Wer waren die K-Gruppen? Kleine Geschichte des deutschen Maoismus (Teil 1)

23.01.2017, Lesezeit 5 Min.
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"Die rote Sonne grüßt Mao Tse-Tung" – an deutschen Universitäten der 70er Jahre tönte diese Melodie neben vielen anderen maoistischen Hymnen. Viele Studierende in Westdeutschland, die ab 1968 politisiert wurden, verbanden ihre Hoffnung auf gesellschaftliche Verbesserung mit der Volksrepublik China. Sie wurden bitter enttäuscht. Vom Maoismus in Deutschland bleibt heute kaum ein Schatten übrig – lohnt es sich trotzdem, mit der Geschichte der "K-Gruppen" auseinanderzusetzen? Ja.

Teil 1: Warum schreiben wir das überhaupt?

Fangen wir mit einem Auszug aus einem Manifest an. Es heißt: „Deutschland dem Deutschen Volk“.

Schöpfen wir also aus unserer schönen deutschen Sprache” sowie aus “unserer schönen deutschen Heimat mit ihren Wäldern und Weiden, Bergen und Tälern, Flüssen”

“Wir schöpfen aus der psychischen Wesensart des deutschen Volkes. Wir schöpfen aus seinem Arbeitsfleiß und seinem Ordnungssinn”

“Wir schöpfen aus den unvergänglichen Denkmälern, die von der Größe der deutschen Kultur künden, den hochaufstrebenden, in ihrer Schönheit und Linienstrenge unvergleichlichen Domen von Köln und Meißen”

“Das Nationalbewusstsein des deutschen Volkes entwickeln” für “die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes”

Von welcher Partei wird das stammen? Von der NPD? Vielleicht vom rechten Flügel der CSU?

Nein und nein. Die Autor*innen nannten sich nicht nur „Kommunistische Partei Deutschlands“, sondern gaben sich auch den Zusatz „Marxisten-Leninisten“. Die KPD/ML war eine von sechs größeren Gruppen der maoistischen Bewegung in Deutschland, die von Ende der 60er bis Anfang der 80er existierten.

Im Kommunistischen Manifest schrieben Karl Marx und Friedrich Engels den berühmten Satz: „Die Arbeiter haben kein Vaterland.“ Die maoistischen „K-Gruppen“ – die sich selbst meist als „ML-Gruppen bezeichneten, aber heute aufgrund ihrer mit K beginnenden Kürzel so genannt werden – hielten nicht viel von diesem marxistischen Grundgedanken. Die KPD/ML hatte ein eigenes Deutschlandlied.

War das nur ein Ausrutscher der KPD/ML? Nein. Zur gleichen Zeit forderte die KPD/AO die Stärkung der Bundeswehr und der NATO. Und das waren die beiden K-Gruppen, die sich am penibelsten an der politischen Linie der Volksrepublik China – also des Maoismus – orientierten.

Die deutschen Maoist*innen sahen die Bundesrepublik nicht als eine der größten imperialistischen Mächte der Erde (wenn auch den USA unterordnet), sondern als eine Art besetzte und geteilte Kolonie.

Relevant?

Komische Gruppen – aber irgendwie relevant? Haben wir es nicht mit lächerlichen Sekten zu tun, die vor Jahrzehnten auf dem Müllhaufen der Geschichte verschwunden sind?

Leider nicht. Denn die maoistischen Verbände in der Bundesrepublik organisierten auf ihrem Höhepunkt Mitte der 70er Jahre zwischen 10.000 und 20.000 Mitglieder und Sympathisant*innen. Andreas Kühn, ein bürgerlicher Historiker, schätzt, dass bis zu 150.000 Menschen “in den 70er Jahren in irgendeiner Weise die K-Gruppen durchlaufen” haben. (1)

Aber nicht nur historisch sind die K-Gruppen interessant. Schauen wir uns mal das Spitzenpersonal im Regime der deutschen Bourgeoisie an, vor allem um die Jahrtausendwende herum:

Jürgen Trittin
Damals: Mitglied des Kommunistischen Bunds (KB) an der Universität Göttingen
Später: Bundesumweltminister (1998-2005), Fraktionsvorsitzender der Grünen im Bundestag (2009-13)

Joscha Schmierer
Damals: Sekretär des Zentralkomitees des Kommunistischen Bunds Westdeutschlands (KBW)
Später: Mitarbeiter im Planungsstab des Auswärtigen Amtes (1999-2007)

Christian Semler
Damals: Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Deutschlands / Aufbauorganisation (KPD/AO)
Später: Führender Redakteur bei der taz (1989-2013)

Ulla Schmidt
Damals: Mitglied des Kommunistischen Bunds Westdeutschlands (KBW) in Aachen
Später: Bundesgesundheitsministerin (2001-09), SPD

Jürgen Reents
Damals: Herausgeber der Zeitung des Kommunistischen Bunds (KB) in Hamburg
Später: Chefredakteur der Zeitung „Neues Deutschland“ von der PDS / der Linkspartei (1999-2012)

Berthold Huber
Damals: Mitglied des Kommunistischen Arbeiterbunds Deutschlands (KABD) in Ulm
Später: Vorsitzender der Industriegewerkschaft Metall (IGM) (2007-13)

Winfried Kretschmann
Damals: Mitglied des Kommunistischen Bunds Westdeutschlands (KBW) in Stuttgart
Später: Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Grüne (2011-heute)

Reinhard Bütikofer
Damals: Mitglied des Kommunistischen Bunds Westdeutschlands (KBW) in Heidelberg
Später: Vorsitzender der Grünen (2002-09) und Mitglied des Europaparlaments (2009-14)

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass der deutsche Maoismus in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Joschka Fischer die politische Macht in der BRD übernommen hätte. Aber es wäre etwas präziser zu sagen, dass die maoistischen Organisationen das Verwaltungspersonal des deutschen Imperialismus ausgebildet hatten.

Literatur

Bevor wir in die Geschichte der K-Gruppen einsteigen, ein kleiner Hinweis: Diese kurzen Artikel werden nur einen groben Überblick des deutschen Maoismus geben können. Deswegen veröffentlichen wir am Anfang einige Literaturtipps, die viel interessantes Material bieten:

  • Anonymes Autor*innenkollektiv: Wir warn die stärkste der Partein… Berlin 1977.
  • Jan-Ole Arps: Frühschicht. Linke Fabrikinterventionen in der 80er Jahren. Berlin 2011.
  • Gerd Kornen: Das rote Jahrzehnt: Unsere kleine deutsche Kulturrevolution 1967-1977. Köln 2001.
  • Andreas Kühn: Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre. Frankfurt am Main 2005.
  • Peter Schwarz: Marxismus gegen Maoismus. Die Politik der MLPD. Essen 1998.
    (Dieses kleine Buch stammt von der Vorläuferorganisation der heutigen Partei für Soziale Gleichheit. Leider hat sich die PSG inzwischen erheblich von trotzkistischen Positionen entfernt.)
  • Michael Steffen: Geschichten vom Trüffelschwein. Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes 1971 bis 1991. Berlin 2002.

 

Im nächsten Teil beschäftigen wir uns mit der Entstehung der K-Gruppen.

Fußnoten

(1) Andreas Kühn: Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 70er Jahre. Frankfurt am Main 2005. S. 287.

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