Ihr wollt hören, dass wir die Hamas hassen …

27.10.2023, Lesezeit 25 Min.
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Symbolbild aus München. Foto: Baki / Klasse Gegen Klasse

Die linksliberale Tageszeitung taz verbreitet auf ihrer Website die Legende, wir wären Teil der „linken Freunde der Islamisten“. Diese Unterstellung entspricht nicht der Wahrheit. Über unsere Position zum palästinensischen Widerstand, der Hamas, dem israelischen Regime und dem deutschen Zynismus.

In den vergangenen Tagen wurden wir, Klasse gegen Klasse, von allen möglichen Seiten angegriffen. Während die üblichen zionistischen Antideutschen, Reformist:innen und alle möglichen kleinbürgerlichen Philister:innen Lügen verbreiten, wir würden die Hamas supporten, unterstellte uns sogar die taz, wir würden die Gewalt der Hamas als palästinensischen Widerstand „verharmlosen“.

Als vermeintlichen Beweis dafür führt die taz eine aus dem Zusammenhang gerissene Überschrift, die zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung fünf Tage alt ist, an. Dort sprechen wir vom „palästinensischen Widerstand“ um deutlich zu machen, dass der Widerstand in Palästina eben nicht nur aus Hamas und der Islamischer Jihad besteht, sondern auch aus unabhängigen Gruppen. Als weitere „Argumente” führt die taz an, dass wir die israelischen Bomben, sowie die Repression in Deutschland, verurteilen: „Zugleich wird empört gegen das ‚ungeheuerliche Ausmaß‘ der israelischen Gegenoffensive gewettert sowie gegen die Repression der Palästina-Solidarität hierzulande.“ Eine Erklärung dafür liefert die Redakteurin Susanne Memarnia nicht. Die haltlose Unterstellung wird einfach in den Raum gestellt. Dabei hätte eine einfache Suche auf unserer Website – ein Mindestmaß an journalistischer Fertigkeit, das diese Journalistin weit verfehlt hat – gereicht, um unsere Position herauszufinden. Drei Tage vor Veröffentlichung des taz-Artikels schrieben wir in der Erklärung unserer internationalen Strömung schon in der Einleitung: „Wir teilen weder die Strategie noch die Methoden der Hamas“. Im Laufe der Erklärung gehen wir weiter darauf ein. Auch über das Ausmaß des Angriffs schweigt sie und polemisiert gegen unsere Verurteilung des Bombardements. Dass die israelische Luftwaffe innerhalb der ersten Woche nach dem Angriff der Hamas über 6.000 Bomben und 2.000 Geschosse, auf 8.000 Ziele in Gaza – darunter Krankenhäuser, Flüchtlingsschulen und -unterkünfte, Wohngebäude – geworfen hat, scheint die Redakteurin nicht zu interessieren. Mittlerweile wurden über 3.000 Kinder getötet und selbst die UN kritisiert Israel scharf. Das eigentliche Problem scheint hier zu sein, dass wir den palästinensischen Widerstand unterstützen. Wir machen kein Geheimnis daraus: In einem Kampf des nackten Überlebens gegenüber des viel mächtigeren israelischen Unterdrückers, sehen wir die Notwedigkeit der Palästinenser:innen darin, sich politisch und militärisch gegen diese Barbarei zu wehren und zu siegen.

Wir fordern deshalb von der taz und ihrer Redakteurin Susanne Memarnia eine Richtigstellung ihrer Fehldarstellung unserer Position. Auch wenn wir uns keine großen Illusionen machen, dass sie von ihrer Strohmann-Argumentation abrückt, wollen wir die Gelegenheit dieses unsachlichen Angriffs nutzen, um die Debatte zur Befreiung Palästinas und zur Hamas zu vertiefen. Das gilt auch für all diejenigen, die uns in der Regel hauptsächlich auf Instagram folgen und denen wir unsere Position dank Löschungen, Zensur und Shadowban nicht so einfach wie üblich zugänglich machen können.

Die imperialistische Moral und unsere

Der aktuelle Druck, sich moralisch von der Hamas zu distanzieren, ist in der deutschen Linken enorm. Die LINKE hat zusammen mit der Ampel-Regierung, der Union und der AfD für ein Verbot palästinensischer Organisationen gestimmt. Die Bundestagsfraktion stimmte, im Zuge der Einschränkung der Demonstrationsfreiheit, kritiklos der Abschiebungspolitik der Bundesregierung zu. Bis auf wenige kritische Stimme passen sich große Teile der gesamten Linken – inklusive der sogenannten radikalen Linken – diesem Diskurs an. Dahinter steckt die Illusionen, dass der deutsche Imperialismus fortschrittlich agieren kann. Man kann Israel aktuell nur unterstützen, wenn man überzeugt ist, dass der deutsche Militarismus Jüd:innen irgendwie schützen könne oder „feministisch“ sein könne. Gerechtfertigt wird diese Unterordnung unter den Imperialismus mit einem Schwall an Moralismus. Im Gegensatz dazu stehen wir konsequent auf der Seite Palästinas. Sind wir also doch „Freunde der Islamisten“ wie die taz schreibt?

Auch wenn die Befreiung der Arbeiter:innen nur das Werk der Arbeiter:innen selbst sein kann, liegt uns eine Idealisierung der Massen fern. Nicht jede Tat, die unter dem Deckmantel des Interesse der Massen begangen wird, entspricht unserer Strategie. Unsere Erklärung, so aus dem Zusammenhang zu reißen, wir wären „Freunde der Islamisten“, entspricht nicht unserer Position. In den frühen Morgenstunden des Samstags, 7. Oktober, führten die Milizen der Hamas, die den Gazastreifen regieren, den größten bewaffneten Angriff auf israelisches Gebiet. Im Zuge der Militäroperation wurden rund hundert Geiseln genommen und es gab etwa tausend Tote, darunter Hunderte von jungen Leuten, die auf einem Festival waren, Familien, die in einem Kibbuz lebten, und andere, die keine militärische Funktion hatten.

Selbstverständlich lehnen wir dieses verbrecherische Massaker durch die Hamas in der Negev Wüste ab, bei der über 260 Festivalbesucher:innen grausam durch die Hamas ermordet wurden. Das Massaker ist grausam und kann nicht einfach als anti-koloniale Gewalt abgetan werden. Wir lehnen trotzdem die Kampagne der imperialistischen Regierungen und der Presse ab, die den legitimen palästinensischen Widerstand und die Taten der Hamas gleichstellen will. Sie vernebelt bewusst den Unterschied zwischen der reaktionären Führung und dem berechtigten Interesse der Basis, um die laufenden und wahrscheinlich kommenden Kriegsverbrechen Israels rechtfertigen zu können. Für uns als Marxist:innen gilt: Die Ursache dieser brutalen Gewalt ist der unterdrückerische israelische Staat und sein Apartheidregime.

Die Taten einer hochtechnologisierten Atommacht mit denen eines Volkes, dass ihr gesamtes Leben lang mit Füßen getreten, kolonisiert, unterjocht, enteignet, vergewaltigt, gepeinigt, vertrieben, menschliche Tiere genannt und in Massen ermordet wurde, kann nicht gleichgesetzt werden. Der palästinensische Befreiungskampf ist in den letzten Jahren noch isolierter geworden: der zionistische Terror nimmt immer mehr zu – Vertreibungen, Razzien durch die Besatzungsarmee, Hausdurchsuchungen, Attacken auf palästinensische Zivilisten durch Siedler:innen haben zum blutigsten Jahr seit mehreren Jahrzehnten in der Westbank geführt. Die korrupte Autonomiebehörde schaut zu und sieht, wie die Bevölkerung immer mehr verarmt. Dass Teile dieses Volkes sich von der reaktionären Ideologie der Hamas in die Verzweiflung führen lassen, angesichts der Schwächen der Linken und der Vorherrschaft Israels, ist leider wenig verwunderlich. Dazu später mehr.

Für uns als Marxist:innen hat jede Moral einen konkreten Klasseninhalt. Sie ist nichts, was als ein höheres Gut über der Gesellschaft steht. Unser Ziel ist es nicht, uns, wie die Linksliberalen, vermeintlich moralisch überlegen zurückzulehnen. Der sozialistische Revolutionär Leo Trotzki, der immer wieder brutal antisemitisch angefeindet und verfolgt wurde, lehnte in „Ihre Moral und Unsere“ eine Gleichstellung zwischen Bourgeoisie und Proletariat und folglich zwischen Apartheidstaat und Halbkolonie ab. Vor dem Gericht der Moral, so schreibt er, sind „der Sklavenbesitzer, der durch List und Gewalt den Sklaven in Ketten hält, und der Sklave, der durch List oder Gewalt die Ketten zerbricht“ nicht gleich. Es ist falsch, „beide kriegführenden Lager“ mit dem gleichen Hass zu betrachten. Trotzki urteilte über die „demokratischen Moralisten“ anschließend: „Verständnislosigkeit gegenüber den großen historischen Bewegungen, eine verhärtete konservative Mentalität, selbstzufriedene Beschränktheit und primitivste politische Feigheit zeichnen die Propheten dieses Typus aus. Mehr als alles andere wünscht der Moralist, die Geschichte möge ihn mit seinen Büchlein, kleinen Zeitschriften, Abonnements, seinem gesunden Menschenverstand und seinen moralischen Schreibheften in Ruhe lassen. Aber die Geschichte läßt ihn nicht in Ruhe.“ Es ist folglich falsch, die Verbrechen Israels und der Hamas von ihrem politischen und sozialen Kontext zu trennen und dann beide Seiten gleichzustellen. Anstatt nur zu moralisieren, wollen wir dem Befreiungskampf eine alternative Strategie, gänzlich andere Methoden und Ziele als die der Hamas vorschlagen, um den Sieg gegen den Apartheidstaat zu erringen.

Während die Linksliberalen zwischen Humanismus und Imperialismus schwanken, ist die Position des deutschen Imperialismus unfassbar grausam und doppelzüngig: Die Krokodilstränen des deutschen Imperialismus, der einseitig die Taten der Hamas beweint, aber krasse Antisemiten wie Hubert Aiwanger ungestraft in der Landesregierung in Bayern herrschen lässt, sind uns fremd. Die Palästinenser:innen für die historische Schuld der deutschen Bourgeoisie bluten zu lassen, ist extrem zynisch. In diesem Sinne verurteilen wir auch die Repression durch die Polizei, sowie die Angriffe auf Meinungs-, Demonstrations- und Pressefreiheit aufs Schärfste. Auch die Gewerkschaftsführung, die sich, ohne Abstimmung an der Basis, bedingungslos mit Israel solidarisiert hat, passt sich dem Imperialismus an. Wir lehnen diese Doppelmoral entschieden ab.

Wir als Marxist:innen haben nicht – wie so oft behauptet – keine Moral, sondern auch eine Moral mit Klasseninhalt. Allerdings ist unser Klasseninhalt auf der anderen Seite als die Moral des Imperialismus. Wir stehen konsequent auf der Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Wir haben ein konkretes Ziel, für das wir bereit sind zu kämpfen und uns tagtäglich zu organisieren: Die Befreiung der gesamten Menschheit von der kapitalistischen Knechtschaft und von der reaktionären Unterdrückung, egal ob sie rassistisch, sexistisch, antisemitisch, behindertenfeindlich und so weiter ist. Diese Position schließt sowohl die Befreiung Palästinas, als auch den Kampf gegen den Antisemitismus ein.

In rein moralischen Kategorien über die eine oder andere Seite zu urteilen, bringt uns nicht ernsthaft weiter. Hassen und verurteilen können und müssen wir Vieles: Vom deutschen Imperialismus, der für zwei Weltkriege mitverantwortlich ist, über den israelischen Apartheidsstaat, der aktuell mit einem Genozid droht, bis hin zum fanatischen Massaker der Hamas. Die Frage, die wir uns stellen, ist jedoch nicht, wie distanziert man sich am besten von allem, was uns nicht passt, sondern: Welche materiellen Kräfte mit welchem Programm müssen wir aufbauen, um die reaktionären Führungen zu überwinden und den Kapitalismus zu stürzen. Allen Moralist:innen, die unsere Position in Verruf bringen wollen, sei gesagt: Ja, wir wollen auch die Hamas politisch bekämpfen und ihre Führung in Frage stellen, aber das verändert nichts daran, dass unser Platz an der Seite des palästinensischen Widerstands und der unterdrückten palästinensischen Massen ist. Um eine alternative Führung vorzuschlagen, müssen wir verstehen, wie die Hamas sich herausgebildet hat, wieso sie Rückhalt hat und welche Alternativen wir vorschlagen können. Diese Aufgabe stellt sich nicht nur in Palästina direkt, sondern auch in Deutschland.

Wieso ist die Hamas so stark?

Aktuell gibt es Illusionen in der Linken, es wäre eine Lösung die Hamas juristisch zu verbieten. Wie oben geschrieben, können wir den Willen zur Ablehnung der Hamas nachvollziehen. Das Problem ist aber nicht nur, dass die Hamas eine militante, religiös-fanatische Gruppe ist, sondern, dass sie einen gewissen Rückhalt in der Bevölkerung Palästinas hat. Schließlich war es unter anderem die Hamas, die die Grenzen des größten Freiluftgefängnisses der Welt – dem Gazastreifen – teilweise eingerissen hat. Das Einreißen der Grenzen stärkt die Illusionen in die Hamas, die wir – verbunden mit antisemitischem Hass – auf Demonstrationen, in Schulen und in unseren Kommentarspalten gesehen haben.

Um diese Illusionen besser zu verstehen, müssen wir uns mit der Geschichte der Hamas auseinandersetzen, welche während der ersten Intifada begann. Intifada steht für zwei palästinensische Aufstände gegen Israel, man kann es aus dem Arabischen mit „sich erheben“ übersetzen. In „Eine kurze Geschichte der Hamas“ schreibt Marx21 über den Kontext der ersten Intifada:

Der Ausbruch der Intifada im Dezember 1987 bedeutete den ersten allgemeinen Aufstand der Bevölkerung in den von Israel seit 1967 besetzten Gebieten. Erstmals war der Kampf gegen die Besatzung nicht beschränkt auf bewaffnete Gruppen wie die Fatah von Jassir Arafat. Die Bewegung erfasste die gesamte palästinensische Bevölkerung. Volkskomitees wurden zur Koordinierung der Proteste gegründet, Hunderttausende beteiligten sich an Demos und Blockaden, die palästinensischen Arbeiter:innen in Israel streikten.

Die erste Intifada verstärkte Israels Ängste und bekräftigte den Wunsch eine andere Führung der Palästinenser:innen zu haben, als eine linke-säkulare. Gleichzeitig geriet die Führung des Ablegers der ägyptischen Muslimbruderschaft – der Mujama al-Islamiya – unter Druck, was zur Gründung einer politischen Organisation führte: Der Ḥarakat al-Muqāwamah al-ʾIslāmiyyah (Hamas), was Islamische Widerstandsbewegung bedeutet. Die weltlichen Parteien der Palestine Liberation Organization (PLO) lehnten sie ab. Die Hamas wollte im Gegensatz zur PLO den nationalen Konflikt zu einem Religiösen machen.

Die Hamas wurde erst richtig stark, als die Linke den Widerstand verriet. Die Fatah, eine sozialdemokratische Strömung innerhalb der PLO, handelte eine „Prinzipienerklärung“ mit Israel aus und der Aufstand wurde beendet. Auch wenn es zuerst von den palästinensischen Massen begrüßt wurde, setzte Israel den Siedlungsbau fort, was zu einer riesigen Enttäuschung führte. Der Moment der Hamas war gekommen. Während säkulare-linke Gruppen im Kontext der bürgerlichen Restauration (Zerfall der Sowjetunion) zerschlagen oder stark geschwächt waren, schlossen sich an der Basis einige der Hamas an, die militärisch weiter kämpfte, während ihre Führung sich ihren Platz im Apartheidregime sicherte.

Die Höhepunkt der Macht der Hamas zeigte sich während den Wahlen Mitte der Nullerjahre: :

Bei den freien Wahlen im Jahr 2006gewann die Hamas die absolute Mehrheitim besetzten Palästina, also in Gaza und dem Westjordanland. Dieser Erfolg der Hamas war das Ergebnis der letzten zwölf Jahre seit der Unterzeichnung der Osloer Verträge. Die Verträge führten die Korruptheit der Fatah den Palästinenser:innen immer wieder vor Augen. Vor allem aber erwies sich der von Fatah propagierte Weg, über Verhandlungen zu einer Zweistaatenlösung zu kommen, die die Belange der Palästinenser:innen auch im Exil und in Jerusalem berücksichtigt, als Sackgasse. Die Hamas hingegen schien Erfolg gehabt zu haben. Ihrer Strategie des fortgesetzten Widerstands im Gazastreifen, trieb die Kosten der Besatzung so weit in die Höhe, dass die israelische Regierung 2005 die Siedler:innen aus Gaza abzog.

Israel reagierte mit einer Blockade, die sie über den Gazastreifen verhängte. Eine Maßnahme, die bis in die Gegenwart fortbesteht. Der Zwei-Staaten-Verrat durch die PLO wurde durch massiv beschleunigten Siedlungsbau im Westjordanland als Illusion entlarvt. Israel machte nie den Anschein einen palästinensischen Staat zulassen zu wollen.

Sowohl die Hamas-Eliten, als auch die Funktionär:innen der Fatah und der PLO sicherten sich in den Folgejahren Privilegien. Während die Massen in bitterer Armut lebten, konnten sie protzige Häuser bauen und teure Autos fahren. Oppositionelle Stimmen wurden von der Hamas brutal unterdrückt, Todesstrafen verhängt und eine islamistische Sittenordnung durchgesetzt. Beispielsweise lösten sie im November 2011 mit brutaler Gewalt das Jugendforum Sharek in Gaza auf. Die Jugendlichen richteten sich mit ihrem Manifest „Fuck Israel. Fuck Hamas. Fuck Fatah.“ sowohl gegen die israelische Besatzung als auch die verräterischen Führungen.

Israel hat einen guten Anteil am Aufstieg und dem Machterhalt der Hamas. Es war lange das erklärte Ziel der Likud-Regierung, die Hamas insoweit zu stärken, um die PLO zu untergraben. Laut dem Ex-Generalmajor Noam Tibon soll Netanjahu auf einem Parteitreffen 2019 gesagt haben: „Wer die Gründung eines palästinensischen Staates verhindern will, muss die Stärkung der Hamas und Geldtransfers an sie unterstützen.“ Diese Unterstützung wurde von Katar finanziert, wobei Israel dies duldete. Israel hoffte, dass die Finanzierung den Lebensstandard im Gazastreifen anheben und stabilisieren würde, was wiederum zu einer politischen Mäßigung der Bevölkerung führen könnte. Spätestens nach dem Massaker an dem Festival, wurde diese Hoffnung zerstört. Bis zum erneuten Ausbruch des Krieges war es ein ständig brodelnder Konflikt, der von der ständigen Besetzung von palästinensischem Land, Vertreibung und Unterdrückung geprägt war.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Hamas nur im Kontext der israelischen Besatzung, den Niederlagen der Intifada und der Korruption der Linken und Arbeiter:innenbewegung so stark werden konnte. Den Terrorismus der Hamas, sowie ihren Rückhalt in der Bevölkerung und ihren Sieg bei den letzten freien Wahlen können wir nur im Kontext der israelischen Besatzungs- und Kolonialpolitik verstehen. Der Kurs der Verhandlungen mit Israel und der Unterstützung einer Zwei-Staaten-Lösung war nicht nur in der Vergangenheit ein Fehler, er ist auch, angesichts der aktuellen militärischen Antwort Israels, unmöglich. Israel scheint den Gazastreifen nun auslöschen zu wollen.

Stoppt den Genozid im Gaza!

Die Grausamkeit der israelischen Offensive ist schwer in Worte zu fassen. Unsere Empörung über das „ungeheuerliche Ausmaß“, gegen das die taz polemisierte, wird der Lage fast nicht gerecht. Es ist etwas qualitativ anderes als die vergangenen Bombardements. Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant kündigte völlig offen einen Völkermord an:

Wir verhängen eine vollständige Belagerung über die Stadt Gaza. Es wird keinen Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, keinen Treibstoff geben; alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und wir handeln entsprechend.

Neben der Abschaltung der lebensnotwendigen Infrastruktur kündigte Israel einen Bodenangriff an. Im Statement erklärt der UNICEF-Sprecher James Elder: „1,1 Millionen Menschen – fast die Hälfte davon Kinder – wurden aufgerufen, ihr Zuhause zu verlassen, angesichts eines zu erwartenden Bodenangriffs auf eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt, in dem es jedoch für die Zivilbevölkerung keinen sicheren Ort gibt.“ Die Grenzen wurden schließlich geschlossen und bombardiert.

Während dieser humanitären Katastrophe, versicherte Bundeskanzler Olaf Scholz dem israelischen Präsident Netanjahu im Telefonat, „dass Deutschland angesichts dieses furchtbaren Angriffs fest und unverbrüchlich an der Seite Israels steht. Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson“. Trotz der Kriegsverbrechen Israels, reist der Kanzler am Dienstag nach Israel, um „die Solidarität mit Israel auch ganz praktisch mit meinem Besuch zum Ausdruck zu bringen“. Während er über die humanitäre Situation im Gazastreifen eiskalt schweigt, sorgt er für weitere Waffenlieferungen an Israel. Auch diplomatisch will er helfen.

Nieder mit der Besatzungsmacht: Für eine linke Alternative zu Zionismus und Antisemitismus!

Der Kampf gegen die israelische Militäroffensive ist scheinbar aussichtslos. Doch der Terrorismus und die Anpassung der Fatah sind nicht alternativlos. Wir wollen dem ein revolutionäres Programm entgegenstellen. Die Arbeiter:innenklasse kann den Krieg stoppen und an der Seite der palästinensischen und arabischen Massen kämpfen. Der Zionismus verschleiert den Klasseninhalt des Staates, er ist der chauvinistische Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Allerdings gibt es in der israelischen Arbeiter:innenklasse Teile, die durch den Zionismus durchaus unterdrückt werden und als Verbündete für den palästinensischen Befreiungskampf gewonnen werden können. Diese müssen aber zuerst mit dem Zionismus und seinen Organisationen brechen. Das Apartheitsregime korrumpiert die israelische Bevölkerung durch materielle Privilegien. Auf dem gleichen Staatsgebiet verdient ein:e israelische:r Arbeiter:in circa 35 Prozent mehr als palästinensische Arbeiter:innen. Israelis profitieren von besserer Infrastruktur, Erfüllung von Grundbedürfnissen wie dem nach Grundwasser, etc., während Palästina weggebombt wird. Israels Bevölkerung ist systematisch einer Ideologie ausgesetzt, ihr Hauptfeind wäre Palästina. Obwohl jeder Mensch in Israel ganz genau weiß, wie korrupt die Netanjahu-Regierung ist und die Palästinenser:innen – inklusive derer mit israelischem Pass – als Menschen zweiter Klasse behandelt werden, wurde die nationale Einheit im Kampf gegen die Hamas wiederhergestellt. Das zionistische Apartheidsregime basiert auf chauvinistischen Organisationen, reformistischen Vermittlungsinstanzen und der restriktiven Verfassung. Die israelischen Arbeiter:innen können sich von den Fesseln des Chauvinismus nur lösen, wenn sie ihre unabhängige Selbstorganisation vorantreiben.

Dabei ist es wichtig zu betonen: Die Gleichsetzung von Judentum und Zionismus ist zuallererst einmal faktisch falsch. In der bis zum zweiten Weltkrieg und dem Holocaust großen jüdischen Arbeiter:innenbewegung gab es immer eine große und einflussreiche antizionistische Strömung. Der Bund – eine sozialistische, antizionistische, jüdische Bewegung – hat erkannt, dass es notwendig ist, dass sich Unterdrückte zusammenschließen müssen, um gegen die Unterdrücker zu kämpfen. Für den Bund hat dies bedeutet, für den Sozialismus in Europa zu kämpfen, um so den grassierenden Antisemitismus zu besiegen und gegen die Idee, durch die Vertreibung von Palästinenser:innen einen zionistischen Staat zu errichten.

Auch um von der krassen Kritik an der Justizreform und der inneren Instabilität abzulenken, setzt Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf Krieg, bis zum Genozid. Die einzige Grenze schürt der Imperialismus, der den Nahen Osten nicht in ein noch größeres Pulverfass verwandeln will. Netanjahu schürt die nationale Einheit auf den Rücken der Unterdrückten und Ausgebeuteten. Wir müssen diese nationale Einheit zerstören und eine Einheit der Unterdrückten und Ausgebeuteten – die Einheit der israelischen Arbeiter:innenklasse und der palästinensischen und arabischen Massen – herstellen. Das bedeutet konkret, dass die Versorgung mit Wasser, Strom, Nahrung und Hilfsgütern unter Kontrolle der Arbeiter:innen gebracht werden, um sie kurz- und mittelfristig zu gewährleisten. Die Arbeiter:innen in Israel müssen streiken, um die Zulieferungen für die Israel Defense Forces (dt.: Israelische Verteidigungsstreitkräfte, kurz IDF) zu stoppen. In diesem Sinne unterstützten wir den Aufruf zu einem Generalstreik. Das israelische Proletariat muss dem IDF in den Rücken fallen, und den Palästinenser:innen das Recht zugestehen, die Angriffe des IDF militärisch abzuwehren.

Bis auf den allerletzten Punkt steht die Hamas in Opposition zu allen Vorschlägen, die wir hier beschreiben. Dies lässt sich nur dadurch erklären, dass sie in ihrem religiösen Fanatismus stur die Unterdrückten zu den Unterdrückern machen will, anstatt wie wir die Unterdrückung insgesamt zu bekämpfen. Doch Jüd:innen, Nicht-Gläubige und Muslim:innen sind keine Feinde. Die Bosse und die Besatzungsmacht, sowie die reaktionären Führungen sind es. Aktuell stellt sich die Hamas zwar an die Spitze der Bewegung, aber ihre Mittel sind nicht nur verbrecherisch, sondern auch total beschränkt in dem Ziel, die Besatzung zu beenden. Deshalb müssen wir als Sozialist:innen für eine gänzlich andere Strategie eintreten, die diese Elemente der Selbstorganisation und des proletarischen Internationalismus enthält. Dann werden sie nicht nur die Zäune einreißen, bis sie morgen wieder aufgebaut werden. Zusammen können sie dafür sorgen, dass sie offen bleiben und den Bombenterror stoppen.

Es liegt an der Linken, ein konkretes Programm zu entwerfen, wie wir die Besatzung beenden können. Es gibt die Illusionen in die Hamas aktuell, weil sie weiter militärisch gekämpft haben, als Fatah verhandelt hat. In der Erklärung unserer internationalen Strömung – der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale (FT) – schreiben wir dagegen:

Es braucht ein Bündnis mit den Arbeiter:innen, Jugendlichen und Frauen, die wie die iranische Jugend gerade im Nahen Osten aufstehen, um gegen den Gendarmenstaat Israel und den Imperialismus zu kämpfen. Um das Apartheidregime zu beenden, ist es notwendig, den zionistischen Staat Israel zu zerschlagen. Wir verteidigen das Recht auf nationale Selbstbestimmung des palästinensischen Volkes und kämpfen für ein sozialistisches Palästina der Arbeiter:innen im Rahmen einer sozialistischen Föderation im Nahen Osten. Denn nur ein Staat, der die Beendigung aller Unterdrückung, Ausbeutung und imperialistischen Reaktion zum Ziel hat, kann das Rückkehrrecht der palästinensischen Geflüchteten und ein demokratisches und friedliches Zusammenleben zwischen Araber:innen und Jüd:innen garantieren. Diese Aufgabe muss von der Arbeiter:innenklasse und den Bäuer:innen in der gesamten Region übernommen werden. Die Einheit der palästinensischen Massen und der arabischen Massen, deren Regierungen die Beziehungen zum zionistischen Staat normalisiert haben oder dies vorbereiten, ist auf diesem Weg zentral.

In Deutschland haben wir in diesem Kampf eine besondere Verantwortung. Nicht nur, weil Deutschland aktuell Waffen liefert, sondern ganz besonders auf Grund der Historie des deutschen Imperialismus.

Dieser zieht aus seiner Verantwortung für den Holocaust den Schluss, man müsse Israel unterstützen. Im Kampf gegen Antisemitismus können wir uns nicht auf den deutschen Imperialismus verlassen. Die Polizei ist durchsetzt mit extrem rechten Netzwerken, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund 2.0“ nennen. Hubert Aiwanger, der Auschwitz-Flugblätter verteilt hat, darf, trotz nichtmal halbherziger Distanzierung, in der Landesregierung bleiben. Auch in Deutschland steht antisemitische und rassistische Gewalt nach wie vor an der Tagesordnung. In Berlin wurde schrecklicherweise – in Tradition der Nationalsozialist:innen – jüdische Häuser mit dem sogenannten „Judenstern“ markiert. Im Kampf gegen Antisemitismus können wir uns nicht auf den Staat verlassen. Wir wollen ihm mit den Methoden unserer Klasse begegnen. Dafür müssen wir in den Gewerkschaften Komitees organisieren, um Synagogen und andere jüdische Einrichtungen zu schützen. Solche Komitees braucht es auch in Israel/Palästina, wo Jüd:innen, Muslime und Nicht-Gläubige zusammenkommen können, um nicht nur zusammen zu kämpfen, sondern in diesem gemeinsamen Kampf auch ihren rassistischen und antisemitischen Chauvinismus überwinden können. Wir sind überzeugt davon, dass die Selbstorganisation der Lohnabhängigen und Unterdrückten die einzige Perspektive ist, den Antisemitismus endgültig zu schlagen. Der Zionismus bietet in doppelter Hinsicht keine Befreiung. Zum einen gibt es in Israel, einem kapitalistischen Staat, immer noch Ausbeutung und Unterdrückung von Jüd:innen. Zum anderen ist es eine zynische Perspektive, Jüd:innen einfach nur nach Israel zu verlagern, anstatt den Antisemitismus dort zu bekämpfen, wo er auftritt. Dabei betonten wir, dass der Antisemitismus der Unterdrückten etwas anderes ist, als der Antisemitismus der Rechten, der Konservativen und der bürgerlichen Mitte. Unsere Aufgabe ist es, den Antisemitismus überall zu bekämpfen, wo er auftritt. Solche Elemente der Selbstorganisation wollen wir auch nutzen, um in Deutschland darum zu kämpfen, dass Waffenlieferungen blockiert werden. Dies haben Hafenarbeiter:innen in Italien schon vorgemacht.

Wir sprechen uns auch entschieden gegen die Einschränkung der demokratischen Rechte wie der Meinungs-, der Versammlungs- und der Pressefreiheit aus. Die Demonstrationsverbote trafen auch Juden:Jüdinnen, die sich gegen die Angriffe des israelischen Staats aussprechen. Auch die Zensur von pro-palästinensischen Stimmen und das Verbot von palästinensischen Organisationen, die auch die Opposition gegen die Hamas einschließt, lehnen wir entschieden ab und fordern Freiheit für politische Gefangene.

Nieder mit dem Apartheidregime. Für ein sozialistisches Palästina der Arbeiter:innenklasse, in dem Araber:innen und Jüd:innen Seite an Seite leben.

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