Permanente Revolution oder kleinbürgerlicher Nationalismus?

05.05.2020, Lesezeit 6 Min.
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Der Aktivist Kofi Shakur hielt Ende April einen Vortrag über den Kolonialismus in Deutschland ab, mit dem Anspruch, ihn materialistisch zu analysieren. Stattdessen wendet er die Mittel und Methoden der Postcolonial Studies an - und verzichtet auf die Theorie der Permanenten Revolution.

In seinem Vortrag – der auf YouTube online ist – greift Kofi Shakur die These auf, Deutschland sei ein „Entwicklungsland“, um seine verspätete Kolonialpraxis zu erklären. Dabei wirft er die bürgerlichen Revolutionen im einen Topf: Er setzt die französische Revolution mit den USA und Großbritannien gleicht, wobei im letzterem die Monarchie – entgegen seiner Behauptung –nicht geköpft wurde. Stattdessen stand Großbritannien eher dem deutschen Modell von 1871 nahe.

Für den Vortragenden gab es auch keine große Depression in den 1870er Jahren, die die kapitalistische Entwicklung in Deutschland von denen in Frankreich und Großbritannien unterschied. Stattdessen stellt er es als eine reine Überbaupolitik von Bismark dar, oder als Willen der europäischen Staaten zur Konkurrenz. Das ist eine sehr vereinfachende Erklärung. Warum schweigt Kofi von der Entstehung der Revolution in Permanenz, die Hauptlektion aus der gescheiterten Revolution in Deutschland?

Stattdessen gibt es nur Anekdoten über die militärische Beteiligung Engels in der Revolution. Wenn Marx und Engels Deutschland mit Frankreich vergleichen, dann strategisch mit der Fragestellung: Warum hat die deutsche Bourgeoisie die Revolution nicht bis zum Ende (Sturz der Monarchie) geführt und praktisch die Seite gewechselt? Diese auf dem halben Wege gebliebene und schnell degenerierte Entwicklung ist die Grundlage aller materialistischen Ansätze, um die Klassengesellschaft in Deutschland zu analysieren. Die Theorie der ungleichen und kombinierten Entwicklung kommt in Kofi Shakurs Vortrag nicht vor, weil sie sich auf die Tatsache stützt, dass die deutsche Revolution abgewürgt wurde.

Trotzkismus und Maoismus

Trotzki knüpfte an diesen Erfahrungen an, als er die Theorie der Permanenten Revolution vervollständigt hat. Entgegen der maoistischen Drei-Welten-Theorie geht Trotzki nicht davon aus, dass die Revolutionen zunächst unbedingt in den (halb-)kolonialisierten oder abhängigen Ländern beginnen muss. Sie könnte auch in einem imperialistischen Land beginnen. Im imperialistischen Stadium der Weltwirtschaft sind die objektiven Bedingungen für die sozialistische Revolution überreif. Trotzkis Verständnis von der Weltwirtschaft besteht nicht darin, sie als eine Summe nationaler Teile zu betrachten, sondern als eine Realität, die durch internationale Arbeitsteilung und den Weltmarkt geschaffen wurde und in der gegenwärtigen Epoche über die nationalen Märkte herrscht

Es besteht allerdings die strategische Notwendigkeit der proletarischen Revolutionen in den imperialistischen Ländern. Trotzki erklärt mit der Theorie der Permanenten Revolution, dass die sozialistische Revolution unter der Führung der Arbeiter*innenklasse, mit Unterstützung des Bauerntums und der unterdrückten Völker, durch die kombinierte Struktur der Weltwirtschaft möglich ist. Wenn die Revolution in einem rückständigen Land angefangen hat, ist sie auf den technischen und produktiven Fortschritt der Arbeiter*innenklasse in den imperialistischen Ländern angewiesen.

Der Maoismus vertrat mit der Drei-Welten-Theorie dagegen die Ansicht, dass die Länder der “Ersten Welt” nicht aus eigenem Antrieb zur sozialistischen Revolution kommen können. Die Revolution müsse also in der „Dritten Welt“ – den kolonialen und halbkolonialen Ländern – beginnen. Daher wurden die Kämpfe um koloniale Befreiung als Motor der Revolutionen bezeichnet. Wir dürfen nicht unkritisch gegenüber dieser Revision der marxistischen Theorie bleiben.

Wiederholung der K-Gruppen-Fehler

Über die antikoloniale Bewegung spricht Kofi Shakur ohne jegliche Kritik. Selbst einen bürgerlichen Politiker wie Nelson Mandela traut er sich nicht zu kritisieren, sondern verschiebt die Kritik, die er irgendwie hätte. Patrice Lumumba und Thomas Sankara kommen als Befreiungskämpfer vor. „Revolutionär“ wird so eine rein subjektivistische, eine persönliche Eigenschaft.

Thomas Sankara war ein antikolonialer Kämpfer ohne proletarisches Programm. Ein Militär mit linken Ideen, der mit Mitteln des Putschs die Macht eroberte, die Gewerkschaften verbot und einen kleinbürgerlichen Nationalismus predigte. Die Enteignung des Privateigentums in den Händen des Proletariats kommt bei ihm nicht vor. Sich auf ihn zu berufen bedeutet auch Öcalan, Mao, Castro, Morales oder selbst Gaddafi zu Figuren der revolutionären Bewegung zu erklären. Aber das ermöglicht uns keinen Dialog, um über ein proletarisches Programm zu diskutieren, sondern macht uns zu Opportunist*innen, die sich der bürgerlichen und kleinbürgerlichen Führung von antikolonialen Kämpfen unterwerfen. Diese Tradition haben schon die K-Gruppen in den 1970er Jahren durchgemacht und landeten bei den Grünen.

So gerät Kofi Shakur in eine kleinbürgerlich-nationalistische Logik, eben weil er auf die Theorie der Permanenten Revolution verzichtet: Es geht also nur um den Westen, wo er die Entwicklungshilfe kritisiert. Er macht eine Kritik der „Kompradorenbourgeoisie“, ohne dabei den Begriff zu verwenden. Wenn er von Venezuela spricht, spricht er von Guaidó, weil es eben einfacher ist, ihn zu entlarven. Die linken Bonaparten Chávez und Maduro kommen hingegen nicht vor. Kofi spricht von der Möglichkeit eines gerechten Handels, mittels Industrialisierung, für Afrika, ohne dabei auf den sozialen Inhalt einzugehen, welche Klasse die Triebkraft davon sein sollte.

In den Schriften von Mao in den 1920er Jahren taucht der Begriff „Kompradorenbourgeoisie“ auf, die als Vasallin der internationalen Bourgeoisie bezeichnet wird. Diese Schicht wurde als reaktionärste in China bezeichnet, die die Entwicklung der Produktionsverhältnisse hemmt. Politisch nutzte Mao diese Definition, um eine Trennung zwischen nationaler Bourgeoisie und Kompradorenbourgeoisie zu machen, was in seine Doktrin vom Vier-Klassen-Block passte: Arbeiter*innen, Bauerntum, Kleinbürgertum und patriotische nationale Bourgeoisie. Es stand nicht mehr Klasse gegen Klasse in der Strategie, sondern die nationale Einheit gegen den Imperialismus.

Wir erinnern uns noch daran, als Kofi 2015 in seinem Aufsatz auf Klasse Gegen Klasse hervorhob, dass die Permanente Revolution gültig ist:

Sie behält auch heute noch ihre Gültigkeit in den halbkolonialen Ländern nicht nur in Bezug auf die demokratische, sondern auch auf die nationale Frage und die Befreiung vom imperialistischen Joch.

Das scheint aber nicht mehr den Ausgangspunkt seiner politischen Überlegungen zu bilden.

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