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Marxist*innen und die „Einstaatenlösung“

27.04.2016, Lesezeit 7 Min.
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Eine linke Gruppe aus Berlin fordert, es solle nur einen Staat im historischen Palästina geben, mit gleichen Rechten für alle dort lebenden Menschen. "Antisemitismus!" rufen Jutta Ditfurth, AfD, CDU und Junge Freiheit unisono. Was ist von dieser "Einstaatenlösung" zu halten? Eine marxistische Kritik.

Jedes Jahr hetzt die bürgerliche Presse gegen den revolutionären 1. Mai in Berlin. Aber dieses Jahr haben sie ein neues Schlagwort dafür: „Antisemitismus!“ Berliner Zeitung, B.Z. und auch Junge Freiheit berufen sich bei diesem ungeheuren Vorwurf auf Jutta Ditfurth. Doch alle machen sich gar nicht die Mühe zu erklären, worin dieser Antisemitismus bestehen soll. Es geht einzig und allein um die Teilnahme der Gruppe FOR Palestine, die schon im Namen „For One State and Return in Palestine“ eintritt.

Die Gruppe tritt für einen einzigen Staat im historischen Palästina ein, in dem alle Menschen – unabhängig von Herkunft oder Religion – gleichberechtigt leben können. Die Idee einer „Einstaatenlösung“ war vor einigen Jahrzehnten nicht nur bei der PLO, sondern auch bei Linksradikalen in Israel und weltweit selbstverständlich. Erst in den 1990er Jahren verbreitete sich als Alternative die „Zweistaatenlösung“.

Nun, welche Bilanz lässt sich aus der Kampagne für zwei Staaten (also für einen unabhängigen palästinensischen Staat neben dem israelischen) ziehen? Mehr als 20 Jahre nach dem Osloer Abkommen sind die Palästinenser*innen noch weiter ins Elend gestürzt worden, während die israelische Gesellschaft unaufhaltsam nach rechts schreitet. Ein Ende der seit fast 50 Jahren anhaltenden Besatzung im Westjordanland ist nicht in Sicht. Im Gegenteil: Durch den Ausbau israelischer Siedlungen dort können selbst die glühendsten Verfechter*innen der „Zweistaatenlösung“ (nämlich Diplomat*innen der imperialistischen Staaten) nicht erklären, wo ein palästinensischer Staat überhaupt entstehen könnte.

Vor dem Hintergrund wird die „Einstaatenlösung“ wieder populärer. Neben FOR Palestine tritt z.B. auch der israelische Historiker Ilan Pappé dafür ein. Der ehemalige israelische Premierminister Ehud Olmert bezeichnete es als größte Bedrohung für den Staat Israel, wenn sich die Palästinenser*innen von der Zielsetzung einer Staatsgründung hin zu „einem Kampf für gleiche Wahlrechte“ wenden würden. „Ein Mensch, eine Stimme“ – also das Grundprinzip der bürgerlichen Demokratie – würde in den Augen dieses rechten Politikers „das Ende des Staates Israel“ bedeuten. Kein Wunder, dass die bürgerliche Presse – mit Hilfe von Ditfurth – schreiend gegen diese demokratische Perspektive hetzen.

Der eine Staat existiert bereits. Millionen Palästinenser*innen leben unter der Herrschaft des israelischen Staates. Sollten sie nicht demokratische Rechte genießen? Diese Forderung „antisemitisch“ zu nennen, ist eine Schmähung. Sollte die Partei MAPAM, zweitgrößte Partei bei den ersten Wahlen zur Knesset 1948, „antisemitisch“ gewesen sein? Die israelische sozialistische Organisation Matzpen, die 1967 gegen Krieg protestierte? Der Allgemeine Jüdische Arbeiterbund? Und auch die radikale Linke in Israel heute?

Marxistische Kritik

Doch als Marxist*innen stehen wir der „Einstaatenlösung“ kritisch gegenüber – und zwar von links. Demokratische Forderungen unterstützen wir immer. Doch dabei fragen wir: Welches Subjekt kann die Forderungen erkämpfen?

Für Ilan Pappé zum Beispiel ist die „Einstaatenlösung“ mehr oder weniger ein bürgerliches Reformprojekt. Er meint, Israelis und Palästinenser*innen müssen mehr miteinander reden – dann wird das irgendwie klappen. Doch Pappé ignoriert, dass sich die jeweiligen Eliten mit den brutalen Verhältnissen – permanenter Krieg, Besatzung und Hass – perfekt eingerichtet haben. Nicht nur die herrschende Klasse Israels, sondern auch die palästinensische Führung braucht den Konflikt: Die rechten Regierungen auf beiden Seiten der „Grünen Linie“ könnten keine 30 Sekunden lang ohne den Kriegszustand überleben.

Eine tiefgehende politische Veränderung, wie Pappé sie vorschwebt, braucht auch ein politisches Subjekt. Für uns als Marxist*innen kann das nur die Arbeiter*innenklasse sein, die als eigentumslose und „universelle Klasse“ (Marx) alle Unterdrückten im Kampf gegen den Kapitalismus vereinigen kann. Im spezifischen Kontext Israels bedeutet das: Die israelische und auch die palästinensische Bourgeoisien müssen gestürzt werden, um demokratische Verhältnisse zu erkämpfen. Um zu einem Staat mit gleichen Rechten für alle zu kommen, muss sich das Proletariat in allen Ländern der Region als unabhängige politische Kraft konstituieren.

Aber was würde „Demokratie“ bedeuten, wenn die tiefen sozialen Unterschiede zwischen Israelis und Palästinenser*innen – und die noch größeren Unterschiede innerhalb beider Gruppen – bestehen bleiben? Dann hätten wir ein System wie im heutigen Südafrika, wo die Befreiung vom Apartheid-System nur dazu geführt hat, dass einige schwarze Politiker*innen unvorstellbares Reichtum an sich reißen konnten, während die Massen in Armut bleiben. In Palästina ist der Aufbau einer gemeinsamen demokratischen Gesellschaft – auch mit den palästinensischen Flüchtlingen – ohne tiefgehende Eingriffe ins das Eigentumsrecht unmöglich.

Räterepublik

Kurz: Nur auf sozialistischer Grundlage kann die Einstaatenlösung zu Fleisch und Blut werden.

Bürgerlich denkende Menschen werden hier einwenden, dass der Hass zwischen den Menschen in der Region „zu tief sitzt“, um irgendwann gemeinsam leben zu können. Doch Aktivist*innen vor Ort berichten immer wieder, wie reaktionäre Vorurteile im Rahmen von gemeinsamen Kämpfen erstaunlich schnell verschwinden.

Nur eine gemeinsame Räterepublik im historischen Palästina wird wirkliche Gleichberechtigung und dauerhaften Frieden bringen. Aber ein solcher Versuch kann nicht auf ein kleines Land beschränkt werden, sondern wird nur im Rahmen einer sozialistischen Föderation des Nahen Ostens erfolgreich sind.

In diesem – und nur in diesem – Sinne kritisieren wir FOR Berlin: Weil ihr Programm auf der demokratischen Ebene stehen bleibt, ohne die soziale Frage, die Klassenfrage, die Herrschaft des Kapitals anzusprechen. Aber sie als „antisemitisch“ abzustempeln, ist die reine Schmähung.

Nachtrag

Es würde den Rahmen dieses kurzen Artikels sprengen, um auf die verschiedenen Positionen in der marxistischen Linken einzugehen. Hier sei nur kurz erwähnt, dass die Gruppe Marx21 die gleiche Position vertritt wie Ilan Pappé: Ein „gemeinsamer, weltlicher und demokratischer Staat“ – auf kapitalistischer Grundlage. Dafür wird sie von der SAV kritisiert. Doch die SAV macht den umgekehrten Fehler und fordert eine „sozialistische“ Zwei-Staaten-Lösung. Das Problem damit ist nicht nur geographischer Natur – ist das „sozialistische“ Palästina nicht schlicht zu klein? – sondern auch strategisch: Wie soll der Sozialismus in der Region ohne einen gemeinsamen revolutionären Kampf von israelischen und palästinensischen zu Stande kommen? Diese Position hat RIO kritisiert.

Auszug aus unserem Programm


Der Kampf des palästinensischen Volkes gegen die Unterdrückung des zionistischen Staates ist unlöslicher Teil der Prozesse in der arabischen Welt. Wir RevolutionärInnen verteidigen das Recht des palästinensischen Volkes auf nationale Selbstbestimmung, das vom Imperialismus und dem zionistischen Staat abgelehnt wird. Der Staat Israel behandelt die arabische Minderheit in Israel als StaatsbürgerInnen zweiter Klasse und stellt sich schnaubend dem Recht auf Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge entgegen, weil dies objektiv den exklusiv jüdischen – und rassistischen – Charakter des zionistischen Staats in Frage stellt. Aus diesem Grund verteidigen wir das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge, die durch die zionistische Kolonisierung und deren Kontinuität unter der militärischen Besetzung und der Ausdehnung der Siedlungen vertrieben wurden. Gegen die falsche Zwei-Staaten-Lösung und die reaktionäre Strategie der islamischen Führungen, die einen theokratischen Staat zu etablieren suchen, kämpfen wir für die Zerschlagung des Staates Israel als proimperialistische und koloniale Enklave und für einen einheitlichen palästinensischen Staat auf dem gesamten historischen Territorium: ein sozialistisches Palästina der ArbeiterInnen, wo AraberInnen und Juden/Jüdinnen in Frieden zusammenleben können.

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