernichtung der gesamten Arbeiter:innenbewegung in der Lage war, eine sozialistische Revolution und somit Enteignung ihres Eigentums zu verhindern.

Während des Zweiten Weltkrieges gründeten die sozialdemokratischen emigrierten Gewerkschaftsfunktionär:innen die Auslandsvertretung Deutsche Gewerkschaften (ADG). Sie hatte das Ziel, das faschistische Regime im Bündnis mit Alliierten zu entmachten, jedoch ein neues bürgerlich-parlamentarisches Regime aufzubauen und das Privateigentum an Produktionsmitteln gegen eine Gefahr der sozialistischen Revolution zu schützen. Die Interessen der Kapitalist:innen sollten nicht angetastet werden, die in erster Linie den Faschismus an die Macht brachten sowie von der faschistischen Diktatur profitierten, weil man sie als „Partner:innen“ für eine bürgerliche Republik gewinnen wollte.

Der Übergang vom Faschismus zur bürgerlichen Republik in Westdeutschland durch die Besatzung der Alliierten war alles andere als ein Bruch mit den faschistischen Mächten. Im Gegenteil: Es wurde fast der gesamte faschistische Staatsapparat übernommen. Mitglieder der NSDAP nahmen an dem Aufbau der neuen Republik als Regierungsmitglieder, Richter oder Militärs teil. In manchen Regionen wurden 80 Prozent der Nazi-Richter:innen in die Justiz übernommen. Der BRD-Geheimdienst entstand direkt aus einer Wehrmachtseinheit.

Unter der faschistischen Herrschaft konnte das deutsche Kapital durch Maßnahmen wie Zwangsarbeit, vollständiger Fabrikdisziplin und Zerschlagung der Arbeiter:innenorganisationen, die freie Hand gewinnen. Großindustrielle wie die Thyssen Krupp-Familie oder die Bosch-Familie, die die Machtübernahme von Hitler finanziell unterstützt hatten und in den zentralen lenkenden Organen der WIrtschaft des faschistischen Staates beteiligt waren, waren auch dieselben Kapitalist:innen, die durch die Zwangsarbeit von in Lagern inhaftierten Kriegsgefangenen, Juden:Jüdinnen, Sinti:zze und Rom:nja sowie oppositionellen deutschen Arbeiter:innen ein großes Vermögen akkumuliert haben. Nach dem Sieg der Alliierten über das faschistische Regime konnte das deutsche Kapital die Kriegsgewinne behalten. Sowohl unter der faschistischen Diktatur, als auch unter der demokratischen Republik waren die Fabriken, Produktionsstätten und Unternehmen unter Privateigentum.

In diesem Sinne war die faschistische Staatsbürokratie besiegt, jedoch keinesfalls die deutsche Bourgeoisie, die sich auf sie stützte. Für den Wiederaufbau von Westdeutschland mussten die westdeutsche Bourgeoisie auf der einen Seite eine gemäßigte Politik gegenüber der Alliierten verfolgen, andererseits auf die Gefahr einer sozialistischen Revolution seitens der westdeutschen Arbeiter:innen antworten..

Herstellung der Sozialpartnerschaft zur Rettung des Kapitalismus

Trotz der Unterstützung der anderen imperialistischen Bourgeoisien, war die westdeutsche Bourgeoisie – ähnlich wie nach der Novemberrevolution 1918 – nicht in der Lage, die kapitalistische Ordnung eigenständig wiederherzustellen. Sie brauchte einen verlässlichen Bündnispartner, um die Gefahr einer sozialistischen Revolution abzuwenden: die Gewerkschaftsbürokratie.

Als Gewerkschaftsbürokratie wird die privilegierte Schicht der Funktionär:innen in den Gewerkschaften und der Arbeiter:innenbewegung bezeichnet, die sich durch ihre Rolle der Vermittlung zwischen den Kapitalist:innen und Arbeiter:innen materielle Vorteile innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft erhalten. Diese Vorteile sind nicht nur finanzielle, sondern auch politischer Natur, indem die Gewerkschaftsspitzen in den zentralen Beratungsgremien des bürgerlichen Staates eingegliedert werden. Gewerkschaftsbürokratie besteht vor allem aus dem hauptamtlichen Apparat der Funktionär:innen, die nicht unter der Kontrolle der Arbeiter:innen in den Betrieben, also der Basis sind. Die Gewerkschaftsbürokratie übt ihren Einfluss in der Arbeiter:innenklasse jedoch nicht nur über den Apparat aus, sondern bindet weitere Schichten unter seiner Kontrolle, indem sie dafür sorgen, dass ehrenamtliche Leitungsorgane der Gewerkschaft (Fachbereiche, Vorstände etc.) oder Betriebsräte an strategischen Sektoren, wie die Industrie usw. eine sozialpartnerschaftliche Zusammensetzung haben.

Die Sozialpartnerschaft, die eine vollständige Zusammenarbeit der Unternehmensverbände, der Gewerkschaften und den bürgerlichen Staatsorganen vorsah, war so eine der Grundsäulen des neuen bürgerlichen westdeutschen Regimes. Arbeiter:innenorganisationen sollten unter einer bürgerlichen Führung anfangen, Institutionen des bürgerlichen Regimes zu werden, ohne komplett verstaatlicht zu werden. Eine Verstaatlichung, wie sie unter dem Ersten Weltkrieges zustande kam, war nicht geeignet, da diese Hürden hervorrufen würde, dass die breiten Massen die Gewerkschaften als ihre eigenen Organe wahrnehmen und somit die Politik ihrer Führungen verfolgen. Die Eingliederung der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaftsbürokratie in staatliche Beratungsgremien dauert bis heute an.

Druck für die Enteignung der Bourgeoisie: Generalstreik von 1948

In einer Gesamtbetrachtung gab es nach der militärischen Niederlage des Faschismus durch die Alliierten und Sowjetunion zwei Optionen für die neue Gesellschaftsordnung: Restauration der kapitalistischen Herrschaft oder die Enteignung des Kapitals. Die Teilung von Deutschland in mehreren Besatzungszonen ermöglichte es, beide Optionen mit Widersprüchen zu verwirklichen.

Einerseits wurden in der sowjetischen Besatzungszone ohne eine aktive Beteiligung der Massen die Produktionsmittel verstaatlicht und die Bourgeoisie enteignet. Andererseits wuchs nach der Niederlage der Nazis in großen Teilen der westdeutschen Arbeiter:innenklasse ein Bewusstsein über den Zusammenhang zwischen dem Faschismus und Kapitalismus. Das übte selbst auf die bürgerlichen Parteien, wie die CDU einen großen Druck aus, sodass sie die Forderung nach Sozialisierungen für einige Monate aufrecht hielte, während die SPD und die Gewerkschaftsführungen die Verstaatlichung der Schlüsselindustrien in ihrem Programm aufnehmen mussten – zumindest auf dem Papier.

In den ersten Monaten nach der Niederlage Deutschlands entstand eine große Wirtschaftskrise in den westlichen Besatzungszonen. Diese kam wegen der Zerstörung des Versorgungssystems und der Infrastruktur zustande und verschlechterte sich wegen der Politik der Alliierten Besatzungsmächte. Besatzungsmächte sorgten dafür, dass das Privateigentum an Produktionsmittel und die Profite der Wirtschaftszweige auf Kosten der Arbeiter:innen geschützt wird.

Ab 1946 entstand eine Streikbewegung, die sich gegen die schlechte Wirtschaftslage und die Lebensmittelengpässe richtete, die die Gewerkschaftsbürokratie unter starken Druck setzten. Um hierauf eine Antwort zu geben, riefen die Gewerkschaftsleitungen der US-amerikanischen und britischen Zone zu einem Generalstreik am 12. November 1948 auf.

Die Forderungen waren die Demokratisierung der Wirtschaft, Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum, sowie die Durchführung von Preiskontrollen und Entlastungen für Arbeiter:innen. Obwohl der Streik den Forderungen nach fortschrittlich war, bezweckten die Gewerkschaftsleitungen damit keine Kampfperspektive für eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Streiks waren mit den Militärregierungen der Alliierten abgesprochen, um keine Repression zu erfahren und um sicherzustellen, dass die Gewerkschaften nicht in den Erzwingungsstreik gehen. Ihr Ziel bestand darin, die Unzufriedenheit innerhalb der Arbeiter:innenklasse durch einen demonstrativen Streik in unschädlichen Bahnen zu lenken und somit die Kontrolle über die vereinzelten Streiks seit 1946 zu gewinnen. Es fand also letztendlich ein Streiktag, ohne eine große Demonstration, ohne einen zentralen Streikposten und ohne eine Erzwingungsperspektive statt, da die Gewerkschaftsbürokratie hierauf absichtlich verzichtete.

Nach der Niederlage des Generalstreiks 1948 oder als deren Folge, verkündete Ludwig Erhard als Direktor der Wirtschaftsverwaltung des US-amerikanischen und britischen Besatzungszonen, das Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“. Soziale Marktwirtschaft sollte erst 1949 von der CDU und in späteren Jahrzehnten von der SPD übernommen werden, die das Privateigentum an Produktionsmitteln und die Freiheit der Unternehmer:innen verteidigte, während mehr Wohlstand durch höhere Unternehmensgewinne versprochen wurde. Wie der Historiker Uwe Fuhrmann in seinen Schriften darlegt, kamen die „sozialstaatlichen“ Aspekte des Konzeptes erst durch die Kämpfe der Arbeiter:innenklasse zustande.

Interessant dabei ist, dass der Architekt der „sozialen Marktwirtschaft“ Ludwig Erhard während der Kriegsjahren unter NS-Regime als wirtschaftspolitischer Berater für die Integration der annektierten Gebiete Österreich, Polen und Lothringen tätig war, in der vorrangig Zwangsarbeits- und Vernichtungslagern errichtet worden sind.

Gründung der DGB und Kampf um Mitbestimmung

Der Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), der 1949 neu gegründet wurde, stand einerseits unter dem Druck der Massen für radikale Forderungen, andererseits basierte er auf stark antikommunistischen Grundsätzen, die die Interessen der Alliierten und der deutschen Bourgeoisie entsprachen. In Italien und Frankreich drängten die USA auf Tendenzgewerkschaften, die je nach ihrer politischen Strömungen getrennt waren, da Einheitsgewerkschaften ansonsten unter der Kontrolle der Kommunist:innen gewesen wären.

In Westdeutschland drängten die USA auf einen Gewerkschaftsverband, aus denen man die Kommunist:innen ausschließen konnte. Dabei sind eigentlich die DGB-Gewerkschaften im politischen Sinne ebenfalls sozialdemokratische Tendenzgewerkschaften, mit dem Unterschied, dass alle anderen Gewerkschaften wie kommunistische praktisch verboten sind.

Das Kapital kämpfte gegen die Arbeiter:innenbewegung nicht nur durch die Kooptierung ihrer Führung, der Gewerkschaftsbürokratie, in das Regime durch die Sozialpartnerschaft, sondern ebenfalls durch staatliche Repression und Verhaftungen gegen die kommunistischen Arbeiter:innen und Organisationen.

Die DGB-Führung strebte eine „Demokratisierung der Wirtschaft“ an, die auf dem Papier zu einem Übergang vom Kapitalismus in den Sozialismus führen sollte. Die Gewerkschaftsbürokratie wollte das schaffen, indem sie versuchte in zentralen wirtschaftlichen Organe des Staates durch spezielle Posten beteiligt zu werden und innerhalb der Vorstände der Unternehmen eine Kontrollfunktion auszuüben. Diese Bestrebungen waren in diesem Sinne analog zu der Politik ihres Vorgängers, der Generalkommission der sozialdemokratischen Gewerkschaften während des Ersten Weltkrieges, die eine Verschmelzung mit der Staatsbürokratie anstrebten, indem Gewerkschaftsfunktionär:innen in Arbeitsministerium höhere Posten besetzt haben..

Ab dem Jahr 1952 fanden große Auseinandersetzungen um die Mitbestimmung in den Betrieben statt. Der DGB forderte, dass die Montanmitbestimmung, die eine paritätische Besetzung der Aufsichtsräte vorsah, auf die gesamte Industrie ausgeweitet wird, während die Regierung ein neues Gesetz verabschieden wollte, um die Rechte der Betriebsräte und die Mitbestimmung weiter einzuschränken.

Für die Gewerkschaftsbürokratie war die Forderung nach Mitbestimmung eine Alternative zu den Enteignungen (mit der Ausnahme des „Generalstreiks“ von 1948) und Kontrolle der Wirtschaftszweige durch die Arbeiter:innenklasse selbst – also zu den Forderungen der revolutionären Kräften innerhalb der Arbeiter:innenbewegung.

Obwohl sich 1,6 Millionen Menschen an den Protesten beteiligten, lehnte die DGB-Führung die Forderung nach einem Generalstreik ab. Bei einem Generalstreik sah sie die Gefahr, die Kontrolle über die Bewegung zu verlieren, sodass die Proteste sich radikalisieren. Daher suchte sie die Lösung in Verhandlungen mit der Regierung.

Verbot des politischen Streiks und Etablierung des „Betriebsfriedens“

Trotz der Ablehnung des DGB rief die IG Druck und Papiere zu einem 24-stündigen politischen Streik gegen die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes auf. Die Adenauer-Regierung schaffte es, das Gesetz durch das Parlament durchzudrücken, das große Einschränkungen für das Streikrecht mit sich brachte, sodass Betriebsräte nicht mehr lokal zum Streik aufrufen konnten.

Damit wurden die Betriebsräte entmachtet und zu Institutionen umgewandelt, die rechtlich verpflichtet waren, mit der Unternehmensleitung zusammenzuarbeiten. Das, was man auch als „Betriebsfrieden“ nannte, wurde ebenfalls in der Weimarer Republik durch die Politik der Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) – Vorgänger der Sozialpartnerschaft – durchgesetzt.

Auf die Klage der Bourgeoisie, vertreten durch die Arbeitgeberverbände, nahmen das Bundesarbeitsgericht (BAG) und deren Richter, die zuvor dem faschistischen Nazi-Regime dienten, den Streik der IG Druck und Papiere als Anlass, um politische Einflussnahme durch einen Streik zu verbieten.

Es lässt tief blicken, dass die Gewerkschaftsbürokratie auch ohne ein staatliches Verbot sich gegen die Ausrufung von politischen Streiks gegen die Betriebsverfassungsgesetze positionierte. Das staatliche Verbot diente letzten Endes als eine präventive Maßnahme für schärfere Phasen des Klassenkampfes, die eintreten könnten und wurde zu dem stärksten Argument der Gewerkschaftsbürokratie selbst, wenn es darum ging, Forderungen nach politischen Streiks ihrer eigenen Basis abzulehnen.

Das Verbot war jedoch auch ein Signal seitens der Bourgeoisie an die Gewerkschaftsbürokratie. Im Falle, dass die Gewerkschaften auf Streiks als politische Kampfmittel nicht verzichteten und sich dem Druck ihrer Basis beugen würden, würde die BRD ähnlich wie ihre Vorgängerstaaten mit staatlicher Gewalt (Schadenersatz, polizeiliche Repression bis hin zum Vereinsverbot) gegen die Gewerkschaften vorgehen.

Nachdem die Montanmitbestimmung nach einer langen Protestwelle durchgesetzt wurde, hatten die Besatzungsmächte und die Unternehmensverbände das Ziel, die Proteste zu beruhigen und eine Radikalisierung zu verhindern. Die Spitzenfunktionär:innen der Gewerkschaften gingen in die Aufsichtsräte, sodass die Kluft zwischen der Bürokratie und der Basis größer wurde. Damit wurde erreicht, dass die Führungen der Gewerkschaften dazu genutzt wurden, Streiks zu verhindern.

Antikommunismus und Staatsgewalt gegen die Arbeiter:innenbewegung

Das formelle Verbot des politischen und lokal organisierten (wilden) Streiks war in diesem Sinne ein grundlegendes Element des neuen sozialpartnerschaftlichen Regimes in Deutschland. Ein weiteres Element zeichnete sich durch den starken Antikommunismus seitens der staatlichen Institutionen, aber auch seitens der Gewerkschaftsbürokratie aus.

Auch wenn die Gewerkschaftsbürokratie formal die Macht über die Streiks behielt und das neue Betriebsverfassungsgesetz das Organisieren von Streiks durch die Betriebsräte verbot, kam es im Laufe der BRD-Geschichte zu zahlreichen wilden Streiks. Diese waren öfters gegen den Widerstand der Gewerkschaftsführung als eine Opposition zu ihrer sozialpartnerschaftlichen Politik organisiert. Die Repression auf diesen wilden Streiks seitens des bürgerlichen Staates und der antikommunistischen politischen Repression gingen öfters Hand in Hand.

Der Hamburger Hafenstreik 1951 war in diesem Zusammenhang eine zentrale Auseinandersetzung. Nachdem die Gewerkschaftsbürokratie die Streiks im Rahmen der Tarifrunde trotz des Willens der Belegschaft abgebrochen hatte, streikten 9.500 der insgesamt 11.000 Arbeiter:innen des Hafens weiter. Arbeitgeberverbände und die bürgerlichen Medien starteten daraufhin eine große antikommunistische Kampagne, in der sie behaupteten, dass die Streiks aus Moskau kontrolliert wären. Während die Unternehmensleitung allen Arbeiter:innen mit Kündigung drohte, wurden die Streikanführer:innen von der Polizei festgenommen.

Die Angriffe auf die wilden Streiks gingen eng mit einer massiven Verfolgung der kommunistischen Organisationen einher, sodass bis 1956 bereits 3.000 Mitglieder der KPD aus politischen Gründen verhaftet wurden. Diese antikommunistische Offensive des bürgerlichen Staates gipfelte in dem formalen Verbot der KPD 1956, das bereits 1951 in die Wege geleitet wurde. 1950 wurden kommunistische und sozialistische Arbeiter:innen aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Diese Operationen wurden durch große Ausschlusswellen der klassenkämpferischen und kommunistischen Arbeiter:innen aus DGB-Gewerkschaften ergänzt.

Die Gewerkschaftsbürokratie spielte in dieser Phase vollständig eine staatstragende Rolle und setzte die Interessen der herrschenden Klasse durch. Ihr Ziel bestand darin, sich als eine „politische Polizei“ innerhalb der Gewerkschaften gegenüber dem bürgerlichen Staat zu beweisen, dass sie in der Lage ist, die Arbeiter:innenbewegung zu disziplinieren, damit die Rolle der eigentlichen Polizei, Armee und Gerichte bis zu einem gewissen Grad verdeckt bleiben kann.

Deutschland war das einzige Land in ganz Europa, in dem die kommunistische Partei verboten wurde. Die Grundlage dafür war die besondere Situation durch die Spaltung Deutschlands in die bürgerliche BRD und die DDR, die ein deformierter Arbeiter:innenstaat war, in der die Bourgeoisie enteignet worden war. Während stalinistische kommunistische Parteien in anderen Ländern wie Frankreich eine friedliche Koexistenz mit dem bürgerlichen Regime fortführte, sich sogar nach der eurokommunistischen Wende an Regierungen beteiligten, ging der BRD-Staat durch massive Repression gegen kommunistische Organisationen vor.

Fazit

In den ersten Jahren der BRD schaffte es die Arbeiter:innenklasse nach der jahrelangen faschistischen Herrschaft überhaupt als Klasse zu behaupten, indem sie ihre ersten Massenstreiks trotz des Widerstands der Gewerkschaftsführung organisierte. Die deutsche Bourgeoisie benötigte während der Gründungsjahre der BRD in Gramscis Worten eine Kombination aus „Zwangs- und Konsensmaßnahmen“, um ihre Herrschaft zu sichern und ihre Hegemonie über die Arbeiter:innenklasse zu bilden.

Maßnahmen des Zwanges bestand aus polizeiliche Anordnungen, Gesetze wie das Betriebsverfassungsgesetz, Verbote wie das der KPD, physische Gewalt durch den Repressionsapparat auf wilden Streiks und so weiter. Damit jedoch der kapitalistische BRD-Staat durch diese Zwangsmaßnahmen nicht rein diktatorisch wie unter der faschistischen Herrschaft zur Erscheinung tritt und mögliche Abwehrreaktionen in der Arbeiterschaft hervorruft, war es notwendig, dass die herrschende Klasse ihre Herrschaft auch auf Maßnahmen des „Konsens“ bildete. Also Maßnahmen, die die Illusion der Massen an dem bürgerlichen Regime stärken, ohne, dass es zu einer Gewaltanwendung seitens des Staates kommt.

Diese waren darauf gerichtet, den Widerstand der Arbeiter:innenklasse ohne eine gewaltige Auseinandersetzung noch bevor sie mit dem Kampf beginnen konnten zu sabotieren. Die Bourgeoisie gliederte die Organisationen der Arbeiter:innenklasse, wie die der Gewerkschaften, durch die Vermittlung ihrer bürgerlichen Führungen, der Gewerkschaftsbürokratie in ein sozialpartnerschaftliches Regime, sodass die Gewerkschaftsführungen von sich aus sich gegen die politischen Streiks positionierten, kommunistische Arbeiter:innen aus ihren Reihen ausschlossen oder bestimmte politische Angriffe der Regierung auf die Arbeiter:innenklasse beschönigten.

Der Aufbau des sozialpartnerschaftlichen Regimes in der BRD gründete sich auf die historischen und strategischen Lehren, die die deutsche Bourgeoisie und die Gewerkschaftsbürokratie aus der Geschichte gezogen hatten, um die Arbeiter:innenbewegung im bürgerlichen Rahmen zu halten und eine mögliche Zuspitzung des Klassenkampfes zu verhindern. Politische Streiks, bei der die Arbeiter:innenklasse als politische Subjekt auf dem Kampffeld tritt, wurden von Anfang der Republikgründung an, verboten. Betriebsräte wurden entmachtet und die Macht über die Streiks indirekt an sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaftsvorständen delegiert. Obwohl sie keine große Massenbasis verfügte, wurde die KPD ab den 50er Jahren in Deutschland als einziges Land in Europa verboten, um dessen möglichen Einfluss in kommenden Klassenkämpfen zu verhindern.

Die Funktion der Sozialpartnerschaft ist somit nicht nur ökonomisch, sodass bestimmte Gewerkschaftsfunktionär:innen sich mit geringen Lohnerhöhungen zufriedengeben, sondern eine höchst politisch und lebensnotwendige Funktion für die deutsche Bourgeoisie, um ihre politische Herrschaft über die Arbeiter:innenklasse zu bilden. Unterstützung der DGB-Vorstände an Hartz IV-Reformen Anfang 2000er und ihre Verweigerung dagegen Streiks zu organisieren ist in diesem Sinne ein Beispiel, wie das deutsche Kapital durch die Gewerkschaftsbürokratie die Arbeiter:innenklasse darin verhinderte überhaupt sich in einer Abwehrposition zu bringen und am Ende eine kampflose Niederlage zu akzeptieren.

In diesem Sinne ist auch die Politik der Gewerkschaftsbürokratie und der Sozialpartnerschaft während der Corona-Pandemie zu verstehen, sodass sie dem deutschen Kapital dabei hilft, die Kosten der Krise auf die Arbeiter:innen abzuwälzen, während sie es verhindert, dass radikalere politische Bewegungen aus den Reihen der Arbeiter:innenbewegung entstehen. Ihre politischen Forderungen artikuliert die Gewerkschaftsbürokratie ausschließlich durch bürgerliche Mitteln, wie etwa durch Wahlempfehlungen oder Lobbyarbeit, während sie jeglichen Versuch bekämpft, Arbeitsniederlegungen mit politischen Forderungen zu organisieren.

So muss jegliche revolutionäre und klassenkämpferische Organisierung in den DGB-Gewerkschaften sich politisch gegen das gesamte sozialpartnerschaftliches Regime richten.

 

Quellen

Albamonte E. / Maiello M. (2016): Trotzki, Gramsci und die kapitalistische Demokratie (dreiteilig)

Albrecht U. et al. (1979): Geschichte der Bundesrepublik, Köln.

Birke, P. (2007): Wilde Streiks im Wirtschaftswunder: Arbeitskämpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und Dänemark, Frankfurt.

Deppe F. et al. (1970): Kritik der Mitbestimmung: Partnerschaft oder Klassenkampf?, Frankfurt.

Deppe, F. et al., Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung, Dritte Auflage, Köln.

Pötzsch, H. (1998): Deutsche Geschichte von 1945 bis zur Gegenwart: Die Entwicklung der beiden deutschen Staaten, München.

Rosso F. / Dal Maso J. (2014): Trotzki, Gramsci und der Staat im „Westen“

Trotzki, L. (1929): Die grundlegenden Irrtümer des Syndikalismus

Trotzki, L. (1940): Die Gewerkschaften in der Epoche des imperialistischen Niedergangs

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