Gegen antisemitische Anschläge: Organisierter Widerstand statt Polizeiausbau

22.11.2022, Lesezeit 5 Min.
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Antisemitische und rassistische Gewalt sind in Deutschland nach wie vor an der Tagesordnung. Allein diesen Herbst gab es bereits vier Angriffe auf Synagogen, bei denen zum Glück niemand körperlich verletzt wurde.

In der Nacht zum 18. November wurde die Glastür zum (aktuell ungenutzten) Rabbinerhaus der Alten Synagoge in Essen von vier Pistolenkugeln durchlöchert. Glücklicherweise war zu der Zeit niemand in dem Gebäude anwesend und es wurden keine Menschen verletzt. Nur einen Tag danach, in der Nacht zum 19. November beschädigten Unbekannte den Eingangsbereich einer Synagoge in Berlin-Schöneberg, sie stahlen zudem ein Schriftstück. Ein paar Tage zuvor wurde bereits in Flensburg am 10.11. eine Bombendrohung gegen die dortige Synagoge ausgesprochen. Besonders auffallend und grausam ist hierbei, dass der 9. November der Jahrestag der Pogromnacht ist, in der im Jahr 1938, organisiert von dem Hitler-Regime, Synagogen, jüdische Gemeinderäume, sowie auch Geschäfte mit jüdischen Besitzer:innen in tausendfacher Zahl geplündert und zerstört wurden. Es liegt also nahe, dass sich für die Bombendrohung in Flensburg dieses symbolträchtige Datum ausgesucht wurde, das besonders für Jüdinnen und Juden mit viel Leid und Schmerz verbunden ist. Da ab dem 10. November 1938 die Deportationen von jüdischen Menschen in die Konzentrationslager begannen, wo die allermeisten von ihnen ermordet wurden oder an den Folgen von Unterversorgung und schwerer körperlicher Zwangsarbeit starben.

Dass innerhalb von zwei Wochen drei Synagogen in Deutschland bedroht oder angegriffen werden, zeigt, dass antisemitische und rechte Gewalt in einem erschreckenden Maß weiter zunimmt. Erst knapp einen Monat zuvor, am 05. Oktober 2022, kam es zum letzten Angriff auf eine Synagoge: Während des Jom Kippur Gottesdienstes wurden in einer Hannoveraner Synagoge die Fenster mit Steinen eingeworfen, nach dem jüdischen Kalender jährte sich der Anschlag in Halle an diesem Tag zum zweiten Mal.

Diesen Herbst wurde bei den Angriffen auf die jüdischen Gotteshäuser in Deutschland glücklicherweise niemand körperlich verletzt. Neben den materiellen und physischen Schäden an Personen, werden Anschläge auch dazu benutzt, unterdrückten Menschen Angst zu machen, zu zeigen, dass sie in den Augen der antisemitischen Rechten in Deutschland nicht willkommen seien, und sich besser unauffällig verhalten oder das Land verlassen sollten. Dies ist auch bei Anschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte, wie dem Brandanschlag in Rostock-Lichtenhagen, der nun 30 Jahre her ist, zu beobachten.

Antisemitische und rassistische Gewalt ist so präsent wie eh und je. Die AfD, die offen mit menschenfeindlichen und rechten Positionen auftritt, sitzt seit fünf Jahren im Bundestag, zwischendurch war sie sogar die drittstärkste Kraft dort. Bei der Landtagswahl im Mai diesen Jahres flog die AfD aus dem Schleswig-Holsteinischen Landtag, in allen anderen Landtagen ist sie noch vertreten.

Viele Menschen, darunter auch Politiker:innen, solidarisierten sich im Zuge der Angriffe auf die Synagogen mit den jüdischen Gemeinden in Deutschland. NRWs Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) bekundete auf Twitter, dass die CDU solidarisch mit Jüdinnen:Juden sei und sie gegen Hass und Gewalt schützen wolle. Jüdische Personen und jüdisches Leben seien “ein Teil unseres Landes, ein Teil von uns”. Wüst bekundet durch dieses Statement, dass es für ihn und die CDU ein zentraler Faktor sei, ob sie jemanden als zu Deutschland zugehörig, und daher für schützenswert halten, oder nicht.

Herbert Reul, Innenminister NRWs und ebenfalls Mitglied der CDU, versichert, dass alles getan würde, um den Täter schnellstmöglich zu ermitteln. Wenn Reul damit meint, die Polizei in NRW einzuschalten, deren rechtsextreme Chatgruppen er zwei Jahre zuvor noch als Hitler-Parodien abgetan hat, dann bleibt höchst fraglich, wie jüdische Personen durch diese geschützt werden sollen.

Die CDU fährt damit fort, Lippenbekenntnisse gegen Antisemitismus vorzubringen, nur um dessen Bekämpfung beispielsweise durch das Herunterspielen rechter Strukturen in Polizei und Bundeswehr oder der Verweigerung der Freigabe der NSU Akten zu verhindern. Mehr noch, die wirkliche Gefahr von antisemitischer und rechter Gewalt wird rassistisch als Problem “der anderen” abgestempelt, Politiker:innen aller Parteien sprechen, erinnern wir uns an Mai 2021, über eingewanderten Antisemitismus, der erst durch Muslim:innen ins Land gekommen sei.

Für uns als Antifaschist:innen und Sozialist:innen ist klar, dass wir im Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und rechten Terror nicht auf die Regierungen und die Polizei vertrauen können. Ein Ausbau der Stellen, Befugnisse und Ausstattung der von rechten Strukturen durchzogenen Polizei, deren Funktion in diesem System der Schutz der herrschenden Ordnung und Kapitalinteressen darstellt, hilft nicht. Auch mehr Videoüberwachung im öffentlichen Raum schützt am Ende nicht die unterdrückten Menschen, sondern führt zu noch mehr Gewalt und Repressionen. Dahingehend müssen wir uns mit allen Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt zusammenschließen, um gegen den rassistischen Staat und die Polizei zu kämpfen, für eine wirkliche Veränderung der Verhältnisse.

Wenn jüdische Einrichtungen wie Synagogen attackiert werden, müssen Linke und Gewerkschaften den Schutz organisieren und sich nicht darauf verlassen, dass die Polizei das tut. Dahingehend müssen wir uns mit allen Ausgebeuteten und Unterdrückten, hier und auf der ganzen Welt zusammenschließen, um gegen den kapitalistischen Staat und die Polizei zu kämpfen, für eine wirkliche Veränderung der Verhältnisse. Denn unser Kampf gegen Unterdrückung, antisemitische oder rassistische Spaltung und kapitalistische Ausbeutung ist von unten organisiert und internationalistisch. Und er ist notwendigerweise unabhängig von Staat und Polizei, die diese Diskussion instrumentalisieren, um ihre rassistische und imperialistische Politik durchzusetzen.

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