„Männerwelten“ – Dauerausstellung? Feminismus statt Pessimismus!

16.05.2020, Lesezeit 9 Min.
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Wer es nicht im Fernsehen gesehen hat, hat es spätestens am Donnerstag überall auf Social Media gesehen: Die 15 Minuten Sendezeit, die Joko und Klaas gewonnen haben, die sie dem Thema sexualisierter Gewalt gegen Frauen widmen. Für viele, vor allem Frauen, ist der Inhalt dieses Videos allerdings nichts Neues, doch reagieren viele geschockt.

Die Kontroversen um das Video kennen die meisten inzwischen genauso. Dass eine 15-minütige Sendezeit zu dem Thema gewonnen werden muss, dass Joko und Klaas selber keine reine Weste in Bezug auf das Thema Sexismus haben, dass scheinbar nur Cis-Frauen und kaum nicht-weiße Frauen gezeigt werden, und dass es in Kooperation mit der Organisation Terre des Femmes entstanden ist, die unter anderem für Anti-Muslimische und Anti-Trans Bemerkungen bekannt ist. All das ist mindestens fragwürdig und hätte besser laufen können. Aber es ist ProSieben und es sollte auch nicht der Fokus der Diskussion sein, die dieses Video auslöst.

Kleine Mädchen lernen sich von fremden Männern fernzuhalten, jede junge Frau weiß, wie es ist mit dem Schlüssel in der Faust nachts nach Hause zu laufen, wir alle kennen die Panik alleine im Park und die Angst vor dem, was eben auch passieren kann.

Nach einem „witzig“ zusammen gebastelten Intro und einer ironisch wirkenden Triggerwarnung beginnt Sophie Passmann ihre Führung durch die „einmalige Ausstellung“ Männerwelten. Zu Beginn zeigt Palina Rojinski eine Sammlung von dick pics. Bilder vom männlichen Genital empfangen nicht nur Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, ungefragt. Kaum eine Frau, die Social Media hat, wird noch nie ein solches Bild bekommen haben, für einige ist es inzwischen nichts besonderes mehr.

Chatverläufe, wie sie Collien Ulmen-Fernandes und Katrin Bauerfeind vorlesen, sieht man auf Social Media Seiten inzwischen als Witze, ganz in der Logik: „Haha, guckt mal, was der geschrieben hat, wie blöd von dem“. Der Zynismus über diese Austausche ist meistens genauso vertreten wie die tatsächliche Empörung darüber.

So könnte man fast jeden Aspekt dieses Videos aufschlüsseln. Alles ist schockierend, doch letztendlich ist das wenigste überraschend oder neu, jedenfalls nicht wenn man eine Frau ist. Genauso könnte der Artikel sich damit beschäftigen, wie frustrierend es ist, dass dies passiert. Er könnte eine tiefere Analyse anstellen, warum außer Sophie Passmann alle einen Blazer getragen haben, ein modegeschichtlich gesehen männliches Kleidungsstück. Oder vertiefen, wie falsch es ist, dass Vergewaltigungsopfer meistens gefragt werden, was sie trugen, oder ob sie betrunken waren.

Stattdessen widmet sich dieser Artikel der Frage, warum es diese Probleme heute noch gibt und wie wir unsere Frustration, Trauer, Wut und all die Emotionen in eine gewaltige Kampfkraft verwandeln können, um gemeinsam gegen das Patriarchat zu kämpfen.

Die Gründe und die beeinflussenden Faktoren für Sexismus und sexualisierte Gewalt sind vielfältig. Eine Begründung, die man oft hört, ist, dass die Stellung der Frau einfach lange eine andere war, dass Frauen unterworfen wurden und dass trotz der Emanzipation und des Aufschwungs der feministischen Bewegung, einige Denkweisen einfach länger brauchen, um sich auszuschleichen. Diese Logik rechtfertigt dann Aussagen wie: „Wahrscheinlich müssen wir noch eine Weile ertragen, dass diese Scheiße stattfindet, wir müssen sie aber nicht akzeptieren. Wir können diese Dinge thematisieren, in die Öffentlichkeit tragen und zur Anzeige bringen“, wie die Moderatorin in ihren abschließenden Worten sagt. Aber müssen wir wirklich sexualisierte Gewalt ertragen?

An den Fällen, die in der Sendung gezeigt werden, sehen wir, dass sie weder vereinzelt, noch individuell sind. Wo liegt also das Problem?

Es werden unterschiedlichste Erfahrungen gezeigt, die aber in ihrer Summe alle den gleichen Ursprung haben. Sexismus ist ein System, was noch vor unserer Geburt beginnt, wenn der*die Ärzt*in sagt, es ist ein Mädchen oder ein Junge und damit die ganze Gesellschaft Vorstellungen über unsere vermeintlichen Lieblingsfarben und Hobbys hat. Gleichzeitig entscheidet sich auch, wer später durchschnittlich 21 Prozent weniger Lohn erhält. Sexismus trennt uns in unseren Rollenbildern, vermittelt Jungs und Männern, dass sie stark und überlegen sein müssen, und dass Frauen hübsch, liebevoll und schwach sein sollen. Für Menschen, die sich in diesen cis geschlechtlichen Rollenbildern nicht wiederfinden, bedeutet Sexismus, dass ihnen ihre Existenz und Selbstbestimmung abgesprochen wird. Sexismus ist eng verbunden mit der damit einhergehenden Gewalt, die sich nicht nur in ihren extremsten Formen, wie Vergewaltigungen und Feminiziden zeigt, sondern auch verbunden ist mit „dem Lächerlichmachen, dem Verdacht und der Kontrolle, der Einschüchterung, der Verurteilung der Sexualität und der Verhaltensweisen, die sich nicht der heterosexuellen Norm anpassen“. Sie zeigt sich sowohl „in der Abwertung der Körper, die nicht den klassischen Schönheitsidealen entsprechen, ebenso wie im Abtreibungsverbot durch den Staat“ oder durch schlechte Löhne, die doppelte Arbeit (für Lohn und im Haushalt) und Armut. All dies ist Teil einer Kette der Gewalt.

Teil des Problems ist es, dass diese Erfahrungen individualisiert werden, also wir das Gefühl haben mit unseren Erfahrungen allein zu sein, und auch die Täter individualisiert gesehen werden, als „kleine Internethelden“, „Feiglinge“ oder „Opfer“, bei denen die „normalen Männer auch nur den Kopf schütteln“, wie es in den Kommentaren unter dem Video heißt. Die Logik der Individualisierung des Problems schlägt vor, dass durch mehr Bewusstsein und durch Vertrauen in den Staat und die Gerichte Sexismus besiegt werden kann. Doch Sexismus geht über die individuellen Beziehungen hinaus.

Die Wurzeln des Sexismus gehen viel tiefer und finden ihren gesellschaftlichen Ursprung in der patriarchalen Ordnung. Dies beschreibt eine gesellschaftliche Ordnung, in der bestimmte Männer eine Vormachtstellung haben, basierend auf einer geschlechtlichen Arbeitsteilung, in der Frauen bestimmte Tätigkeiten zugewiesen werden. In der Geschichte bedeutete dies, dass besitzende Männer, beziehungsweise Väter, alleine entschieden haben, wie Güter verteilt wurden, welche sexuellen Beziehungen geführt wurden und welche inner- und außerfamiliären Kontakte zu pflegen seien. Heute ist das verbunden mit dem gesamten System, in dem wir leben: Patriarchale Strukturen werden vom Kapitalismus benutzt und am Leben erhalten. Das kapitalistische System braucht die Unterdrückung der Frau – es braucht die un- oder schlecht bezahlte Arbeit in Pflege und Fürsorge, beispielsweise im Haushalt oder im Krankenhaus. Durch die Corona-Krise ist diese Tatsache nur noch klarer ersichtlich geworden. Die Rollenbilder die Frauen aufgezwungen werden, die Selbstverständlichkeit mit der Frauen Care-Arbeit leisten sind für den Kapitalismus unabdingbar. Während Frauen zuhause bleiben müssen steigt die Gefahr von sexualisierter Gewalt. Dabei sind es nicht allgemein Männer, die von dieser Arbeit profitieren, sondern die Kapitalist*innen. Denn Frauen machen mit ihrer Arbeit möglich, dass Arbeiter*innen aller Geschlechter jeden Tag die Gewinne des Kapitalismus produzieren.

Sexismus ist kein Problem, das alleinig durch weitere Aufklärung gelöst werden kann

Es ist ein Kampf auf mehreren Ebenen. Einerseits müssen wir allen Frauen, denen sexualisierte Gewalt widerfährt, die Hilfe anbieten, die sie brauchen. Das beginnt im Kleinen. Wenn jemand einen blöden Kommentar macht, macht ihn oder sie darauf aufmerksam. Wenn ihr mitbekommt, dass sich eine Frau in einer unangenehmen Situation befindet, sprecht sie an. Dies kann zwar einige Überwindung kosten, doch in vielen Fällen eine große Hilfe sein.

Andererseits dürfen wir nicht nur die Symptome bekämpfen, sondern die gesamte Krankheit. Der Kampf muss ein kollektiver Kampf sein. Er betrifft nicht nur Cis-Frauen, wie Joko und Klaas es vielleicht dargestellt haben, er betrifft auch LBTQI+, nicht-weiße Frauen, Frauen mit Behinderungen. Er betrifft alle, die unsichtbar und klein gemacht werden, alle die, die unterdrückt werden.

Doch nicht nur Frauen, sondern auch Männer müssen kämpfen. Denn letztlich dient der Sexismus dazu, die Frauen der Arbeiter*innenklasse von den Männern ihrer eigenen Klasse zu trennen und den Kapitalismus, der die gesamte Klasse ausbeutet, aufrechtzuerhalten. Der Kampf gegen die Unterdrückung muss sich deshalb zwangsläufig gegen den Kapitalismus selbst richten. Er muss gestürzt werden, damit dem Sexismus die materielle Basis entzogen wird, die in der geschlechtlichen Arbeitsteilung, der Abwertung der Reproduktionsarbeit und der Spaltung wurzelt. Für uns besteht die einzige Möglichkeit, den Kapitalismus zu stürzen, darin, dass diejenigen, die Tag für Tag dieses System mit ihrer Arbeit aufrechterhalten – die gesamte Arbeiter*innenklasse – sich organisieren, die zentralen Schalthebel der Wirtschaft lahmlegen, und die Kapitalist*innen und ihren Staat stürzen. Unsere Strategie im Kampf gegen den Sexismus ist also antikapitalistisch und stützt sich darauf, dass die Arbeiter*innenklasse ihn anführt – und damit ist es ein Kampf von allen Geschlechtern unserer Klasse gemeinsam.

Frauen können der Funke sein, der die Flamme entfacht. Eine Flamme, die die Kraft der Arbeiter*innenklasse entfesselt und alle mitreißt im Kampf gegen die Ausbeutung und Unterdrückung. Dafür können wir unsere Stimme erheben – und verstärken.

KlassegegenKlasse ist Teil eines internationalen Zeitungs-Netzwerks, an dem alle mitwirken können, die ihre Erfahrungen, Fragen und Perspektiven teilen wollen. Für alle, die Visionen entwickeln wollen, wie wir die Ursachen all dieser Probleme wirklich überwinden können. Bei KlassegegenKlasse muss man Sendezeit nicht erst gewinnen, um über strukturelle Ungleichheit zu sprechen. Auf der ganzen Welt kämpfen wir gegen Sexismus, kämpfen wir in den Krankenhäusern für bessere Arbeitsbedingungen, fordern wirkostenlose und gute Kinderbetreuung für alle. Wir setzen all unsere Energie in den Aufbau einer Kraft ein, die durch den Sturz des Kapitalismus die Grundlage für das Ende aller patriarchalen Gewalt schafft.

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