Atomkraftwerke, Raffinerien, Häfen, Eisenbahn, Amazon…: Frankreich vor dem völligen Stillstand [mit Fotogalerie]

27.05.2016, Lesezeit 3 Min.
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Der Generalstreik ist zum Greifen nah: Immer größere Sektoren der französischen Wirtschaft liegen brach. Nach allen Raffinerien und vielen Häfen sind nun auch alle Atomkraftwerke des Landes im unbefristeten Streik. Und auch in der Privatwirtschaft dehnt sich die Bewegung aus: Beschäftigte von Amazon traten ebenfalls in unbefristeten Streik – für einen Tarifvertrag und den Rückzug des Arbeitsgesetzes. Ein erneuter Aktionstag brachte gestern wieder hunderttausende Menschen auf die Straße.

Der achte landesweite Aktionstag gegen das reaktionäre Arbeitsgesetz der Hollande/Valls-Regierung begann fulminant: Die Arbeiter*innen der Atomkraftwerke traten in einen unbefristeten Streik. Nachdem sich inzwischen die Ölarbeiter*innen aller französischen Raffinerien im unbefristeten Ausstand befinden und Kraftstoff in vielen Regionen nur noch mit stundenlangen Autoschlangen zu ergattern ist, steht nun auch das französische Stromnetz vor dem potenziellen Kollaps.

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Vor den Depots sind die Straßen mit LKWs oder brennenden Reifen blockiert. Zwei Drittel der staatlichen Eisenbahnlinien (SNCF) standen gestern ebenfalls still – ab nächste Woche streiken die Arbeiter*innen der SNCF unbefristet. Streiks an Flughäfen diese und nächste Woche legen den Waren- und Personenverkehr noch weiter lahm. In Cerbourg im Südosten wurde auch eine U-Boot-Fabrik und ein Militärhafen bestreikt.

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Der völlige Stillstand der französischen Infrastruktur steht kurz bevor. Hinzu kommen immer mehr Streiks bei Großunternehmen des privaten Sektors. Besonders brisant: Die Arbeiter*innen von drei von vier Amazon-Standorten in Frankreich haben ebenfalls den unbefristeten Ausstand beschlossen – nicht nur für ihre Tarifforderungen, für die sie seit Langem kämpfen, sondern auch für den Rückzug des Arbeitsgesetzes.

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Gestern gingen zudem wieder hunderttausende Menschen gegen die Arbeitsmarktreform auf die Straße. Allein in Paris waren es über 100.000 – die kämpferischen Arbeiter*innen der strategischen Sektoren der Wirtschaft an ihrer Spitze.

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Nie zuvor seit 1995 stand Frankreich dem politischen Generalstreik – dem Streik aller zentralen Sektoren der Wirtschaft zum Zwecke des Sturzes der Regierung – so nah wie heute. Die Ölarbeiter*innen sind die Avantgarde dieses Kampfes. Das letzte große Aufbäumen der französischen Arbeiter*innenklasse im Jahr 2010 gegen die Rentenreform der Sarkozy-Regierung scheiterte daran, dass die Ölarbeiter*innen ihre Streiks zu früh abbrachen. Heute steht der Wind jedoch anders. Die Koordinierung aller kämpfenden Sektoren – die convergence des luttes – mit der militanten Arbeiter*innenbewegung an der Spitze drängt die Regierung immer mehr in die Enge.

Diese reagiert mit Hasspropaganda und Repression: Die Arbeiter*innen nähmen Frankreich „Geisel“, so Ministerpräsident Valls. Gleichzeitig greift die Polizei immer wieder Streikposten an, wie am Dienstag in der Ölraffinerie in Fos-du-Mer. Die Hetzkampagne der Regierung hat womöglich sogar schon für Tote gesorgt. Beim gestrigen Aktionstag gab es mehrere Schwerverletzte, nachdem Blockaden im Südosten des Landes, unter anderem in Fos-du-Mer, von aufgebrachten Auto- und Lastwagenfahrern durchbrochen wurden. Zu Redaktionsschluss dieses Artikels befand sich mindestens noch ein Arbeiter in Lebensgefahr. Ein Gewerkschaftsmitglied der CGT und Bürgermeister einer kleinen Gemeinde für die Front de Gauche verstarb bei einem Verkehrsunfall vor der Blockade einer Müllverwertungsanlage.

Für den 14. Juni mobilisieren die Gewerkschaftsspitzen für eine landesweite Großdemonstration in Paris. Doch schon in den nächsten Tagen wird der Klassenkampf in Frankreich immer heißer.

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