Fallpauschalen – wenn du als Patient:in zu einer Rechengröße wirst

17.09.2021, Lesezeit 5 Min.
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Foto: Andy Dean Photography / shutterstock.com

Die Fallpauschale hat zu einer Ökonomisierung des Gesundheitswesens geführt. Doch was ist das überhaupt, was ist eine blutige Entlassung und wieso wollen wir die Fallpauschale kippen?

Die Fallpauschale oder DRG (Diagnosis Related Groups) in Krankenhäusern ist ein Vergütungssystem, welches nicht mehr für die Dauer der Behandlung, sondern pro stationärem Aufenthalt eines:einer Patient:in Geld bereitstellt. Dieses System wurde 2004 verpflichtend eingeführt und hatte zum Ziel, die Liegezeiten pro Patient:in stark zu verkürzen. Die Regierung wollte damit eine Überfüllung der Krankenhäuser durch den demographischen Wandel und den massiven Personalmangel entgegenwirken, sowie eine Art Konkurrenzsystem in den Krankenhäusern etablieren. Es wurde auch behauptet, dass damit die Behandlungsqualität zunehmen würde.

Warum klagen trotzdem alle Krankenhausbeschäftigten über Personalmangel und Überbelegung?

Der Fehler dieses Systems liegt bereits im Namen, denn es handelt sich in den medizinischen Berufen nie um “Fälle”, sondern um Menschen und Menschenleben.

Eine Folge des Fallpauschalen-Systems ist die sogenannte „blutige Entlassung“: Menschen, deren Heilungsprozess noch nicht abgeschlossen ist, werden häufig – aus Kostengründen – nach Hause geschickt und sind gerade nach größeren Eingriffen maßlos überfordert, ihren Alltag ohne Unterstützung zu meistern. Im schlimmsten Fall kommt es zu einer Verschlechterung des Zustands und einer erneuten Einweisung ins Krankenhaus.Die Fallpauschale gibt nämlich auch einen durchschnittlichen Behandlungszeitraum an. Wird dieser Zeitraum überschritten, gibt es zwar tägliche Zuschläge, diese sind aber so gering bemessen, das sie die tatsächlichen Kosten nicht decken. Eine möglichst kurze stationäre Behandlung wurde so zu einer der Zielmarken im Krankenhaus.

Ein weiteres Problem ist, dass viele Patient:innen, deren gesundheitliche Probleme auch ambulant behandelt werden könnten, trotzdem stationär aufgenommen werden. Auch dies passiert nicht aus medizinischen Gründen, sondern zur Profitmaximierung: die kurzzeitige Aufnahme von Patient:innen bringt mehr Geld ein, als eine ambulante Behandlung – selbst wenn letztere medizinisch ausreichend wäre. Jedoch belegen diese ambulanten Patient:innen damit rare stationäre Plätze und sorgen außerdem für noch stärkere Belastung des Personals. Ein weiterer Effekt des DRG ist, dass nicht profitable Stationen wie z.B. Geburtshilfen komplett geschlossen werden.

Es zeigt sich also, dass die Fallpauschale vielleicht statistisch zu mehr Effizienz zu führen scheint, dies in der Realität jedoch nicht zutrifft. Zusätzlich führt es zu einer absurden Form von Bürokratisierung. Jeder “Fall” bzw. Patient:in muss aufs Genaueste dokumentiert werden. Es muss penibel darauf geachtet werden, niemanden zu lange auf der Station zu lassen und immer so viele Betten wie möglich belegt zu haben. Ein Bereich, in dem das Ziel eigentlich sein sollte, dass so wenig Menschen wie möglich ihn in Anspruch nehmen müssen, wird so künstlich überfüllt und stets an seine Grenze geführt.

Leider hat dieses System direkte Auswirkungen auf unsere Arbeit. Meist haben Menschen, die einen sozialen Beruf erlernen, das Bedürfnis, anderen Menschen zu helfen. Und zwar auf medizinische und zwischenmenschliche Weise. Doch dafür bleibt unter dem DRG-System noch weniger Zeit. Patient:innen müssen aufgrund der miserablen Zustände auf gleichförmige “Fälle” reduziert werden, die es abzuarbeiten gilt. Das Krankenhaus wird zu einer Krankenfabrik. Solange uns das System nicht erlaubt, Patient:innen als hilfsbedürftigen Menschen gegenüber zu treten, wiederholen wir die Parole: Menschenleben über Profite, Fallpauschalen abschaffen!

Wie verändern wir dieses kranke System?

Unsere Gesundheit ist mehr wert als ihre Profite! Verstaatlichung des gesamten Gesundheitssystems unter Kontrolle von Arbeiter:innen und Patient:innen!

Dies ist eine der Hauptforderungen des Programms von Klasse gegen Klasse anlässlich der Bundestagswahlen. Einige der großen Parteien versprechen Verbesserungen für das Gesundheitssystem, die Linkspartei druckt sogar “Keine Profite mit der Gesundheit!” auf ihre Wahlplakate. Doch auf diese Versprechen ist kein Verlass: Die rot-rot-grüne Regierung in Berlin hat gezeigt, womit bei einer bundesweiten rot-rot-grünen Regierung zu rechnen ist, indem sie massiv zur momentanen Notlage beigetragen hat. Unter diesen Regierungsparteien wurden Krankenhäuser teils privatisiert, teils wurde ausgelagerten Beschäftigten jahrelang eine Wiedereingliederung in den Tarif des öffentlichen Dienstes verwehrt. Pflegepersonal wurde beklatscht statt fair bezahlt und wenn es ums Thema Sparen ging, musste fast immer das Gesundheitssystem den Kürzeren ziehen.

Aktuell gibt es in Berlin aber auch ein gutes Signal: Die Streiks der Berliner Krankenhausbewegung. Erstmals streiken hier die Beschäftigten der Pflege der beiden größten Krankenhäuser gemeinsam mit einigen der ausgelagerten Tochterunternehmen für mehr Personal und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Wenn sie sich nicht mit faulen Kompromissen abspeisen lassen, sondern die Kraft ihrer Streiks voll ausnutzen, können sie ihre Forderungen durchsetzen!

Zum Weiterlesen gibt es unseren Magazin-Artikel über die Profitorientierung des Gesundheitssystems. (Ausgabe #0)

Gesundheits­system ohne Profite: Utopie oder Notwendigkeit?

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