Gibt es Sexismus gegen Männer?

20.05.2016, Lesezeit 6 Min.
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Auch über Männer werden Witze gerissen, manche von ihnen erfahren Gewalt oder Übergriffe, werden unfreiwillig sexualisiert. Das ist schrecklich. Aber handelt es sich hierbei um Sexismus?

Manchmal gehe ich gerne auf Partys, auf denen keine Männer sind. Oder ich diskutiere gerne mit anderen Frauen* über politische Themen, ohne Männer, auch wenn sie noch so interessiert, gebildet und nett sind. Ein Bekannter hat mir deshalb einmal vorgeworfen, sexistisch gegen Männer zu sein. Meine Antwort war: „Ich denke nicht, dass es Sexismus gegen Männer gibt“. Daraufhin zählte er mir empört Fälle auf, die mir das Gegenteil beweisen sollten: Auch Männer erfahren häusliche Gewalt durch Partner*innen. Männliche Körper werden manchmal sexualisiert, ohne dass sie das wollen. Über Männer werden Witze gerissen, wenn sie nicht stereotyp männlich genug sind. Sie sterben im Schnitt früher und müssen in vielen Ländern Militärdienst leisten. Das ist alles wirklich schlimm. Aber ist es Sexismus?

Sexismus = Vorurteil + Macht

Ich habe einmal eine Formel gehört, die sich mir eingeprägt hat: Sexismus ist Vorurteil plus Macht. Das heißt, dass nicht jeder unangenehme oder verletzende Vorfall, der etwas mit dem Geschlecht zu tun hat, sexistisch ist. Es muss dazu auch noch eine klare Struktur geben, die ein Geschlecht regelmäßig und systematisch benachteiligt.

Die Benachteiligung und Unterdrückung von Frauen* und Mädchen* ist in unserer Gesellschaft systematisch: Gewalt und Sexualisierung ihrer Körper wird durch Werbung, Filme, Witze und Gespräche immer wieder als normal dargestellt. Ihnen wird weniger zugehört und nicht so viel Wissen und Intelligenz zugetraut wie Männern. Sie verdienen im Schnitt knapp ein Viertel weniger. Sie werden durch verschiedenste Rollenvorstellungen und wirtschaftliche Mechanismen immer wieder dazu gebracht, mehr unbezahlte Hausarbeit zu leisten und in besonders schlechten (Halbzeit-)Jobs zu arbeiten.

Alle doofen Witze, alle Vorfälle von sexueller Gewalt und jede ungerechte Behandlung am Arbeitsplatz, die Frauen betreffen, sind also Teil eines großen Ganzen. Sie entstehen, weil in unserer Gesellschaft Frauen unterdrückt werden und tragen ebenfalls zur Aufrechterhaltung der Unterdrückung bei. Diese Handlungen werden sogar teils geduldet und gefördert, weil die Unterdrückung von Frauen profitabel für Kapitalist*innen ist.

Von Witzen und Gewalt an Männern

Es werden aber wie gesagt auch Witze über Männer gemacht; sie erfahren Gewalt und unfreiwillige Sexualisierung. Das ist schlimm – aber es ist nicht Teil einer systematischen Unterdrückung von Männern. Deshalb ist es nicht sexistisch. Denn Männer füllen in unserer Gesellschaft die allermeisten machtvollen Positionen aus – sei es im Staat, der Wirtschaft oder in der eigenen Familie und in der Freund*innenclique. Dabei profitieren einige Männer mehr davon – die Kapitalisten, die so die Arbeiter*innenklasse spalten und ihre Profite erhöhen – und andere weniger – Arbeiter, die zwar in ihrem Privatleben einige Privilegien gegenüber Frauen haben, aber letztlich unter der Spaltung ihrer Klasse leiden.

Oft haben Witze und Angriffe auf Männer dabei trotzdem einen sexistischen Hintergrund – weil sie Männer dafür bestrafen, zu „weiblich“ zu sein. Da Frauen in unserer Gesellschaft unterdrückt werden, gilt „frauentypisches“ Verhalten als weniger wertvoll. Männer sollen sich laut den herrschenden Vorstellungen dafür glücklich schätzen, Männer sein zu dürfen. Wenn sie sich dann doch „weiblich“ verhalten, stellt das öffentlich die Gleichung „Männlich sein gleich besser und wichtiger sein“ und eine klare Rollenverteilung in Frage und das kann nicht hingenommen werden. Interessanterweise sind dabei meistens auch Männer die Täter.

Es entstehen auch Nachteile für Männer dadurch, dass ihnen die Rolle des dominanten Mackers und Familienernährers zugewiesen wird: Jungs dürfen keine Gefühle zeigen. Väter verbringen weniger Zeit mit ihren Kindern. Männer sterben im Schnitt früher, unter anderem weil es stressig ist, der Hauptverdiener zu sein. Ganz zu schweigen davon, was Kriegs- und Militärdienst mit Männern anrichtet. Das ist die Kehrseite einer Medaille, die Männern sonst viele Vorteile und Privilegien einbringt.

Kampf dem Sexismus!

Klar ist, dass Männer – in unterschiedlichem Ausmaß – Privilegien besitzen. Die machen sie aber nicht unbedingt glücklich, weil sie auch Männer in enge Rollen pressen. Der Kampf gegen die Frauenunterdrückung und damit gegen diese Rollen bringt also auch Verbesserungen in der Lebensqualität von Männern mit sich, obwohl er gegen ihre kurzfristigen Interessen geführt wird.

Längerfristig liegt dieser Kampf deswegen klar im Interesse aller Männer – außer jener der herrschenden Klasse – weil Sexismus zur Spaltung führt. Diese Spaltung rückt den Sieg über den Kapitalismus in weite Ferne. Und der Kapitalismus bietet auch für die Masse der Männer nur knallharte Ausbeutung, gepaart mit dem ungenügenden Zuckerstück, Frauen unterdrücken zu dürfen.

Um gegen Frauenunterdrückung zu kämpfen, braucht es die Selbstorganisierung von Frauen*. Frauen* müssen die Möglichkeit haben, sich über ihre Unterdrückung und die Strategien des Kampfes dagegen bewusst zu werden. Sie müssen eigene Forderungen aufstellen können. Deshalb war es vielleicht ärgerlich für meinen Bekannten, nicht mit mir und den anderen Frauen* bei diesem einen Workshop diskutieren zu dürfen. Aber letztendlich können nur so wir beide befreit werden.

Und noch eine kurze Nachbemerkung: Manchmal reagiere ich auf die Aussage, es gäbe Sexismus gegen Männer aggressiver, als es nötig wäre. So wie mir geht es sicher einigen. Das liegt daran, dass diejenigen, die am lautesten „Das ist sexistisch gegen Männer!!!“ schreien, oft sogenannte Männerrechtler sind. Sie benutzen diesen Ausruf, um jegliche Diskussion über Gewalt und Benachteiligung von Frauen zu ersticken. Für sie ist es sexistisch, wenn ich sage, dass viele Frauen Gewalt durch Männer erfahren, weil sie behaupten, ich würde damit sagen, alle Männer seien Vergewaltiger. Ihnen geht es nicht darum, das Leben von Männern zu verbessern. Sie wollen eigentlich nur das Recht der Männer, Frauen zu unterdrücken, verteidigen.

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