Genozid ist Femizid: Israels gezielte Vernichtung von Frauen

13.05.2025, Lesezeit 15 Min.
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Foto: anas-mohammed/shutterstock.com

Als Feminist:innen müssen wir an der Seite Palästinas stehen, denn der Genozid in Gaza ist ein Krieg gegen Frauen – Sexualisierte Gewalt, gezielte Zerstörung reproduktiver Gesundheitsvorsorge und Folter.

Nicht nur die hohe und steigende Zahl weiblicher Todesopfer lässt uns als Feminist:innen auf den Genozid in Gaza blicken, sondern auch die gezielte Gewalt gegen Frauen: Sexualisierte Übergriffe, systematische Demütigung und Folter und die bewusste Zerstörung von Entbindungsstationen und gynäkologischer Infrastruktur. 

Mitte März hat eine Untersuchungskommission des UN-Menschenrechtsrats einen Bericht  über die systematische sexualisierte, reproduktive und geschlechtsspezifische Gewalt an Palästinenser:innen durch das israelische Militär und Siedler:innen veröffentlicht. In dem Bericht unter dem Titel „Mehr als ein Mensch ertragen kann“ werden Misshandlungen seit dem 7. Oktober 2023 in Palästina dokumentiert. Es zeichnet sich ein Bild von systematischer Zerstörung von reproduktiven Einrichtungen, sexualisierter Gewalt einschließlich Vergewaltigungen und schwerer Folter, bis hin zur gezielten Tötung von Frauen und Kindern. 

Im Bericht werden zahlreiche Beispiele dafür genannt, wie Frauen und Mädchen, Schwangere sowie Ältere und Verletzte gezielt ins Visier des israelischen Militärs genommen werden. So erklärte etwa Giora Eiland, der ehemalige Leiter des Nationalen Sicherheitsrats Israels, dass Palästinenser:innen in Gaza kollektiv angegriffen werden müssten, wobei er sich insbesondere auf palästinensische Frauen bezog und die Notwendigkeit betonte, die humanitäre Hilfe zu kürzen: „Wer sind denn die älteren Frauen in Gaza – dieselben Mütter und Großmütter der Hamas-Kämpfer, die die schrecklichen Verbrechen am 7. Oktober begangen haben. Wie kann man in dieser Situation über humanitäre Überlegungen sprechen, insbesondere wenn es immer noch Entführte gibt, deren Situation Gott allein kennt.“

Oder auch Eliyahu Yosian, ein Kommentator des Misgav-instituts für nationale Sicherheit, spricht in einem interview darüber, dass Israel Gaza dem Erdboden gleichmachen, so viele wie möglich töten und dabei insbesondere Frauen ins Visier nehmen sollte:  „Die Frau ist ein Feind, das Baby ist ein Feind und die schwangere Frau ist ein Feind.“

Israels Vernichtung des palästinensischen Volks durch reproduktive Gewalt 

„Dies ist ein Krieg gegen Frauen. Tausende Frauen wurden getötet und hunderttausende leben unter äußerst prekären Bedingungen. Die Zahl der Frauen und Mädchen, die an Komplikationen im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt gestorben sind, ist nach wie vor unbekannt.“, sagt eine Geburtshelferin in Gaza. Berichten zufolge waren die Straßen, die zu Krankenhäusern führen, zerstört worden und Ärzt:innen gaben an, dass einige Schwangere bis zu vier Kilometer zu Fuß gehen mussten, um ein Krankenhaus zu erreichen. Gleichzeitig beschießt das israelische Militär humanitäre und Rettungskonvois und tötet Rettungskräfte in Gaza vor laufender Kamera. 

Ebenso greift Israel die Einrichtungen der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsvorsorge gezielt an oder zwingt sie, ihren Betrieb einzustellen – wie die direkten Angriffe auf das Al-Shifa- und Al-Nasser-Krankenhaus, mit denen die wichtigsten Entbindungsstationen in Gaza funktionsunfähig wurden oder etwa das Al-Emirati-Entbindungskrankenhaus, das Al-Awda-Krankenhaus, die Al-Mahdi-Entbindungsklinik und das Sahaba-Krankenhaus, die zu den wichtigsten Gesundheitseinrichtungen für Mütter im Gazastreifen zählten. 

Auch das Al-Basma-IVF-Centre, die größte Fruchtbarkeitsklinik in Gaza wurde im Dezember 2023 gezielt bombardiert und komplett zerstört, wobei Berichten zufolge etwa 4.000 Embryonen sowie 1.000 Spermaproben und unbefruchtete Eizellen zerstört worden. In dem IVF-Zentrum wurden jeden Monat etwa 2 bis 3 Tausend Patient:innen behandelt. Das israelische Militär zerstörte damit das gesamte Reproduktionsmaterial, das für die künftige künstliche Empfängnis von Palästinenser:innen gelagert wurde. 

Ein starker Anstieg der Zehntausenden Verletzten und Patient:innen der Notaufnahmen hat dazu geführt, dass die reproduktive Gesundheitsversorgung in den wenigen noch funktionsfähigen Einrichtungen nicht mehr oberste Priorität hat. Gleichzeitig erlaubt Israel keine medizinischen Behandlungen außerhalb von Gaza mehr und genehmigt medizinische Evakuierungen nur in Ausnahmefällen. Dies schließt auch Patientinnen mit gynäkologischen Krebserkrankungen wie Eierstock-, Gebärmutterhals- und Brustkrebs ein. Infolgedessen haben Patient:innen körperlich und psychisch gelitten, einige sind aufgrund von fehlender angemessener Krebsbehandlung gestorben. 

Gebären unter Bomben

Schwangere werden gezwungen, zunehmend auf unsichere Entbindungen in Notunterkünften zurückgreifen, wo sie wenig oder gar keine medizinische Unterstützung haben – was das Risiko von Komplikationen erhöht, die zu lebenslangen Verletzungen und Tod führen können – da sie aufgrund der Sicherheitslage oder des Mangels an Transportmitteln und -wegen kein Krankenhaus erreichen können. Hotlines für Hausgeburten sind nicht erreichbar. Die mangelnde Telekommunikation zwischen Krankenhäusern und den wenigen übrigen Krankenwagen führt zu einer unzureichenden Koordination, was sich direkt auf den Zugang von Frauen und Mädchen zur Geburtshilfe auswirkt. 

Eine Geburt in Gaza ist wie eine Geburt im Mittelalter. Es gibt keinen Zugang zu Neugeborenen-, pränataler oder postnataler Versorgung. Grundlegende Geburtshilfematerialien wie Zangen sind nicht verfügbar, ebenso wenig wie wichtige Medikamente wie Bluthochdruckmittel zur Behandlung häufiger und schwerwiegender Erkrankungen wie Präeklampsie. Infolgedessen haben Müttersterblichkeit, Totgeburten und Fehlgeburten zugenommen.

Geburtshelferin in Gaza

Die Bedingungen für Schwangere bei der Entbindung sind unfassbar unsicher, so gibt es einen immensen Mangel an Fachpersonal, Ausrüstung und Medikamenten. Medizinische Fachkräfte berichten, dass sie bei der Schmerzbehandlung von Patient:innen riesige Probleme haben, da es in den Krankenhäusern an angemessener Versorgung fehlte, darunter beispielsweise Anästhesie, Medikamente und sterile Werkzeuge zur Vorbeugung von Infektionen. Der Mangel an Schmerzmitteln wirkt sich besonders auf Schwangere aus, die einen Kaiserschnitt haben und Frauen bringen ihre Kinder unter äußerst prekären Bedingungen zur Welt. Dadurch steigen auch die Müttersterblichkeit und Todesfälle bei Neugeborenen und Föten enorm an. Geburtsnotfälle und Frühgeburten haben Berichten zufolge aufgrund der Belastung durch Stress und Traumata zugenommen, und seit dem 7. Oktober 2023 wurde ein Anstieg der Fehlgeburten um bis zu 300 Prozent gemeldet.

Mütter in Gaza müssen also ohne Schmerzlinderung gebären, wo sie nach der Geburt wochenlang bluten – ohne Zugang zu Binden und sauberem Wasser zu haben – oder in einem überfüllten Schutzraum stillen, wo man sich ein Zimmer mit unbekannten Männern teilt. Der eingeschränkte Zugang zu Wasser für die persönliche Hygiene, zum Wäschewaschen sowie bei der Menstruation führt zur Ausbreitung von Krankheiten unter den Vertriebenen sowie zu vaginalen und Harnwegsinfektionen bei Frauen und Mädchen, die zu Fehlgeburten, Unfruchtbarkeit oder sogar zum Tod führen können. 

Medizinisches Personal meldet außerdem neben den Menstruations- und reproduktiven Problemen die Unterernährung vieler der prä- und postnatalen Patientinnen, oder dass diese durch Krankheiten und Infektionen geschwächt waren. Dadurch, dass die israelischen Behörden bewusst den Hungertod als Kriegswaffe einsetzen, wirkt sich das insbesondere auf Schwangere und Frauen nach der Geburt aus, die aufgrund von Nahrungsmangel und den psychologischen Auswirkungen des Genozids nicht in der Lage sind, Muttermilch zu produzieren. Ein Mangel an Nährstoffen für Kinder behindert das Wachstum und die Entwicklung ihres Körpers und Gehirns. Weitere Folgen von Mangelernährung während der Schwangerschaft und Stillzeit können von verschiedenen Erkrankungen bis hin zum Tod der Mutter oder des Neugeborenen gehen.

Die Zerstörung des Gesundheitssystems, einschließlich der gezielten Ermordung von Gesundheitspersonal, der Gesundheitsinfrastruktur, die sexuelle, mütterliche und reproduktive Gesundheitsvorsorge bietet, wird Jahrzehnte dauern, wieder aufzubauen, was die Fähigkeit von Palästinenser:innen beeinträchtigt, zu überleben und sich fortzupflanzen. 

Israels systematischer Einsatz sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt

Im Bericht werden zahlreiche Fälle dokumentiert, bei denen Videos und Fotos von israelischen Soldaten aufgenommen und online gestellt wurden, die zeigen, wie sie Häuser in Gaza durchsuchen und dabei palästinensische Frauen demütigen und verspotten. Ein Fall zeigt ein Video eines Soldaten, der sich selbst filmt, während er die Unterwäsche und andere private Gegenstände durchsucht und dabei sexistische und sexualisierte Beleidigungen ruft: „Ich habe immer gesagt, dass Araberinnen die größten Schlampen sind. […] Hier sind die [Unterwäsche-] Sets […] schau dir diese Sets an, wer will elastische Bodys?“

Ein Frauenrechtszentrum, das mit Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt in Gaza (Stadt) zusammenarbeitet, wurde im November 2023 angegriffen und mit sexistischen Graffitis besprüht. Fotos zeigen, dass der fünfte Stock des Gebäudes, in dem misshandelte Frauen und Familien untergebracht wurden, durch einen Panzer direkt angegriffen und vollständig zerstört wurde. Der Rest des fünfstöckigen Gebäudes blieb unversehrt. 

Eine Schrift des israelischen Militärs in einem Frauenhaus lautet: „Ihr Hurensöhne, wir sind hier, um euch zu ficken, euch und eure Mütter, ihr Schlampen. Ihr hässlichen Araber, wir werden euch bei lebendigem Leibe verbrennen, ihr Hunde.“ Dabei ist wichtig zu benennen, dass der Körper und die Sexualität von Frauen oft mit der Würde der Nation beziehungsweise Nationalismus, Maskulinität und Militarisierung wahrgenommen und in Verbindung gebracht wird, wie beispielsweise mit der Ehre des Kollektivs und der „Entmannung“. 

Jederzeit festgenommen und gefoltert

Zeug:innen und Menschenrechtsaktivist:innen berichten auch von geschlechtsspezifischer Gewalt während der Bodenoperationen der IDF wie das erzwungene öffentliche Entblößen, das Abnehmen von Schleiern in der Öffentlichkeit, invasive und demütigende Durchsuchungen, Drohungen und den verbalen und körperlichen Missbrauch von Frauen, die sich weigerten, sich diesen Untersuchungen zu unterziehen. Diese sahen auch, wie mehrere Frauen von den Soldaten sexuell belästigt wurden, während sie nackt waren, darunter ein junges Mädchen im Alter von etwa 17 Jahren. Israelische Soldaten verspotteten und belästigten die zusehenden palästinensischen Männer, weil sie nicht in der Lage waren, etwas gegen das erzwungene Entkleiden der Frauen zu unternehmen. Ein Zeuge sah ebenso, wie eine schwangere Frau misshandelt und verhaftet wurde, bevor sie von israelischen Soldaten weggebracht wurde. 

Weibliche Häftlinge berichten auch, dass sie ohne ihre Zustimmung und unter entwürdigenden Umständen fotografiert wurden, unter anderem in Unterwäsche vor männlichen Soldaten. Eine andere Gefangengenommene berichtet von wiederholten und intensiven Leibesvisitationen (in weiteren Fällen werden diese ebenso berichtet, teilweise alle drei Stunden, auch wenn die Betroffenen ihre Periode hatten), in denen sie geschlagen, beleidigt, an den Haaren gezogen und vor einer israelischen Flagge fotografiert wurde. Diese Fotos wurden online gestellt. 

Allein zwischen Oktober 2023 und Juli 2024 hat Israel über 14 Tausend Palästinenser:innen in Gaza und der Westbank verhaftet; viele kennen nicht einmal den Grund ihrer Verhaftung. Diejenigen, die aus den mehr als 10 Gefängnissen – darunter auch Frauengefängnisse wie das Damon und das Hasharon Gefängnis – freigelassen wurden, berichten von brutaler Folter und sexualisierter Gewalt. Sie berichten von sexuellen Übergriffen, Tritte in ihre Genitalien, Berührung ihrer Brüste und Körper, Kussversuche und Vergewaltigungsdrohungen. 

Eine andere Gefangene berichtet, dass ein Soldat ihr mit einer Gruppenvergewaltigung, ihrer Tötung sowie der Verbrennung ihrer Kinder gedroht hat. Jener Soldat fragte sie, ob sie lieber allein oder von mehreren gleichzeitig vergewaltigt werden wolle. Nachdem sie ihrem Anwalt von dieser Drohung informieren wollte, wurde ihr der Kontakt zu ihm verweigert. In einem weiteren Fall wurde einer palästinensischen Frau, die zwei Monate vorher entbunden hatte, während ihrer Festnahme im Hasharon-Gefängnis im Beisein ihres Ehemannes mit sexualisierter Gewalt gedroht. Ein Soldat öffnete demnach seine Hose und drohte, sie auf seinen Schoß zu setzen, während ein anderer Soldat Kommentare über ihre Brüste machte. Sie wurde angespuckt und wiederholt geschlagen, bis sie ohnmächtig wurde. 

Ein Opfer schilderte die Demütigung, der sie und ihre Mitgefangenen ausgesetzt waren: „Sie zwangen uns, uns auszuziehen, und lachten uns während der Durchsuchung aus, weil einige von uns Kleidung hatten, die mit Menstruationsblut befleckt war, und einige rochen, weil wir nicht duschen durften. Sie lachten auch über eine Gefangene, die übergewichtig war. Wir fühlten uns so beleidigt und gedemütigt.“ Amnesty International berichtete auch über eine gewaltsame Leibesvisitation bei einer weiblichen Gefangenen im Damon-Gefängnis, bei der Wärter ein riesiges Messer benutzten, um ihr die Kleidung vom Leib zu reißen.

Auch männliche Häftlinge, darunter auch medizinisch Beschäftigte, berichten von sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung, extremer Folter, Schlägen und Tritten in die Genitalien bis zur Bewusstlosigkeit sowie das wiederholte Einführen von Objekten in Rektum und Penis. 

Mehr zur Lage in israelischen Gefängnissen berichten wir in diesen Artikeln: 

Die geschlechtsspezifische Gewalt ist systematisch

Alles zuvor beschriebene zeigt, dass dies keine Einzelfälle sind, sondern Teil eines umfassenderen Musters des von Israel als Besatzungsmacht auferlegten Systems. So sind bei den israelischen Angriffen in Gaza nicht nur etwa zwei Drittel der identifizierten Opfer Frauen, Kinder und ältere Menschen, sondern wie vorher gezeigt werden Frauen und Mädchen gezielt ins Visier genommen und leiden unter beispielsweise der fehlenden reproduktiven Versorgung durch die Zerstörung der Gesundheitsinfrastruktur und den Lebensbedingungen, die auf die physische Vernichtung des palästinensischen Volkes abzielen.

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt wird als Instrument und Kriegsmethode eingesetzt, um die Unterordnung des besetzten Volkes weiter zu verstärken, das israelische Unterdrückungssystem aufrechtzuerhalten und den Palästinenser:innen das Recht auf Selbstbestimmung zu verweigern. Bestimmte Formen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt wie erzwungenes öffentliches Ausziehen und Nacktsein, sexuelle Belästigung einschließlich Vergewaltigungsdrohungen sowie sexuelle Übergriffe sind de facto Teil der Standardarbeitsanweisungen der israelischen Armee gegenüber Palästinenser:innen. Und auch palästinensische Frauen in Ostjerusalem und dem Westjordanland sind zunehmend Belästigungen, Angriffen und Vergewaltigungsdrohungen durch israelische Beamte, Soldaten und Siedler:innen ausgesetzt. 

Wir können uns nicht darauf verlassen, dass uns irgendwelche Reformen, irgendwelche Brotkrumen, entgegengebracht werden, sondern müssen uns als Arbeiter:innen und Studierende mobilisieren, uns organisieren und gemeinsam der Regierung, dem Genozid und Imperialismus etwas entgegensetzen. Dabei hilft uns auch nicht die Linkspartei, die Erklärungen veröffentlicht, in denen das „Existenzrecht Israels für [sie] unverhandelbar“ sei, dass erst die ethnische Säuberung von 750.000 Palästinenser:innen benötigte, um sich als Nationalstaat zu etablieren – ganz zu schweigen von der bedingungslosen Unterstützung großer Teile der Partei für den Staat Israel und den Genozid in Gaza. So liegt es in der Hand der Arbeiter:innenklasse, diesen Genozid und damit der gezielten Gewalt gegen Frauen zu stoppen, wie die Beispiele von Hafen-, Flughafen- und Logistikarbeiter:innen weltweit zeigen, die in Solidarität mit Palästina streiken und Waffenlieferungen blockieren. 

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