Was ist Demokratie?

08.07.2017, Lesezeit 6 Min.
1

Aktuell finden in Hamburg die Olympischen Festspiele der Demokratie statt: Während sich die 20 mächtigsten Staatschefs für die demokratischsten Vertreter*innen halten, gehen alleine in Hamburg Zehntausende gegen sie auf die Straße. Was steht hinter der Demokratie, die von bürgerlichen Politiker*innen so verehrt, aber gleichzeitig mit Füßen getreten wird? Und welche Position hat der Marxismus zu ihr?

In den Medien, an Schule und Universität wird uns vermittelt, die liberale Demokratie sei die beste Herrschaftsform der Geschichte, da sie sich auf die Mehrheitsentscheidung der Bevölkerung stütze.

Zwei Beispiele aus jüngster Vergangenheit zeigen jedoch schnell die rein formalen Grenzen dieser liberalen Demokratie auf: In den USA wurde Donald Trump mit 2,7 Millionen Stimmen weniger als seine Gegnerin Hillary Clinton zum 45. Präsidenten gewählt. Und in Frankreich nahm weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten überhaupt an den Parlamentswahlen im Juni teil.

Liberale Demokratie

Diese Beispiele zeigen sehr gut, dass die tatsächliche Bedeutung der Mehrheitsentscheidung der Bevölkerung in den liberalen Demokratien sehr eingeschränkt ist. Dazu kommt, dass viele wichtige Positionen im Staat nur indirekt von der Bevölkerung gewählt werden, wie in Deutschland der*die Bundespräsident*in und Bundeskanzler*in, der Bundesrat und das Bundesverfassungsgericht. Doch der Großteil des Staatsapparats, die Ministeriumsangestellten, Beamte, Richter*innen und Militärs, werden überhaupt nicht gewählt, sondern durch Regierung und andere Positionsträger*innen bestimmt.

Die liberale Demokratie kann also schon aufgrund formaler Gesichtspunkte schlecht als „Volksherrschaft“ bezeichnet werden. Doch das Problem sitzt noch tiefer. Denn abgesehen von formalen Kriterien ist die Macht in den kapitalistischen Gesellschaften durch eine ganz andere Größe strukturiert: das Eigentum, genauer gesagt, das Eigentum von Produktionsmitteln.

Klassengesellschaft

Während Besitzer*innen von Produktionsmitteln, also Unternehmen, die Anhäufung von Reichtum zum Ziel haben, können diejenigen, die sie nicht besitzen – Proletarier*innen – nichts anderes tun, als ihre Arbeitskraft zu verkaufen und damit für einen meist geringen Lohn die Profite der Unternehmer*innen zu vergrößern.

Diese von Karl Marx erkannte grundlegende Spaltung der Gesellschaft hat sich seit der Entstehung des Kapitalismus immer weiter verschärft. Heute besitzen die acht reichsten Männer mehr als 3,5 Milliarden Menschen. Auch in Deutschland konzentrieren 36 Milliardäre, denen Großkonzerne wie Audi, BMW, Schaeffler oder Aldi gehören, soviel wie die gesamte untere Hälfte der Bevölkerung.

Diese Eigentumsverhältnisse haben einen direkten Einfluss auf die Herrschaftsform. Einerseits haben Politiker*innen alleine schon durch ihre extrem hohen Abgeordnetendiäten ähnliche Lebensverhältnisse wie die Unternehmer*innen. Andererseits unterhalten die Kapitalist*innen ein enges Netzwerk zwischen sich und dem politischen Establishment, den Abgeordneten, den bürgerlichen Parteien und der Regierung. Dabei bedienen sie sich, mal legalen, mal illegalen, Formen der Bestechung, um abzusichern, dass nur Gesetze in ihrem Interesse beschlossen werden.

Und nicht nur das: Durch Werbung und die Presse, die selbst in Händen privater Eigentümer und meist großer Kapitalgruppen liegt, können sie die öffentliche Meinung in ihrem Interesse beeinflussen. Die Gesetze werden im Interesse der Besitzenden verfasst. Das sieht man schon im Grundgesetz: Während der Schutz Privateigentum fest verankert ist, haben die Arbeiter*innen kein gesichertes Streikrecht.

Bürgerliche Demokratie

Deshalb sprechen Marxist*innen von bürgerlicher Demokratie, also der nach außen demokratischen Form der Herrschaft der kapitalistischen Minderheit über die arbeitende Mehrheit. Dieser Definition liegt ein Verständnis des Staates als „Organ der Klassenherrschaft, ein Organ zur Unterdrückung der einen Klasse durch die andere“ (Lenin) zugrunde. Dieser Staat wird durch „besondere Formationen bewaffneter Menschen“ (ebenso) (Polizei, Armee, Gefängnisse, etc.) aufrecht erhalten. Unabhängig von den politischen Formen der Klassenherrschaft dient der Staat also in jeder Klassengesellschaft der herrschenden Klasse.

Durch die Unterscheidung zwischen den Formen und dem Inhalt der Klassenherrschaft lassen sich auch die Differenzen der verschiedenen „Demokratien“ entdecken, die es in der Geschichte der Menschheit gab.

So handelte es sich bei der „griechischen Demokratie“ um eine reine Demokratie der Sklavenhalter, die damals herrschende Klasse der Athener Polis, an der sich gerade einmal zehn Prozent der Gesamtbevölkerung, unter Ausschluss von Sklaven und Frauen, beteiligen konnten. Erste Formen kapitalistischer Demokratie finden sich schon in den mittelalterlichen Handelszentren Norditaliens, den städtischen Kommunen, an denen nur die besitzenden Stadtbewohner teilnehmen konnten. Die moderne bürgerliche Demokratie betritt mit der Französischen Revolution und der Einführung des allgemeinen Wahlrechts die Bühne der Geschichte und erreicht ihren radikaldemokratischen Höhepunkt unter der Herrschaft der Jakobiner, die jedoch nur von kurzer Dauer ist.

Proletarische Demokratie

Genauso lassen sich jedoch in der Geschichte Beispiele proletarischer Demokratie finden. Zum einen ist da die Pariser Kommune von 1871, als die lohnabhängige Stadtbevölkerung ihre eigenen Organe der direkten Demokratie schuf und so für mehrere Monate über Paris regierte, während sie Regierung und Armee vertrieb. Karl Marx beschrieb die Funktionsweise der Pariser Kommune in „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ wie folgt:

Die Kommune bildete sich aus den durch allgemeines Stimmrecht in den verschiedenen Bezirken von Paris gewählten Stadträten. Sie waren verantwortlich und jederzeit absetzbar. Ihre Mehrzahl bestand selbstredend aus Arbeitern oder anerkannten Vertretern der Arbeiterklasse. Die Kommune sollte nicht eine parlamentarische, sondern eine arbeitende Körperschaft sein, vollziehend und gesetzgebend zu gleicher Zeit.

In der Russischen Revolution von 1917 wurden nach dem Sturz des zaristischen Absolutismus beim Aufbau des Arbeiter*innenstaates die Lehren der Pariser Kommune aufgenommen und verallgemeinert. So fußte der Staatsapparat auf Räten, welche die gesamte arbeitende Bevölkerung in den Fabriken, der Armee und auf dem Land organisierte. Delegierte waren jederzeit abwählbar und mussten dadurch dem Willen ihrer Wähler*innen nachkommen. Auch die Richter*innen wurden gewählt, genauso wie die Offiziere in der Armee. Erst mit der zunehmenden Machtkonzentration durch die Bürokratie um Stalin mussten diese Elemente der proletarischen Demokratie der Herrschaft einer kleinen Schicht weichen. Doch sowohl das Beispiel der Pariser Kommune und der Russischen Revolution zeigen, dass es möglich ist, eine direkte Demokratie der Arbeiter*innen aufzubauen. Diese kann jedoch nur der erste Schritt sein hin zum Kommunismus und dem Aufbau einer klassenlosen Gesellschaft, in der es weder Ausbeutung und Unterdrückung noch jegliche Form der Herrschaft gibt.

Mehr zum Thema