Nach Chemnitz: AfD führt die Nazis in die Schlacht

03.09.2018, Lesezeit 6 Min.
1
Bjoern Hoecker, left, leader of the Alternative for Germany, AfD, in German state of Thuringia, and Pegida founder Lutz Bachmann, second from right, participate in a commemoration march in Chemnitz, eastern Germany, Saturday, Sept. 1, 2018, after several nationalist groups called for marches protesting the killing of a German man last week, allegedly by migrants from Syria and Iraq. (AP Photo/Jens Meyer)

Die Chemnitzer Ereignisse haben die Verbindungen der AfD zum Faschismus offengelegt. Mit der Schlagkraft der Nazis will die Partei das Land weiter nach rechts treiben.

Die rechten Demonstrationen in Chemnitz haben die Bundesrepublik aufgewühlt. Die offene Jagd auf Antifaschist*innen, Migrant*innen und Journalist*innen, das Zeigen von Hitlergrüßen und das Rufen von Nazi-Sprechchören zeigen das Selbstbewusstsein der Faschist*innen. Es gab in den letzten Jahren bereits häufiger Angriffe rechter Mobs auf Migrant*innen wie etwa in Freital, Bautzen, Clausnitz, etc. Und es gab auch bereits größere rechte Massendemonstrationen von Pegida vor allem in Dresden mit mehreren zehntausend Teilnehmer*innen. Aber die Ereignisse von Chemnitz stellen eine neue Qualität dar: Nicht nur, weil die Nazis noch aggressiver auftreten. Sie tun dies vor allem, weil sie den Rückhalt der AfD haben.

Nach dem Mord am 35-jährigen Daniel H. und den darauffolgenden Ausschreitungen sagte AfD-Vorstand Alexander Gauland, das „Ausrasten ist nach einer solchen Tat legitim“. Die Fraktionsvorsitzende der AfD im Bundestag, Alice Weidel heizte die Stimmung an: „Das Abschlachten geht immer weiter.“ Und mit den baden-württembergischen Landtagsmitgliedern Hans-Peter Stauch und Stefan Räpple beteiligten sich selbst AfD-Funktionäre an der Demonstration am Montag nach der Tat. Zwar distanzierte sich die AfD-Spitze in Worten von gewalttätigen Ausschreitungen, legitimierte aber faktisch die Mobilisierung der Rechten.

Zur Demonstration, dem so genannten „Schweigemarsch“, in Chemnitz am Samstag hatten die AfD Sachsen, Thüringen und Brandenburg zusammen mit Pegida aufgerufen. Mit dabei war auch die Gallionsfigur der Faschist*innen, Björn Höcke. Das Ziel: Die Führung über die faschistische Mobilisierung zu übernehmen und sich durch ein „diszipliniertes“ Auftreten als Verteidigerin von Recht und Ordnung aufzuspielen. Diesmal sollte es keine offenen Hitler-Grüße oder Gewaltausbrüche geben (zumindest nicht auf der Demo selbst). Aber der legale Mantel der AfD geführten Demo gab den gewaltbereiten Nazis den nächsten Aufmarschplatz. Am Aufmarsch beteiligten sich rund 6000 Rechte. Aus der Demonstration selbst kam es auch dort wieder zu Angriffe auf Linke und Journalist*innen. Jedoch ist es den Gegendemonstrant*innen am Samstag gelungen, den Aufmarsch der Rechten zum Umdrehen zu zwingen.

Die Radikalisierung der AfD

Im März 2018 hat die AfD ihren Unvereinbarkeitsbeschluss mit Pegida aufgehoben. Die Ereignisse von Chemnitz haben gezeigt, wie weit die Verschmelzung von AfD, Pegida und militanten Neonazis vorangeschritten. In der AfD ringen nicht mehr ein konservativ-liberaler Flügel und ein völkischer Flügel um Einfluss. Die Anhänger*innen des AfD-Gründers Bernd Lucke wurden längst aus der Partei gedrängt. Die Wirtschaftsliberalen um Jörg Meuthen und Alice Weidel verstehen sich trotz einiger Streitigkeiten um die taktische Ausrichtung sehr viel besser mit Alexander Gauland und Björn Höcke als noch mit Lucke. Es gibt lediglich Nuancen in der verbalen Abgrenzung zu den faschistischen Hooligans, aber prinzipiell die Einigkeit darin, Chemnitz für die eigene Agenda zu nutzen.

Die AfD schickt sich an, den nächsten Sprung zu machen: Nachdem sie sich durch die Talkshows der Republik auf durchschnittlich 15 Prozent hochgehetzt hat und in einen Landtag nach dem anderen eingezogen ist, ist sie im Herbst in den Bundestag gekommen. Seitdem kamen zwar viele verbale Entgleisungen, aber ohne das Land damit nochmal grundsätzlich aufzurütteln. Bis Chemnitz. Die AfD-Fuktionäre haben ihre Verbindungen und Gelder aus der Parlamentsarbeit genutzt. Teile des Verfassungsschutz und der Polizei sind selbst mit der Partei verbandelt. Die Schlägernazis aus Kameradschaften und Fußball-Hooligans können in ihrem Windschatten prächtig gedeihen. Mit Chemnitz bekennt sich die AfD zu ihrer faschistischen Basis.

Diese Offenbarung ist eine Kampfansage der Parteiführung: Sie sind bereit, den rechten Straßenmob zu mobilisieren, um die anderen Parteien vor sich herzutreiben. Gaulands Ansage an Kanzlerin Angela Merkel nach dem Einzug in den Bundestag lautete: „Wir werden sie jagen“. Chemnitz zeigt nun, was er damit meinte. Natürlich wollte er es nicht mit Pöbeleien im Bundestag belassen. Und das will auch der vermeintlich gemäßigte Teil um Alice Weidel nicht. Es gibt längst eine radikalisierte Schicht von einst konservativ-liberalen AfD-Funktionär*innen und Anhänger*innen, die bereit sind, für den Sturz von Merkel den Schulterschluss mit den Faschist*innen einzugehen.

Ziele für 2019: Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

Trotz ihrer Verbindungen zu den Nazis ist die Partei weiterhin auf den Parlamentarismus ausgerichtet. Ihr Ziel ist es nicht, durch Straßenterror die Bundesrepublik so weit zu destabilisieren, dass sie die Macht übernehmen kann. Dafür sind die Nazis trotz der bedrohlichen Bilder aus Chemnitz heute nicht stark genug. Die BRD hat zwar nie eine tatsächliche Abrechnung mit dem NS-Regime gemacht und Nazicliquen weiterhin toleriert, wie die NSU-Morde zeigen. Aber das Klassenkampfniveau ist zu niedrig, als dass Staat und Bosse bei der Unterdrückung der Arbeiter*innenbewegung auf die Unterstützung des Faschismus zurückgreifen würden. Die militant auftretenden Nazis stellen daher trotz ihres Einflusses und Gefährlichkeit für Migrant*innen noch kein Massenphänomen dar. Die AfD wird nicht jederzeit eine rechte Großdemo aus dem Boden stampfen können. Gerade in den Metropolen tut sie sich angesichts der antifaschistischen Gegenwehr schwer zu mobilisieren.

Aber der Aufstieg der AfD und der Machtverlust Merkels treten in eine neue Phase. Mehr als drei Viertel der AfD-Symphatisant*innen gab in einer Umfrage an, Verständnis für die Demonstrationen in Chemnitz zu haben. Fast alle Landesverbände haben mittlerweile einen strikten Kurs gegen „Islamisierung“ eingeschlagen. Diese Radikalisierung beschert der AfD weitere Zustimmung. In einer Wahlumfrage nach den Chemnitzer Ereignissen für die gesamte Bundesrepublik kletterte die AfD auf 17 Prozent – nach den Chemnitzer Ereignissen. Die Pogromstimmung ist zwar bisher ein sächsisches Phänomen, kann aber mit dem Eindringen der AfD in deklassierte Schichten früher oder später auch im Westen aufkommen.

Die Landtagswahlen in Bayern im Oktober werden der AfD den Einzug in den 15. Landtag bescheren, voraussichtlich als zweit- oder drittstärkste Kraft. Hier wird sie die ohnehin schon stark nach rechts gewanderte CSU weiter unter Druck setzen. Ihre große Chance sieht sie aber vor allem in den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen im Herbst 2019. Hier kommt sie laut Umfragen mittlerweile auf 25 Prozent (Sachsen), bzw. 23 Prozent (Thüringen) und liegt damit nicht mehr weit hinter der CDU. Damit wäre sogar eine Regierungsbeteiligung denkbar. Dies würde eine bundesweite Krise auslösen, die den Schlachtruf der Rechten, „Merkel muss weg“, zur Realität machen könnte.

Mehr zum Thema