Afghanistan-Analyse #1: Wie der Imperialismus die Taliban stark gemacht hat

21.08.2021, Lesezeit 6 Min.
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Bild von Trent Inness / shutterstock.com

In Afghanistan haben die Taliban das Land erobert, nachdem die imperialistischen Mächte ihre Truppen abgezogen hatten. Welche Rolle Deutschland in der Region gespielt hat und wie die Taliban so mächtig werden konnte, erfährst du in dieser Analyse.

Zu Beginn dieser Artikelreihe widmen wir uns nun der Frage, wie die Taliban an die Macht kommen konnten und insbesondere, welche Rolle der deutsche Imperialismus dabei gespielt hat.

Die Bilder vom Kabuler Flughafen sind bereits ins kollektive Gedächtnis der Weltbevölkerung eingebrannt worden. Heute lassen sie unsere gesamten Generation nicht schlafen; noch in Jahrzehnten werden wir uns an sie erinnern.

Der Anfang vom Ende

Denn es handelt sich nicht nur um eine humanitäre Krise, sondern um eine enorme Schwächung der USA als Weltmacht. Biden zog seine Truppen nicht zurück, weil er den Einsatz für moralisch nicht weiter vertretbar hielt, sondern weil die globale Hegemonie seines Landes vor dem Abgrund steht.

Zu Zeiten des Vietnamkriegs hatte es eine Massenbewegung auf den Straßen gegeben, die unermüdlich den Abzug der Soldat:innen aus dem asiatischen Land forderte. Die USA verließ das Land, die progressive Befreiungsbewegung der Unterdrückten siegten.

Im Gegensatz dazu wurde heute schlicht und ergreifend eine nüchterne Bilanz aus dem zwanzigjährigen Einsatz gezogen: Die eigenen geopolitischen Ziele wurden nicht erreicht, weshalb es keinen Sinn ergibt, weiterhin Ressourcen in die “Stabilisierung Afghanistans” zu stecken.

Die Taliban sind Produkt des Imperialismus

Es ist zynisch, stattdessen nicht von Destabilisierung zu sprechen. Denn die nordamerikanischen, zusammen mit englischen und deutschen Truppen, zerstörten die Infrastruktur und Ökonomie des Landes und haben 250.000 Tote, sowie die aktuelle Krise zu verantworten.

Niemand kann ernsthaft jemanden beklatschen, der die Ruinen verlässt, die seine eigenen Bomben verursacht haben. Biden hatte 2001 selbst den “Krieg gegen den Terror” befürwortet, als er für die Aussendung US-amerikanischer Soldat:innen nach Afghanistan stimmte. Offiziell sollte das hinter dem Anschlag des 11. September stehende Terrornetzwerk Al-Qaida zerstört werden. Nachdem die Taliban, die von 1996 bis 2001 in Afghanistan herrschten, abgelehnt hatten, Osama Bin Laden auszuliefern, begann die USA den Krieg. Sie gab vor, dort einige Fädenzieher:innen lokalisiert zu haben.

Die Taliban sind eine radikalislamische Strömung, deren Ursprung auf afghanische Geflüchtete in Pakistan zurückgeführt wird. Diese studierten den Koran – Auf Arabisch Talib “Der Schüler” und Taliban auf Paschto, das dem Arabischen nahesteht – “Die Schüler”. Paschto ist die Sprache der Paschtunen, der ethnischen Mehrheit im multiethnischen Afghanistan.

Aus eben diesen, von der saudischen Monarchie finanzierten Schulen in Pakistan heraus, sind die ersten Mudschaheddins hervorgegangen, die sich zwischen 1979 und 1989 gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans auflehnten. Dabei wurden sie, ähnlich wie die Contras in Nicaragua und das Paramilitär in Kolumbien, unter anderem von der CIA aktiv unterstützt.

Es ging also nie um die Afghaner:innen. Damals wurde eine wissentlich absolut reaktionäre Kraft als Partner ausgewählt, um im Kalten Krieg an Land zu gewinnen. Vor zwei Monaten wurde billigend in Kauf genommen, dass die Taliban die Macht in Afghanistan wieder übernehmen. Heute stehen wir vor einer humanitären Krise, die Millionen in die Flucht treibt, wobei diesen die Reise nach Deutschland und Europa aktiv verwehrt wird. Denn wo öffentlich bereut wird, die Lage falsch eingeschätzt zu haben, wird gelogen.

So hatten nicht nur die USA zugegeben, dass sie in den letzten Jahren mit den Taliban verhandelt haben, um ein Friedensabkommen zu schließen, sondern haben auch deutsche Botschafter:innen davor gewarnt, dass die Taliban versuchen würden, ihre Macht auszuweiten, sobald internationale Truppen das Land verlassen. Auch dass das Militär der Regierung unter Präsident Aschraf Ghani schon lange nicht mehr treu war, schafft nicht einmal die Tagesschau als Neuigkeit zu verkaufen.

Es ist deshalb ein Manöver, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel überrascht darüber zeigt, dass afghanische Streitkräfte sich den Taliban kampflos ergaben. Für den deutschen Imperialismus handelt es sich sowohl bei dem Abzug als auch bei der Machtübernahme durch die Taliban, um ein politisches Desaster, da die 20-jährige Besatzung Afghanistans katastrophale Folgen für die gesamte Region hat. Die eigentliche Katastrophe ist jedoch die militärische Intervention und Besatzung, die nie hätte beschlossen und durchgeführt werden dürfen.

Deutschland hat keine weiße Weste an

Bereits im November 2001 hatte die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder der Operation “Enduring Freedom” 3.600 Truppen zugesagt. Heute bereitet die Linkspartei sich also auf eine Regierungsbeteiligung und damit auf eine Zustimmung zur NATO und zum Interventionismus vor. Denn sie sieht sich mit denselben Parteien regieren, die dem Afghanistan-Einsatz zugestimmt hatten.

Ein Einsatz, der für die afghanische Bevölkerung ebenfalls alles andere als befreiend war. Gern wird über den Bau von Brunnen und Mädchenschulen gesprochen und dabei so getan, als hätte die Bundeswehr sich nicht an Kampfeinsätzen beteiligt. Dabei führte sie 2009 einen Luftangriff auf Kundus – eine Stadt im Nordosten Afghanistans – durch, bei dem ca. 100 Menschen – darunter unzählige Zivilist:innen – ums Leben kamen.

Von offizieller Seite aus soll, wenn möglich, aus dem Afghanistan-Krieg folgende Schlussfolgerung gezogen werden: Leider ist er nicht entschlossen genug geführt worden, weshalb die Bundeswehr schnell viel mehr Unterstützung braucht, um konsequenter ihre “nation building”-Politik vorantreiben zu können.

Dabei handelt es sich wie gesagt um mörderische Militäreinsätze, die nicht selten illegitime Besatzungen beinhalten, um von Deutschland abhängige Nationen aufzubauen. Imperialistische Interventionen wie diese sind das Übel unserer Zeit – nicht nur, weil sie Millionen im Interesse des Großkapitals unterdrücken, sondern auch, weil sie islamistischen Gruppen den perfekten Nährboden bieten. Wir haben das bereits im Irak, in Syrien und Libyen beobachtet und sehen es heute in Afghanistan.

Großbritanniens Premierminister Boris Johnson schlug Biden vor, die zurückgekehrten Truppen aufgrund der aktuellen Lage wieder in Afghanistan einzusetzen. Dass dieses Szenario tatsächlich eintritt, ist jedoch unwahrscheinlich, da die politischen Kosten, die die imperialistischen Mächte in diesem Fall tragen müssten, zu hoch sind. Vielmehr wird die kommende Zeit von Sanktionen und politischem Druck geprägt sein.

Im zweiten Teil unser Analyse der Situation in Afghanistan werden wir uns mit der Rolle der USA und Chinas in diesem Konflikt auseinander und werfen im dritten und vorerst letzten eine Perspektive auf.

Afghanistan-Analyse #2: Folgt auf die Niederlage des US-Imperialismus eine Intervention Chinas?

Teil 3:

Afghanistan-Analyse #3: (K)eine Perspektive für die Massen?

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