Ein junger, roter James Bond – Die Erinnerungen von Willi Münzenberg

01.10.2016, Lesezeit 4 Min.
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Die Erinnerungen von Willi Münzenberg an seine Zeit in der sozialistischen Jugendbewegung. "Die Dritte Front", neu herausgegeben von einem Schweizer Verlag.

Man schreibt das Jahr 1906. Zwei junge Arbeiter aus einer Schuhfabrik stehen vor dem Verein „Propaganda“ in Erfurt. Keiner der beiden traut sich, die wöchentliche Versammlung zu betreten – denn sie sind sich nicht mal sicher, was „Propaganda“ bedeutet. Doch schließlich gehen sie die Treppe hinauf und hören sich einen Vortrag an.

Damit beginnt für den 16-jährigen Willi Münzenberg eine fulminante Laufbahn in der Arbeiter*innenbewegung. Einige Jahrzehnte später sitzt er im Reichstag und leitet riesige kommunistische Verlagshäuser in Deutschland, weshalb er auch als „roter Millionär“ verspottet wird.

„Die Dritte Front“ von 1930 ist keine Autobiografie – dafür ist Münzenberg zu jung gestorben. Es sind Erinnerungen aus den 15 Jahren, die Münzenberg in der sozialistischen Jugendbewegung aktiv war, untermalt mit lebendigen Anekdoten. Auf Szenen aus der Kindheit verzichtete der Autor komplett – sein Leben beginnt quasi erst mit dem Eintritt in einen sozialistischen Verein.

Der Teenager fängt mit Agitation unter Lehrlingen an, und steht bald nicht nur im Konflikt mit der preußischen Polizei, sondern auch mit der Bürokratie der Sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften. 1910 geht der junge Arbeiter „auf die Walze“ und landet in Zürich, wo er Funktionär der sozialistischen Jugend der Schweiz wird.

Der Beginn des Ersten Weltkrieges ist ein Schock: Die SPD und die meisten sozialistischen Parteien unterstützen das Gemetzel ihrer jeweiligen Regierung. Die neutrale Schweiz wird ein Sammelplatz für Internationalist*innen aus ganz Europa. Die Jugendorganisationen etablieren eine neue „internationale Verbindung“, um ihre Anti-Kriegs-Aktvitäten über die Grenzen hinweg zu koordinieren. Münzenberg wird Sekretär dieser Verbindung und diskutiert viel mit W.I. Lenin und anderen exilierten Revolutionär*innen.

Mit dem Ende des Weltkrieges beginnt die Revolution in Deutschland. Unter Bedingungen des Ausnahmezustandes und des Bürger*innenkrieges wird im November 1918 in einem Neuköllner Kneipenhinterzimmer die „Kommunistische Jugendinternationale“ gegründet – Münzenberg leitet die Tagung. Die KJI soll autonom von der Kommunistischen Internationale bleiben, die ein halbes Jahr zuvor in Moskau entstanden war. Die Exekutive der revolutionären Jugend arbeitet in einem illegalen Büro in Berlin.

Die Jugendlichen schätzen ihre Eigenständigkeit vom Komintern-Apparat in Moskau. Die führenden Funktionäre reisen quer durch Europa, oft illegal, um die sozialdemokratischen Jugendverbände zu spalten und für den Kommunismus zu gewinnen. Münzenberg berichtet von tagelangen Polizeiverhören und nächtlichen Grenzübertritten – er scheint in jenen Jahren ein junger, roter James Bond gewesen zu sein.

1921 scheidet Münzenberg aus der Jugendinternationale aus. Seine Darstellung dieses Schritts im letzten Kapitel des Buches muss man aber leider als falsch bezeichnen. Denn es war weder eine freiwillige, noch dem Alter geschuldete Entscheidung. Die Komintern wollte ihre Jugend stärker unter ihre Kontrolle bringen und die Exekutive nach Moskau verlegen. Münzenberg verlor den Kampf um die Autonomie der Jugend. Das wissen wir nicht nur aus der Biographie seiner Lebensgefährtin, Babette Groß, sondern aus seinen eigenen Artikeln in der Zeitung „Jugend-Internationale“ aus dieser Zeit. Doch in seinen Erinnerungen schweigt er eisern dazu.

Als dieser Kampf verloren war, widmete sich Münzenberg nunmehr einem neuen Projekt: der Internationalen Arbeiter-Hilfe. Dass er seinen Austritt aus der KJI falsch darstellte, lag sicherlich an der Zeit: Als Münzenberg im Jahr 1929 schrieb, blühte bereits der Stalinismus in der Sowjetunion – kein Wunder, dass Münzenberg seinen alten Streit mit Lenin und Trotzki verheimlichen wollte.

Diese Neuauflage, auf der Grundlage eines Nachdrucks aus den 70ern, bietet nicht nur einen Anhang mit Dokumenten aus der sozialistischen Jugendbewegung, sondern auch zahlreiche Fotos. Leider fehlt ein Inhaltsverzeichnis. Eine kleine Ironie der Edition: Münzenberg agitierte viele Jahre rund um die Uhr für die vollständige Trennung der Kommunisten von den Sozialdemokraten. Doch sein Buch wird jetzt von der trotzkistischen Gruppe „Funke“ herausgegeben, die in der sozialdemokratischen Jugend der Schweiz arbeitet.

Manche Historiker*innen wollen aus Münzenberg einen republikanischen Verleger machen, der nur aus jugendlicher Romantik zeitweilig vom Kommunismus verführt war. Aber in seinen eigenen Worten sehen wir einen jungen Berufsrevolutionär – ein Leninist im wahrsten Sinn, der sein Leben in den Dienst der Revolution stellte.

Willi Münzenberg: Die Dritte Front. AdV Verlag. 412 S., geb., 15 €.

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